• 46 •
Louis
Um Punkt 10 Uhr kam das Auto auf dem provisorisch vom Schnee befreiten Kies zum Stehen. Das war dann der Moment, an dem ich auch die letzten verzweifelten Hoffnungen verlor, dass ich doch bleiben könnte. Mit ein wenig Überwindung drehte ich mich vom Fenster weg. Der Stift in meiner Hand wanderte kurz über einen kleinen Zettel mitten auf dem Tisch.
Genieß heute Abend, es wird sicher wunderbar. Wir sehen uns am Sonntag.
Es tut mir so leid.
Louis
»Also dann«, murmelte ich mir selbst zu und griff mit der einen Hand nach meiner nicht allzu schweren Tasche und mit der anderen nach dem perfekt gebügelten Anzug. Vorsichtig manövrierte ich mich und mein Gepäck durch die Tür unseres Zimmers. Ich begann es immer mehr zu hassen, dieses Zimmer zu verlassen.
Mit schnellen Schritten lief ich durch die Flure, die wie leergefegt waren. Ich war ziemlich froh, dass Harry jetzt im Unterricht saß und hoffentlich nicht an mich dachte. Heute morgen war er mit einem schwachen Lächeln als Verabschiedung wortlos zur ersten Stunde verschwunden. Er tat mir so leid. Dieser Abend hätte ihm so viel bedeutet. Ich wollte gar nicht daran denken, wie schön es geworden wäre. Welche Dinge sich hätten entwickeln können.
Aber wenigstens musste ich sein trauriges Gesicht jetzt nicht noch einmal sehen, wenn ich ihn hier zurückließ. Auch wenn dieses Gesicht sich sowieso schon längst dauerhaft in mein Bewusstsein gebrannt hatte und mich daran erinnerte, wie viel ich ihm nahm.
Liam und Niall hatten uns beide einfach den ganzen Morgen so mitleidig angesehen, als wären wir gerade zum Tode verurteilt worden. Verabschiedet hatte ich mich von den beiden nur mit ein paar knappen Worten.
Draußen war es schon lange nicht mehr so kalt wie vor einigen Wochen, aber es war trotzdem nicht warm genug, dass der Schnee schmolz. Nathan stand schon am Kofferraum bereit und nahm mir sofort alles ab und verstaute es im Wagen. Ich verdrückte mich sofort auf die Rückbank und schloss die Augen, denn ohne Schlaf könnte ich diese Fahrt niemals überstehen.
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Ich machte kein Geheimnis daraus, dass ich nicht glücklich darüber war, meine Eltern wiederzusehen. Sie dankten mir, dass ich mich doch dafür entschieden hatte, hierher zu kommen – ganz so, als wäre das tatsächlich meine Entscheidung gewesen.
Sobald ich unser Haus betrat, empfing mich ebenfalls die Hektik, denn es stellte sich heraus, dass die Veranstaltung nicht mal hier in London stattfand, sondern in unserem Zweithaus (wir waren so ungefähr nie dort) in Hemsby. Also hatte ich letztendlich nicht mal eine Stunde Aufenthalt in London, denn wir stiegen gleich wieder ins Auto, nachdem wir unsere Abendkleidung faltenfrei in das Auto verfrachtet hatten. Dann hieß es wieder fahren.
In Hemsby war schon mehr oder weniger alles vorbereitet. In dem riesigen, eleganten Wintergarten waren zahllose Tische in weiße Tischdecken eingehüllt und die Anzahl der Gedecke ließ mich ehrlich stutzen. Es mussten wirklich viele Leute kommen.
Ich hatte eine Stunde, bis die Gäste kommen würden. Um nicht in Zeitdruck zu geraten, duschte ich schnell und sorgte dann dafür, dass auch Haarspray, Parfüm und Co. ihren Zweck erfüllen konnten. Danach schlüpfte ich in den nagelneuen Anzug. Natürlich passte er wie angegossen. Zwar war ich maßgeschneiderte Kleidung gewohnt, aber als ich in den körpergroßen Spiegel sah, staunte sogar ich. Das war ohne Zweifel der beste Anzug, den ich jemals besessen hatte – und das wollte schon etwas heißen. Ich war nie wirklich glücklich mit meinem eigenen Körper gewesen, aber bei diesem perfekten Schnitt hatte nicht mal ich etwas an meinem Erscheinungsbild aussetzen.
