- 4.6 - Liams Wohnung
Angestrengt schaute sich Laya nach der von Liam angegebenen Adresse um. In diesem Teil von Cardiff war sie noch nie unterwegs gewesen. Laya blickte von ihrem Display wieder auf. Irgendwo musste doch die Straße sein und was sollte dieser Anhang mit 'Pass auf, dass dich niemand sieht'?
Irgendwie nervte es sie, dass Liam immer so geheimnisvoll tat.
An einer Kreuzung blieb sie stehen. Hier musste es eigentlich sein, doch die Hausnummern waren nirgends zu finden. Seltsam.
Plötzlich bemerkte sie aus ihrem Augenwinkel eine schnelle Bewegung, doch da war nichts. Irritiert drehte sie sich um. Das Ganze hier kam ihr zunehmend unheimlich vor.
"Psst, psst. Hier bin ich.... nein, hier... jetzt langsam rückwärts gehen. Nein, unauffälliger."
Laya zuckte zusammen und suchte nach der Quelle der Stimme. Zu ihrer Linken öffnete sich eine Tür und Liam trat in einem flauschigen, blass pinken Bademantel und mit einem gelben Handtuchturban aus dem Haus. Mit einem leichten Kopfnicken deutete er ihr ihm zu folgen.
Etwas verwirrt schaute sie ihm nach und betrat das von außen recht unscheinbar wirkende Anwesen. Eine stickige Luft schlug ihr entgegen und der Duft von Aftershave. Vermutlich, weil Liam scheinbar gerade aus der Dusche kam.
"Ich dusche nicht, ich habe nur eine Badewanne", erklärte er ihr kurz darauf grinsend, als ob er ihre Gedanken gehört hätte und führte sie in seine spärlich eingerichtete Wohnung. "Bin gleich wieder da. Ich geh mir mal was frisches anziehen."
Nickend schaute sie sich in dem Wohnzimmer um. Es stand lediglich ein Sofa in der Mitte des Raumes, welches ohne die unpassenden bunten und überall verteilten Kissen ziemlich karg und trist wirkte. Davor breitete sich ein genauso bunter runder Teppich vor Layas Füßen aus. Die Wände waren in einem müden grauton gestrichen und ließen das Zimmer kleiner und düsterer erscheinen als es wirklich war.
Die seltsamen grünen Vorhänge waren vor das Fenster gezogen. Einzig die altmodische Deckenlampe schien die Atmosphäre des Raumes etwas aufzuhellen.
Es machte den Eindruck als würde hier gar nichts zusammenpassen. Die grauen und sterilen Möbel und im Gegensatz die farbenfrohe Deko. Es roch überall nach einer Mischung aus Liams Eigenduft und einer leichten Note Zedernholz.
Im Nebenraum erkannte sie eine schmale Küchenzeile, die ziemlich unbenutzt aussah. Zwischen dem Kühlschrank und dem Herd stand eine kleine Mix-Maschine. Scheinbar war das das einzige Gerät, welches häufiger verwendet wurde, vermutete Laya.
Das Schlafzimmer eröffnete sich in einem sanften Licht. Im mittig an der Wand stand ein recht großes ungemachtes Bett. Auch hier waren überall bunte Kissen verteilt. Auf einem Nachttisch standen unzählig viele Flaschen an Parfüm und Schminke. Das mussten Angelicas Sachen sein.
Auf dem Bett lag eine Zeitschrift, welche einen leicht bekleideten Mann zeigte. Das Modell hatte seinen Kopf liegend auf seine Arme gestützt und blickte emotionslos in die Kamera. Interessiert trat Laya einen Schritt näher und spürte, wie ihre Füße die auf dem Boden verteilten Bücher streiften. Darunter waren zwei Werke von Oscar Wilde und ein weiteres von Edgar Allan Poe.
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht als sie erkannte, was sie dort entdeckt hatte. Es war ein Foto von einer glücklichen Familie. Laya vermutete, dass es sich um Liam und seine Eltern handelte. Der Mann auf dem Foto sah Liam ziemlich ähnlich mit seinen schokoladenbraunen Augen und dem typischen sympathischen Lächeln, was Laya sehr vertraut vorkam. Die Frau rechts daneben musste Liams Mutter sein. Sie trug ihre Haare in einem Zopf. Ihre restlichen Locken hingen ihr wirr ins Gesicht. Die Gesichtsform hatte Liam offensichtlich von ihr, spekulierte Laya noch immer grinsend. In den Armen der Frau lag ein Neugeborenes. Es hatte seine kleinen Fingerchen zu einer Faust geballt und schrie ungehalten mit seinen geschlossenen Augen.
