56 | Brüder
Ich war es zwar nicht gewohnt, doch es fühlte sich befreiend an, mit einem glücklichen Lächeln durch die Straßen zu laufen. Alles in mir schien durch eine Nacht verändert, auch wenn das Gefühl sicher nach und nach langsam nachlassen würde. Das war mir aber egal. Ich genoss es in vollen Zügen.
Immer wieder stellte ich mir Ayaz vor, wie liebevoll er mit mir umging. Er war definitiv ganz anders als die Männer meiner Familie. Ruhig, doch auch durchsetzungsfähig. Fürsorglich, aber nicht so, dass man sich bedrängt fühlte. Er war einfach perfekt in der Art mit mir umzugehen und ich vermisste sogar jetzt schon unsere hitzigen Diskussionen.
Einen Schritt nach dem anderen lief ich über den unebenen Asphalt und atmete die frische Luft unter der strahlenden Sonne sein. Sollte es wirklich Tage geben, die einen von Anfang bis Ende glücklich sein ließen? Falls ja, dann fing dieser bereits zu gut an.
Nach einer guten halben Stunde kam ich mit einem riesigen Grinsen bei der Villa an, doch als unser Pförtner mich irrtiert musterte, wurde mir schnell bewusst, wie ich äußerlich vermutlich auf andere wirkte. Das Kleid, dazu die durch gewirbelten Haare und mein Make Up hing auch überall herum, nur nicht mehr auf meinen Augen.
"Was glotzt du so blöd?", mahnte ich ihn und nachdem er mir die Tür geöffnet hatte, lief ich eilig den Kiesweg nach oben. Klar hätte ich ihn nicht so dumm anmachen sollen, doch er drohte mir meine gute Laune zu nehmen und das wollte ich nicht zulassen.
Kaum war ich dann an der Haustür angekommen, schwang diese auch schon auf und mein Opa sah mich mit großen Augen an.
"Nives!", entkam es ihm und er zog mich so schnell an sich, dass ich gar nicht reagieren konnte. "Meine Güte! Ich habe mir schon das Schlimmste ausgemalt!"
"Ai, Opa", sprach ich beruhigend auf ihn ein und klopfte ihm leicht auf seinen Rücken. "Du kennst mich doch. Als würde mir je etwas Schlimmes passieren."
Nach meinen Worten löste er sich von mir, doch nur um mein Gesicht in seine Hände zu nehmen und mich eindringlich zu mustern. Es dauerte zwar kurz, doch nachdem ich einen unschuldigen Schmollmund zog, setzte er nach einem tiefen Atemzug ein mildes Lächeln auf.
"Trotzdem mache ich mir immer um euch Sorgen. Erst Recht, wenn deine Eltern nicht da sind."
"Brauchst du aber nicht", wies ich ihn an und nahm seine Hände von meinen Wangen, um mich bei einem Arm von ihm einzuhaken. Wir liefen gemeinsam über den hellen Marmorboden Richtung Wohnzimmer, während einer der Wachmänner hinter uns die Haustür zuzog. "Du sollst dich ausruhen und dir keine Gedanken machen."
Er nickte zwar, doch ich kannte ihn zu gut. Er war mit Abstand derjenige, der sich immer am meisten Sorgen um uns alle machte. Kam meine Mutter mal zu spät nach Hause, saß er noch bis nachts im Wohnzimmer und wartete auf ihre Rückkehr. Wenn meine Eltern stritten, aß er kaum etwas, weil es ihm nahe ging. Selbst wenn Malino mal einen seiner Ausraster hatte, dann war es Enzo, der erst wieder zur Ruhe kam, wenn auch Malino aufhörte.
"So, jetzt setz dich und ich sage der Haushälterin, sie soll dir einen Tee machen, okay?"
Ich führte ihn bis zum Tisch und sah dabei flüchtig aus der Fensterfront hinaus in den Garten. Einige Angestellte waren noch dabei, das restliche Chaos zu beseitigen. Im Grunde blieb nichts mehr von meiner Party übrig, außer den Geschenken, die neben uns auf der Kücheninsel lagen.
Als mein Opa meinem Blick folgte, weiteten sich schlagartig seine Augen und er nahm mich erneut in seine Arme.
Dio Mio... So viel Liebe war mir zu viel des Guten.
"Ich hätte es ja fast vor Sorge vergessen. Alles Liebe zu deinem Geburtstag."