Durch jahrelanger Übung perfektioniert zog ich kunstfertig jeden Millimeter Stoff an seine vorgesehene Stelle. Dann betrachtete ich nachdenklich mein Spiegelbild. Es fühlte sich alles an mir so richtig an, dabei war alles um mich herum so falsch. Dieser Tag hätte so wunderbar werden können. Ich hätte diesen Anzug tragen können, während ich Harry in den Sternsaal führte. Wir hätten getanzt, obwohl er der tollpatschigste Mensch der Welt und ich kein großer Fan vom Tanzen war.
Doch ich war hier. Und Harry war alleine im Internat.
»Du siehst wunderbar aus, Louis.« Meine Eltern traten hinter mich und ich drehte mich langsam zu ihnen um. Meine Mutter lächelte liebevoll und fuhr mit leichten Bewegungen durch meine Haare, um die Frisur zu verbessern. »Ich bin so stolz auf dich, Louis.«, sie betrachtete mich mich glänzenden Augen. »Du bist ein so hübscher, intelligenter, junger Mann geworden. Heute wird ein voller Erfolg werden. Deine Zukunft strahlt hell und rosig, wenn es so weitergeht.«
Ich ließ mich nicht wirklich von ihren Emotionen mitreißen. Ich würde jetzt bestimmt nicht in nostalgische Familienliebe verfallen. Ich wollte nicht hier sein.
»Ihr wisst so gut wie ich, dass ich das hier nicht freiwillig mache. Mir ist egal, was heute passiert. Was werdet ihr tun, wenn ich mich absolut daneben benehme und dieser glorreichen Zukunft einen Strich durch die Rechnung mache, weil mir selbst dieses ganze wohlhabende Geschäftemachen vielleicht einfach egal ist? Ich könnte allen heute Abend zeigen, dass es eine absolut grauenhafte und dumme Idee wäre, in den Sohn der Tomlinsons zu investieren, weil er womöglich ein unzivilisierter Rebell ist. Oder ich lasse meine Höflichkeit ein bisschen schleifen und mache mich auf diese Weise beliebt, wenn ich den reichen Menschen erzähle, dass sie fürchterlich zugenommen haben, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Hat eigentlich schon mal jemand dem vornehmen Mr. Akerley gesagt, dass er wie ein Bullterrier aussieht?«
Ich war mir sicher, dass mein Vater mich selten so düster angesehen hatte. »Nichts davon wird passieren, Louis, hast du verstanden? Du wirst dich benehmen und nicht nur das, sondern einen überraschend guten Eindruck machen. Wenn es ein Ereignis gibt, wofür du all die Dinge in deiner Vergangenheit gelernt hast, dann ist das heute.«
Ich dachte kurz darüber nach. Ich war immer noch wütend auf meine Eltern und es war eigentlich ein perfekter Weg, meine Rache zu zeigen, indem ich meinen eigenen Einstieg ins Familiengeschäft mit einem unverzeihlichen Paukenschlag versaute.
Daran gab es nur einen winzigen Nachteil und zwar, dass meine Eltern mir wahrscheinlich niemals wieder gut gesinnt wären. Das wäre an sich nicht schlimm, aber wenn sie so sauer würden, dass sie mich komplett fallen ließen, dann würde ich riskieren, vom Internat zu fliegen. Denn die hohen Schulgebühren könnte ich mit Sicherheit nicht alleine bezahlen, wenn sie mir den Zugriff auf mein Konto verweigerten. Und ich war ganz sicher nicht darauf aus, Harry noch mehr zu enttäuschen, indem unser Alltag sich für immer trennte.
Ich verkniff mir ein Seufzen, als ich mich also dazu entschied, nachzugeben. Das Gute daran wäre, dass meine Eltern dann wenigstens wüssten, dass sie in meiner Schuld standen. Denn ich könnte heute mehr Schaden anrichten, als ihnen lieb war; vielleicht sogar mehr, als unser Familienruf tragen konnte.
»Gut«, sagte ich also. »Ich werde eure Regeln befolgen. Aber merkt euch das gut.« Ich musste nicht hinzufügen, dass sie mir damit etwas schuldig waren. Sie wussten es.
