8. Pi: Die nächste Phase
Eine Woche nach Liams und Isaacs Tod hatte sich einiges getan. Die Bewohner von Minden Város haben die Agentenzentrale erfolgreich infiltriert und niedergelassen. Timothé, Laya und Yvy haben gemeinsam versucht mehr über die Armbänder herauszufinden. Conny und Luna arbeiteten währenddessen zusammen an einem Plan, wie sie in den nächsten Monaten bezüglich der Prophezeiung vorgehen wollten.
Shawn hatte Laya eingeladen, bei der Entwicklung von Placebo Replikaten der Armbänder mitzuhelfen. Sie kannte sich zwar nicht so gut aus mit Technik, aber sagte dennoch zu. Vielleicht konnte sie einige Informationen einbringen, die sie darüber herausgefunden hatte.
Zusammen mit Scott und Nathan saßen sie an einem massiven Tisch in der großen Halle. Hochkonzentriert schauten sie immer wieder zwischen den gemachten Bildern von Laya und ihrem bisherigen Prototypen hin und her.
"Die Optik können wir einfach nachmachen. Da dürften wir vorerst nicht auffallen", formulierte Scott seine Gedanken laut. "Was die Funktionen angeht, ersetzt es dann eure Uhren im Hinblick auf die Hologramme und bezahlen kann man auch damit. Das Leuchten wäre auch kein Problem, aber wir wollen ja nicht auffallen. Ach und sie lassen sich gut entfernen."
"Was meint ihr, was die Regierung damit vor hat?", fragte Laya neugierig in die Runde.
Shawn ließ den Monokel aus seinem Auge in die Hand gleiten, den er zum Präparieren des Armbandes benötigt hatte. "Nach deinen Schilderungen sammeln sie die Daten der Bürger und Bürgerinnen sorgfältig und können unterscheidungen treffen, ob man Begabt, Markiert oder Zivilist ist. Je nach dem was sie brauchen, können sie bestimmt auch die Blutgruppen bestimmen."
"Die Dinger dienen einfach der Überwachung und Kontrolle", fügte Nathan an, der seinen Kopf in den Nacken gelegt hatte.
Scott nippte vorsichtig an seinem dampfenden Earl Grey und eine tiefe Furche bildete sich daraufhin zwischen seinen Augenbrauen. "Das ist natürlich gut, dass wir uns ein wenig Zeit schaffen können mit den Replikaten. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns mit zwei Exemplaren zunächst zufriedengeben müssen bevor wir alle ausstatten können."
Laya gab ihre Zustimmung. Das würde alles etwas dauern, wenn man für jeden hier ein Armband anfertigen müsste. Dennoch waren zwei Exemplare ein Anfang, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt viel zu wenige waren. Man musste eben Kompromisse eingehen.
Ein Stupser von der Seite gegen ihre Schulter ließ Laya von Scott abwenden. Shawn lächelte sie schief an und beugte sich näher zu ihr. "Das heißt so viel wie: Danke, dass du so viel darüber recherchiert hast."
Ihr Mundwinkel zuckte als Antwort darauf nach oben und sie stupste ihn zurück gegen seine Schulter.
In der vergangenen Woche hatte sie bisher keine Chance gehabt, sich ausgiebig mit Shawn zu unterhalten. Sie wunderte sich, wie es ihm mittlerweile ging. Seines Aussehens nach konnte sie aber feststellen, dass er sich einen leichten Vollbart stehen lassen hatte. Seine braunen Locken standen ihm ungekämmt zu Berge und seine Fingernägel sahen abgekaut aus. Ansonsten wirkte er den Umständen entsprechend recht ausgelassen.