"Danke, Opa."
Nachdem er sich endlich dazu entschieden hatte, von mir abzulassen und am Tisch Platz zu nehmen, kam auch schon eine Haushälterin und brachte ihm einen frischen Tee.
"Wo warst du überhaupt heute Nacht?"
Enzo sah neugierig zu mir auf.
"Am Strand. Ich war mit einigen Freundinnen da, weil mir hier zu viel Chaos war."
"Das verstehe ich", erwiderte er mir und trank anschließend seinen Tee, was mir die Möglichkeit gab, das Weite zu suchen.
"Ich bin dann mal duschen und so."
Er nickte und ich verschwand wieder in den Hausflur, um auch gleich die Treppen nach oben zu nehmen. Zum Glück hatte er das Handy und den Würfel nicht bemerkt, sonst wären noch mehr Fragen aufgekommen und ich hasste es, meinen Opa anzulügen.
Als ich schließlich den breiten Flur entlang lief und mein Zimmer aufsuchte, entdeckte ich plötzlich Malino. Er stand mit dem Rücken zu mir gewandt an meinem Schreibtisch. Der rote Kapuzenpullover saß locker an seinem Oberkörper, während er untenherum eine schwarze Jeans trug.
"Verschwinde einfach und hör auf herum zu schnüffeln! Ich will mich hinlegen", gab ich ihm genervt zu verstehen und wollte gerade zu meinem Schrank, da drehte er sich aber langsam zu mir herum und brachte mich zum inne halten. Irrtiert musterte ich seinen wütenden Gesichtsausdruck, mit dem er mich eine kurze Zeit lang wortlos anstarrte. "Was ist dein verficktes Problem?! Keine abbekommen heute Nacht?"
"Nives ..."
Er sprach meinen Namen mit solch einer Bedrohung aus, dass ich ihn daraufhin noch mal genauer musterte. Mein Blick fiel an ihm herab und ich erkannte das Geschenk von Riziero, dass er fest in seinen Händen hielt. Auch die Karte lag aufgeklappt neben ihm auf dem Schreibtisch.
"Jetzt ist mir klar, wo du die Nacht verbracht hast!"
"No!", entkam es mir verteidigend. "Ich war nicht-"
"Wie ekelhaft!", unterbrach er mich und schmiss im nächsten Moment das dicke Glas so hart vor uns auf den Boden, dass es am Rand zersplitterte und etwas Sand sich verteilte. Das blaue Holz splitterte und ich bekam bei diesem Anblick solch einen Hass auf Malino, dass ich ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre. "Ein kleines, billiges Geschenk reicht wohl und schon fickst du wieder mit diesem Bastard?!"
"Selbst wenn es so wäre, geht es dich einen scheiß an! Raus!", schrie ich wütend und wollte mich anschließend hektisch nach dem Glas bücken, da trat Malino mit seinem Schuh so fest dagegen, dass es unter mein Bett rollte und an die Wand krachte. "Malino! Verpiss dich oder ich reiße dir den Arsch auf!"
Ich erhob mich von Zorn getrieben wieder und richtete meinen Blick kurz auf mein Bett. Für einen Augenblick erstarrte ich in meiner Bewegung und es tauchten Bilder in meinem Verstand auf, die einfach nicht real sein konnten.
Riziero, wie er nah neben mir saß und mir ein Glas Wasser reichte, dass ich bis auf den letzten Tropfen austrank. Wieso zum Teufel hatte ich mir das gefallen lassen?! Was hatte er in das Glas gemacht?! Wieso war er überhaupt in meinem Zimmer?! Gestresst von mir selbst suchte ich in meinem Verstand Antworten auf meine Fragen, doch dieses Arschloch neben mir ließ mich einfach nicht in Ruhe.
"Ich rede mit dir!"
Malino riss mich aus meinen Gedanken und schubste mich an meiner Schulter, sodass ich leicht ins Wanken geriet. Das brachte allmählich das Fass wirklich zum Überlaufen.
"Ich warne dich, du unterbelichtetes Etwas!", zischte ich und stellte mich dabei genau vor ihm auf. Seine dunklen Augen funkelten voller Hass zu mir herunter, doch er wusste ganz genau, dass ich sehr viel weiter gehen würde, als er es sich je bei mir trauen würde. "Wenn du dich nicht sofort aus meinem Zimmer verpisst, dann werde ich dir im Schlaf ein Messer genau in deine kleinen Eier rammen! Hast du mich verstanden?!"