Meine Mutter seufzte erleichtert. »Danke, Louis. Und bitte glaub uns, dass es uns wirklich leid tut, dass du deinen Schulball verpasst. Aber manche Dinge lassen sich einfach nicht verschieben.«
»Darüber will ich jetzt nicht reden.« Ich drehte ihnen den Rücken zu und ging zum Buffet, um mir die makellos angerichteten Torten anzusehen.
Leider blieb es nicht bei diesem Gespräch. Ich bekam noch ein paar Sonderregeln zu den gewöhnlichen Geschäftsessen-Regeln dazu – keinen Alkohol zum Beispiel.
Um 14:59 Uhr fuhr dann das erste Auto vor. Ich richtete meinen Hemdkragen und stellte mich brav zur Eingangstür. Jetzt würde es also losgehen. Und ich würde mich benehmen, ganz wie es meine Eltern wollten. Für diesen einen Tag. Das konnte ich überstehen. Ich durfte nur einfach nicht an Harry denken und wie er später einen weiteren Neujahrsball ohne Date erleben würde.
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Ich war froh, als ich endlich von der Tür und damit dem Dauer-Lächeln, dem Danken für nachträgliche Geburtstagsglückwünsche und dem obligatorischen Anbieten, den Damen ihre Mäntel abzunehmen, wegkam.
Dann war das Tortenbuffet für mich an der Reihe. Wie es von mir erwartet wurde, nahm ich mir nur ein Stück einer Buttercremetorte, richtete dann ein paar offizielle Begrüßungsworte an die vielen Gäste und machte einen wunderbaren Job damit, so zu wirken, als hätte ich unglaublich gute Laune und wäre der beste Gastgeber, den man sich vorstellen konnte.
Mein Stück Torte aß ich schnell (aber natürlich nicht schlingend oder unangemessen) und begann dann mit der verhassten Runde um all die besetzten Tische. Lächeln, sich setzen, Unterhaltungen führen, höflich lachen, seichte Komplimente machen, dann zum nächsten Tisch.
Es war alles zu ertragen, ich hielt mich so lange wie möglich bei meiner Großtante Judith auf, die gedacht hatte, das hier wäre meine Geburtstagsparty. Sie fand es zwar empörend langweilig hier, weil das eben nicht die Wahrheit war, aber sie blieb für das gute Essen. Ich war mir sicher, dass sie schon seit mindestens zehn Jahren in irgendein Heim gehörte, aber Geld lässt einem viele Möglichkeiten. Jetzt war ich doch ganz froh darüber, dass sie hier war, denn zu ihr konnte ich sagen, was ich wollte und ehrlich gesagt waren die Geschichten über ihre Hobby-Papageizucht eine willkommene Abwechslung.
Aber auch der Rest der Konversationen war annehmbar. Meine Wangen taten langsam von dem ganzen falschen Lächeln weh, aber ich schlug mich durch. Auch hierin hatte ich schließlich jahrelange Übung.
Das Blatt wandte sich allerdings, als meine Mutter mich irgendwann von Tee und einem komplett langweiligen Gespräch mit dem einschläfernden, aber leider verdammt reichen Ehepaar Wood über die Pflege von Kunstpelz wegholte.
Ihre vorhin doch noch ziemlich besorgten Züge waren jetzt verhältnismäßig entspannt und erleichtert. Wir stellten uns ein wenig beiseite.
»Du schlägst dich toll, Louis. Alle sind zufrieden und mir wurde schon dreizehnmal erzählt, dass du sehr aufgeweckt und wirklich vielversprechend bist. Er würde es dir vermutlich nicht sagen, aber auch dein Vater ist sehr zufrieden damit, wie es läuft.« Sie ließ den Blick durch den gefüllten Raum schweifen.
