Kapitel 95
Mein Herz schlägt wild in meiner Brust, als ich in die Augen von Finlay blicke, der nun keine zwei Meter von mir entfernt steht. Es war das erste Mal in Wochen, dass ich wieder draußen war und drei Tage her, seit ich ihn gesehen hatte. Seit meinem Zusammenbruch. Schmerz zieht sich durch meine Brust an den Gedanken. Ich atme schwer aus und wende schließlich meinen Blick ab. Meine Augen landen auf dem Boden. „...und dann haben Fin und ich Farbe gekauft und jetzt malen wir Superhelden an meine Wand. Magst du auch Superhelden?"
Ich habe fast vergessen, dass der Junge immer noch neben mir ist. Als mein Blick das erste Mal auf sein Gesicht gefallen war, hatte ich fast angefangen zu weinen. Es tat weh Kinder zu sehen. So verdammt weh. Es erinnerte mich an alles was ich je verloren hatte. Daran, dass ich nie welche haben würde.
Vielleicht war ich einfach nicht dazu gemacht, Mutter zu werden... Vielleicht....
Ich spüre, wie Tränen in meine Augen steigen.
„Es ist nicht schlimm, wenn du keine kennst! Ich kann dir welche zeigen. Warte einfach hier."
„FIIIIN!", schreit er plötzlich und rennt plötzlich neben mir los. Direkt auf Finlay zu.
Finlay.
Fin.
Erschrocken hebe ich meinen Kopf und blicke auf das was sich nun direkt vor mir abspielt. Der kleine Junge rennt auf Finlay, meinen Finlay, zu und redet wild gestikulierend auf ihn ein. Finlay hat seine Augen immer noch auf mich gerichtet. Ein Flattern breitet sich in meiner Brust aus, welches Scham in mir auslöst. Hier befand ich mich mit einem beschissenen Flattern in meiner Brust, obwohl ich doch zwei Kinder verloren hatte. Zwei Kinder. Was war ich für ein Mensch, dass obwohl ich doch gerade das Kind meines Ehemannes verloren hatte, Gefühle für einen anderen Mann hatte? Gefühle für einen Mann, den du liebst. Und der dich liebt.
Ich hatte auf diese Worte fünf Jahre gewartet und vor drei Tagen hatte ich sie endlich bekommen. Finlay liebte mich. Er. Liebte. Mich.
Mein Herz beginnt höher zu schlagen und ich habe plötzlich den Drang zu ihm zu rennen. Doch das konnte ich nicht. Aiden war das erste Mal seit Wochen arbeiten und das Erste was ich tun wollte, war mich in Finlay's Arme zu stürzen? Was war los mit mir? Doch es fühlt sich einfach so richtig an... Ich wollte nicht mehr... Ich wollte einfach nicht mehr mit diesem Schmerz leben..
Finlay nickt plötzlich und wendet seinen Blick kurz von mir ab und blickt nun auf den Kleinen vor sich. Ich beobachte, wie seine Hand in der Innentasche seiner Lederjacke verschwindet und er etwas, was aussieht wie Spielzeugfiguren aus seiner Tasche rausholt. Plötzlich schenkt er dem Kleinen ein Lächeln und fährt ihm mit seiner Hand liebevoll durch die Haare. Ich habe das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Mir wird schlecht, denn plötzlich ist der Kleine nicht mehr braunhaarig, sondern blond und sieht aus wie eine Miniversion von Finlay mit meinen Augen und heißt Angus. Ein leiser Schluchzer dringt aus meinem Mund und in einer hastigen Bewegung drehe ich mich um. Ich musste hier weg! Ich musste weg. Weg. Weg. Weg.
„Hey!", erklingt plötzlich die Stimme des Kleinen hinter mir. „Ich hab doch gesagt, du sollst hier warten.", sagt er mahnend.
Ich schlucke, bleibe stehen und wische mir einmal übers Gesicht.
Du schaffst das Ella, es ist nur ein Kind. Es ist nur ein kleines Kind.
Ich drehe mich um und versuche dem Kleinen ein Lächeln zu schenken.
„Tut mir leid", sage ich „Was hast du denn da in deiner Hand?", presse ich hervor, obwohl es weh tut den Kleinen anzusehen.
„Superhelden.", ruft er aus und hebt plötzlich drei Figuren hoch.
Thor, Iron Man und den Hulk.
