5 | Ehrenamtlich
Natürlich machte auf meine nette Begrüßung hin meine Mutter große Augen, während mein Vater nur seinen typisch bösen Blick auflegte. Diese Reaktionen war ich gewohnt, jedoch nicht, dass jemand so ignorant auf mich reagierte.
Dieser Ayaz stand einfach nur da und blickte mir, ohne jeglichen Ausdruck in seinen dunklen Augen, entgegen. Das machte mich auf merkwürdige Weise nervös. Zum Glück unterbrach meine Mutter das unangenehme Schweigen zwischen uns.
"So, wir müssen dann los." Sie lächelte freundlich und stellte sich dabei direkt vor meinen Vater. Dieser gab ihr einen solch leidenschaftlichen Kuss, dass ich sofort angewidert mein Gesicht verzog und mich an Ayaz vorbei in den Flur drängen wollte. Ich stieß jedoch unbeabsichtigt an seine Schulter.
"Pass doch auf", gab ich patzig von mir, da bemerkte ich beim Aufschauen, dass er ein kaum merkliches Grinsen auflegte. Irrtiert darüber lief ich einfach weiter und machte erst wieder an der Treppe halt.
"Elio? Wir fahren!", rief ich mit lauter Stimme nach oben und wartete ungeduldig darauf, dass er endlich kommen würde. Ich fühlte mich unwohl, da ich das Gefühl hatte, Ayaz würde mich von hinten mustern. Während ich dann die Stimmen meiner Eltern und die von Yavuz noch aus dem Wohnzimmer hörte, drehte ich mich kurz herum, jedoch stand Ayaz mit dem Rücken zu mir gewandt da.
"Du redest doch wieder mit mir?"
Elios Stimme riss mich von Ayaz Anblick los und schnell schüttelte ich jeglichen Gedanken an diesen überflüssigen Babysitter ab, um meinen Bruder ins Visier zu nehmen.
"Eigentlich sollte ich nie wieder mit dir reden!", warf ich ihm vor und lief neben ihm her zur Haustür. "Wieso musstest du Mama alles erzählen? Ich dachte, wir halten immer zusammen!"
"Weil ich mir Sorgen mache. Verstehst du das?"
"Nein!", gab ich ihm zurück und kaum standen wir in der großen Einfahrt unter der prallen Sonne Palermos, nahm ich ihn erneut ins Visier. "Du bist der, um den man sich Sorgen machen sollte. Nicht ich."
"Um mich?", hakte er nach und ich nickte.
"Du bist ständig alleine in deinem Zimmer. Spielst da Gitarre oder zeichnest. Ist dir schonmal in den Sinn gekommen, das Leben einfach zu genießen?"
"Ach - und das Leben zu genießen bedeutet also keine Party auszulassen und immer nur in Ärger zu geraten?", erwiderte er mir mit einem Schmunzeln und schon hatte er mich wieder um seinen Finger gewickelt.
"Ich weiß doch selbst, dass ich in letzter Zeit etwas übertreibe - aber du hast ja keine Ahnung, was gerade im Wohnzimmer abging", beschwerte ich mich bei ihm und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. "Die haben mir einen Bodyguard organisiert."
"Du meinst, einen richtigen Bodyguard?"
"Jaaaaa..", gab ich frustriert von mir und sah anschließend zu ihm auf. "Es ist so unfair!"
"Vielleicht ist es ja was Gutes. Ich meine, so hast du immer jemanden an deiner Seite, der dich beschützt."
"Also erstens, habe ich dich immer an meiner Seite", erklärte ich und legte ein provokantes Lächeln auf. "Und zweitens, kann ich mich selbst beschützen! Vor was soll der mich schon schützen? Davor, hier vor Langeweile umzukommen?"
Elio schüttelte nur lächelnd den Kopf über mich und wollte gerade etwas sagen, da hörte ich aber hinter uns auf dem Kies Schritte auf uns zukommen.
