• 17 •
Louis
Ein Geräusch weckte mich. Ich öffnete die Augen, allerdings änderte das nichts. Es war stockdunkel. Mitten in der Nacht.
Mit offenen Augen lag ich einige Sekunden unbewegt in meinem Bett und konzentrierte mich auf die Geräuschkulisse. Doch bis auf das leise Rauschen des Windes draußen in den Baumkronen – wir hatten das Fenster offen – konnte ich nichts hören.
Ich begriff, dass mich wahrscheinlich nur eine starke Windböe geweckt hatte.
Beiläufig drückte ich noch auf die Leuchte-Taste meines Weckers und warf einen flüchtigen Blick auf die beleuchteten Zahlen. 2:56 Uhr. Zeit, weiterzuschlafen.
Ich entspannte mich und schloss die Augen, während ich zurück in die Matratze sank.
Keine Sekunde später saß ich aufrecht im Bett, als ich das Geräusch urplötzlich und deutlich lauter als erwartet wieder hörte. Nur war ich diesmal wach und konnte es sofort identifizieren.
Es war Harry. Es hatte sich angehört wie ein heiseres Röcheln. Laut und panisch.
Ich blinzelte ein paar Mal, damit meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Schnell konnte ich die Umrisse im Zimmer erkennen und Harrys Silhouette in seinem Bett ausmachen.
Ich zuckte zusammen, als Harry wieder begann, zu...was auch immer es war. Röcheln, nach Luft schnappen, husten, keuchen. Es hörte sich jedenfalls nicht gesund an.
Das Problem war, dass es dieses Mal nicht einmalig blieb. Es wiederholte sich nach einigen Sekunden und schnell begriff ich, dass es jetzt Harrys normalen Atem ersetzt hatte.
Ich dachte kurz darüber nach, ob es wohl so etwas wie eine Asthmaattacke war. Doch dann verstand ich, was es war und ließ mich mit einem strapaziertem Stöhnen wieder in die Decken fallen.
Harry hatte keinen Asthmaanfall – so weit ich wusste, hatte er ja nicht mal Asthma. Harry hatte gar nichts. Nur einen sturen und offensichtlich cleveren Kopf. Es war geschauspielert. Es war seine Rache für meinen Tee. Er wollte mich erschrecken und gleichzeitig noch vom Schlafen abhalten. Ich musste zugeben, dass die Idee gut war.
Um ihm also nicht zu geben, was er wollte, versuchte ich mich wieder aufs Einschlafen zu konzentrieren. Das war nur nicht so einfach wie gedacht. Harry hörte sich mittlerweile immer mehr nach Sterben an und wurde dabei auch nicht leiser. Meiner Meinung nach übertrieb er es etwas mit seinem Schauspiel. Er überstrapazierte die Glaubwürdigkeit. Ich müsste schon ziemlich dämlich sein, um ihm das abzukaufen. Harry wäre ein sehr pathetischer Schauspieler.
Nicht dass das etwas Gutes wäre.
Je länger ich dort so lag und krampfhaft versuchte wieder einzuschlafen, desto mehr Zeit hatte ich, Harrys Hechel-Keuch-Röcheln zu analysieren. Es klang, als wäre er irgendwo anders. Irgendwo, wo es keinen Sauerstoff gab oder die Luft dick und zäh wie Honig war. Irgendwo, wo er nicht mehr weit entfernt vom Tod war. Wie gesagt, er übertrieb es. Offensichtlich wollte er nicht aufhören, bevor er seine Rache bekam und ich doch noch nachgab, weil ich mir wirklich Sorgen machte.
Aber ich blieb ebenso stur wie er.
Keine Ahnung, wie lange ich dort so lag. Vermutlich nicht mal lange, es kam mir aber vor wie Ewigkeiten. Das Problem war, dass die Müdigkeit mir langsam Kopfschmerzen bereitete und ich mich einfach nicht von Harrys gespieltem Erstickungsanfall ablenken konnte.
Also beschloss ich schließlich, dem Ganzen ein Ende zu setzen.
»Harry Styles!«, zischte ich entnervt in die Dunkelheit. »Sei leise und lass mich schlafen!«
Es brachte nichts. Es war als hätte er mich nicht mal gehört. Harry rang einfach weiter panisch nach Luft.
Wut stieg in mir auf. Dieser sture, irre, kleine Junge!
Am Ende meiner Geduld angekommen warf ich zornig meine Decke zurück und stand auf. Ich betätigte den Lichtschalter und brauchte nur wenige Sekunden, mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. Ich sah noch schnell auf meinen Wecker.
2:59 Uhr. Drei Minuten?! Nur drei verdammte Minuten?! In meinem Kopf waren es Jahre der Qual gewesen!
Wütend drehte ich mich zu Harrys Bett um und...im ersten Moment klappte meine Kinnlade herunter, weil ich wirklich ziemlich beeindruckt von Harrys authentischer Schauspielerei war. Ich schloss den Mund sofort wieder.
Harry lag auf dem Rücken und seine Finger waren in die Bettdecke gekrallt. Das beeindruckende waren aber seine Augen. Er hatte sie nicht geschlossen, sie waren aber auch nicht wirklich offen. Es sah beinahe gruselig aus.
Aber dann wurde mir wieder klar, dass er genau das wollte. Und dass ich mit meinen Worten auch nichts bezwecken würde.
Spontan traf ich eine weitere Entscheidung – sie war wahrscheinlich ziemlich von meiner Wut vernebelt, aber im Moment könnte mir das nicht egaler sein.
