
Neue Kraft
(Flo's P.o.V)
Immer noch von einem beschützenden Augenpaar durchlöchert, lag ich regungslos auf dem harten, rauen Steinboden.
Ein hallendes Klacken, sowie ein sich in die Länge streckendes Geräusch schlängelte sich nach und nach durch den Raum. Es roch hauchdünn nach Blumen und Pflanzen, deren Aroma immer intensiver wurde, je lauter es klackte.
Es war definitiv jemand hier und das beunruhigte mich, da ich mich weder bewegen, noch selber fühlen konnte.
Mein Körper schien tot zu sein. Ich spürte kein bisschen Leben mehr in mir, geschweige denn Kraft. Es grenzte an ein Wunder, dass ich überhaupt etwas um mich herum wahrnehmen konnte. Wo auch immer ich mich befand, es musste ein dunkler Ort sein, der nach und nach von einem dezent leuchtenden, grünen Lichterschein erhellt wurde.
Wenige Sekunden später wurde es totenstill. Keine Geräusche, kein gar nichts. Ich dachte schon, jemand hätte die Zeit angehalten und mich hier auf Lebenszeiten eingesperrt, mit der Absicht mir beim Verwesen zuzuschauen, zum Glück lag ich mit dieser Vermutung mehr als falsch.
Vorsichtig versuchte ich meinen Blick vom immer grüner und lebendiger werdenden Boden abzuweden. Ich scheiterte. Mein Kopf war schwer wie Blei und jede einzelne, gezwungene Bewegung schmerzte wie ein Ring aus lodernden Flammen. Ich wollte aufschreien, ich hatte jedoch keine Stimme dazu. Ich wollte aufstehen, endlich weitermachen und diese Mission beenden, nur um meinen besten Freund aus der Gefangenschaft einer machtbesessenen, völlig verrückten Herrscherin zu befreien.
Doch ich konnte nicht. Mir war es nicht vergönnt auch nur einen Finger zu rühren.
Aber ich musste doch weiter! Ich konnte auf keinen Fall hier bleiben!
Ich stieß innerlich einen spitzen Schrei aus, hoffend, dass irgendjemand mich von meinen Schmerzen erlöste.
Auf einmal umschlang mich etwas grünlich-blau schimmerndes an beiden Armen. In einem zähen, langwierigen Tempo zog es sich über meinen gesamten Brustkorb, bis hin zu meinen Oberschenkeln und fesselte diese in mit festem Griff. Zahlreiche Ranken und Äderchen sprossen aus dem monströsen, pflanzenartigen Ding und bohrten sich wie messerscharfe Dornen in mein Fleisch hinein. Ein scharfer, schmerzhafter Stich breitete sich wie Lauffeuer in mir aus und bildete einen Ring rund um meine Brust. Es schien als würde es mit aller Kraft versuchen mein Herz zu erreichen, um es dann mit seinen Dornen abzustechen. Ich wartete schon darauf einen kurzen und prägnanten Tod zu erleiden, der mir den Abschied von dieser Welt einfacher gestalten würde, auch wenn ich geistig noch nicht darauf vorbereitet war zu sterben.
"Roman..."
Auch wenn ich keinen einzigen Ton herausbekam, formte ich meine Lippen zu jeder Silbe seines Namens.
Wenn er mich nur hören könnte...
Brennend heiße Tränen bildeten sich in meinen Augen, die ich am liebsten weggewischt hätte, hätte ich die Macht dazu. Sie waren nichts im Vergleich zu den stetig steigenden Schmerzen in meiner Brust. Die Stacheln drangen immer weiter in mir vor, was dazu führte, dass ich schwer atmete und vor Anstrengung aufkeuchte. Aus dem Keuchen wurde Husten und aus dem Husten absolute Stille.
Meine Sicht wurde immer wirrer und unschärfer. Die Schmerzen hatten Überhand genommen und brachten meinen Körper zum Zerfall.
Jede Zelle in meinem Körper fühlte sich durchstochen und verletzt an und allmählich sanken meine Überlebenschancen auf Null.
Ich würde hier sterben. Roman alleine und verzweifelt sterben und Yuki mit schlechtem Gewissen und Panik in diesem dunklen Loch vergammeln lassen. Ich wollte nicht.
Nein. Ich durfte hier nicht aufgeben.
,,Bitte...Ich muss weitermachen. Ich kann ihn nicht im Stich lassen! Ich könnte es nicht verkraften versagt zu haben...", flehte ich in Gedanken nach Hilfe. ,,Bitte...ich..."
Ich hustete wieder.
,,Ich...liebe ihn doch."
"Wie sehr denn?", zischte plötzlich eine geisterhafte Stimme in mein Ohr.
Ich bekam augenblicklich Gänsehaut. Wer zum Teufel war das?!
"Ich habe dir zuerst eine Frage gestellt. Wie sehr liebst du ihn?", raunte diese Person wieder zu, wobei ich ein Lächeln in seiner Stimmlage erkennen konnte. Vielleicht konnte ich ihm vertrauen.
"Ich...ich weiß es nicht."
"Was meinst du mit 'Ich weiß es nicht' ?"
"Ich...bin mir nicht sicher...wie sehr ich ihn liebe. Es ist alles noch so neu für mich..."
Stille. Hatte ich das Wesen vor mir vergrault?
Plötzlich packte mich etwas am Kinn und zwang mich nach oben zu sehen.
Vor mir war ein etwas kleines, kindliches wirkendes Wesen in grüner Kleidung. Es trug eine blattgrüne Zipfelmütze über seinen grünlich-blonden Haaren und hatte lange spitze Ohren, wie die einer Elfe.
