68 | Handys & Pläne
"Bleib stehen!" Ayaz lief mir hinterher und holte mich auf dem Parkplatz ein. Er schnappte sich meinen Arm und wirbelte mich zu sich herum, sodass ich leicht gegen seine Brust stieß. Der schwarze Pullover roch so intensiv nach ihm, dass ich mich dabei erwischte, mit einem Lächeln tief durchzuatmen. Als mein Blick jedoch zu ihm auf fiel, legte ich erneut eine wütende Miene auf. Auch er schien sauer. Zumindest kniff er seine Augen zusammen. "Was sollte das? Wieso bist du so wechselhaft?!"
"Ich bin überhaupt nicht wechselhaft.", verteidigte ich mich und entriss ihm dabei meinen Arm. "Du bringst mich doch dazu, so zu handeln! Was sollte das mit Orlando?! Wieso schlägst du ihn ohne es mir zu sagen?!"
"Weil er mir nicht passt! Ganz einfach!"
"Ohhhh", sprach ich kopfschüttelnd und wich einen Schritt von ihm zurück. "Er passt dir nicht? So einfach ist das also!"
"Nives! Dieser Typ führt nichts Gutes im Schilde! Man sieht ihm schon an, wie hässlich sein Charakter ist."
"Oder du hast ihn nackt in meinem Pool gesehen und suchst jetzt eine Ausrede dafür, dich mir gegenüber zu rechtfertigen."
"So ist das nicht." Er wurde etwas ruhiger von seiner Stimmlage her, sodass auch ich mir kurz Zeit nahm, meine Gefühle und Gedanken zu ordnen. Mein Blick fiel beim einen tiefen Atemzug zum Schulhof zurück, doch Orlando war verschwunden. Nur Riziero stand noch da und sah mir entgegen. Ich wich seinem jämmerlichen Anblick jedoch aus.
"Weißt du überhaupt, warum ich sauer bin?", fragte ich an Ayaz gewandt. Ich hob mein Gesicht an, um ihm direkt in seine Augen sehen zu können. "Es ist nicht die Tatsache, dass du ihn geschlagen hast. Das ist mir nämlich scheißegal ... Es ist dieses Gefühl, als würdest du mir nichts zutrauen. Als könnte ich nicht selbst mit diesen Idioten fertig werden. Mein Vater bestimmt schon die Richtung, in die ich mich seiner Meinung nach entwickeln müsste. Bitte fang du nicht auch noch damit an."
"Es war nicht meine Absicht, dir dieses Gefühl zu geben. Natürlich traue ich dir zu, dass du mit allem alleine fertig wirst, Nives. Glaub mir das", erwiderte er mir und sah nachdenklich zu mir herab. "Nur geht mir dein Blackout nicht aus dem Kopf. Irgendwas sagt mir, dass er-"
"Orlando?", lachte ich höhnisch und riss darüber ungläubig meine Augen auf. Ich dachte, er würde einen Scherz machen. Allerdings wirkte er vollkommen ernst in seinem Ausdruck. "Ayaz. Orlando ist ein Vorzeigejunge der nichts drauf hat, außer Sport und kleine Mädchen um seinen Finger zu wickeln."
"Es sind oft die, von denen es man am wenigsten erwartet."
"Kann sein, aber er war es nicht."
"Woher willst du das wissen?" Erneut blickte ich zum Schulhof. Mittlerweile war auch Riziero verschwunden.
"Ich hatte diesen Gedanken auch schon in Kopf. Aber es kann einfach nicht sein. Orlando war nämlich mit Stella unterwegs. Warum sollte er mir etwas ins Glas mischen und dann abhauen? Das würde überhaupt keinen Sinn ergeben."
"Er war mit Stella unterwegs?"