Mit grimmigem Blick und nur in meiner spärlichen Schlafbekleidung stapfte ich aus unserem Zimmer hinaus auf den Flur. Ich wusste, dass wir um diese Zeit nicht mehr raus durften. Es kümmerte mich nicht.
Zielstrebig marschierte ich in Nialls Zimmer und riss die Tür auf – Niall hatte keinen Zimmerpartner, den ich auch noch hätte wecken können.
Auch hier schaltete ich rücksichtslos das Licht an.
Niall fuhr ruckartig aus dem Schlaf. Er musste erst begreifen, was gerade passierte.
»Bist du wahnsinnig?!«, fuhr er mich dann an. Ich schüttelte meinen Kopf.
»Nein, aber du und dein kleiner Freund seid es! Verflucht, Horan, steh auf und sag Harry, dass er jetzt aufhören soll! Euer Plan hat nicht funktioniert. Seht es ein!«
Niall musterte mich verwundert. So eine Schlange. Er wusste doch genau, wovon ich redete!
»Welcher Plan? Meinst du als Rache für den Tee? Da gibt es nichts! Wovon redest du?«
Ich lachte freudlos. »Das weißt du genau! Harry legt da gerade eine oscarreife Performance des überdramatischen Erstickens hin und-«
Ich brach ab, als ich sah, wie Niall alle Gesichtszüge entglitten.
»Oh mein Gott«, murmelte er entsetzt. Und vielleicht mit Angst in den Augen.
Schneller als ich es begreifen konnte, sprang er auf und drängelte sich an mir vorbei. Mit beeindruckender Geschwindigkeit rannte er in Harrys und mein Zimmer. Ich folgte ihm sofort.
Ich blieb überfordert im Türrahmen stehen, während Niall auf den Knien an Harrys Bett rutschte. Mit dem vermutlich besorgtesten Blick, den ich je gesehen hatte, sah er auf den kleineren, schweratmenden Jungen hinab. Dann mischte sich ein Ausdruck der Routine in seinen Blick und ohne Zögern begann er, auf Harry einzureden. Was er sagte, ergab für mich keinen Sinn – es war als würde er bestimmte Codewörter benutzen, die Harry helfen sollten. Gleichzeitig legte Niall ihm eine Hand an die Stirn, umfasste die Wangen und drückte auf Harrys Oberkörper rum. Er wirkte wie ein fachkundiger Arzt. Langsam war ich mir nicht mehr hundertprozentig sicher, was hier eigentlich ablief.
Als sich Harrys Atmen nicht im Geringsten verbesserte, wurde Niall hektischer. Während er leicht verzweifelt das dünne Shirt über Harrys Kopf zog und dessen nackte Brust entblößte, drehte er kurz mit panischem Blick den Kopf zu mir.
»Wie lange?!«, fragte er fieberhaft. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern und antwortete dann wahrheitsgemäß mit den drei vergangenen Minuten.
Ungläubige Wut zeichnete sich in seinem Gesicht ab.
»Und du hast nichts gemacht?! Willst du ihn umbringen?! Steh da nicht so dumm rum, hol Jemanden!«
Weil er ziemlich nachdrücklich war, nickte ich und verließ das Zimmer.
Während ich noch überlegte, wen ich holen sollte, erledigte es sich auch schon. Wahrscheinlich durch Nialls und mein Geschrei geweckt kamen mir einige Schüler und wenige Sekunden auch eine Evelyn im Morgenmantel entgegen. Ich wollte ihnen erzählen, was los war, aber sie ignorierten mich einfach alle und liefen ebenfalls in unser Zimmer.
Diesmal lief ich nicht hinterher. Ich hatte genug von Harry und was auch immer da gerade passierte. Ich wollte einfach nur schlafen.
Aber weil gerade mindestens fünf Leute in unserem Zimmer waren, würde das wohl noch ein bisschen dauern.
Also ging ich in den Waschraum. Mit angenehm warmem Wasser wusch ich erst mein Gesicht und hielt dann für bestimmt fünf Minuten einfach meine Hände unter den Wasserstrahl – sollte dieses verfluchte Internat doch an den Wasserkosten zugrunde gehen!
Als meine Finger dann aber schrumplig wurden, stellte ich das Wasser ab und kehrte in mein eigenes Zimmer zurück. Das Licht brannte noch, das Fenster war weit aufgerissen worden, aber niemand war mehr hier. Harrys Bett war leer.
Mit einer Ganzkörper-Gänsehaut schloss ich das Fenster. In diesem Moment merkte ich nicht mal, dass ich vergaß, das Licht auszumachen. Ich legte mich einfach wieder in mein Bett und zog die Decke fest um meinen Körper.
Ich schlief schon halb, aber trotzdem weckte es mich, als die Tür wieder geöffnet wurde. Ich öffnete die Augen wieder und setzte mich leicht auf.
Harry, sein Oberkörper noch immer nackt, kam herein. Er war alleine und schloss die Tür hinter sich wieder.
Seine Haltung war spannungslos und ohne mich anzusehen, tapste er zu seinem Bett. Vielleicht zeichneten sich auf seinen Wangen Spuren von getrockneten Tränen ab. Aber er atmete nicht mehr wie ein Ertrinkender.
Sichtlich erschöpft kuschelte er sich auch in sein Bett und schloss sofort die Augen. Diesmal fiel mir das noch brennende Licht auf und ich knipste es kurzerhand aus.
Der Schlaf überkam mich schnell und traumlos.
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Frohes Neues Jahr!!
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