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Harry
Das Zwitschern der Vögel und das Plätschern des kleinen Bächleins erschufen die bekannte, entspannende Atmosphäre. Zusammen mit dem Wind, der durch die Gräser strich, bildeten sie die Melodie, die ich so sehr liebte. Die Sonne schien warm und ließ meine Haut leicht prickeln.
Allein die vereinzelten, gelbroten Blätter, die von den Bäumen fielen, verrieten, dass es schon Herbst war.
Der Sommer hatte dieses Jahr spät begonnen und sorgte jetzt für einen warmen Herbst. Es herrschten hohe Temperaturen, auch wenn es schon Ende September war.
Aber mich sollte es nicht stören. Ich mochte die Wärme, auch wenn ich eigentlich jedes Wetter liebte.
Wie von selbst verflochten sich die Blumen unter meinen Fingern miteinander. Ich musste nicht über die Bewegungen nachdenken, Blumenkränze flechten war mir längst in Fleisch und Blut übergegangen. Ich hatte es schon gekonnt und geliebt, seit ich denken konnte.
Eine Locke fiel mir in die Stirn und ich blies sie geübt weg, ohne die Finger von den Blumen zu nehmen. Für einen Moment schloss ich entspannt die Augen und flocht ganz routiniert weiter. Meine Finger fanden die Blumen, die ich pflücken musste, ganz von alleine, um sie dann geschickt mit den anderen zu verbinden.
Automatisch setzte ich diese Tätigkeit nebenbei fort, während ich der natürlichen Geräuschkulisse lauschte und die Wärme auf meiner Haut genoss.
Als mir bewusst wurde, wie verlockend die Wärme und die Ruhe waren, öffnete ich wieder die Augen und schloss die Kette aus Blüten kurzerhand zu einem Kreis. Den fertigen Blumenkranz legte ich einfach auf meinen Bauch.
Dann ließ ich mich vollkommen nach hinten ins hohe Gras sinken und verschränkte die Arme unter meinem Kopf. Wieder schlossen sich meine Augen und die familiäre Atmosphäre der Natur begann, all meine Körperprozesse zu verlangsamen und zu beruhigen.
Langsam driftete ich weg und vergaß all die Dinge, die ich noch tun musste. Ich spürte förmlich, wie das Melanin sich unter der Sonneneinstrahlung in meiner Haut ansammelte und sie weiter bräunte.
Bunte Farben wirbelten vor meinem inneren Auge herum und ich genoss es einfach, versuchte nicht, eine von ihnen einzufangen.
»Hey, Blumenprinzessin!« Langsam öffnete ich die Augen und sah direkt in die blauen Augen des Jungen, dessen Kopf direkt über meinem schwebte. Seine blonden Haare lagen wild verstrubbelt auf seinem Kopf. Es sah gut aus, ungezwungen und natürlich.
Er lächelte mich an.
»Genug geträumt, Harry.« Er lief um mich herum, so dass er jetzt bei meinen Füßen stand. Lächelnd hielt er mir eine Hand hin, um mich hochzuziehen.
Ich nahm mit einer Hand den Blumenkranz und griff mit der anderen nach seiner.
Problemlos zog er mich auf die Füße.
»Hey Niall«, begrüßte ich ihn. Ich hatte wirklich gute Laune, Sonnenschein hatte immer eine positive Wirkung auf mich.
Ich musterte Niall kurz.
»Ich mag deine Haare heute!«, sagte ich geradeheraus. Dann setzte ich ihm spontan den Blütenkranz auf das wirre, blonde Haar und betrachtete ihn zufrieden.
Er trug ein luftiges, weißblau gemustertes Shirt, das zusammen mit dem Blond seiner Haare und dem hellen Lavendelton der Astern angenehm harmonierte.
Niall schüttelte nur amüsiert den Kopf und richtete den Kranz auf seinem Kopf, damit er nicht herunterfiel. Aber er setzte ihn nicht ab. Das tat er nie. Schließlich kannte er meine Eigenarten und ich war mir sicher, dass er sie auch irgendwo in sich drin liebte. Er war immerhin mein bester Freund, und das schon seit so vielen Jahren.
»Ich wollte dich nur fragen, ob du mit runter zum See kommen willst.«, erklärte er mir, während er schon zurück über die Wiese in Richtung des Internats ging. Natürlich folgte ich ihm und so schlenderten wir nebeneinander durchs Gras.
»Baden?«, fragte ich ihn skeptisch, während ich verträumt eine Blume zwischen meinen Fingern drehte.
Es war zwar wirklich warm, aber das Seewasser war mit Sicherheit schon so kalt wie normalerweise Mitte September. Außerdem war es nicht so schwül, dass ich das Bedürfnis hatte, mich mit einem Bad abzukühlen.