"Ja, er hat sie nach Hause gebracht. Sie hatte zu viel getrunken." Ayaz nickte, schien aber nicht überzeugt von meiner Aussage. Ich verstand seine Sorge zum Teil. Auch mir schwirrte mein Geburtstag ab und zu noch durch den Versand. Fragen tauchten auf, deren Antwort ich mir nicht geben konnte. Als würde man versuchen ein riesiges Puzzle zu lösen, dass nur aus schwarzen Teilen bestand.
"Bist du noch sauer?" Ayaz starrte mich abwartend an. Ich verschränkte meine Arme und zog provokant eine Braue hoch.
"Ein bisschen."
"Ein bisschen?" Er kam einen Schritt näher auf mich zu. "Kann ich irgendwas tun, damit dieses bisschen verschwindet?"
Ein Schmunzeln entstand auf meinen Lippen. Eigentlich wollte ich ihn jetzt schon um den Hals fallen und meine Lippen fest auf seine legen. Das Kribbeln in meinem Bauch auslösen, dass sich so schön und erlösend anfühlte. Doch ein kleiner Funken in mir, war noch nicht über die vorherige Situation hinweg.
"Du könntest mit mir etwas essen gehen. Natürlich bezahlst du", gab ich selbstbewusst von mir, da lächelte er und lief ein paar Schritte zur Seite, um die Beifahrertür seines Wagens zu öffnen.
"Ich dachte, du würdest etwas anderes verlangen." Mit einem fragenden Ausdruck ging ich auf ihn zu. Direkt neben ihm blieb ich stehen, um vor dem Einsteigen noch mal zu ihm aufzusehen.
"Was dachtest du denn, würde ich verlangen? Dass du auf die Knie fällst und dich für dein übertriebenes Verhalten entschuldigst?"
"Nein", sprach er und ich ließ mich elegant auf den Sitz gleiten. Ich richtete meine weiße Bluse und blickte zu ihm auf. Er hielt die Tür mit einer Hand und fixierte meine Augen. Er schien amüsiert. "Eher, dass du dich dafür auf mein Gesicht setzen willst."
Überfordert zog ich meine Augenbrauen hoch, doch auch, wenn er mich mit seinen Worten überraschte, blieb ich ganz cool.
"Darauf komme ich noch zurück, Ayaz. Aber fangen wir mit dem Essen an."
_
Während ich in Ayaz Auto saß und er den Wagen lenkte, gingen mir die letzten Stunden nochmal durch den Kopf. Wir waren außerhalb von Palermo essen, sodass uns keiner erwischen konnte. Das gab uns die Sicherheit, Händchen zu halten, ohne uns umsehen zu müssen. Es tat gut, einfach nur eine Zeit lang abzuschalten. Am liebsten hätte ich noch den ganzen Abend mit ihm verbracht, allerdings hatte zwischendurch mein Vater öfter bei Ayaz angerufen. Er brauchte seine Hilfe und wir machten uns auch zügig auf den Weg.
"Danke", hauchte ich in die Stille zwischen uns und nahm dabei seine Hand in meine. Er legte sie ruhig auf meinen Oberschenkel.
"Für das Essen?", erwiderte er mir, doch ich schüttelte meinen Kopf.
"Ai, no. Dafür, dass du Zeit mit mir verbracht hast, obwohl ich so hochgefahren bin in der Schule."
"Nives", sprach er und ich richtete meinen Blick zu ihm herüber. "Du solltest dir eins merken. Ich werde dich nicht alleine lassen oder dich mit Ignoranz bestrafen, wenn deine Emotionen durchdrehen. Ich will genau in diesen Momenten an deiner Seite sein und dir ein sicheres Gefühl geben."
"Die meisten hauen vor mir ab oder verurteilen mich, wenn ich meine Kontrolle verliere..."
"Ich bin eben nicht wie die meisten."
"Also stehst du drauf, wenn ich unkontrolliert und aggressiv werde?"
