60 | Mein Mädchen
Ayaz legte sich neben mich und hielt mich fest in seinen Armen, während ich meine Augen schloss. Das Gefühl der absoluten Befriedigung genießend, atmete ich immer ruhiger durch und fand langsam in den Schlaf.
Als ich wach wurde, war alles um mich herum finster. Die Sonne schien nicht mehr herein, sondern hatte dem Mond Platz gemacht, der das Wohnzimmer leicht erhellte. Ich kniff einige Male meine Augen fest zusammen und wollte mich anschließend zu Ayaz herumdrehen, der zu meiner Verwunderung nicht mehr mit mir auf der Couch lag. Suchend blickte ich mich um, doch er schien nicht da zu sein.
"Ayaz?!"
Erschöpft erhob ich mich und zog die Decke eng um meinen nackten Körper. Die Luft für einen Moment anhaltend, lauschte ich, doch es war nichts zu hören. Bloß der Wind, der draußen umherwehte.
"Gefickt und links liegen gelassen. So einer bist du also...", murmelte ich amüsiert in die Stille. Nach meinen Worten legte sich ein dämliches Grinsen auf meine Lippen, denn meine Gedanken schweiften zurück. Ich bekam nicht genug davon, diesen Mann bei mir und auch tief in mir zu haben. Es war verrückt, wie sehr er mir den Kopf verdreht hatte. Gerade er, der so ruhig und gelassen wirkte. Man hätte meinen können, ich hätte jemanden mit der gleichen irren Art an meiner Seite gebraucht, wie ich sie besaß- doch dem war nicht so. Gegensätze zogen sich an. Er hielt das Gleichgewicht, auch in Momenten, in denen ich mich dagegen wehrte.
Mein Blick fiel zufrieden vor mir auf den Tisch. Die Kerze stach mir ins Auge, doch auch etwas anderes darunter. Neugierig nahm ich den weißen Zettel an mich und las die wenigen Zeilen.
Ich hätte eine Ewigkeit damit verbringen können, deinem Atem zu lauschen und dich in meinen Armen zu halten - ich bin so schnell wieder da, wie es mir möglich ist. Bedien dich an meinem Kühlschrank. Du wirst Kraft gebrauchen können. A.
"So ein Schleimer." Ein Lächeln entstand auf meinen Lippen, während auch mein Herz flatterte. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. So verliebt, als würde etwas meinen Verstand vernebeln. Wo mir sonst Romantik und schöne Worte zuwider waren, so bedeuteten sie mir bei ihm alles. Er schaffte es meine Laune zu steuern, alleine mit wenigen Zeilen. Diese Verliebtheit konnte gefährlich werden, doch ich vertraute darauf, dass bei uns alles gut werden würde.
Da ich nicht damit rechnete, dass er jeden Moment zurückkehren würde, suchte ich meine Klamotten zusammen. Ich trug sie auf meinen Armen mit mir ins Badezimmer. Es war bescheiden eingerichtet, mit jeder Menge Männerpflege auf einer Ablage. Ich konnte nicht verzichten und legte mit dem Blick auf seine Sammlung an Aftershaves meine Klamotten auf den Boden. Eines der Fläschchen nehmend, öffnete ich dieses, um mehrere Male daran zu schnuppern. Es roch nach ihm. Brachte mir durch seine Vertrautheit ein warmes Gefühl im Magen.
Als mir dann aber doch über mich selbst verwundert komisch zumute wurde, stellte ich es schnell wieder ab und erleichterte mich auf der Toilette. Ich zog mich an und betrachtete mich daraufhin im Spiegel.
"Dio Mio... Du bist verloren...", hauchte ich mir selbst entgegen. Meine Augen inspizierten mein Gesicht. So rein und irgendwie sah ich glücklich aus, obwohl die Stille mir dunkle Gedanken eintrieb. Cecilio kam mir in den Sinn, den ich so oft schon gefragt hatte, wieso er keine Frau an sich ran ließ. Seine Erklärung war ganz einfach.
Um Liebe erfahren zu dürfen, musst du auch bereit sein, sie zu geben.
Bei Onkel Adamo hieß es immer.
Sie wollen dich so lange, bis sie dich haben. Dann ist es ihnen nur noch wichtig, dich zu verändern.