„Weißt du Fin hat mir eigentlich noch Captain America und Spiderman geschenkt, aber ich hab sie Eion gegeben, weil er immer so traurig war. Aber das ist nicht schlimm, weil Fin und ich sie nämlich auf meine Wand malen und dann können sie mich auch beschützen...obwohl Fin gesagt hat, dass es keine Bösewichte in unserem Haus gibt, aber weißt du...", den letzten Teil seines Satzes flüstert er und legt sich schließlich den Finger auf den Mund, so als ob er mir ein Geheimnis erzählen würde. „Eigentlich ist Finlay Thor und deshalb gibt es keine Bösewichte in unserem Haus, aber ich bin mir da nicht so sicher.", er schüttelt den Kopf, bevor er wieder lautstark anfängt zu reden. „Weißt du Thor hat nämlich nur seine Hammer...aber was ist wenn ein Bösewicht kommt, der nicht mit einem Hammer besiegt werden kann und man ihn vielleicht nur mit einem Schild wie mit dem von Captain America besiegen kann?", seine Augen sind nun weit aufgerissen. „Naja...", beginne ich
„Cailean, was erzählst du Ella wieder für einen Quatsch?", höre ich Finlay's lachende Stimme hinter mir.
„Hey!", höre ich den kleinen ausrufen. „Ich erzähle überhaupt keinen Quatsch Fin. Du hast selber gesagt, dass du Thor bist."
„Naja, Kumpel reintheoretisch hast du mich als Thor betitelt.", Finlay lacht, um seine Augen kleine Lachfältchen.
Mein Atem stockt für eine Sekunde in meiner Brust. „Wenn's nach mir gehen würde, dann wäre ich lieber irgendwer anderes...wie wäre es mit ..."
„Wolverine", hauche ich wie auf Autopilot.
„Wolverine?". Cailean's Stimme steigt ein paar Oktaven höher, seine kleinen dunklen Augenbrauen nun fragend zusammengezogen.
Ich nicke nur, während meine Augen auf Finlay gerichtet sind. „Der trägt auch immer so eine Lederjacke wie Finlay." „Außerdem...", ich richte meine Augen nun wieder auf Cailean, dessen Augen an jedem einzelnen Wort, das über meine Lippen kommt, hängt. „Ist mein Onkel Chris schon Thor. Deshalb kann Finlay nicht mehr Thor sein."
„Stimmt.", seine tiefe Stimme pflichtet mir bei und verursacht eine Gänsehaut auf meiner Haut. „Ihr Onkel sieht wirklich aus wie der Zwillingsbruder von Thor."
„Kennst du Finlay?", fragt Cailean plötzlich überrascht.
Ich schlucke, als unsere Blicke sich wieder treffen. Ich nicke nur.
„Warum nennst du ihn dann Finlay und nicht Fin, wenn du ihn kennst? Er hat mir gesagt, dass seine Freunde ihn Fin nennen und er und ich sind sogar beste Freunde! Er hat mich aus dem Kinderheim geholt und ich wohne jetzt bei ihm! Was für Superkräfte hat Wolverine eigentlich und wie sieht der aus?"
Meine Augen werden immer größer bei seinen Worten.
Finlay, hat ihn aus dem Kinderheim geholt? Das musste heißen er hatte den Kleinen... hatte er den Kleinen etwa..
Mein Mund klappt auf, während ein Rauschen plötzlich durch meine Ohren dringt. Ein schmerzvoller Stich dringt durch mein Herz, als mir bewusst wird, dass er ein Kind adoptiert hatte. Dass er nun Vater war.
Finlay's Gesicht verzieht sich kurz, als er mich nun anschaut. Seine Augen sind auf mich gerichtet, in ihnen eine Welle voller Emotionen. „Aye, ich hab Cai adoptiert.", sagt er schließlich leise, ein Hauch von Schmerz nun in seinen Augen. „Ich ... Ich konnte es einfach nicht ertragen, ihn ohne Eltern aufwachsen zu sehen. Ihn ohne Vater aufwachsen zu sehen. Kein Kind sollte das jemals durchmachen...", seine Stimme bricht ab, während meine Augen mich immer noch auf der Stelle festhalten.
So sehr es mich schmerzte, ich konnte einfach nicht wegschauen. Seine Augen blicken mich nun an, wie ein offenes Buch, als er erneut anfängt zu sprechen. „Ich würde einem Kind das niemals antun, Ella. Niemals. Ich wäre immer für es da. Egal in was für einer Situation ich mich befinden würde. Immer. Genauso, wie ich für seine Mutter da wäre. Jede einzelne Sekunde würde ich die beiden niemals zweifeln lassen, dass sie das aller Wichtigste in meinem Leben sind."
Tränen steigen in meine Augen, meine Kehle schnürt sich zu und auf einmal wird der Schmerz zu viel. Ich merke, wie er mich fast niederrollt.
Ich muss hier weg.
Ich schüttele panisch meinen Kopf, mache einen Schritt zurück, um so schnell wie ich kann wegzurennen. Durch meinen Tränenschleier, sehe ich wie Finlay seinen Mund erneut öffnet, doch bevor etwas aus seinem Mund kommt, erklingt eine andere Stimme, gefolgt von einer kleinen Hand, die sich auf meinen Arm liegt. Ein Schluchzer kommt über meine Lippen.