Er lachte auf, während auch ich amüsiert kicherte. Unsere Hände hielten sich immer noch fest, was mir wirklich ein sicheres Gefühl gab.
"Vielleicht stehe ich drauf", scherzte er. "Aber bei dir sein, wenn du gut drauf bist, kann jeder. Ich will auch bei dir sein, wenn es nicht einfach ist. Wenn es schwierig wird."
"Dann plan schonmal viel Zeit für mich ein", gab ich ihm zurück und grinste dämlich. Mein Lächeln verschwand aber, als er seine Hand plötzlich aus meiner löste. Ich blickte herab zu meinem Oberschenkel und spürte diese Leere in mir. Als ich mein Gesicht wieder auf wandte, erkannte ich die Villa vor uns. Es war ein beschissenes Gefühl, nur zu bestimmten Zeiten seine Hand halten zu dürfen.
"Wann sehen wir uns wieder?", fragte ich leise und entdeckte beim Hochfahren in der Einfahrt meinen Onkel Dario. Dieser stieg gerade in seinen Maserati und fuhr an uns vorbei zur Ausfahrt.
"Ich schreibe dir später und sag dir bescheid."
Ayaz hielt den Wagen vor der Haustür. Irrtiert sah ich zu ihm.
"SMS? Oder schickst du eine Brieftaube?"
"Aus zuverlässigen Quellen weiß ich, dass du heute ein neues Handy von deinen Vater bekommst."
"Ehrlich?!" Ungläubig riss ich meine Augen auf und strahlte dabei über mein gesamtes Gesicht. Mein Vater kam also einen Schritt auf mich zu. Zumindest zeigte diese Geste, dass er mir wieder vertraute. "Jetzt kann ich dir endlich Nacktfotos schicken!"
"Brauchst du nicht", grinste Ayaz, was mich ihn skeptisch betrachten ließ. War das jetzt ein Korb oder wieso sagte er sowas?
"Willst du keine?!"
"Ich hab Kameras im Schlafzimmer. Keine Sorge, Prinzessin. Ich habe genug zum anschauen, wenn ich alleine bin."
Schockiert öffnete sich mein Mund und ich hasste es, seinen Blick nicht deuten zu können. Meinte er das wirklich ernst? Ich wollte nachhaken, da riss aber jemand meine Tür neben mir auf.
"Ai, Küken. Ich warte schon den ganzen Tag!" Mein Vater reichte mir seine Hand und half mir aus dem Auto. Er nickte Ayaz daraufhin zu und nahm mich meinen Rucksack aus dem Fußraum. "Fahr zum Club. Adamo weiß, was zu tun ist."
"Alles klar", gab Ayaz ihm zurück und nachdem mein Vater die Tür zugeschlagen hatte, legte er mir seinen Arm um die Schulter. Ich hörte den Audi hinter mir weg fahren, sah dabei aber nur zu der geöffneten Haustür.
"Du bist ruhiger geworden in letzter Zeit." Mein Vater lief langsam neben mir her. Irgendwie freute ich mich, dass er bemerkte, wie gut es mir oft ging. Jedoch durfte er den Grund dafür nicht raus finden.
"Liegt vielleicht daran, dass ich 19 geworden bin. Immerhin bin ich jetzt ein Jahr älter."
"Ein Jahr älter bedeutet nicht erwachsen." Wir schritten nebeneinander her in den Hausflur ein, woraufhin mein Blick ins offene Wohnzimmer fiel. Ich erkannte von Weitem schon das kleine Päckchen auf dem Esstisch, an dem auch mein Opa saß. Kaum blieben wir neben ihm stehen, sah er auf zu uns.
"So spät aus der Schule?"
"Ich war noch etwas essen", erwiderte ich meinem Opa und gab ihm einen sanften Kuss auf seine Wange. Er lächelte und nahm seine Tasse Tee in die Hand. Ein Buch lag vor ihm auf dem Tisch.