Die beiden anderen Herren in der Runde kamen ebenfalls nicht unverschont aus den Ereignissen der letzten Woche. Während sich äußerlich fast nichts anmerken ließ, konnte man seine schwankende Stimmung registrieren, die recht Präsent im Raum hing. Scott hingegen sah furchtbar aus. Seine Haare standen ihm in alle Richtungen, als hätte er einmal kurz in die Steckdose gefasst. Starke Augenringe hatten es sich auf seinem Gesicht gemütlich gemacht und auf seiner Stirn zeichneten schwache Linien ab, die vom Runzeln der Stirnmuskulatur kamen. Das graue Hemd, das er trug war so verknöpft, dass es an Stellen knitterte, wo es nicht knittern sollte.
Nach einer weiteren Stunde Arbeit an dem ersten Exemplar der Armbänder, warf Nathan einen Blick auf seine Uhr, bevor er vom Tisch aufsprang. "Mist, ich muss zum Training!"
Eilig räumte er seine Tischseite auf.
"Sie wird vermutlich nicht da sein", merkte Scott daraufhin an und durchbohrte ihn mit einem düsteren Blick. Es war Laya ziemlich sicher, dass es hierbei um Luna ging.
Laya konnte beobachten, wie Nathan inne hielt und sein Kehlkopf langsam nach oben und wieder nach unten glitt. Dann schritt er mit langen Schritten aus dem großen Saal und ließ die Tür laut hinter sich ins Schloss fallen.
"Das hättest du ihm auch freundlicher sagen können." Shawn rutschte auf seinem Stuhl hin und her.
Scotts Augen fixierten Shawn. "Wenn es doch die Wahrheit ist. Er soll mal nicht so zimperlich sein."
"Mag vielleicht sein, aber verdammt, er liebt sie eben!"
Seufzend wandte sich Scott von Shawn ab. "Er ist einfach kein guter Umgang."
"Du weißt, er ist unschuldig!" Shawn hatte seine Arme sauer auf dem Tisch abgestützt. Seine Locken fielen ihm dabei in sein Gesicht.
"Wenn er unschuldig ist, wieso versteckt er sich dann? Meine Schwester ist mir viel zu heilig für so einen Typ!" Scott sprang ebenfalls auf und spiegelte Shawns Haltung.
Sie wirkten gerade, wie zwei wütende Hunde, die sich anfallen wollten, aber nur durch einen Zaun in der Mitte getrennt wurden.
"Für so einen Typ? Dieser Typ ist zufällig mein bester Freund und einer der besten Menschen, die ich kenne!" Das Gesicht von Shawn war so rot, wie eine Tomate.
Für eine ganze Weile schwiegen sie sich so an, bis sich Scott wieder auf seinen Stuhl fallen ließ. Er vergrub seinen Kopf in seinen Händen. "Ach, scheiße...", sagte er mit verzweifelter Stimme und raufte sich die Haare. "Ohne Liam ist das alles nicht das Gleiche... Entschuldige Shawn. Ich wollte nicht, dass das so eskaliert. Ich weiß doch, dass er dir wichtig ist."
Einen weiteren kurzen Moment war es still, dann setzte sich Shawn ebenfalls wieder auf seinen Platz. "Entschuldigung angenommen. Ich verstehe auch, dass du gerade besonders gestresst bist. Der Laden schmeißt sich hier ja auch nicht alleine", erklärte er.
Scott schaute wieder auf und zwang sich zu einem schiefen Lächeln, dann erfassten seine Augen Laya, die das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte.
"Es tut mir leid Laya, dass du das gerade mit anhören musstest", richtete er sich an sie und presste entschuldigend seine Lippen aufeinander.
Laya, die nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte, versuchte das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. In der Hoffnung, es würde nicht mehr eine so unangenehme Stimmung im Raum herrschen.
"Schon gut, aber sag mal Scott, wie lange leitest du schon die schwarzen Kelpies?", fragte sie daraufhin.
Er stutzte kurz bevor er sprach: "Nachdem 2073 Lunas und mein Vater gestorben ist, das ist schon knapp 7 Jahre her." Als er Layas Blick deutete, fügte er noch hinzu: "Er war der Gründer der Kelpies."