„Bist du traurig?", fragt mich Cailean wie aus heiterem Himmel.
Ich schlucke, wende meinen Blick zu ihm und versuche ihm ein Lächeln zu schenken. Es muss wie eine Grimasse rüberkommen, denn ich sehe, wie sein kleines Gesicht in sich zusammenfällt. „Fin sagt mir immer, es ist okay manchmal traurig zu sein. Weißt du was mich immer nicht so traurig macht?", ein Lächeln breitet sich schließlich auf seinem Gesicht aus, während er gleichzeitig nach seiner Hulkfigur greift und sie vor meinem Gesicht hin und herschwingt. „Der Hulk! Normalerweise ist er nämlich ein kleiner Mann, genauso klein wie ich und du, aber manchmal da kann er sich in den Hulk verwandeln und dann wird er riiiiesig. Manchmal, wenn ich ganz traurig bin, stell ich mir vor ich könnte mich in den Hulk verwandeln. Aber nicht in einen grünen Hulk...", er rümpft seine Nase, so als ob ihn die Vorstellung, dass er grün sein könnte völlig wiederwertig wäre. „Ich mag grün nicht. Ich wäre ein roter Hulk. Rot ist nämlich meine Lieblingsfarbe....", Cailean's Worte überschlagen sich fast, als er mir all das voller Eifer erzählt.
„Was für ein Hulk wärst du denn Ella. Bestimmt ein Pinker oder ? Eion sagt, dass alle Mädchen Pink mögen ...und du bist ja ein Mädchen.", er kichert.
Meine Lippen ziehen sich leicht nach oben, obwohl ich mich eigentlich nicht danach fühle. Mit meinem Handrücken wische ich mir übers Gesicht und öffne schließlich meinen Mund, doch Finlay kommt mir zuvor.
„Türkis. Ella's Hulk wäre türkis.", seine tiefe Stimme trifft mich bis ins Herz.
Ich hebe meinen Kopf und unsere Blicke treffen sich kurz. Ein warmes Gefühl senkt sich in mich und meine Fingerspitzen fangen an zu kribbeln.
„Türkis? Kenne ich nicht. Was ist das für eine Farbe?", fragt Cailean sein Blick nun fragend auf Finlay gerichtet.
Er wendet seinen Blick von mir ab und richtet ihn jetzt auf seinen Adoptivsohn. „Eine Mischung aus Grün und Blau. So ähnlich wie die Farbe des Meers."
„COOL! Können wir dann auch eine türkisen Hulk auf meine Wand malen?", Cailean springt aufgeregt auf der Stelle.
„Aye."
Plötzlich fällt jedoch Cailean's Gesicht in sich zusammen. „Aber Fin... wir haben doch gar keine türkise Farbe im Baumarkt gekauft...", stellt er schließlich fest. „Wie sollen wir, denn dann einen türkisen Hulk auf meine Wand malen?"
„Mhhm...Wie wär's wenn wir blau und grün mischen?", schlägt Finlay ihm schließlich vor.
„JA!", ruft Cailean aus „Aber wie sollen wir das machen, wenn du nicht so gut sehen kannst und ich weiß doch nicht wie türkis aussieht. Was ist wenn ich was falsch mache und wir nicht den richtigen türkisen Hulk an die Wand malen, sondern den falschen?", seine Unterlippe zittert nun, als er Finlay mit großen Augen anblickt.
Plötzlich hebt Finlay seinen Kopf und richtet seinen Blick auf mich. „Vielleicht kann Ella uns helfen, da sie ja der Experte für Türkis ist?", er zwinkert mir zu.
Ich will meinen Kopf schütteln, doch ich komme nicht weit, denn Cailean springt bereits in meine Arme. Seine kleinen Arme kommen um meine Mitte und er presst seinen Kopf auf meinen Bauch. „ AUJA! Kannst du uns helfen Ella?", er hebt nun seinen Kopf und schaut mich mit seinen großen braunen Augen an, die mich an einen Hundewelpen erinnern. Augen zu denen ich nicht nein sagen kann.
„Bitte Bitte mit Sträusel?"
***
Ich kneife meine Augen ein paar Mal zusammen, bevor ich sie wieder öffne, aber der gleiche Anblick erstreckt sich immer noch vor mir. Das gleiche drei stöckige beigebraune Backsteinhaus befindet sich immer noch vor mir. Plus einer angebauten Garage.
Finlay öffnet das schwarze Eingangstor, während Cailean selbstverständlich auf die Eingangstür zuläuft. „Kann ich aufschließen?", bettelt Cailean und schaut Finlay erwartungsvoll an.