»Ihr habt mir keine große Wahl gelassen, Mum. Ich bin ein Tomlinson, erfülle heute meine Pflichten und das war es dann fürs Erste. Glaubt nicht, ich wäre froh, hier zu sein, nur weil ich mit festgeklebtem Lächeln herumrenne.«
Sie senkte den Kopf leicht. »Ich weiß. Das ist aber auch nicht, worüber ich mit dir reden wollte.« Ich schwieg, damit sie weiterredete. »Du hast dich vorhin schon mit den Moores unterhalten, ist das richtig?«
Ich nickte und sah zu dem nicht allzu alten Paar rüber. »Arthur hat mich ziemlich interessiert über das Internat und meine aktuelle schulische Ausbildung ausgefragt. Sie sind alle skeptisch, weil es kein Geheimnis ist, dass ich sitzengeblieben bin, auch wenn ich jetzt ganz gute Noten habe.«
»Ich denke, darüber können alle hier im Raum hinwegsehen. Du hast dich sehr verändert, Louis.« Sie lächelte mir stolz zu.
»Ja, ich musste mich erst verändern, damit meine Eltern mich endlich wertschätzen.«, sagte ich kalt und beobachtete jetzt wieder Großtante Judith, die gerade einen Ingwerscone in ihrem Earl Grey tränkte.
»Wie auch immer«, übersprang meine Mutter die Bemerkung. »Erinnerst du dich an die Tochter der beiden?«
Ich überlegte kurz, dann nickte ich wieder. »Ja. Wie hieß sie noch gleich? Selma? Summer? Sara?«
»Sienna.«
»Richtig, Sienna Moore. Ja, ich erinnere mich an sie. Was ist mit ihr?«
»Wir wollen dir nichts aufzwingen, Louis, aber eine Verbindung zwischen dir und Sienna wäre vorteilhaft. Arthur und Iris sehen das genauso. Sie ist ein paar Monate jünger als du, das Alter würde also passen und der Rest stimmt auch. Sienna ist ein hübsches, kluges Mädchen. Du solltest wirklich darüber nachdenken.«
Entgeistert starrte ich meine Mutter an. »Ist das ein Scherz? Nein, Mum, das werde ich nicht tun! Ihr könnt mich nicht einfach verheiraten wie es euch passt, als würden wir im achtzehnten Jahrhundert oder sonstwann leben! Ihr wollt, dass ich darüber nachdenke? Ich habe nachgedacht. Und abgelehnt! Die Sache ist vom Tisch, sag du es ruhig Arthur und Iris, sonst breche ich womöglich noch meinen Höflichkeitskodex! Und wenn der erstmal gebrochen ist, dann kann ich nicht garantieren, dass ich meine Zunge noch im Zaum halten kann.
Du kannst Dad daran erinnern, dass er mir mal verboten hat, mit den musterhaften Töchtern von Geschäftspartnern ins Bett zu gehen! Tut mir leid, aber da mache ich für Sienna keine Ausnahme. Mein Liebesleben ist das einzige, wo ihr mir noch eigene Entscheidungen überlassen habt und das wird auch so bleiben!«
Sie schwieg kurz, dann seufzte sie. »Also gut. Wie gesagt, da werden wir dir nichts aufzwingen, das ist allein deine Entscheidung. Es hätte ja sein können, dass du es gar nicht schlecht findest. Aber Louis, wenn du jetzt schon mal über dein Liebesleben sprichst, es ist mir wirklich wichtig, dass du mal jemanden findest, der dich glücklich machen kann. Ich weiß ja, dass du in den letzten Jahren nicht besonders...wählerisch oder monogam warst, was das betrifft.«
»Okay, Mum, hier muss ich einschreiten, das ist die Grenze. Ich rede nicht mit dir über mein Sex- oder Liebesleben und lasse mir wie gesagt auch nicht vorschreiben, mit welchen und wie vielen Leuten ich schlafe. Es war ein interessantes Gespräch. Vergiss die ganze Sienna-Sache am besten, daraus wird nämlich nichts. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest; ich habe ein paar Gäste von meiner Zurechnungsfähigkeit zu überzeugen. Ich verzichte für all diese Leute schließlich auf einen Ball, da muss es sich auch lohnen.« Ich wandte mich von ihr ab und kehrte zu meinem Tee, den Woods und einem freundlichen ›Entschuldingung, wo waren wir stehengeblieben?‹ zurück.
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Mit den verstreichenden Stunden wurden die Gespräche langsam aber sicher politischer und geschäftlicher. Ich beteiligte mich daran, hielt mich aber mit eigenen Meinungsäußerungen zurück, genau, wie man es mir beigebracht hatte. Später, wenn ich mir einen eigenen Namen gemacht hatte, wäre es gut, stark seine eigenen Sichtweisen zu vertreten, aber weil ich gerade versuchte, mir Freunde zu machen, durfte ich niemanden von vornherein abschrecken.