Immer mehr Zweifel nahmen mich ein. Nicht daran, dass Ayaz mich schlecht behandeln würde. Doch was, wenn ich irgendwann wie Onkel Dario enden würde. Alleine und verlassen auf ewiger Suche nach einem Ersatz für den Mann, der alles für einen war. Wenn ich mich auf einen Mann einließ, musste ich auch dafür sorgen, nie enttäuscht zu werden. Enttäuschung führt zu Selbstzweifeln. Selbstzweifel dazu, dass man sich unter Wert verkauft. Nicht mit mir.
Ich riss meinen Blick vom Spiegel los und hörte im selben Moment aus dem Wohnzimmer heraus eine Tür zufallen. Schnell tapste ich über die weißen Fliesen, um all das Chaos in meinem Kopf raus zu lassen.
"Ich sage dir direkt eine Sache! Du wirst mir nicht weh tun und falls doch, dann erschieße ich dich ohne mit der Wimper zu zucken!"
Kaum ausgesprochen, erstarrte ich und sah Ayaz entgegen, der das Licht im Wohnzimmer eingeschaltet hatte. Seine Augen - starr auf die Pistole in seiner Hand gerichtet. Seine Schuhe voller Dreck. Sein weißer Pullover mit Blutflecken verschmiert. Ich kannte diesen Eisen Geruch von frischen Blut. Zu oft hatte ich ihn an Onkel Cecilio gerochen, wenn er von der Jagd kam.
"Ai, dio Mio", entkam es mir. Ich lief auf ihn zu, während er schweigend die Pistole auf den Küchentresen legte. "Was war los?"
Er gab mir keine Antwort und nahm eines der Küchentücher, womit er die Pistole reinigte.
"Ayaz!", wurde ich lauter, da ich von Sorge und Neugier gleichermaßen eingenommen wurde. "Rede doch!"
Als er mir wieder keine Antwort gab, nur weiterhin seine Pistole reinigte, umgriff ich schon gereizt seine Schulter. Er drehte sich sofort zu mir herum und packte mein Handgelenk.
"Nives ... Bitte lasse mir etwas Ruhe."
"Du willst Ruhe?! Schön!"
Es passte mir überhaupt nicht, wie er auf mich reagierte. Ich wollte doch nur eine Antwort auf meine Frage, was passiert war. Dazu auch seine plötzlich abwehrende Art mir gegenüber. Er wollte mich auf Abstand halten, genau wie alle es aus meiner Familie mein Leben lang schon taten. Dieser Gedanke brachte das Fass in mir zum Überlaufen.
"Ich gebe dir deine Ruhe!", zischte ich und entriss ihm meine Hand. Er atmete überfordert durch und wollte nach meinem Arm greifen, als ich mich umdrehte. Ich schlug seine Hand jedoch beiseite und sah enttäuscht in seine Augen auf. "Fass mich jetzt bloß nicht an!"
"Wieso lässt du mir nicht kurz Zeit, anzukommen?! Wieso musst du jetzt so hysterisch sein?!"
"Ich und hysterisch?! Ich bin sauer! Sauer, weil du mir nicht die Wahrheit sagen willst!"
"Du willst die Wahrheit?!"
"Ja!"
"Bist du dir da sicher?"
Gespannt wartete ich, ob er endlich über Geschehenes sprechen würde, doch er wich erneut aus und drehte sich zum Tresen herum. Er zog sich seinen Blut verschmierten Pullover über den Kopf und ließ ihn zu Boden fallen, wodurch ich seinen nackten Brustkorb betrachten konnte. Kratzer verliefen über seine Haut. Bei diesem Anblick kam mir in den Sinn, dass sich jemand gegen ihn gewehrt haben muss.
"Ich will doch nur für dich da sein. Du kannst mir alles sagen. Du weißt doch mittlerweile, wer meine Familie ist. Mich kann nichts aus der Bahn werfen", versuchte ich es noch ein letztes Mal in aller Ruhe, doch er blockte weiterhin ab.
"Wartest du bis ich geduscht habe? Dann fahre ich dich zur Villa."
"Natürlich", entkam es mir theatralisch, wobei ich mich bereits zur Tür drehte. "Du kannst mich mal! Ich finde alleine den Weg nach Hause!"
Wütend stürmte ich zur Tür und riss diese auf, um ins dunkle Treppenhaus abzuhauen. Stufe für Stufe nahm ich herab, wobei mir nicht entging, dass Ayaz mir folgte.