Als Finlay schließlich einen Hausschlüssel aus seiner Lederjacke zieht, klappt mein Mund endgültig auf.
Wo...wohnte er etwa hier?
Cailean reißt Finlay den Schlüssel aus der Hand, rennt auf die Eingangstür zu und versucht die Tür aufzuschließen. Er braucht eine Weile, aber schließlich klappt es. Die Tür springt auf und offenbart einen hellen Flur.
Ich bin wie eingefroren mein Blick starr auf das Haus gerichtet.
Wo bin ich und was passiert hier?
„Komm.", höre ich plötzlich Finlay's sanfte Stimme an meinem Ohr. Plötzlich spüre ich seine warme Hand, die nach meiner greift. Ein Kribbeln fährt durch meine Fingerspitzen, als er seine Fingerspitzen mit meinen umschlingt und mich sanft mit sich durch die Haustür zieht.
Das Erste was ich erblicke, als ich durch die Haustür trete ist ein heller Flur mit hohen Decken. Sonne strahlt durch die hohen Fenster, verfängt sich in Finlay's Haaren. Ich bleibe stehen, kann meinen Blick nicht von ihm wenden.
Gott, ich hatte ganz vergessen, wie schön er war....
Plötzlich bleibt er ebenfalls neben mir stehen. Er dreht sich um und schenkt mir ein schiefes Grinsen. „Willst du eine Haustour?"
Mein Atem stockt kurz in meiner Brust. Ich nicke nur kurz, woraufhin Finlay meine Hand leicht drückt und mich schließlich weiter in das Haus führt. „Das hier ist die Küche, plus Esszimmer."
Wir betreten einen offenen Raum, der mit hellen Fliesen ausgelegt ist, an der Seite und in der Mitte befinden sich eine Küchenanrichte. Die in der Mitte ist mit schwarzem Marmor überzogen, drei Stühle sind an sie rangeschoben.
Weiter dahinter steht ein Esstisch, mit weißen Stühlen, dahinter eine türkisfarben angestrichene Tür, die in einen Garten führt. Der Raum ist riesig und hell. Die Sonne flutet ihn durch die Fenster und taucht ihn in einen goldenen Schimmer.
Mein Mund ist leicht geöffnet, während ich alles in mich aufsauge. Finlay's Hand führt mich zu der Holztreppe, die sich links von dem Zimmer befindet. Zusammen steigen wir die einzelnen Treppen hoch, bis sie einen Knick nach links macht und wir uns auf einer weiteren Etage befinden. Der Gang ist ebenfalls mit hellen Fliesen ausgelegt, an der Seite mehrere Türen. „WARTET! Ich will Ella mein Zimmer selbst zeigen!", ruft plötzlich Cailean hinter uns und kommt wenige Sekunden später neben uns zum Stehen.
Finlay lacht auf. „Klar, Kumpel, aber zuerst...", er löst seine Hand von meiner und läuft auf die nächst liegende Tür zu.
Da wo seine Hand sich zuvor befunden hat, ist nun Kälte.
Cailean rollt mit seinen Augen. „Fin, das ist doch total uncool! Das ist doch nur die Toilette!"
Finlay zieht einer seiner Augenbrauen hoch und feixt Cailean an. „Ach ja ist es das?", er öffnet die Tür trotzdem. „Wie wär's wenn du noch mal guckst, ob alles noch genauso langweilig geblieben ist, wie gestern?"
Cailean rollt mit seinen Augen und tritt leicht genervt an Finlay vorbei ins Badezimmer. „Oh mein Gott, wie cool!", ruft dieser plötzlich aus. „Da ist ja Captain America auf der Toilette!", er kommt aus dem Badezimmer auf Finlay zu gerannt und springt diesen plötzlich an. Seine Arme schlingen sich um seine Beine, doch Finlay hebt diesen schließlich hoch und drückt ihn an sich. Cailean schlingt seine kleinen Armen um Finlays Hals und legt seine Kopf in seine Halsgrube. Eine Welle von Emotionen überkommt mich und schnürt meinen Hals zu. Ich wende meinen Blick ab und schaue auf den Boden. „Wie wär's wenn du Ella dein Zimmer jetzt zeigst?", höre ich Finlay schließlich nach einer Weile fragen.
„Okay.", gibt Cailean von sich, bevor ich seine Füße auf dem Boden aufkommen höre. „Darf ich ihr danach auch das Zimmer im Dachboden zei...?"
„Cai, was hab ich dir darüber gesagt?", Finlay's Stimme klingt plötzlich eine Spur ernster.
„Aber...", auf einmal verstummt Cailean, ich hebe meinen Kopf und sehe noch wie Finlay seinen Kopf schüttelt.
Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Was war auf dem Dachboden?
Cailean dreht seinen Kopf schließlich zu mir und streckt seine Hand lachend nach mir aus. „Komm Ella ich zeig dir mein Zimmer."
***
„COOL!", ruft Cailean laut aus, seine Stimme hallt durch das Zimmer, in dem sich nur noch sein Spidermanbett befindet.
„Du kannst echt gut malen!", in seiner Stimme schwingt ein bisschen Verehrung mit, während ich gerade mit dem Pinsel eine feine Linie an Thor ziehe.
„Hey!", höre ich plötzlich Finlay rechts neben mir ausrufen. „ Du hast wohl jemanden vergessen zu erwähnen...", er wedelt mit seinem Farbpinsel vor Cailean's Nase.
Cailean kichert. „Fin es zählt nicht, wenn man nur den Pinsel hält und ihn in die Farbe tunkt."
Finlay formt seinen Mund zu einem geschockten O und legt sich die Hand gespielt auf die Brust. „Cailean das ist aber nicht nett. Jetzt bin ich ganz traurig."
Cailean rollt nur mit den Augen. „Du kannst gar nicht traurig sein Fin. Weißt du Ella, warum Fin nicht traurig sein kann?", fragt mich Cailean plötzlich und dreht seinen Kopf wieder zu mir.
Ich bleibe mit meinem Pinsel in der Luft hängen und wende meinen Blick zu Cailean, der mich nun leicht frech anblickt. „Wegen dir Ella!", ruft Cailean schließlich aus.
„Fin kann nicht traurig sein, weil du hier bist. Als ich ihn nämlich gefragt habe, ob er Mädchen mag, da hat er gesagt ja. Und als ich ihn gefragt habe, wie das Mädchen heißt, dass er mag, da hat er gesagt Ella. Und du heißt Ella. Es sei denn er meint eine andere Ella...Glaubst du er hat vielleicht eine andere Ella gemeint, als dich Ella?", er klingt jetzt nachdenklich.
Ein Grinsen erscheint ungewollt auf meinem Gesicht, während ich den Kopf schüttele.
„Okay, du kleiner Frechdachs, wie wärs wenn du heute damit fertig bist, meine Geheimnisse auszuplaudern...", grätscht Finlay dazwischen und wuschelt Cailean durch die Haare. „Und ich uns was zu essen mache?"
„Au Ja! Kann ich Scones haben ?", fleht er Finlay fast schon an. „Mit Cream und Jam?", fragt Finlay nur, woraufhin Cailean's Augen aufleuchten und er eifrig nickt.
„Okay, aber nur einen.", Finlay hebt einen Finger. „Und davor gibt's noch einen Apfel. Du weißt was passiert, wenn man zu viel Zucker zu sich nimmt.", sein Ton ist ernst.
Oh mein Gott, was war mit dem Macaulay passiert den ich kannte und wer war dieser Mann hier neben mir?
„Ooookaaaay.", antwortet Cailean gedehnt, bevor Finlay aus dem Zimmer verschwindet.
„Wie lange kennst du Finlay schon?", ertönt plötzlich Cailean's Stimme neugierig neben mir.
„Fünf Jahre.", sage ich knapp und male Thor weiter aus.
„Stimmt das, dass deine Lieblingsfarbe türkis ist?", seine Frage lässt mich kurz innehalten, weil sie absolut nichts mit seiner vorherigen Frage zu tun hatte.
„Ähm ja..", antworte ich nur kurz.
„Dann musst du unbedingt das Zimmer im Dachgeschoss sehen! KOMM!",. ruft er aus und greift nach meiner freien Hand.
Ich schaue auf ihn herunter, den Pinsel immer noch in der Hand. „Komm schon. Wir müssen schnell sein, bevor er wiederkommt. Ich darf's dir eigentlich nicht zeigen, weil... naja..weil....", er druckst herum und schabt mit seinem Fuß nervös auf dem Boden herum.
Neugier überkommt mich schließlich doch. Ich lege den Pinsel auf den Boden und lasse mich von Cailean aus dem Zimmer ziehen. Er führt mich zu einer weiteren Wendeltreppe. Mein Atem stockt kurz in meiner Brust, als ich sehe, dass die Treppe türkis gestrichen ist. „Finlay hat sie extra türkis gestrichen, wegen dir, aber pscht", Cailean legt sich die Finger auf die Lippen.