"So", lenkte mein Vater meine Aufmerksamkeit auf sich. Er nahm das Päckchen zur Hand und reichte es mir. Bevor ich es allerdings greifen konnte, zog er es nochmal zurück. "Keine Lügen mehr. Keine Partys, ohne dass ich davon weiß. Solltest du einen Jungen mit nach Hause bringen, ohne mir Bescheid zu sagen, ertränke ich ihn im Pool!"
"Ai, dio Mio", stöhnte ich genervt. Mein Vater nahm daraufhin mein Kinn zwischen seine Finger, um mich eindringlich zu mustern.
"Hast du das verstanden?!"
"Siiiii", gab ich mich geschlagen, jedoch nur aus dem Grund, da ich eh keine Jungs nach Hause bringen würde. Ayaz war ein Mann. "Ich werde dich nicht enttäuschen oder verärgern, Padre."
"Braves Küken." Er reichte mir das Päckchen und ließ dabei mein Kinn los. Voller Euphorie öffnete ich es und betrachtete das nagelneue Smartphone.
"Danke!", entkam es mir glücklich und ich warf mich in die Arme meines Vaters, um ihm mehrere Küsse auf seine Wange zu hauchen.
"Meine Nummer ist bereits gespeichert", hauchte er. "Und das wird auch bitte die nächsten Jahre noch die einzige männliche Nummer sein."
Kein Problem. Ich würde Ayaz einfach unter »Die Sünde« einspeichern. Hatte zumindest einen weiblichen Artikel.
"Natürlich Padre. Aber Cecilio und-"
"Deine Onkel sind alle nutzlos und Idiotas. Du brauchst nur mich."
"Das halte ich für ein Gerücht." Cecilio trat plötzlich ins Wohnzimmer ein und grinste meinem Vater dämlich entgegen. Dieser setzte einen provozierenden Ausdruck auf.
"Gerücht? Es ist wohl eher eine Tatsache."
"Die einzige Tatsache, ist die, dass du immer noch in Rom wärst, wenn es mich nicht gäbe."
"Wer hat dich denn ins Krankenhaus gefahren?"
"Und wer hat fast geheult?"
Die beiden lieferten sich wie so oft einen Schlagabtausch. Da ich darauf wenig Lust hatte, verschwand ich unbemerkt zwischen den beiden und suchte mein Zimmer auf.
Ich wollte gerade mein neues Handy einrichten, da hörte ich aber, wie Madrisa und Elio stritten. Neugierig lief ich zu meiner Tür zurück und versuchte zu lauschen, jedoch konnte ich kein Wort verstehen. Da es mich aber nicht los ließ, öffnete ich die Tür und spähte in den Flur. Keiner hielt sich hier oben auf und ganz leise tapste ich zu Elios Zimmertür, um mein Gesicht seitlich an diese zu legen.
"Du weißt, was auf dem Spiel steht, oder?! Also sorg dafür, dass ich hier so behandelt werde, wie ich es verlange!", hörte ich Madrisa, doch genau in dem Moment wurde auch schon die Tür geöffnet. Madrisa starrte mich zornig an, doch ich legte nur ein müdes Lächeln auf.
"Eine Hure wird eben so behandelt, wie sie es verdient hat - nicht wie sie es verlangt", provozierte ich sie, jedoch ging sie nicht darauf ein. Sie gähnte und tat so, als würde ich sie langweilen.
"Lass dir Mal etwas neues einfallen."
"Ja, sollte ich wirklich. Mir fällt zum Beispiel ein, dass du nackt und halbtot an einer Stange hängend ziemlich gut aussehen würdest."