"Los, steigt ein. Wir müssen los."
Meine Mutter kam mit schnellen Schritten auf uns zu und lief direkt an uns vorbei zu ihrem Range Rover. Diesen hatte sie vor kurzem erst von Papa bekommen, als sie einen Streit über irgendeine Kleinigkeit hatten.
"Mama? Wie lange dauert das Ganze?"
Elio sah fragend zu meiner Mutter und die beiden begannen neben dem Wagen ein kurzes Gespräch, während ich den Griff der vorderen Tür öffnen wollte. Bevor ich allerdings die Tür aufziehen konnte, bemerkte ich jemanden direkt hinter mir.
Neugierig drehte ich mich herum und verzog keine Mine, als Ayaz mir die hintere Tür des Wagens höflich aufhielt. Mir kam jedoch nicht in den Sinn, seiner Geste Folge zu leisten, also zog ich mit einem arroganten Ausdruck die vordere Tür auf und schenkte ihm nur ein verächtliches Grinsen.
"Nives, setz dich doch bitte nach hinten."
Meine Mutter sah mir vom Fahrersitz aus entgegen und das war wieder einer der Momente, in denen ich am liebsten vollkommen ausgeflippt wäre. Ich hatte die meiste Zeit wirklich Probleme damit, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Ich gab mir trotzdem die größte Mühe und lief wortlos an Ayaz vorbei, um mich einfach nur auf die Rückband sinken zu lassen, während Ayaz die Tür schloss und vor mir Platz nahm.
Sollten sie doch alle machen, was sie wollten!
"Atme und reg dich nicht auf", hörte ich Elio neben mir flüstern, doch ich hatte nicht mal mehr Lust darauf mit ihm zu sprechen. Also starrte ich nur aus dem Fenster, während meine Mutter den Wagen anfuhr.
Da sie keine gute Fahrerin war, brauchten wir schon lange genug, um zur Hauptstraße zu kommen und ich spürte immer mehr, wie meine Nervosität in mir aufstieg. Ich hasste dieses nutzlose herumsitzen, ohne etwas zu tun zu haben. Frustriert darüber atmete ich tief durch und bemerkte plötzlich beim Blick in den Seitenspiegel vor mir, dass ich Ayaz mustern konnte.
Er schien nachdenklich zu sein - ansonsten erkannte ich keinerlei Emotion in seinem Gesicht. Als er aber dann plötzlich seine Augen auf den Spiegel richtete und unsere Blicke sich flüchtig kreuzten, wich ich ihm sofort aus.
"Und, Ayaz. Ich hab gehört, du warst lange Zeit wieder in der Türkei. Wie kam es, dass du wieder hier bist?"
"Yavuz meinte, er hätte Arbeit für mich. Außerdem liebe ich Palermo", erklärte dieser und mein Blick fiel sofort zu Elio neben mir.
"Non capisce l'italiano. Se amo un paese, imparerò anche la lingua, giusto?"
"Come fai a sapere che non capisce l'italiano?"
"Yavuz. Quindi questo idiota è inutile!"
"Nives", unterbrach uns meine Mutter. "Per favore, sii gentile, ragazza mia."
"Schon gut", gab ich ihr zurück und verbrachte den Rest der Fahrt damit, Elio dabei zu beobachten, wie er sich mit irgendeinem dämlichen Handyspiel beschäftigte. Zu meiner Erleichterung kamen wir schließlich an einem breiten Tor an, dass uns auch augenblicklich geöffnet wurde.
Neugierig sah ich mich um. Erkannte dabei viele andere gut gekleidete Leute, Stehtische mit Sekt und ein kleines Schloss, umgeben von einem großen Garten. Sogar Kameramänner waren hier.
Ayaz stieg als erster aus, gefolgt von meiner Mutter und Elio, während mir die Lust auf das alles hier immer mehr verging. Doch da musste ich wohl durch.