Er greift nach meiner Hand und ich muss mich zusammenreißen keinen schmerzhaften Laut von meinen Lippen zu geben. Seine kleine Hand in meiner fühlt sich warm an, so voller Leben. Alles was Angus und Finola nicht waren. Ich schlucke die kommende Welle von Emotionen herunter und versuche mich auf die Treppe vor mir zu konzentrieren. Hand in Hand laufen wir sie schließlich hoch und plötzlich befinden wir uns im Dachgeschoss. Mein Mund klappt auf, als ich den Anblick vor mir in mich aufnehme. Die gegenüberliegenden Wände im Zimmer sind türkis gestrichen, das runde Fenster flutet das Zimmer in Tageslicht. In der Mitte des Zimmers steht ein großes Bett, über dem ein türkisener Betthimmel hängt, am Fenster ein Schreibtisch mit diversen Schubladen. Schubladen zum Verstauen. Als ich einen weiteren Schritt in den Raum mache, landet mein Blick plötzlich auf dem Nachttisch, der sich neben dem Bett befindet. Plötzliches Herzrasen breitet sich in meiner Brust aus, meine Augen nun geweitet. Cailean ist immer noch an meiner Hand, sonst wäre ich vermutlich umgekippt, so geschockt bin ich von dem was auf dem Nachttisch steht.
„W...w...Wie?", murmele ich voller Verwirrung, meine Augen auf den Gegenstand, der sich auf dem Nachttisch befindet, fokussiert.
Es ist ein Bilderrahmen mit einem Foto von uns Beiden. Nur dass wir nie ein Foto zusammen gemacht hatten. Ich mache einen weiteren Schritt nach vorne.
„Das sind ja du und Fin!", ruft Cailean, total unwissend von meinem inneren Schock, aus. „Ihr seht ja aus, als ob ihr euch küssen wollt!", ruft er kichernd aus.
Gott.
Mein Atem kommt in unkontrollierten Stößen aus meinem Mund, als ich jeden Zentimeter des Bildes in mir aufnehme. Ich konnte mir nicht erklären wo es herkam, denn ich hatte es zuvor noch nie gesehen. Es ist ein Bild von uns beiden als Sandy und Danny, wie wir uns intensiv in die Augen schauen, Finlay seine Hand um meine Taille gelegt, während mein Kopf ein wenig nach oben geneigt war. Ein Blick liegt auf meinem Gesicht, den ich noch nie an mir gesehen hatte. E war ein seltsames Lächeln, das mein ganzes Gesicht zum Strahlen brachte. Doch es ist nicht mein Ausdruck, der dazu führt, dass auf einmal ein warmes Gefühl durch meine Adern rauscht. Es sind Finlay's Augen, die auf dem Foto tief in meine blicken. Ich brauche sie nur einmal anzuschauen um mir komplett den Boden unter den Füßen wegzureißen, um meine ganze Welt zum Wanken zu bringen.
Gott.
Bereits damals war Finlay schon in mich verliebt gewesen. Bereits damals...
„Auf dem Foto siehst du aus wie eine Prinzessin, Ella. Bestimmt guckt dich Fin deshalb auch so an, weil er dich so schön findet.", sagt Cailean wissend.
Ich schlucke und versuche meine aufkommenden Emotionen herunterzuschlucken. Ich hatte in den letzten Wochen so viel geweint, ich hatte einfach keine Kraft mehr dafür.
„CAIII? Kommst du mal bitte runter?", erschrocken zucken wir beide zusammen, als wir plötzlich Finlay's Stimme aus dem Untergeschoss hören.
„AYEEE!", ruft Cailean laut und läuft zur Tür.
„Bestimmt hat er die falsche Marmelade rausgeholt und weiß nicht ob es die Richtige ist. Weißt du letztens hat er Rhabarber Marmelade gekauft, obwohl meine Lieblingsmarmelade Erdbeere ist. Ich mag keinen Rhabarber...", er verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse. „ Aber Fin hat das nicht extra gemacht, er kann ja nicht so gut sehen.", er schüttelt seinen Kopf und öffnet schließlich die Tür und hopst die Treppe herunter.
Ich bleibe für einen kurzen Moment vollkommen angewurzelt im Zimmer stehen und versuche meine Gedanken zu sortieren. Dann als ich ein Geräusch von unten höre, mache ich mich zurück in Cailean's Zimmer.
***
„Was malst du da ? Das sieht aber nicht aus, wie ein Superheld, das ist ja eine Frau?", ruft Cailean keine zwanzig Minuten später aus, bevor er durchs Zimmer rennt und neben mir stehen bleibt. Er rümpft mit der Nase, so als ob ihm etwas nicht gefallen würde, während er die angefangen Umrisse von meiner Zeichnung begutachtet.
„Wonder Woman.", gebe ich mit einem Lächeln von mir. „Weißt du Cailean es gibt nicht nur Superhelden sondern auch Superheldinnen. Und Wonder Woman ist sogar schneller als Herkules. Du weißt doch wer Herkules ist, oder?", frage ich ihn ernst.