Sie lachte nur auf und lief an mir vorbei in den Flur. Ihre ignorante Art reizte mich zum Äußersten und ich wäre ihr am liebsten an die Kehle gesprungen, da fiel mein Blick jedoch ins Zimmer hinein. Elio saß auf der Kante seines Bettes und hatte sein Gesicht in seine Hände gelegt. Es war mir in dem Moment wichtiger, für ihn da zu sein, auch wenn wir kaum noch miteinander sprachen. Nachdem Madrisa den Flur entlang verschwunden war, betrat ich das Zimmer und schloss hinter mir die Tür. Anschließend lief ich zu Elio ans Bett und ließ mich neben ihm nieder.
"Weißt du noch, als wir Papas Reifen zerstochen haben und uns nicht trauten, die Wahrheit zu sagen?", begann ich ein Gespräch, woraufhin er seinen Kopf anhob und kurz zu mir herüber blickte. "Du hast es aber kaum ausgehalten und mich immer wieder angefleht Mama einzuweihen, bis ich nachgegeben habe. Natürlich hab ich dann den meisten Ärger bekommen, während du derjenige warst, der wenigstens ehrlich war."
"Willst du mir damit sagen, dass du wegen mir nur Ärger hast? Falls ja, dann tut es mir leid."
"No", entgegnete ich ihm und nahm eine seiner Hände fest in meine. "Ich will dir damit sagen, dass ich niemals sauer auf dich sein könnte, weil ich jeden Ärger dieser Welt auf mich nehmen würde, damit es dir gut geht, Elio ... Du bist doch mein Herz."
"Nives ...", hauchte er auf meine Worte und entzog mir plötzlich seine Hand, um sich anschließend vom Bett zu erheben. Er kehrte mir den Rücken zu und ich beobachtete ihn. "Ich will dich doch genau davor bewahren. Ich möchte nicht, dass du Ärger hast."
"Du musst mich aber vor nichts bewahren!" Ich erhob mich ebenfalls und stellte mich genau neben ihn. "Du kannst mir alles sagen. Sie erpresst dich, oder?"
Er wich mir aus und lief zum Fenster. Dieses Verhalten war mir Beweis genug, doch er widersprach mir.
"Nein. Sie erpresst mich nicht."
"Lüg mich doch nicht an. Ich bitte dich. Das bist nicht du! Du würdest dich niemals freiwillig so gegenüber mir verhalten! Du-"
"Nives!", wurde er schlagartig lauter und drehte sich zu mir herum. Ich erkannte seine glasigen Augen und wollte auf ihn zu, er wich jedoch erneut zurück. "Lass mich einfach in Ruhe."
"Nein, dass werde ich nicht!" Als ich bereits Luft holte, um noch etwas nachzusetzen, ging hinter mir die Tür auf. Ich wusste, es war Madrisa. Genau deshalb fuhr ich so richtig hoch. Ich stieß meine gesamte Luft heraus und drehte mich ruckartig zu ihr, um auf sie zuzulaufen. Elio konnte mich nicht aufhalten, auch wenn er meinen Arm umgriff. Ich schnappte sie mir an ihren Haaren und riss sie zu mir.
"Denkst du, du könntest hier einfach reinplatzen, wenn ich mit meinem Bruder rede!?"
Sie zischte und versuchte sich von mir zu befreien.
"An deiner Stelle, würde ich mich los lassen! Sonst kann ich gerne mal deinem Vater erzählen, wo du nach der Gala warst!"
Kaum hatte sie ausgesprochen, setzte mein Herz aus. Ich ließ sie sofort los und starrte sie mit großen Augen an. Meine Kehle fühlte sich trocken an. Als würde ich nicht mehr richtig atmen können. Madrisa richtete sich mit einem Grinsen wieder auf und nahm mich feindseelig ins Visier.
"Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen?" Sie provozierte mich so sehr, dass ich bereits rot sah und sie nur noch umbringen wollte. Ich war jedoch wie gelähmt. Würde sie wirklich wissen, dass ich mich mit Ayaz gemeinsam im Auto befand, wäre unsere heimliche Affäre vorbei. Sie hätte kein Gewissen, es meinem Vater zu beichten. Würde dadurch alles zerstören. Das durfte ich nicht zulassen. Egal ob sie schwanger war, oder nicht. Egal ob sie mit meinem Bruder zusammen war, oder das alles nur gespielt war.
