4 | Smoke
Larry
Der Rauch vermindert meine Sicht auf ihn, doch genau das ist, was ich gerade brauche. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Wie er da liegt und schläft, so ruhig und unbekümmert, als wäre die Welt okay. Was sie nicht ist, keines Falls, sie ist kaputt. Alles fing mit einem Riss an, der sich nach und nach in einen Trümmerhaufen verwandelte. Und wer ist schuld daran?
Ich würde gerne sagen er. Einfach, um jemanden zu haben, den ich dafür hassen kann, dass mein Leben ein einziger Dreckshaufen ist. Auch wenn ich weiß, dass ich ihn niemals hassen könnte.
Ich würde gerne sagen sie. Denn sie haben dazu beigetragen. Sie haben uns ermutigt und gesagt, dass alles gut gehen würde. Dass alles gut werden würde. Aber sie haben gelogen. Nichts ist gut.
Ich muss sagen ich. Es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld, dass er denkt er wäre ungeliebt. Es ist meine Schuld, dass sie jetzt alleine sind. Und es ist meine Schuld, dass ich gebrochen bin.
Ich ziehe noch ein letztes Mal an der Zigarette, schmecke das Nikotin in meinem Mund und drücke den Stummel aus. In diesem Moment wacht er auf. Er blinzelt und reibt sich über die Augen. Dann erblickt er mich.
„Es stinkt. Hast du schon wieder geraucht?" Anstatt einer Antwort puste ich den Rauch des letzten Zuges in seine Richtung. Er hustet und schaut mich wütend an. „Lass das, okay? Du weißt, dass ich das nicht mag. Geh doch raus, wenn du unbedingt rauchen musst!"
„Gut", sage ich ruhig, greife mir eine Packung Zigaretten und verlasse das Zimmer, laufe in den Flur, schlüpfe in meine Schuhe und nehme meinen Mantel vom Haken. Als ich die Tür öffne spricht Louis mich wieder an.
„Harry, warte."
„Worauf?", frage ich, ohne mich umzudrehen.
„Sei nicht so."
„Wie?"
„So anders. Wo ist der Harry, in den ich mich verliebt habe? Der gesund und munter war, lachen konnte und... mich geliebt hat?"
„Ich liebe dich, Louis."
„Davon merke ich aber nichts", sagt er leise. Ich senke den Blick und schließe die Tür wieder. Immer noch mit dem Rücken zu ihm merke ich, wie mich plötzlich dir Emotionen übermannen.
„Ich...", fange ich an, doch meine Stimme bricht. Louis wartet geduldig, während ich ein paar Mal tief durchatme. „Ich liebe dich. Ich liebe dich verdammt nochmal, mehr als mich selbst. Und ich hasse mich dafür, dass ich es dir nicht mehr zeigen kann. Aber, Louis, ich habe meine Gründe."
„Was sollen das für Gründe sein? Du küsst mich nicht mal mehr." Er klingt verletzt, was mir ein unaushaltbares Ziehen in der Brust beschert.
„Weil ich nach Rauch schmecke und du davon spucken musst."
„Ich habe selber geraucht, Harry."
„Ja, hast du. Und du hast nach jeder Zigarette gebrochen." Ich höre ihn sich an die Wand lehnen. Seine metallene Armbanduhr klickert in rasendem Tempo gegen die Wand, sodass ich mich nicht umdrehen kann. Ich kann ihn so nicht sehen. Zitternd. Hoffnungslos. Verletzt. Und vor allem nicht, wenn es meine Schuld ist.
„Und was ist mit Umarmungen? Oder einer einfachen Unterhaltung, Harry. Du redest nicht mit mir. Du kommst mitten in der Nacht betrunken nach Hause und sagst mir nicht wo du warst oder wer dich grün und blau geschlagen hat! Man Harry, ich habe Angst um dich!" Jetzt drehe ich mich doch langsam um. Unter seinen Augen liegen tiefe Schatten, seine Wangen sind eingefallen und seine Augen stumpf. Sein Gesicht ist emotionslos.
„Louis...", beginne ich, doch eigentlich weiß ich gar nicht, was ich sagen soll. Und da sehe ich es. Louis weint. Eine einzelne Träne läuft über seine Wange. Und ich tue es. Ich berühre ihn. In einer sanften Bewegung wische ich die Träne aus seinem Gesicht und ziehe ihn an meine Brust, schlinge die Arme um ihn und spüre seinen Körper. Spüre ihn nach so langer Zeit wieder an meinem. Seine Schultern beben und ich höre ihn schluchzen. Mein T-Shirt wird nass und ich kann nicht verhindern, dass auch mir die Tränen kommen. Denn jetzt wird es mir klar. Jetzt, wo wir im dunklen, nach Nikotin und Alkohol stinkenden Flur unserer unaufgeräumten Dreckswohnung stehen.
Mir wird klar, wie sehr ich ihn brauche.
Mir wird klar, wie sehr es uns kaputt macht.
Mir wird klar, dass Louis so verdammt viel stärker ist, als ich dachte. Als er sein müsste. Dass er nicht verdient, mit all dem klarkommen zu müssen. Louis verdient ein schönes, erfülltes Leben mit einer Person an seiner Seite, die ihm gerecht wird.
Mir wird klar, dass ich diese Person nicht sein kann.
Mir wird klar, wie viel ich falsch gemacht, wie viele Menschen ich verletzt und wie viel Unheil ich angerichtet habe. Es ist wie ein Krieg. Gut gegen Böse. Ein Krieg in mir drin. Und das Böse hat gewonnen.
Hier und jetzt wird mir klar, was für ein schlechter, grausamer, egoistischer Bastard ich doch bin.
Ich ringe nach Luft, doch meine Lunge nimmt keine auf, meine Kehle lässt keine durch.
„Es tut mir leid, Louis. Es tut mir leid", schluchze ich nach Luft schnappend. „Es tut mir leid."
„Ich liebe dich, Harry", krächzt er. Seine Stimme ist von dem vielen Weinen und Schreien der letzten Wochen nur noch ein heiseres Flüstern. Ich drücke ihn enger an mich.
„Wie könntest du..." Ich lasse mich mit ihm zu Boden sinken. Er klammert sich an mich. Ich suche Halt bei ihm. Wir stützen uns gegenseitig und obwohl es uns kaputt macht, zerbricht und in Stücke reißt wissen wir, dass wir ohne den anderen fallen würden. Und wenn wir fallen gibt es kein zurück.
„Wir können so nicht weiter machen", hauche ich. Louis bewegt seinen Kopf gegen meine Brust.
„Stimmt. Aber es geht nicht anders." Mir laufen immer mehr Tränen über das Gesicht und langsam bekomme ich Kopfschmerzen.
„Louis, wir brauchen Hilfe."
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