Cailean nickt nur und schaut mich nun gebannt an. Ich fahre mit dem Pinsel über ihren goldenen Stirnreif. „Das hier ist ihr goldener Stirnreif. Der ist eine besondere Waffe von ihr, plus...", ich wende mich von der Wand kurz ab. „Sie hat einen unsichtbaren Jet.", ich ziehe meine Augenbrauen hoch, um zu verdeutlichen wie cool das ist.
„ECHT?!", ruft Cailean aufgeregt aus. „Weißt du wie schnell der ist? Und warum ist der unsichtbar?"
„Wonder Woman ist aus einem ganz anderen Universum Cai. Sie ist aus dem DC Universum und nicht von Marvel. Eigentlich hat sie auf dieser Wand gar nichts zu suchen...", ertönt plötzlich Finlay's Stimme hinter uns.
Was für ein Besserwisser...
„Naja... Fin hat schon recht, aber weißt du...", beginne ich schließlich. „Manchmal brauchen Superhelden Hilfe, wenn sie Kinder oder Menschen nicht richtig beschützen können und dann müssen sie manchmal eine Superheldin aus einem anderen Universum fragen. Und Wonder Woman kann ihnen dabei echt eine große Hilfe sein, denn sie hat immerhin das goldene Lasso ...", ich reiße meine Augen gespielt groß auf. „Und weißt du was dieses Lasso macht?", ich drehe mich schnell um. „ Es zwingt jeden den es berührt die Wahrheit zu sagen!", ich schnappe gespielt nach Cailean's Arm, so als ob ich ein Lasso nach ihm werfen würde. Er kreischt auf und lacht.
„Verrat mir alle deine Geheimniiiiisse", sage ich in einer dunklen Stimme.
Cailean lacht und schüttelt mit dem Kopf. „Ich hab keine Geheimnisse.", ruft er aus und rennt schließlich durch den Raum. „Aber Fin hat welche!", er streckt seine Zunge raus und deutet mit einem Finger auf ihn. „Erzähl Ella ein Geheimnis!", ruft Cailean euphorisch aus.
Ich merke, wie Finlay's Augen auf meinen landen. Ich hebe meinen Kopf, seine Augen fesseln mich sofort, halten mich an Ort und Stelle gefangen. „Ella ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.", seine tiefe Stimme fährt über meine Haut, wie warme Sonnenstrahlen, verursacht ein Kribbeln in meiner Magengrube.
„Fin, das ist doch kein Geheimnis! Du musst ihr ein richtiges Geheimnis erzählen!"
Ich drehe meinen Kopf zu Cailean und öffne meinen Mund, um ihm etwas zu sagen, doch die nächsten Worte, die aus Finlays Mund kommen, schnüren mir gleichzeitig die Kehle zusammen und bringen mein Herz zum Stolpern.
„Irgendwann werde ich Ella heiraten."
Mein Kopf dreht sich abrupt zu Finlay um, mein Mund öffnet sich vor Schock, während ich ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarre. Ich muss mich verhört haben. Das konnte er nicht gesagt haben. Ich schüttele meinen Kopf kurz und schließe meine Augen.
„Du wirst Ella irgendwann heiraten?", höre ich Cailean's erstaunte Stimme. „Bekomm ich dann irgendwann ein Geschwisterchen, weil wenn man verheiratet ist, dann bekommt man doch ein Baby, oder nicht ? Eion hat gesagt man kann nur Babies bekommen, wenn man verheiratet ist!"
Mir ist schwindelig. Meine Hand wandert zu meinem Hals weil ich das Gefühl habe, dass ich keine Luft mehr bekomme. Finlay nickt schließlich, seine Augen immer noch auf meine gerichtet. „Nicht sofort Cai, aber vielleicht in ein paar Jahren, wenn Ella dazu bereit ist."
Baby. Wenn Ella dazu bereit ist. Irgendwann werde ich sie heiraten. Baby. Wenn Ella dazu bereit ist. Baby. Baby.
Der Pinsel fällt aus meiner Hand, das Geräusch laut in meinen Ohren.
„Ella?", Finlay's besorgte Stimme dringt plötzlich an mein Ohr, als ich einen Schritt zurück mache.
„Heiraten?", meine Stimme ist kaum ein Flüstern. „Du willst mich heiraten und ein... ein... ein?", meine Stimme bricht ab, als mir schlecht wird. „Du ..du willst ein Baby mit mir?", ein schmerzhafter Laut dringt aus meinem Mund, während ich mir meine Hand auf mein Herz halte, weil die Worte so sehr weh tun.
Etwas flackert durch Finlay's Augen, gleichzeitig macht er einen Schritt nach vorn.
Ich schüttele panisch mit meinem Kopf. „Nein. Nein. Nein.", wiederhole ich immer wieder, als ich in Richtung Tür fliehe.