"Würdest du für Roman dein Leben aufgeben? Wie weit würdest du für ihn gehen?"
Ich sah ihm in seine großen schwarz-braunen Augen und stockte. Für einen kurzen Moment ignorierte ich mein Leiden und ging in mich.
Wie sehr liebte ich Roman wirklich? War er nichts weiter als eine kurze Schwärmerei? War er eine Art Childhood-Crush für mich, dessen Liebe nicht auf ewig währte?
Oder war meine Neigung zu ihm doch etwas Besonderes?
All diese Fragen stürzten sich wie ein Haufen alter Bücher auf mich, alle voller Möglichkeiten und Antworten.
Was war er denn in meinen Augen? Was war er nur?
War er nur ein bester Freund für den ich eine kleine Schwäche hatte oder war er vielleicht sogar meine große, wahre Liebe. Nein, das konnte es doch nicht sein, oder?
Der Griff des Elfenjunges wurde fester, ebenso wie die Dornenranke.
"Was ist deine Antwort?", sprach er mit außerordentlich kühler Stimme und riss mich somit aus meinen Gedanken.
"Ich..."
Ein dicker Dorn bohrte sich in immer weiter in meine linke Brust. Bald würde er mein Herz in zwei Teile zerfleischt haben und AraFlo wäre dem Untergang geweiht.
"Ich..."
Ich hustete unter Tränen und spuckte einige Blutropfen dabei aus, doch ich wusste nun endlich meine einzig wahre Antwort. Eine kleine, in den tiefsten Tiefen meines Herzens versteckte Antwort, auf alle meine Fragen. Eine Wahrheit, die nur mein Herz allein aussprechen konnte...
"Ja. Ich würde freiwillig für ihn sterben, wenn er dadurch sicher und unversehrt weiterleben könnte. Ich würde einfach alles dafür geben, nur um ihn zu beschützen. Ich will einfach nur das Beste für ihn, für ihn da sein, ihn unterstützen...also bitte..."
Ich machte eine Pause.
"Bitte befreie mich von diesen Fesseln und führe mich zu dem Ocean Heart. Ich brauche es...sonst ist er auf ewig verloren...und ich? Ich hätte niemanden mehr, für den mein Herz tausende Jahre schlagen würde..."
Schon wieder kehrte Stille ein und ein laues Lüftchen wehte über die, in der Zwischenzeit entstandene, Wiese.
Hatte ich etwas Falsches gesagt, weshalb sich der Elf nun so still verhielt?
Er ließ mein Kinn los und ging ein paar Meter zurück. Ich dachte schon, er würde mich hier zurücklassen, was er glücklicherweise doch nicht tat. Ohne jegliche Worte zu sagen, streckte er die Arme aus und formte mit seinen Händen eine Art Dreieck.
Plötzlich kam ein starker Windzug, der ihm die Haare zu Berge stehen ließ und jede geschlossene Knospe des Feldes zum Aufblühen brachte. Tausende glühwürmchenartige Funken strömten aus ihnen und tauchten damit die ganze Umgebung in ein wunderschönes, limettfarbenes Lichterspiel, von welchem ich meine Augen einfach nicht abwenden konnte. Mein Blick fokussierte sich auf ein einzelnes Lichtlein, so klein und unbedeutend es auch war, und folgte seinem Tun. Sachte schaukelte es herum, ständig vom leichten Luftzug gelenkt und mündete in einer großen Ansammlung dieser Fünkchen. Es ähnelte einer Sonne. Hell und klar erleuchtete sie einen kleinen Kegel um mich herum, als stünde ich im Rampenlicht auf einer Bühne. Plötzlich wuchs der Umfang der Kugel in Sekundenschnelle heran, dass man meinen konnte, dass der Lichtball gleich explodieren würde.
Aus meinem Augenwinkel heraus erkannte ich den Elfenjungen, der mit golden leuchtenden Augen dastand und eine unheimliche, bunte Aura entwickelte, die ihn einhüllte.
Seine Lippen bewegten sich, woraus ich schließen konnte, dass er etwas vor sich hinmurmelte.
Kontrollierte er vielleicht diesen Sturm von Lichtern?
Erstaunt von seinen Fähigkeiten und dem Ergebnis schaute ich zwischen den beiden hin und her, bis plötzlich der Leuchtball explodierte und alle Lichtteilchen wie Regentropfen vom Himmel herunterfielen. Doch anstatt auf dem taufrischen Boden zu landen, bewegten sie sich in rasender Geschwindigkeit auf mich zu. Ich wusste nicht mehr, was mit mir geschah, als sie beinahe automatisch in meinen Körper gesogen wurden.
Ich spürte, wie ein erquickendes Kribbeln durch meine Adern floss und mich förmlich mit Kraft und Mut versorgte. Ich wurde stärker. Ich wurde entschlossener. Was auch immer diese Magie bewirken sollte, ich war dem Ganzen sehr dankbar.
Tief einatmend schloss ich die Augen und absorbierte mit Freuden die neue Kraft die mir geschenkt wurde. Doch auf einmal kam ein starker Schwindel in mir auf. Die ganze Welt verschwamm in einem unscharfen Bild und fing an zu beben. Abertausende schwarze Punkte breiteten sich wie gierige Ameisen über meine Sicht aus und tauchte alles in die Dunkelheit.
Mein Kopf brummte und ich hatte das Gefühl meine gesamte neu erlangte Kraft mit einem Mal zu verlieren.
Leicht zitternd streckte ich meine Hand Richtung Elf aus. Ich wollte ihn bitten zu stoppen, da diese Macht für mich viel zu groß wurde, doch er hörte nicht. Dann wurde binnen Millisekunden alles schwarz und ich verlor das Bewusstsein.
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