"Du verstehst überhaupt nichts mehr, oder?!"
"Was soll ich auch verstehen?! Dass du dich ständig in mein Leben einmischst!? Hast du kein eigenes!?"
"Ich bin dein Bruder und ich lasse nicht zu, dass du dich von solchen Bastarden wie Riziero ausnutzen lässt!"
"Du bist mein kleiner Bruder! Kleiner! Raff das endlich! Ich brauche niemanden, der mich beschützt! Das kann ich alleine!"
"Wie kannst du so auf schlau machen, aber so absolut naiv sein, wenn es um Männer geht?!"
"Ich und naiv?", wiederholte ich ihn und fing hysterisch an zu lachen. "Das musst du gerade sagen! Hast du überhaupt mal mit einer Frau mehr Zeit verbracht, als nur die, in der du sie gefickt hast?!"
"Wieso sollte ich!?", wurde er wieder lauter. "Heutzutage benutzt jeder jeden! Das sollte dir doch besser klar sein, als jedem anderem! Was denkst du, was für Männer in Padres Club kommen?! Das sind alles verheiratete Männer, deren Frauen und Kinder alleine zu Hause darauf warten, dass er morgens nach Nutten Parfum riechend nach Hause kommt!"
"Und das interessiert jetzt wen?! Wenn diese Frauen das sich gefallen lassen, selbst schuld!"
Er schüttelte den Kopf und schnappte plötzlich mein Handgelenk, was mich sofort dazu brachte, auszuholen. Ich gab diesem Arschloch eine schallende Backpfeife, doch er riss mich nur noch enger an sich und sah warnend zu mir herunter.
"Du wirst diesen Riziero nicht wieder sehen, ist das klar?!"
"Ernsthaft?", lachte ich auf, obwohl ich ihn gedanklich vor Wut schon in alle Einzelteile zerfetzte. "Denkst du im ernst, du hast mir etwas zu sagen?"
"Wirst schon sehen, Schwester. Wirst schon sehen ..."
Er legte einen irren Ausdruck auf, doch damit konnte er mich noch nie beeindrucken. Wie ein kleines Kind, das mit Worten und Drohungen nicht weiterkam und nun auf Psycho machte. Naja, was hatte ich von ihm anderes erwartet. Er hat früher schon immer Mama damit gedroht, die Luft solange anzuhalten, bis sie nachgeben würde.
"Wir werden gar nichts sehen, weil du doch nicht bei mir einzumischen hast! Jetzt - verpiss dich!"
Er ließ mein Handgelenk zwar los, sah jedoch irritiert zu meiner Hand. Sofort wollte ich sie hinter meinem Rücken verstecken, da riss er mir aber das Handy aus den Fingern.
"Von wem hast du das?"
"Gekauft!"
"Du hast doch gar kein Geld..."
"Tja, für das 2 Euro Handy hat es noch gereicht!", erklärte ich und wollte es ihm wieder entwenden, da klappte er es aber auf und sah auf den grünen Display. Als er dann begann herum zu tippen, fiel mir erschrocken ein, dass Ayaz sicher seine Nummer eingespeichert hatte. Wenn Malino sehen würde, dass es die einzige Nummer darin war... "Gib es mir wieder!"
"Warte! Ich will nur was gucken."
"Idiota!"
Mir blieb nichts anderes übrig und ich ballte meine Hand zu einer Faust, um ihm fest in seinen Schritt zu schlagen. Dieses Arschloch krümmte sich und ließ mein Handy aus seiner Hand gleiten, dass ich gekonnt auffing.
"Geht doch", lächelte ich überlegen und schnappte mir seinen Arm, um ihn zu meiner Tür zu ziehen. Er fluchte und stöhnte vor Schmerz - doch er war ja selbst schuld. "Und jetzt hol dir auf dein erbärmliches leben einen runter und lass mich in-"
Als ich plötzlich im Augenwinkel jemanden stehen sah, drehte ich mein Gesicht zur Seite und ließ schlagartig Malinos Arm los, als ich Elios Augen begegnete.
"Elio", hauchte ich so froh ihn zu sehen, da tauchte aber neben ihm Madrisa auf und all die Freude verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
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