Bis auf die drei Bücher und das Bild konnte Laya keinerlei persönliche Gegenstände ausmachen. Verwundert drehte sie sich um und entdeckte Liam im Türrahmen stehen. Nur in einer Boxershorts und Strümpfen gekleidet blickte er Laya mit undeutbaren Augen an. Er nahm ihr vorsichtig das Bild aus der Hand und klappte das Magazin auf dem Bett zu, um beides unter dem Bett zu verstauen. Laya erspähte dabei, dass es sich dabei um eine Fashion-Zeitschrift handelte.
"Ich wusste gar nicht, dass du auf Mode stehst", bemerkte Laya.
Einen kurzen Moment hielt er in seiner Bewegung inne und schaute sie einfach nur an. Dann lächelte er angestrengt. "Du weißt vieles nicht."
Daraufhin zog er sich ein weißes Hemd und einen Pullover aus seinem Kleiderschrank über den Kopf. Aus einer Schublade kramte er eine graue Hose heraus. Dabei bemerkte Laya, dass sein Abteil gerade einmal ein Achtel des Schrankes einnahm. Der andere Teil war mit bunten Kleidern, Mänteln, Taschen und Schuhen ausgestattet.
Laya schaute sich weiterhin um und entdeckte auf dem anderen Nachttisch einen umgelegten Bilderrahmen. Sie wunderte sich, warum er dieses wohl umgelegt hatte.
Liam ist scheinbar ihrem Blick gefolgt und stellte sich nun vor sie. Er stopfte dabei noch sein Hemd in seine Hose.
Plötzlich tauchte auch Conny neben den beiden auf und musterte sie verwirrt. Sie hatte sich anscheinend direkt in Liams Wohnung teleportiert.
"Störe ich bei etwas?", fragte sie schelmisch.
Um von dem unangenehmen Thema abzulenken räusperte sich Laya. "Wollen wir beginnen oder weiter so rumtrödeln?"
Sie wollte unbedingt erfahren, was Liam über Isaacs Verschwinden wusste. Wirklich vertraute sie ihm aber langsam nicht mehr, gerade was Luna anging verhielt er sich höchst merkwürdig.
"Laya hat recht, folgt mir bitte." Liam deutete in das Wohnzimmer. Dort ließen sie sich dann auf das mit bunten Kissen bestückte Sofa fallen.
"Was hast du herausgefunden?", wollte Conny wissen und beugte sich neugierig nach vorne.
Liam kratzte sich unsicher am Hinterkopf und zog seine Stirn in Falten. "Es ist wirklich nur eine vage Vermutung, aber ich glaube, dass Sven ihn gefangen hält."
Irritiert starrte Laya auf den Teppich, der ihr mit jeder verstrichenen Sekunde vorkam, als würde er sie jede Moment anspringen wollen. Sie verstand nicht. Warum sollte der Meister Isaac entführen? Was hätte er denn davon?
Es war Conny, die die Nachricht zuerst verarbeitet hatte und sich zu Wort meldete. "Wie kommst du da drauf?" Es klang mindestens genauso trocken, wie sich Layas Hals anfühlte.
Unruhig lief Liam im Raum auf und ab.
"Ich habe ein Gespräch von Angie und Sven überhört. Aus den Gesprächsfetzen habe ich leider nur verstanden, dass sie 'ihn' einfach nicht länger ruhig halten können und loswerden wollen. Als ich Angelica darauf angesprochen habe, war sie plötzlich wieder ganz seltsam und ...."
"Und deswegen bist du davon ausgegangen, dass es sich um Isaac handeln muss", stellte Laya mit schwankender Stimme fest.
"Naja, egal was es ist, irgendwas ist da im Busch." Conny sprang vom Sofa und hielt Liam bei seiner Runde auf. "Du machst mich nervös, wenn du die ganze Zeit so rumläufst."
"Entschuldige."
"Wenn es wahr ist? Was wenn Isaac wirklich von Sven gefangen wurde?" Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Laya, als sie weitersprach. "Ich finde ja sowieso, dass sich der Meister gerade ziemlich seltsam benimmt. Nur verstehe ich nicht, welchen Zweck es hat, Isaac zu entführen. Vielleicht hat er unsere Identitäten herausgefunden, was anscheinend nicht so schwierig ist, denn Abergwili wusste auch bescheid."