Gerade, als ich meine Tür öffnen wollte, hielt ich aber inne, als meine Mutter plötzlich neben mir einstieg und sich auf den Platz von Elio setzte. Ich starrte sie irrtiert an, während sie die Tür schloss und sich zu mir herum drehte.
"Warten die nicht alle auf dich?", hakte ich nach und nickte leicht zur Seite, wo einige Kameramänner schon aufgeregt zu uns sahen.
"Sollen die warten", lächelte meine Mutter und holte anschließend tief Luft. Ich sah ihr an, dass sie etwas auf dem Herzen hatte und ich wusste auch ganz genau, dass sie es hasste, Streit mit mir zu haben. Im Grunde war auch immer alles gut zwischen uns. Nur die letzten zwei Monate gab es immer mehr Spannungen, da ich die meiste Zeit dagegen protestierte, weiterhin wie ein Kind behandelt zu werden. "Du weißt, dass ich alles, was ich tue, nur für euch mache, oder?"
Mitfühlend betrachtete sie mich, während ich frustriert durch atmete.
"Ich wollte vorhin nicht so sein, aber es regt mich einfach auf", gab ich zu. "Ich meine, wieso kriege ich immer solche Konsequenzen, während Malino alles machen darf?!"
"Glaub mir. Ich war schon in der selben Situation wie du, Nives", erklärte sie plötzlich und nahm dabei meine Hand in ihre. "Ich fand es damals genau so unfair wie du. Dieses Gefühl, wie eine Gefangene behandelt zu werden. Das Gefühl, nichts alleine entscheiden zu dürfen... Es war schrecklich - doch ich habe später verstanden, dass es nur zu meinem Besten war."
"Wann war das?", hakte ich nach, da bemerkte ich für den Hauch einer Sekunde, wie sie wehmütig wirkte und aussah, als würde sie nicht gerne an diese Zeit zurückdenken.
"In einer Zeit, wo dein Vater nicht da war, um mir beizustehen", hauchte sie und driftete für einen Moment gedanklich ab. Ich runzelte irritiert meine Stirn, da mir nicht bewusst war, dass meine Eltern irgendwann nicht zusammen waren. Mir erzählten sie doch immer, dass sie sich schon früh kennengelernt und geheiratet hatten. Wieso also jetzt solch eine Offenbarung? Irgendwas stimmte da doch nicht.
"Wo war padre", fragte ich nach und sie legte ein trauriges Lächeln auf.
"Nur eine kurze Zeit in Amerika. Er ist wieder gekommen - aber darum geht es nicht. Es geht-"
"Was hat er in Amerika gemacht?", unterbrach ich sie, doch sie ging auf das Thema nicht weiter ein.
"Es geht darum, dass du bitte niemals das Gefühl haben sollst, wir würden dich bestrafen wollen. Nives... Du wirst erst verstehen, wie sehr wir dich lieben, wenn du eines Tages selbst Kinder haben wirst und für ihre Sicherheit verantwortlich bist. Malino ist anders als du. Er gerät nicht oft mit anderen in Schwierigkeiten. Er ist für sich selbst die größte Gefahr und darum wird dein Vater sich auch noch kümmern."
"Ich weiß doch, wie sehr ich mich liebt", gab ich versöhnlich wieder, obwohl in mir drin immer noch Wut über alles angestaut war.
"Komm her."
Meine Mutter zog mich an meiner Hand etwas zu sich herüber und nahm mich fest in ihre Arme. Sofort umwehte mich ihr vertrauter Geruch und ich bereute es, so oft so gemein zu ihr zu sein. Sie war immer verständnisvoll, auch wenn sie oft mit ihrer Sorge und ihren Ängsten übertrieb. Trotzdem musste auch sie einsehen, dass ich mein Leben selbst bestimmen wollte und auch dieser Bodyguard würde daran nichts ändern.
Nachdem wir uns wieder gelöst hatten, lächelte sie mir aufmunternd zu.
"Dann lass uns mal ein paar Blumen pflanzen."
-
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro