Kapitel 67 - Damons Erinnerungen
Verschiedene von Damons Erinnerungsfetzen rauschten an mir vorbei. Ich vernahm dazu ein lautes, teilweise abgehaktes Stimmengewirr. Ab und an zerriss ein Schrei oder ein Lachen die vielen Stimmfetzen und verschwand genauso schnell, wie es erklungen war.
Damon wehrte sich. Wehrte sich gegen mein Bewusstsein in seinem Geist. Wehrte sich vergebens. Er schien verzweifelt die Hände nach mir auszustrecken und nach mir zu greifen, um mich zurück zu ziehen, doch ich entkam seinen Versuchen. Innerlich schrie er.
Ich besah mir aufmerksam die Erinnerungsstreifen, die an mir vorbei zogen. Ich durfte die Richtigen nicht verpassen. Als ich eine kurze Szene erblickte, die in einem dunklen Raum statt fand, streckte ich reflexartig meine Hand danach aus. Kurz darauf war es als würde ich in die Erinnerung gezogen werden.
Es war kalt. Das fiel mir als erstes auf. Als zweites fiel mir auf, dass es sich um eine Art Wohnzimmer handelte, in dem ich mich befand. Die Rollläden waren geschlossen und eine verstaubte Deckenlampe erhellte das spärlich eingerichtete Zimmer. Eine Gruppe aus Jägern hatte sich hier versammelt. Insgesamt waren es zehn Personen. Damon mit eingeschlossen. Vier davon waren Frauen. Zwei von ihnen und ein Mann, der wohl Ben sein musste, hatten es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht, während die anderen sich auf die übrigen Sitzgelegenheiten im Raum verteilt hatten.
Damon selbst stand an einen Tisch gelehnt, auf dem sich einige Akten oder Aufzeichnungen türmten. Die Luft war staubig und die Bodendielen knarzten.
Ein etwas älter aussehender Mann, der auf einem Sessel saß, meldete sich zu Wort. Dunkle, teilweise angegraute, Bartstoppeln zierten sein Gesicht. In seiner Hand hielt er ein beschriebenes Stück Papier. "Wir sollten endlich einen gezielten Schlag gegen die Ghost Elementary ausholen!", sagte er. Seine Stimme klang dunkel und rauchig.
"Ach, und wie sollen wir das anstellen?", schimpfte eine der Frauen, die auf dem Sofa saß. "Die Ghost Elementary sind schon lange untergetaucht. Wenn wir Glück haben, finden wir ein paar vereinzelte. Und allein die vielen Vorbereitungen dafür! Wenn du dir das mal hochrechnest! Wie lange soll es denn noch brauchen, bis sie alle ausgelöscht sind!" Sie schnaubte genervt auf. "Ich will die Zeit noch erleben, in der wir sie loswerden!"
"Komm mal wieder runter, Manou.", sagte Damon trocken. "So schnell sterben wirst du jetzt auch nicht. Und wir sind näher an der Lösung des Problems, als je zuvor."
Manou sah Damon böse an. "Ich bin bereits siebenunddreißig Jahre alt, Kleiner. Und ich werde auch nicht jünger. Jäger ist jetzt nicht so der sicherste Job.", erwiderte sie. "Wenn du dann mal bedenkst wie schnell es mit mir vorbei sein kann und dass ich mit der Zeit älter werde ... Wie gut stehen meine Chancen jetzt, das glorreiche Zeitalter noch mit zu erleben?" Sie lachte freudlos auf. "Selbst du kannst dir nicht sicher sein, das noch mit zu erleben." Manou strich sich eine ihrer dunklen, krausen Strähnen hinter ihr Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.
Die junge Frau, die neben ihr saß, seufzte leise auf. Ihre Haut hatte ebenso wie die von Manou einen dunkleren Taint. Allerdings war ihre ein wenig heller. Wie Kaffee mit Milch. Dennoch hatte sie das selbe dunkle, krause Haar. Sie wirkte bedrückt und hatte eher eine traurige Ausstrahlung.
"Ja, ja.", brummte Manou. "Seufz du nur. Tu wenigstens so, als würde dich das alles hier interessieren. Immerhin wirst du es sein, die bald mehr Aufgaben bekommt, sollte ich wegen dieses Jobs draufgehen!"
