Lindsey
Geweckt wurde sie am nächsten Tag durch das schrille Klingeln der Haustür. Vollkommen aus tiefen Träumen mit fliegenden Astronauten und roten Luftballons gerissen, schreckte sie hoch und saß senkrecht im Bett.
„Billy, du musst abhauen!", nuschelte sie und strich sich die in alle Himmelsrichtungen stehenden Haare aus dem Gesicht. Sie meinte ein unzufriedenes Grunzen zu hören, während sie vom Flur hörte, wie ihre Mutter in Richtung Tür lief. Panisch drehte sie sich um, um den ungebetenen Gast aus dem Bett zu werfen - doch das Bett neben ihr war leer.
Verwirrt drehte sie sich zur anderen Seite. Jupp, sie war definitiv alleine im Zimmer.
Sie starrte weiter auf den Haufen von Decken und Kissen zu ihrer Seite und sah sich dann verwirrt in ihrem Zimmer um.
Alles war eins zu eins wie immer.
Himmel Herrgott, jetzt war es schon so weit, dass sie von Billy in ihrem Schlafzimmer träumte und sich einbildete, er würde neben ihr liegen. Sie brauchte dringend ein spannenderes Leben.
Ihre Mutter kam herein, und Jamie zuckte schuldbewusst und erschrocken zusammen, während sie den Kopf Richtung Tür riss.
„Hey Schatz", begrüßte ihre Mutter sie und runzelte dann die Stirn. „Alles in Ordnung?"
Jamie nickte nur. „Uhuh".
Ihre Mutter musterte sie genauer, fuhr dann aber fort.
„Lindsey ist an der Tür und fragt, ob sie reinkommen kann. Sie wollte mal nach dir sehen!", erklärte sie weiter und ließ ihre Tochter dabei keine Sekunde aus den Augen. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?"
Jamie nickte wieder und merkte, wie sich ihr Gesicht zu einem irren Grinsen verzog. „Sicher, warum sollte es mir nicht gut gehen?"
Ihre Mutter zeigte auf sie.
„Weil du aussiehst, als hättest du dich wild in deinem Bett gewälzt und einen Vogel eingeladen, in deinen Haaren ein Nest zu bauen. Außerdem grinst du wie der verrückte Hutmacher."
Jamies Grinsen rutschte ihr von den Lippen. „Danke, Mama!"
Sie lachte. "Du weißt, wie ich das meine."
Das stimmte, sie wusste es. Jamie seufzte. „Ja, ist alles gut. Lass Lindsey rein!"
Ihre Mutter nickte und lächelte dann. „Ich mache uns mal einen Kaffee, was?"
Nun wurde Jamies Lächeln endlich ehrlich. „Bitte!" War ja klar, dass Lindsey, der Pitbull, nach gestern neugierig auf neuen Tratsch war. Insbesondere wenn es um Billy Hargrove, ihre heimliche Obsession, ging. Notgedrungen versuchte Jamie, ihre wilden Haare in den Griff zu bekommen, als Lindsey auch schon den Kopf zur Tür reinstreckte. Zur Begrüßung brach sie in Lachen aus.
„Gott, mit wem hast du es denn letzte Nacht getrieben?"
Jamie versteifte sich. Sie fühlte sich nach ihrem merkwürdigen Traum beinahe ertappt. „Was?"
Lindsey lachte weiter und setzte sich neben Jamie aufs Bett. Aus der kleinen Ledertasche, die sie über ihrem kurzen blauen Jeanskleid trug, holte sie eine Bürste und einen Spiegel hervor. "Deine Haare sehen aus, als hättest du Spaß gehabt!", erklärte sie und begann sofort, Jamie behilflich zu sein.
Spaß hatte Jamie in der vergangenen Nacht definitiv nicht gehabt. Vielleicht eher Unglauben, Verwunderung oder Fassungslosigkeit...
"Womit wären wir wieder beim Thema?", fragte Jamie.
Lindsey entwirrte scheinbar völlig desinteressiert weiterhin Jamies Haare, während das Verhör begann
„War vielleicht Billy der Glückliche, der ran durfte?"
Jamie verschluckte sich fast an ihrem eigenen Speichel und schlug Lindsey's Hand weg, während sie sich entsetzt aufplusterte. "Lindsey!"
Lindsey kicherte.
"Jetzt tu nicht so übertrieben. Du weißt, ich bin nur neugierig."
Sie stutzte für einen Moment mit den Lippen. "Obwohl... Du hast ihm tatsächlich sein Shirt zurückgegeben, gestern am Pool, nicht wahr?"
Jamie seufzte. "Das habe ich wohl."
Lindsey wartete einen Augenblick, in der Erwartung, dass Jamie ihre Aussage weiter ausführte, und begann dann nachzuhaken, als sie bemerkte, dass Jamie nicht vorhatte, ihre Aussage weiter zu erläutern.
"Und du hattest sein Shirt, weil...?"
Jamie schnaubte.
„Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage es ist mir zugelaufen und hat nach einer neuen Heimat gesucht, weil es den ewigen Gestank des Aftershaves nicht mehr ertragen konnte?"
Lindsey ließ sich durch ihre Ablenkungsmanöver nicht täuschen und antwortete trocken: „Nein."
"Und wenn ich dir weiter erzähle, dass es ganz bitterlich geweint hat und sich darüber ausgeheult hat, dass es nie die oberen Hemdknöpfe schließen durfte, weil Billy selbst bei Minusgraden selbst dann noch 3 Knöpfe offen trägt?"
Lindsey unterdrückte ein Schmunzeln und schüttelte den Kopf. Jamie seufzte.
"Nein. Mist, das habe ich mir schon gedacht..."
Es folgte eine kurze Stille, während Lindsey weiterhin versuchte, Jamies Haare zu entwirren.
"Du weißt, du kannst es mir sagen, wenn du ihn magst!", warf Lindsey plötzlich überraschend ein, und Jamie drehte misstrauisch den Kopf, nur um von Lindsey stoisch an den Haaren festgehalten und wieder zurückgedreht zu werden. Aua.
Lindsey war vieles. Lustig, spontan, aufgedreht, offenherzig, einfühlsam und vertrauenswürdig. Eine gute Freundin, die Jamie wirklich am Herzen lag... aber Jamie hatte auch bemerkt, dass Lindsey gerne im Mittelpunkt stand, schnell eifersüchtig wurde und oberflächlich sein konnte (aber mal ganz ehrlich, bei wem flammten nicht ab und zu einige dieser Eigenschaften auf?). Daher war es an Jamie, Lindsey genauer zu betrachten. Es schien, als würde sie es ernst meinen. Nur der stärkere Ruck an Jamies Haaren ließ sie vermuten, dass Lindsey möglicherweise eifersüchtig war. Die nächsten Worte bestätigten ihre Vermutung.
"Ich wäre dabei allerdings vorsichtig, Jam", murmelte sie und kämmte nun Jamies hellblonde Spitzen aus. "Er scheint nicht der Typ für feste Beziehungen zu sein."
Kein Scheiß, Sherlock. Jamie lächelte ihrer Freundin beruhigend zu. Es war offensichtlich, dass Lindsey es tatsächlich wichtig war, dass Jamie kein gebrochenes Herz bekam. Zumindest vorrangig. Und dass Lindsey selbst gerne ein wenig Aufmerksamkeit von Mr. Unnahbar bekommen würde, stand an zweiter Stelle. Jamie sah keinen Grund, ihre Freundschaft zu Lindsey unnötig zu belasten, wenn es wirklich nichts gab, was sie belasten könnte. Vor allem nicht wegen eines Lackaffen wie Billy, den sie wirklich nicht mochte. Richtig?
"Keine Sorge, Lins, ich bin nicht dumm!", versicherte sie ihr. Lindsey betrachtete sie noch einmal genauer und nickte dann.