"Nives, wovon redet sie?", hörte ich Elio hinter mir, doch ich fixierte mit zitternden Händen weiterhin nur Madrisa.
"Keiner muss es erfahren, wenn du anfängst, mich endlich zu akzeptieren." Sie flüsterte mir diese Worte entgegen, doch sie hatte ihr Todesurteil bereits unterschrieben.
"Nives?" Erneut sprach Elio mich an, doch ich lief an Madrisa vorbei und suchte den Flur auf. Mein Herz donnerte nur so gegen meinen Brustkorb, während nur noch Ayaz in meinem Verstand festsaß.
Aufgelöst lief ich die Treppe herunter und wollte mit Cecilio über das alles sprechen. Auf keinen Fall durfte ich zulassen, dass Madrisa meinem Vater alles offenbaren würde.
"Wo ist Onkel Cecilio?" Fragend blickte ich im Wohnzimmer zu meiner Mutter. Sie sah mit ihrer Lesebrille am Tisch. Nur sanftes Licht schien durch den Raum, während man durch die Fensterfront die Sonne untergehen sah.
"Der ist mit deinem Vater los. Wieso? Was ist passiert?" Sie erhob sich in ihrem schwarzen Pyjama aus Seide vom Tisch und nahm dabei ihre Brille ab. Besorgt musterte sie mich. Sollte ich ihr jetzt wirklich alles erzählen? Vielleicht wäre das das Beste - denn wenn jemand meinem Vater beruhigen konnte, dann sie.
Mit langsamen Schritten und Herzrasen lief ich auf den Tisch zu. Da ich keinerlei Hoffnung mehr hatte, holte ich tief Luft. "Madrisa hat-"
Ich unterbrach mich selbst, als ich plötzlich hinter mir die Haustür hörte. Meine Atmung geriet ins Stocken und ich konnte mich nicht erinnern, je solche Angst empfunden zu haben. Es ging mir aber nicht um mich, sondern um Ayaz, der nicht verdient hatte, wegen mir zu sterben. Mit großen Augen drehte ich mich herum und erkannte erleichtert Malino, der mit Lederjacke, Shirt und Jeans ins Wohnzimmer gelaufen kam.
"Wo warst du? Hast du nicht versprochen, mir im Garten zu helfen?!", hakte meine Mutter bei ihm nach, woraufhin er ein charmantes Lächeln auflegte.
"Nur Hausaufgaben machen mit einem Freund."
"Und wo sind die Hausaufgaben?", setzte meine Mutter nach, da fiel mir auch auf, dass dieser Idiot nicht mal einen Rucksack dabei hatte. Wie dumm konnten seine Ausreden eigentlich noch werden? Meiner Mutter schien es aber schnell egal geworden zu sein, denn sie kam auf uns zu und sah Malino mahnend an. "Geh in dein Zimmer."
"Wieso? Was ist los?", hakte Malino daraufhin nach und sah neugierig zwischen uns hin und her. "Habt ihr etwa Geheimnisse?"
Da mir das ganze langsam zu stressig wurde, nahm ich mir doch wieder vor, meiner Mutter nichts zu erzählen. Madrisa würde sicher nicht die nächsten Tage ihre Drohungen in die Tat umsetzen. Sie genoss ihre Macht über mich. Wenigstens bestätigte sich mir dadurch meine Vermutung, warum Elio so drauf war. Sicher erpresste sie ihn auch. Nur mit was?
"Nein, wir wollten aber kurz über-"
"Schon gut, Mama", unterbrach ich sie und lehnte mich dabei zu ihr, um einen sanften Kuss auf ihre Wange zu hauchen. "So wichtig war es nicht."
