Kapitel 52
Präsens
Ich stehe, stocksteif auf dem Absatz der Treppe, kann es nicht glauben, dass er hier ist. Hier in Schottland. Meine Augen saugen sein Gesicht auf, wie eine Verdurstete das Wasser in der Wüste. Mein Herz. Mein verdammtes Herz. Es war ein Verräter.
Mein Atem bleibt in meiner Kehle stecken, mein ganzer Körper zittert, ich halte mich mit einer Hand am Treppengeländer fest. Seine Augen. Ich habe fast vergessen wie dunkel sie sind. Sie bohren sich ebenfalls in meine, halten mich fest, bewegen sich keinen Zentimeter von meinem Gesicht. Man könnte das Geräusch einer fallenden Stecknadel hören, so ruhig ist es im Zimmer. Ich nehme nichts mehr um mich herum wahr, einzig allein sein Gesicht, das einen knappen Meter von mir entfernt ist. Sein Haar ist ein wenig länger, und obwohl ich es nicht will, suchen meine Augen seinen Körper nach irgendwelchen Verletzungen ab. Er war älter geworden. Seine Gesichtszüge gezeichnet, von all dem was er gesehen haben musste. Sein Kinn ist von Bartstoppeln umgeben.
Es ist ungewohnt, ihn nach all der Zeit zu sehen. Doch gleichzeitig fühlt es sich so an, als ob ich wieder 24 wäre. Als ob ich ihn das erste Mal begegnet wäre. Es fühlt sich an, als ob ich aus einem jahrelangen Schlaf gerissen worden wäre. Als ob mein Körper sich endlich wieder bewegen konnte. Doch leider war ich nicht mehr 24. In einem Monat würde ich 30 werden. In 6 Monaten würde ich das Kind von Aiden erwarten. Mein Blick fällt auf die rote, leicht verblasste Narbe an seinem Arm. All die Gefühle, die ich in den letzten Jahren heruntergeschluckt hatte, die ich versucht hatte zu verdrängen, kommen in einer Flutwelle auf mich eingedroschen. Sie ziehen mich mit sich. Bilder rauschen durch meinen Kopf. Blut. Glassplitter. Lippen auf meinen.
Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, wenn ich wieder 24 sein könnte. Ich hätte ihn aufgehalten. Ich hätte ihn angefleht, dass er bei mir bleiben sollte. Mein Leben hätte so viel anders sein können. Sein Blick liegt immer noch auf meinem, ich sehe wie er einen Schritt nach vorne macht. Mein Herz setzt aus, als er nun in langen, Schritten die Distanz zwischen uns überbrückt, der Geruch von Kiefernnadeln, der mir fast das Herz zerreißt, steigt mir in die Nase. Er bleibt vor mir stehen, sein Kopf thront über meinen.
Und dann, ganz langsam, schließt er, als ob es das Natürlichste der Welt wäre, seine Arme um meinen Körper, meine Wange an seine Brust gepresst, sein Kinn ruht auf meinem Kopf. Tränen steigen in meine Augen, als mir eine Frage immer wieder durch den Kopf schießt. Wie kann man einen Menschen, den man liebt ansehen, und wissen, dass man nie mit ihm zusammen sein wird? Das es Zeit war, ihn loszulassen?
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Ich hoffe eurem Herz geht es genauso, wie es meinem nach diesem Kapitel geht ....
Wünsche euch noch einen schönen Sonntag <3
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