"Gut." Lindsey hielt den Spiegel hoch und zeigte Jamie ihre wieder glatten, knotenfreien, langweiligen blonden Haare. "Und jetzt, als Belohnung für die erledigte Arbeit, bekomme ich die wahre Geschichte, wie du in den Besitz des herrenlosen Shirts gekommen bist."
Die Stimmung war seltsam, leicht angespannt, und aus einem unerklärlichen Impuls heraus tat Jamie etwas, das sie zuvor noch nie so direkt getan hatte. Sie log Lindsey an.
"Ich habe es beim Suchen nach meinem Buch im Schwimmbad gefunden und dachte, ich gebe es Billy, der, wie du weißt, auch Bademeister ist, damit er es in die Fundbox legen kann. Es stellte sich heraus, dass es seins war."
Lindsey biss sich auf die Lippe, überlegte Jamies Erklärung und kam zu dem Schluss, dass es die Wahrheit sein musste. Warum sollte Jamie sonst das Shirt haben? Oder warum sollte sie lügen? Das hatte sie noch nie getan.
"Du bist manchmal wirklich ein Glückspilz!", löste sie die Situation auf und warf sich seufzend in die Kissen. "Und, ist seine Stimme genauso sexy, wie man sie sich vorstellt?", säuselte sie und fing direkt wieder an zu träumen. Seine Stimme? "Nun, sie ist schon ziemlich tief", überlegte Jamie laut und versuchte sich daran zu erinnern, was und wie er gesprochen hatte. Und was davon überhaupt wirklich passiert war. Alles kam ihr irgendwie wie ein merkwürdiger Traum vor. Als wäre ihre ganze Wahrnehmung in Watte gepackt.
"Tut mir leid, Lins, ich habe gestern nicht wirklich viel mitbekommen. Ich denke, ich hatte im Schwimmbad schon Fieber."
Lindsey spitzte die Lippen. "Stimmt, du warst ziemlich neben der Spur..." Sie legte den Kopf schief und grinste frech. "Wenn ich es nicht besser wüsste und du mir gerade erzählt hättest, was passiert ist, würde ich sagen, du hast dich bei Billy angesteckt. Gestern sah er genauso frisch aus wie du!" Sie dachte laut nach. Jamie erstarrte mit einem Lächeln auf den Lippen. "Wirklich?"
Lindsey bemerkte es nicht und fuhr fort. "Sicher! Er hat sich vor der Sonne versteckt wie ein Vampir", lachte sie, bevor sie mit den Augenbrauen wackelte. "Obwohl er mich gerne damit anstecken darf, wenn das der Preis für eine Nacht mit ihm ist."
Jamie lachte hölzern über Lindseys Witz, während ihre Gedanken sich überschlugen. Oh Gott, vielleicht hatte sie sich wirklich irgendeine Krankheit von ihm eingefangen. Oh nein, wie sollte sie das erklären? Musste sie jetzt zum Arzt? Wer wusste, wo Billy schon überall gewesen war? Sein Ruf eilte ihm jedenfalls voraus, so stark, dass selbst Jamie, die sich bemüht hatte, sich aus dem Klatsch herauszuhalten, genug gehört hatte, um fasziniert, angewidert und vielleicht ein klitzekleines bisschen neugierig zu sein.
Jamie war voll und ganz damit beschäftigt, ihre Gedanken zu sortieren und sich von der aufkommenden Panik zu beruhigen, als Lindsey's nächste Worte sie vor Schreck dazu brachten, sich falsch abzustützen und beinahe von der Bettkante zu fallen, auf der Lindsey sich um ihr Haar gekümmert hatte.
"Weißt du, was lustig ist?", begann sie, und Jamie drehte den Kopf nur halb aufmerksam. "Je länger ich hier liege und über Billy spreche, desto mehr habe ich das Gefühl, sein Aftershave zwischen den Kissen zu riechen."
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