Der bestürzte Gesichtsausdruck Liam musterte sie. Conny setzte sich daraufhin wieder neben Laya auf die Couch.
"Es kann also sein, dass Sven doch herausgefunden hat, dass wir gegen ihn arbeiten und er uns mit Isaac erpressen will. Das wäre das einzige, was für mich gerade am ehesten Sinn ergibt."
"Mag sein, aber davon sollten wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ich werde mir was einfallen lassen für Sven, damit wir die Steine in Ruhe sammeln können." Liam rieb sich über sein Gesicht als würde er verzweifelt überlegen was zu tun ist. Dann schaute er kurz auf. "Ich kümmere mich darum. Was die restlichen Steine angeht: Wir kommen ziemlich langsam voran."
"Und anscheinend gibt es auch andere Menschen, die nach den Steinen suchen", schob Conny ein und Liam nickte, wissend.
Da war es wieder, bemerkte Laya. Etwas in Liams Augen leuchtete kurz auf und sie konnte einfach nicht erfassen, was es war.
"Du weißt davon." Sie versuchte ihn aus der Reserve zu locken und erntete einen verwunderten Blick von Conny. Wenn Liam sie nicht bald aufklärte, was los war, dann würde sie bald nicht mehr so geduldig auf ihn vertrauen.
Erneut nickte er. "Das ganze bleibt natürlich nicht unbemerkt, aber vor denen solltet ihr keine Angst haben."
"Wie keine Angst? Ich habe gehört, da haben zwei Begabte eine ganze Armee ausgeschaltet. Das kann ich beispielsweise nicht!", protestierte Conny.
Ein unscheinbares Lächeln erschien auf Liams Lippen. "Cornelia, du kannst mehr als du glaubst. Wir sollten uns aber zunächst auf die Steine konzentrieren, die wir noch besorgen können. Conny hast du die Schatulle bei dir?"
Die Angesprochene nickte angespannt, als sie die Box aus ihrer Tasche zog. Laya hatte nicht einmal gemerkt, dass Conny sie die ganze Zeit dabei hatte. Vorsichtig legte sie die fein verzierte dunkle Schatulle auf den Teppich. Liam bat sie sie zu öffnen und holte aus seinem Schlafzimmer einen kleinen handlichen Tresor. Er stellte ihn neben die Schatulle, zog sich Handschuhe über und entnahm daraus einen turmalin leuchtenden kantigen Stein.
"Das ist der Größenstein. Ein alter Kumpel von mir hat ihn aus China ergattern können", erklärte er den Mädchen.
Der Stein bestand aus einem großen durchscheinenden Material. Darin konnte Laya viele immer kleiner werdende Mineralien erkennen, welche jeweils komplett andere Musterungen trugen.
"Wie entsteht sowas eigentlich?"
Liam legte ihn Sachte in die große Schatulle. Er schaute sie nicht an. "Sowas entsteht nur durch eine große Macht und starke Fähigkeiten. Eigentlich sind es keine Steine, wenn man es genau nimmt."
"Was ist es dann?" Conny rutschte auf ihrem Platz neugierig hin und her.
"Energie, würde ich sagen, oder Fähigkeiten gefangen in Materie. Werden sie zerstört und nicht gezügelt, wird die Energie freigesetzt und zerstört alles, was sie fassen kann. Das wisst ihr ja bereits."
Besorgt starrte Laya die Schatulle an. Hatten sie überhaupt auch nur einen Hauch der Chance gegen die Energie anzukommen? Sie zweifelte an der Prophezeiung, dass sie die Auserwählten waren und ganz besonders an sich selbst. Sie waren doch nur zu zweit aktuell und ihre Fähigkeiten waren auch nicht wirklich stark, musste Laya sich eingestehen.
"Ich habe einige Freiheitskämpfer nach Indien geschickt, damit sie dort den Ideenstein besorgen." Connys Stimme holte sie wieder in die Gegenwart aus ihren Gedanken zurück. Sie hatte fast schon verdrängt, dass Conny bei den Freiheitskämpfern half.
"Gut, das beschleunigt doch einiges. Die Zeit rennt uns sowieso schon davon und die Probleme werden nicht weniger."
"Welche 'Steine' stehen denn als nächstes auf dem Plan?"
"Nächste Woche macht ihr eine Reise nach Kanada. Bis dahin haben wir herausgefunden, um welchen Stein es sich dort handelt und ich kümmere mich währenddessen um den Stein der Stärke."
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