Das Mädchen schien sich sichtlich unwohl zu fühlen. Je länger ich sie betrachtete, desto jünger wirkte sie. Erschrocken stellte ich fest, dass sie kaum älter als fünfzehn Jahre sein konnte. Was tat sie bei den Jägern? Sie war doch nicht etwa freiwillig bei ihnen? Auf mich wirkte sie eher schüchtern und zurückhaltend.
"Lass doch jetzt mal Marlena in Ruhe.", fuhr einer der Männer Manou an. "Immer hackst du auf ihr herum."
Wütend sah Manou den Mann an. "Halt einfach den Mund! Du hast dich hier schon mal gar nicht einzumischen! Immerhin ist sie nicht deine Tochter!" Marlena sah so aus als wolle sie am liebsten im Boden versinken.
Der Mann, der am Anfang gesprochen hatte, meldete sich wieder zu Wort. "Wir sind nicht hier um über Manous Erziehungsmethoden zu sprechen.", sagte er. "Es geht um etwas viel Wichtigeres. Ariadne hat uns endlich den Standort des Darkstone Internats verraten."
"Des was?", fragte Manou.
Damon sah sie genervt an. "Würdest du einmal richtig zuhören, wüsstest du es."
"Ja, ja.", machte Manou und wank ab. Der ältere Mann ergriff erneut das Wort. " Wie eigentlich bekannt sein sollte, beherbergt das Darkstone Internat eine Vielzahl von andersartigen Elementary. Darunter auch Ghost und Schatten. Das Darkstone Castle ist eine Alternative für diese Elementary, die nicht untertauchen wollen. Dort leben sie nicht von allen anderen isoliert, sondern mit anderen Elementary zusammen."
"Also ist das sozusagen eine sichere Sammelstelle für Ghosts und Schatten.", unterbrach Manou den Mann. Damon rollte genervt mit seinen Augen. "Immerhin scheinst du zu wissen, was Schatten sind.", stellte er sarkastisch fest.
Manou strafte ihn mit einem finsteren Blick. "Nur weil du der Firelight Erbe bist, musst du dich nicht so aufführen, als seist du besser als wir, Damon."
"Besser als du allemal.", sagte Damon schulterzuckend.
"RUHE!", donnerte der alte Mann, als Manou ihren Mund zu einer wütenden Antwort öffnete. "Streiten könnt ihr später." Er strafte die beide mit einem vernichtenden Blick. "Nachdem Ariadne dort jetzt so lange zur Schule ging, hat sie uns jetzt endlich den Standort dieses Internats verraten. Das heißt, wir können uns endlich einen Plan machen, wie wir viele Ghosts und Schatten gleichzeitig ausschalten. Das wird der erste vernichtende Schlag gegen sie." Unter den Jägern brach Geflüster aus.
"Wurde ja langsam mal Zeit.", sagte der Mann, der Manou wegen ihres Verhalten ihrer Tochter gegenüber angesprochen hatte. "Ich hab schon gedacht, Ariadne sagt es uns nie. Weshalb überhaupt hat sie so lange damit gewartet?"
"Na warum wohl? Sie hat sich uns allen überlegen gefühlt, da sie es wusste und wir nicht!", sagte einer der Männer. "Sie hat uns alle doch immer gerne in der Hand." Mürrisch verschränkte er seine Arme vor der Brust. "Sie ist ein kleines Miststück." Es folgte zustimmendes Gemurmel.
Der alte Mann verdrehte seine Augen. "Ob sie jetzt ein Miststück ist oder nicht. Sie ist eine unserer besten Jäger. Allein deshalb solltet ihr sie respektieren. Aber kommen wir zurück zu unserem eigentlichen Thema. Eine kleine Gruppe sollte sich in der Umgebung des Internats verstecken und es auskundschaften. Ariadne hat etwas von einem Geheimgang ins Internat erzählt."
"Und was soll die Gruppe machen, außer auskundschaften? Was soll das außerdem bringen? Wir können ja schlecht im Schloss herum laufen. Da könne wir direkt ein großes Schild mit der Aufschrift 'Jäger' mit uns herum schleppen.", meinte eine der Frauen.
"Ganz einfach.", meldete Damon sich zu Wort. "Wir lernen die Umgebung besser kennen. Wissen, wo wir uns unbemerkt bewegen können. Wissen, wie wir ins Schloss kommen und lernen einen kleinen Bereich dort kennen, in dem wir uns notfalls zurück ziehen können. Außerdem wird Ariadne uns regelmäßig mit Informationen versorgen."
Die Frau wirkte nicht sehr überzeugt. "Und wer wird in dieser Gruppe sein?", fragte sie stattdessen.