Niall zuckte einfach mit seinen Schultern. »Ja, baden. Ich habe den ganzen Nachmittag gelernt und es war wirklich verdammt heiß drinnen. Ich habe mir eine Abkühlung verdient!«
»Du hättest ja draußen lernen können, Ni. Aber geh ruhig baden, ich jedenfalls nicht.«
»Kommst du trotzdem mit zum See? Ich muss nur noch eine Badehose anziehen.« Er nahm mir die Blume aus der Hand und strich einmal über die zarten Blütenblätter. Dann knipste er mit seinem Daumennagel den Großteil des Stängels ab und steckte mir im Gehen die Blüte in die Locken. Sofort schlich sich wieder ein Lächeln auf mein Gesicht.
»Klar komme ich mit. Ich könnte ein bisschen zeichnen unten am See, die alte Weide sieht im Herbst immer so schön aus.« Ich seufzte glücklich. »Ach Niall, ich mag das gute Wetter. Es macht mich richtig glücklich!«, sprach ich meine Gedanken aus.
Niall lachte und legte einen Arm um meine Schultern. »Harry, dich macht alles glücklich. Jedes Wetter. Du liebst den Schnee, die Blumen, das Herbstlaub, die Wärme, den Regen, sogar die Herbststürme!«
»Na und? Trotzdem macht mich die Sonne glücklich. Und jetzt sei leise, sonst komme ich doch nicht mit zum See.«, schmollte ich, auch wenn ich mich gar nicht über ihn ärgerte. Er hatte ja Recht. Ich war ein Naturnarr, aber was war schon schlimm daran?
Wir schlenderten weiter über die Wiese, während er begann, etwas über Physik zu erzählen und, dass er das neue Thema einfach nicht verstand.
Als wir das große Gebäude betraten, liefen wir ohne Umweg die Treppen hinauf und kamen bald zu Nialls Zimmer.
Ich lief noch weiter zu meinem Raum und schnappte mir nur schnell meinen Skizzenblock und einen Bleistift. Dann ging ich zurück zu Niall, der in diesem Moment auch wieder auf den Flur trat — er hatte seine Shorts durch eine Badehose ausgetauscht und ein Handtuch über der Schulter hängen.
Wir machten uns wieder auf den Weg nach unten und wählten aber diesmal den Kiesweg, der hinunter zum See führte.
Ich kam allerdings nicht bis dorthin.
Auf halbem Weg kam uns eine Gruppe Schüler entgegen. Sie waren ein Jahr unter uns. Joshua, ein rothaariger Junge mit Stupsnase, blieb stehen, als er an uns vorbeilief.
»Harry, ich habe vorhin mit Evelyn gesprochen. Sie möchte mit dir reden, du sollst zu ihr kommen.«
Also entschuldigte ich mich bei Niall und kehrte wieder um, während mein bester Freund allein weiterlief.
Zurück im Internat überlegte ich kurz, wo ich nach Evelyn suchen sollte, ging dann zu dem kleinen Büro in der ersten Etage.
Ich klopfte an die alte Holztür, die mit kunstvollen Schnitzereien übersät war. Ein freundliches ›Herein‹ geleitete mich dazu, die Tür zu öffnen.
»Harry!« Ein erfreutes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als ich eintrat. Sie saß hinter ihrem großen Schreibtisch aus dunklem Holz – mit Sicherheit ebenso alt und wertvoll wie die Tür.
Sie trug ein luftiges, aber gleichzeitig elegantes, grünes Sommerkleid. Die welligen, haselnussbraunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
»Hallo Eve«, ich erwiderte ihr Lächeln und ließ mich auf den rot gepolsterten Stuhl fallen, der ihrem Schreibtisch gegenüber stand. »Joshua hat mich geschickt. Du wolltest mit mir reden?«
Evelyn klappte eine Schülerakte zu, nickte dann.
Sie war die Internatsleiterin, aber ließ sich von allen Schülern beim Vornamen ansprechen, weil sie ›sich nicht wie ein Fossil fühlen‹ wollte. Sie war zweiunddreißig Jahre alt und sehr beliebt bei der Schülerschaft.
»Ja, Harry, ich hatte ihn darum gebeten, dir Bescheid zu geben. Es gibt gute Neuigkeiten.« Sie schlug ihre Beine wieder übereinander und sah mich lächelnd an. Ich kannte den Blick. Es war ihr Ich-habe-eine-Überraschung-für-dich-und-du-wirst-dich-unheimlich-freuen-Blick.