"Warte!", rief er mir nach, doch ich wusste, dass es nichts bringen würde. Nicht jetzt, wo ich wütend und er überfordert mit seinen eigenen Taten war. Wir würden nur weiter streiten, genau wie ich es immer wieder mit meiner Familie tat. Flucht war meine einzige Hoffnung, einer kompletten Eskalation aus dem Weg zu gehen.
"Geh wieder nach oben!"
Mahnend entkamen mir diese Worte, während ich die Haustür aufriss und nach draußen in die Dunkelheit abhaute.
"Nives! Bleib sofort stehen!"
"Ich bin kein Hund!"
Er holte mich natürlich ein und riss mich an meinem Arm herum, sodass ich mein Gesicht anheben musste, um ihm in seine dunklen Augen zu sehen.
"Das Blut gehörte einer Frau, die nicht älter war als du. Ich-", erklärte er und unterbrach sich kurz selbst, um tief durchzuatmen, ehe er weitersprach. "Ich habe das Gefühl, es schnürt mir die Kehle zu."
Ich hörte ihm unter Herzrasen zu. Es machte mir mehr zu schaffen, ihn so überfordert zu sehen, als das, was er mir offenbarte.
"Warum?", hakte ich nach. "Warum hast du es getan, wenn du damit nicht klar kommst, Ayaz?"
Behutsam legte ich meine Hand auf seine warme Wange. Unsere Augen fixierten sich immer noch. Verloren sich ineinander, während ich nervös auf eine Antwort wartete. Ich hatte Angst, denn ich wusste innerlich bereits, wieso er es getan hatte. Folgende Worte seinerseits bestätigten meinen Verdacht.
"Es war ein Auftrag deines Vaters, den Yavuz mir überlassen hat", hauchte er leise zur mir herab. "Doch der Auftrag ist nicht das, was mich fertig macht."
"Was ist es dann?"
"Du bist es."
Er nahm mein Gesicht vorsichtig in seine Hände, um mit dem Daumen sanft über meine Haut zu streichen.
"Ich weiß, wie stark du bist - aber du bist mein Mädchen. Ich will dir Geborgenheit geben und meinen Namen aus deinem Mund hören, wenn du unter mir liegst. Ich will nicht, dass wir über sowas überhaupt reden müssen."
"Ich bin dein Mädchen?"
Obwohl es angesichts der Situation vollkommen unangebracht war, lächelte ich zu ihm auf und mir wurde in dem Moment scheißegal, was alles in dieser Nacht passiert war. Ich hörte nur das, was ich hören wollte. Den Rest blendete ich aus.
"Ist verwöhnte Prinzessin dir lieber?"
Auch er legte ein Schmunzeln auf, woraufhin ich mich auf meine Zehenspitzen stellte und meine Hand durch seine Haare streifen ließ.
"Du kannst mich auch Königin nennen", hauchte ich voller Provokation an seine Lippen, da hörten wir aber plötzlich Stimmen und drehten uns zeitgleich zur Straße. Einige betrunkene Jugendliche liefen an uns vorbei, wobei mir auffiel, wie eines der Mädchen Ayaz angaffte. Sofort schluckte ich fest und starrte ebenfalls flüchtig Ayaz nackten Oberkörper an. Wütend wandte ich mich zur Straße.
"Willst du ein Foto!", rief ich laut, doch ehe ich noch weiteres hinzufügen konnte, umfasste Ayaz schon meine Taille und zog mich an sich.
"Ganz ruhig! Ich werde heute Nacht nicht noch eine Leiche vergaben."
"Das kannst du mir überlassen! Liebend gerne sogar, wenn sie dich weiter so angafft!"
Ayaz zog mich mit sich zur Tür und erst an dieser angekommen, atmete ich tief durch. Die Jugendlichen liefen weiter. Zum Glück für sie alle.
"Beruhigt?!"
"No!", entkam es mir, woraufhin ich Ayaz Schultern umfasste und ihn fordernd zu mir herunterzog. "Aber nenn mich noch mal dein Mädchen und ganz vielleicht, beruhige ich mich dann etwas."
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Das Kapitel ist mir echt sehr schwer gefallen, da ich den Übergang nicht richtig gefunden habe. Ich hoffe es gefällt euch trotzdem 🌹❤️
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