„Ich kann dich nicht heiraten. Ich kann nicht. Ich kann.. ich kann nicht.. ich ... ich kann dir kein Baby ... nein. Ich kann nicht.", murmele ich vor mich hin.
Plötzlich bleibe ich stehen und hebe meine Kopf. Schmerz liegt in Finlay's Augen, als er mich anblickt. „Verdammt Finlay ich kann dir kein Baby schenken!", schreie ich plötzlich aus tiefster Seele. „Hast du das noch nicht verstanden? Ich bin einfach keine Mutter und werde nie Mutter sein!", Tränen fließen nun mein Gesicht herunter und auf einmal wird alles einfach zu viel.
Bevor ich irgendetwas realisiere, habe ich die Tür bereits aufgerissen und renne die Wendeltreppe herunter durch den Essensraum bis zu Haustür. Meine Finger berühren bereits die Klinke, als ich Finlay's Stimme hinter mir höre. Ich kann seine Worte nicht ausmachen, weil meine Gedanken so laut in meinem Kopf sind, dass ich nichts anderes als meinen Schmerz wahrnehme. Ich reiße die Tür auf und renne schließlich nach draußen. Meine Füße tragen mich die ganze Straße herunter bis zur Bushaltestelle. Ich habe Glück, denn genau in diesem Moment kommt ein Bus. Ohne mich noch einmal umzudrehen, steige ich in den Bus ein.
Als ich mit tränenüberströmten Gesicht auf meinem Platz sitze, sehe ich aus den Augenwinkeln, Finlay der völlig außer Atem an der Bushaltestelle ankommt. Unsere Blicke treffen sich kurz durch das Busfenster, doch ich wende meinen Blick ab.
Schmerz breitet sich in meiner Brust aus. Doch diesmal war es ein anderer Schmerz. Es war ein Schmerz, der mir auf eine vollkommen andere Art die Brust aufriss.
Irgendwann werde ich Ella heiraten.
Weitere Tränen fallen mein Gesicht herunter, als die Erkenntnis mich trifft, dass ich nicht mehr so weiter machen konnte. Ich konnte einfach nicht.
Edinburgh zieht an mir vorbei, während meine Gedanken, wie ein Hurricane durch mein Gehirn fegen.
Als ich endlich an meiner Haltestelle angekommen bin sind meine Tränen getrocknet. Ich habe einen Entschluss gefasst, der mir fast das Herz rausreißt, aber es war besser so. Ich wusste es.
Mein Blick fällt auf Aiden's Auto in der Auffahrt. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir hoch. Ich schlucke es herunter und laufe die Auffahrt hoch. Meine Hand zittert, als ich den Schlüssel ins Schloss stecke. Nach einer Weile, die sich anfühlt, wie eine Ewigkeit, springt die Tür endlich auf. Erschrocken schreie ich auf und stolpere ein Stück zurück.
„Aiden...?", stottere ich. „Was machst du direkt vor der Haustür. Du hast mich total erschreckt."
Erst jetzt sehe ich, dass Aiden's Haare nicht in ihrer ordentlichen Art und Weise gestyled sind. Stattdessen stehen sie auf seinem Kopf ab, so als ob er mehrere Male durch sie hindurch gefahren wäre.
„Wie wäre es mit: Ich habe mir Sorgen um meine Frau gemacht, die nicht zuhause war."
Ich schlucke. „Gott, Ella wo warst du? Ich hab mir verdammt noch mal Sorgen wie ein Wahnsinniger um dich gemacht?!", ruft er aus.
Ich schließe kurz die Augen, um mich darauf zu fokussieren, was nun folgen würde. „Ich war bei Finlay.", sage ich schließlich. „Du ..du wirst es nicht glauben, aber er hat einen Jungen aus dem Kinderheim adoptiert... und brauchte meine Hilfe."
„Du warst wo?", Aiden's Stimme überschlägt sich auf einmal. Etwas Wildes huscht plötzlich über seine Augen.
„Ella, sag mir nicht, dass das doch schon wieder anfängt...", er schüttelt nun mit seinem Kopf und blickt mir plötzlich wütend in die Augen.
„Was denkst du eigentlich wer ich bin? Denkst du ich bin bescheuert und check nicht, dass du immer noch Gefühle für ihn hast, dass du die GANZEN JAHRE für ihn Gefühle hattest! Du hättest nicht umsonst mit ihm geschlafen, wenn du keine Gefühle für ihn hättest!"
Er fasst sich nun erneut aufgebracht durch die Haare.
„Ella, ich will nicht mehr, dass du dich mit ihm triffst. Wenn ich dir irgendetwas wert bin, dann will ich, dass du ihn aus deinem Leben komplett verbannst."
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