»Gute Nachrichten? Gibt es die Erlaubnis, die große Kiefer nicht zu fällen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Harry. Zur Kiefer gibt es noch keine Neuigkeiten, aber ich werde alles tun, damit sie stehen bleibt. Aber glaub mir, die eigentlichen Nachrichten sind viel besser.« Ich sah sie auffordernd an, damit sie weiter redete.
»Du bekommst einen Mitbewohner!« Ich riss bei ihren Worten die Augen auf, sah sie aufgeregt an. War das wahr?
»Ich...wirklich?!«, stammelte ich und sah sie hoffnungsvoll an. Evelyn nickte lächelnd.
Sofort sprang ich auf und wirbelte ungehalten in dem Büro herum.
»Ich bekomme einen Mitbewohner! Das wird der beste Tag in meinem Leben! Ich- warte, wie heißt- nein! Sag's mir nicht. Sag mir nicht seinen Namen, sag mir nichts über ihn! Ich will ihn alles selber fragen!« Ich blieb kurz stehen und versuchte, das Ganze zu begreifen. Ich bekam einen Mitbewohner!
In meinem Kopf überschlug sich alles vor Freude, bis mir plötzlich etwas einfiel.
»Niall! Ich muss zu Niall, es ihm erzählen! Danke, Eve, danke! Bis später!« Ohne eine Antwort abzuwarten – und meinen Skizzenblock dort vergessend – stürmte ich aus dem Büro. Wie berauscht rannte ich durch die Flure, nahm draußen wieder den Weg zum See.
Einige Schüler, die in Gruppen auf der Wiese saßen oder an mir vorbeikamen, sahen mich verwundert an. Aber das war mir egal.
Der Weg zum See war ziemlich lang, aber die Freude gab meinen Füßen Kraft, mich so schnell wie möglich dorthin zu tragen.
Als der See dann in Sicht kam, sah ich Niall schon von Weitem im Wasser, um ihn herum schwammen Blumen, der Kranz hatte sich aufgelöst. Wäre ich nicht aufgeregt gewesen, wäre ich stehengeblieben und hätte das hübsche Bild der schwimmenden Blüten bewundert.
Es war mir egal, dass noch andere Schüler da waren, es war mir egal, dass ich noch etwa hundert Meter vom See entfernt war. Das hielt mich nicht davon ab, zu rufen, während ich den Hügel hinunterlief.
»Ni! Ni, Ni, Ni! Ich bekomme einen Mitbewohner! Ich bekomme einen Mitbewohner, Ni!« Niall hatte mich schon beim ersten Wort gehört. Als ich geendet hatte, kam er gerade aus dem Wasser gelaufen. Ohne Worte fiel ich ihm um den Hals. Sein Körper war viel kälter als meiner. Meine Klamotten wurden fleckig, als er die Umarmung erwiderte.
»Einen Mitbewohner, Harry? Ehrlich?«, fragte er erfreut und löste sich dann von mir, um sein Handtuch aus dem Gras aufzuheben. Er schlang es sich einmal um den Oberkörper und zog mich dann am Arm ein Stück weg von den anderen Schülern.
»Erzähl Harry, erzähl mir alles, was du weißt!«
Ich schüttelte glücklich mit dem Kopf. »Ich weiß nichts, ich wollte nichts wissen! Er soll es mir alles selbst erzählen!« Nochmal umarmte Niall mich.
»Na siehst du, Harry. Das Warten hat sich gelohnt. Jetzt wird dein Traumprinz kommen. Das, was du dir immer gewünscht hast.«
Ich nickte und lachte einfach ausgelassen in Nialls Armen. Ich würde einen Mitbewohner bekommen.
Ich war sowas von bereit für meinen Traumprinzen!
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Hi!
Ja, das ist also meine neue Story. Larry, natürlich.
Ich weiß nicht mal, was ich jetzt hier schreiben soll, weil ich mich einfach so freue gerade, dass ich die Geschichte jetzt endlich anfange!
Ich habe schon so viel der Handlung geplant und ich glaube, dass ich es mal irgendwie aufschreibe, bevor ich Dinge vergesse.
Naja. Ich freue mich.
Harry ist übrigens kleiner als Louis; nicht wundern. Noch. Er ist ja schließlich noch sechzehn und so können wir uns alle für ein paar Sekunden an die Zeit erinnern, in der H kleiner als L war. Ich wollte es nur gesagt haben, weil einige das gar nicht gerne lesen. Aber ich halte mich nur an die Realität :)
Und wie einige sich vielleicht schon gedacht haben: Für diese Geschichte gilt eine Homophobia TW (+ PTSD TW)
Viel Spaß beim Lesen!
(Es ist lange her, dass ich diese Geschichte begonnen habe...versucht, die ersten Kapitel durchzuhalten, ich hoffe, dass es sich am Ende lohnt.)
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