Das Abendessen war schon im vollen Gange, irgendein Klavier klimperte im Hintergrund. Mein Vater saß zu meiner Rechten, das Glas Portwein zwischen den Fingern drehend, während er rege an einer Diskussion über eine vergangene Justizentscheidung teilnahm. Gelangweilt nahm ich einen Schluck von meinem Wasser, das nie einen Tropfen Alkohol, nur ein paar Minzblätter und Eiswürfel gesehen hatte. Ich musste mir die größte Mühe geben, meine Langeweile nicht zu zeigen, sondern auszusehen, als würde ich das Gespräch interessiert verfolgen.
Unkontrolliert wanderten meine Gedanken zu Harry. Sicher hatte der Ball schon längst begonnen. Vielleicht aßen sie auch gerade.
Ein Bild schob sich vor mein inneres Auge. Wie Harry in seinem Essen herumstocherte, Niall seine Aufmerksamkeit Sophie, und Liam seine Robyn schenkte. Ich hätte dort bei ihm sitzen, ihn zum Lachen und seine Augen zum Leuchten bringen sollen. Aber stattdessen war er alleine. Wie konnte das Leben nur so ungerecht zu einem Menschen wie Harry sein?
Bevor irgendwer bemerken konnte, dass ich nicht zuhörte, entschuldigte ich mich zur Toilette.
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Der Abend zog sich endlos. Weil keiner von diesen ganzen Protzern selber fahren musste, hatte auch niemand Zeitdruck oder Scheu vor Alkohol. Alles wurde lauter, und ich war froh, als endlich ein wenig Musik zum Tanzen gespielt wurde. Ich wollte schon zur kleinen Tanzfläche, um mich alleine, mit einem Glas in der Hand wippend, daneben zu stellen, damit ich den Gesprächen für einen Moment entfliehen konnte, aber da wurde ich schon von meiner Mutter zurückgewunken. Sie erklärte mir, dass ich nicht vor meinen eigenen Gästen davonrennen könnte und ich wurde wieder zurückgeschickt.
Jede vorüberziehende Minute prägte Harrys Bild in meinen Gedanken qualvoller. Es wurde schwerer, mich zu konzentrieren und ich beschränkte mich immer weiter auf zusammenhangloses Nicken.
Dann kurz nach halb zehn, als ich gerade Mr. und Mrs. Lee zur Tür geleitete, betätigte sich in mir plötzlich irgendein Schalter. Ohne weitere Überlegungen lief ich zurück in den Wintergarten, entschuldigte mich bei meiner Mutter, weil ich mich nicht besonders gut fühlte und rannte dann ohne Umweg in die Küche, in der ich Nathan mit ein paar von den Köchen fand.
»Nathan«, ich versuchte nicht zu klingen, als wäre ich in Eile. Er musterte mich überrascht. Natürlich erwartete er mich nicht in der Küche, das da draußen war mein Abend. »Meine Mutter hat ihre flachen Schuhe im Auto vergessen. Bekomme ich die Schlüssel?«
Skeptisch sah er mich an. »Ich war mir sicher, ich hatte alles ausgeräumt.«
Ich winkte ab. »Ist nicht weiter wild, jeder kann mal was übersehen. Aber Mum fallen gerade ihre Füße ab, würdest du mir die Schlüssel geben?«
Nathan stellte einen Teller mit übriggebliebener Torte beiseite und stand auf. »Du kannst wieder reingehen, Louis. Ich hole die Schuhe.«
Vielleicht ein wenig zu hartnäckig schüttelte ich den Kopf. »Nein! Nein, meine ich.«, wiederholte ich ruhiger. »Du hast heute schon genug gemacht, Nathan. Ich gehe die Schuhe holen, ja?«
Er überlegte kurz, aber ein Blick auf seine Torte schien ihn zu überzeugen. Mit einem Schulterzucken angelte er die Autoschlüssel aus einer Tasche und drückte sie mir in die Hand.
Ich lächelte erleichtert. »Danke, Nathan!«, rief ich schon im Hinausrennen. »Ich bringe sie dir gleich zurück.«
Lüge.
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