"Was ist denn damals passiert?", fragte sie interessiert.
Seine Arme verschränkte Scott vor seinem Oberkörper und lehnte sich daraufhin in seinem Stuhl zurück. "Als die ersten Mutanten aufgetreten sind, ca. 2030, wussten die Menschen noch nicht, wie sie damit umgehen sollen und haben die Begabten inhaftiert oder sogar getötet. Manche glaubten, sie wären aus Dämonen entsprungen. 2058 hat mein Vater die Kelpies gegründet, um gegen den Staat vorzugehen, da er sich in eine Begabte verliebt hatte, unsere Mutter. Als sie bei Luna Fähigkeiten feststellten, wollten sie fliehen, doch unsere Mutter wurde entführt und darum stellte unser Vater ein Ultimatum an den Staat. Er starb dann einige Jahre später im Generationenkrieg gegen die Regierung. Ich war ungefähr 18, als das passiert ist."
Gespannt hörte sie zu.
"Wie habt ihr euch kennengelernt?", dabei zeigte sie zwischen Shawn und Scott hin und her.
Shawn, der bereits wieder an dem Armband arbeitete, neigte seinen Kopf leicht zu Laya. "John war ein Gründungsmitglied der Kelpies. Er war praktisch die rechte Hand von Garrison. Als ich ungefähr 13 war, bin ich John gefolgt und habe eine Besprechung belauscht."
"Ja, und dann habe ich dich entdeckt und Liam wollte dich sofort mit aufnehmen", lachte Scott leicht kopfschüttelnd.
"Und Luna...", wollte Laya ansetzen.
"Luna sollte damals noch nichts davon erfahren. Unser Vater hat sie trainiert, wollte sie aber aus diesen politischen Machtkampf raushalten soweit es ging. Nach Vaters Tod hat mich Liam gebeten, undercover zu gehen. Da hat er mir erstmals von der Prophezeiung erzählt." Seufzend knetete er seine Hände.
"Dann ist Luna für ein paar Jahre weggezogen, kam aber irgendwann wieder nach Cardiff", wusste Laya noch grob von dem, was Luna ihr erzählt hatte, als sie sich angefreundet hatten.
"Genau, und ich wurde gebeten sie nicht aus den Augen zu lassen als sie wieder hier war. Wir kannten uns ja schon von früher", fügte Shawn hinzu und legte sein Werkzeug aus den Händen.
"Das nimmt sie mir immer noch übel", murmelte Scott daraufhin mit einem beleidigten Tonfall. Dabei kratzte er sich am Hinterkopf.
Shawn schmunzelte und betrachtete das Armband, welches schon ziemlich identisch aussah, wie die originalen. "Du hast ja nicht nur mich auf sie angesetzt."
Laya verzog das Gesicht. Die Geschichte war ziemlich irritierend.
Seine Hände fuchtelte er abwehrend vor seinem Körper herum. "Das klingt jetzt vielleicht ein wenig übergriffig, aber ich wollte nur, dass es ihr gut geht."
"Warum hast du dich dann nicht gezeigt? Luna hat dich Jahrelang gesucht", überlegte Laya. Das wäre doch das mindeste gewesen, wenn er seine Schwester aufgesucht hätte.
Zögernd schüttelte er mit seinem Kopf. "Wir waren untergetaucht und wäre ich wieder in ihr Leben gekommen, hätte sich einiges an dem Plan geändert, der aufgrund der Prophezeiung entworfen wurde. Liam hat mich unter allen Umständen gebeten, nicht einzuschreiten, als er herausgefunden hat, dass Luna eine der Auserwählten sein könnte."
Laya konnte erkennen, dass es ihm nicht leicht gefallen sein musste. Als sie wieder Shawn musterte, hielt er ihr das Armband zur Inspektion entgegen.
"Was meinst du, ist es so optisch vertretbar?"
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