"Aber, Nives", hörte ich sie noch, da wandte ich mich aber bereits zum Hausflur und nahm die Treppen nach oben. Ich bereute es nicht, ihr doch nichts erzählt zu haben. Im Endeffekt hätte sie sowieso nichts ausrichten können. Als ich vor meinem Zimmer ankam, starrte ich herüber zu Elios Tür. Licht flimmerte noch unter der Tür hindurch und erneut überkam mich unfassbare Wut auf diese Hexe, mit der ich gezwungen unter einem Dach leben musste. Es machte mich schier wahnsinnig, dass sie jetzt etwas gegen mich in der Hand hatte. Sie zu töten kam mir immer wieder in den Sinn, doch ich würde sicher nicht wegen ihr in den Knast gehen. Jeder würde wissen, dass ich es war ... Diese falsche Schlange...
"Gute Nacht."
Malino lief an mir vorbei den dunklen Flur entlang und in Gedanken versunken sah ich ihm kurz nach. Da kam mir ein Gedanke, der zwar egoistisch, jedoch auch mein einziger Ausweg war. Sofort setzte ich einen Fuß vor den anderen und folgte Malino zu seinem Zimmer. Kaum trat er durch die Tür ein, schritt ich ebenfalls auf seinen schwarzen Teppich und schloss die Tür hinter mir. Sein irritierter Blick durchbohrte mich.
"Setz dich." Entschlossen zeigte ich zum Bett, doch er wäre nicht Malino, wenn er einfach mal das tun würde, was ich forderte.
"Ich bleibe lieber stehen. Also, was willst du?" Er zog seine Lederjacke aus und warf sie neben das Bett auf den Boden. Mein Herz brannte vor Hass eingenommen und ich brauchte einen kurzen Augenblick, mir alles noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Immerhin stand vor mir mein Bruder. Mein kleiner Bruder, den ich schützen und nicht ins Unglück stürzen sollte. Doch egal wie ich es gedanklich drehte und wendete. Es war die beste Entscheidung und ich würde ihm helfen, dass keinerlei Konsequenzen auf ihn zukommen würden.
"Du musst mir einen Gefallen tun."
"Ich muss?", entgegente er mir und legte dabei ein überhebliches Grinsen auf. Als ich jedoch keine Miene verzog und damit begann, nervös an meinem Handgelenk zu kratzen, verschwand sein Lächeln. "Sag mir doch, was los ist. Du bist meine Schwester. Natürlich tue ich dir einen Gefallen, wenn es etwas Ernstes ist."
"Auch wenn es ein fast unmöglicher Gefallen ist?"
Er nickte, ohne zu zögern und ich schloss meine Augen, um mehrere Male tief durchzuatmen. Mein Herz klopfte so stark, dass ich meinen Puls im Hals spüren konnte. Trotzdem gab es für mich kein zurück mehr. Ich würde Ayaz Schicksal nicht Madrisa überlassen.
"Geh mit Madrisa in den Wald...", hauchte ich und öffnete dabei wieder meine Augen. Der Blick meines Bruders traf genau auf meinen, während ich einen Schritt auf ihn zu machte. "...und lass sie da."
Er schien verwirrt über meine Aussage und zog seine Augenbrauen skeptisch zusammen. Vermutlich dachte er, es wäre wieder eine meiner Launen, jedoch meinte ich es tot ernst. Ich ging noch einen weiteren Schritt auf ihn zu und nahm sein Gesicht in meine Hände. Er sah zu mir herab und atmete dabei nur noch ganz ruhig.
"Bitte, werde sie einfach los und sorge dafür, dass dich niemand sieht. Um den Rest werde ich mich kümmern."
"Bist du dir im Klaren darüber, was du da von mir verlangst? Also, ich hab kein Problem damit, aber kannst du damit leben?"
"Ja, ich kann damit leben. Was anderes bleibt mir nicht mehr übrig."
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