Manou wirkte auf einmal ganz aufgeregt. "Marlena!", rief sie. "Dann kann sie endlich mal Erfahrung sammeln! Sie hat sich schon viel zu oft vor der Verantwortung gedrückt!" Doch der alte Mann schüttelte seinen Kopf. "Diese Aufgabe sollte lieber erfahreneren Jägern zugeteilt werden.", widersprach er. "Marlena ist außerdem noch keine richtige Jägerin. Sie hat noch immer ihre Abschlussprüfung nicht gemacht." Er betrachtete Marlena kurz und seufzte. "Allerdings bezweifle ich, dass sie diese freiwillig machen wird."
"Brauchen wir dann so jemanden?", fragte einer der Männer."Jäger sollten mit ganzem Herzen dabei sein. Und Marlena ist das offensichtlich nicht. Wenn sie im Ernstfall nicht töten kann, ist sie uns keine Hilfe. Und wir wissen nicht, ob sie uns treu ergeben sein wird, wenn es hart auf hart kommt."
Manou sprang wütend auf und erhob drohend ihren Zeigefinger. "Wag es nicht, so von meiner Tochter zu sprechen! Sie wird eine richtige Jägerin werden! So wie ich es bin! Mein Blut fließt schließlich in ihren Adern!" Marlena mied es ihren Blick zu heben. Angespannt starrte sie auf ihre Füße und knetete ihre Hände.
Höhnisch lachte einer der Männer. "Ja, aber auch das Blut eines Verräters!" Schlagartig erstarrte Manou. Angst blitzte in ihren Augen auf. "Meine Tochter wird keine Verräterin sein.", schwor sie leise. "Nicht wahr, Marlena?" Flehend sah sie zu ihrer Tochter. Doch diese starrte weiterhin still auf ihre Füße.
"Na, da haben wir es!", rief der Mann. "Sie wird niemals eine richtige Jägerin sein! Und wenn, wird sie uns verraten. Genau wie ihr Vater!"
"Aber wir können sie auch nicht einfach gehen lassen.", gab eine der Frauen zu bedenken. "Wir können nicht riskieren, dass sie etwas verrät. Sie weiß zu viel."
Manou sah mittlerweile so aus als hätte sie einen Geist gesehen. "Nein! Nein, das könnt ihr nicht tun!", flüsterte sie und stürzte zu Marlena, schlang ihre Arme um den zierlichen Körper des Mädchens und presste ihn fest an sich. Ihre Augen glänzten verräterisch.
"Es tut und leid, Manou.", entschuldigte sich der alte Mann. "Aber wir können kein Risiko eingehen." Er nickte einem der Männer zu. Dieser ging auf Manou und Marlena zu, packte Manou unsanft an der Schulter und riss sie beiseite. Manou wehrte sich mit Händen und Füßen, schrie den Namen ihrer Tochter. Marlene saß ganz still auf ihrem Platz. Ihren Kopf hielt sie gesenkt, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Doch sie bebte und ein leises Schluchzen kam über ihre Lippen. Geschockt starrte ich auf die Szene, die sich mir bot. Sie würde doch nicht ...? Oder? Sie würden dieses Mädchen doch nicht töten? Alles in mir brannte darauf, dieses Mädchen zu beschützen, doch ich wusste, dass es dafür bereits zu spät war. Ich befand mich in einer Erinnerung. Das alles war bereits passiert. Nun glitt mein Blick verzweifelt zu Damon. Das konnte er nicht zulassen! Irgendwo tief in ihm drin musste doch noch etwas von dem Damon schlummern, den ich gekannt hatte! Immerhin musste es eine gute Seite in ihm geben!
Aber er stand weiterhin reglos an seinem Platz. Bewegte sich kein bisschen. Seine Augen lagen auf dem Mann und Marlena.
"Lass das nicht zu!", schrie ich ihn an. "Tu etwas!" Doch er konnte mich natürlich nicht hören. Mein letzter Hoffnungsschimmer erlosch, als der Mann sein Messer packte, Marlena mit einem schnellen Ruck die Kehle durchschnitt und Damon tat ... nichts. Fassungslos starrte ich ihn an. Das war doch nicht sein Ernst. Er hatte ein unschuldiges Mädchen sterben lassen!
Manou schrie schmerzerfüllt auf, ließ sie zu Boden sinken und weinte. Ansonsten war es komplett still. Kurz meinte ich in Damons Augen Schuldgefühle aufblitzen zu sehen.
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