Kapitel 26 - Catch me if you can
Ich konnte es nicht verstehen. Weshalb weinte sie? Sie hatte keinen Grund dazu. Sie saß nun einfach da und weinte. Weinte um weiß ich nicht was.
"Ach Mika!", schluchzte sie, "Meine Kleine!" Ehe ich mich versah, fand ich mich in ihren Armen wieder. "Das tut mir alles so furchtbar leid! Das muss ja alles so schrecklich für dich sein!" Sie schluchzte in mein schwarzes Haar und ich war einfach nur verblüfft. Sie hasste mich nicht? Ich konnte nichts anderes tun, als sie anzustarren.
Schließlich löste sie sich von mir und sah mich aus mit Tränen gefüllten Augen an.
"Du ... du hasst mich nicht?", kam es leise über meine Lippen.
"Natürlich nicht. Wie könnte ich?" Sie lächelte mich traurig an. "Du bist doch meine Tochter."
Nun war ich es, deren Augen sich mit Tränen füllten. "Ich ... ich ... ich dachte, du würdest mich hassen oder so!", sagte ich. Meine Stimme zitterte. Die erste Träne rann aus meinem Augenwinkel.
Hanne lächelte mich aus ihren warmen Augen an. "Mika ... meine Kleine ... Wie könnte ich die hassen? Wie könnte ich dich jemals hassen?"
Sie war viel zu gut zu mir. Nun konnte ich den Tränenfluss nicht mehr stoppen. Es war so viel passiert. So verdammt viel, seit ich mich in den Jet gesetzt hatte, der mich zum Elementary Internat führte. Es war so viel passiert, seit ich den Brief erhalten hatte.
Die, die ich für meine Freunde gehalten hatte, hatten mich verraten. Claire und Damon.
Ich hatte mich verändert. Wir alle hatten das. Es war schon beinahe erstaunlich, wie sehr sich etwas innerhalb kürzester Zeit verändern konnte. Und es hatte sich nicht gerade alles zum Besserem verändert. Aber damit musste ich leben.
"Ach Mika, ich bin so froh, dass du wieder hier bist! Das Haus fühlt sich so leer an, seit du weg bist! Es kommt mir hier alles so groß vor!" Hanne seufzte. Sie sah mich bedrückt an. "Aber nach dem, was du mir erzählt hast, wirst du hier nicht lange bleiben können."
"Ich weiß.", murmelte ich.
Hanne strich mir sanft über das Haar. "Sie werden irgendwann hierher kommen, um dich zu suchen. Immerhin hast du ..." Sie brach ab, wollte nicht weitersprechen, wollte es nicht wahrhaben.
"Immerhin habe ich mehrere Menschen getötet und eine ganze Halle in meinem Wahn verwüstet.", führte ich ihren Satz zu Ende.
Sie schluckte. Dann nickte sie leicht. "Ja. Genau deshalb kannst du nicht lange bleiben. Sie werden kommen, da sie dich wohl am ehesten hier vermuten würden." Tränen schimmerten in ihren warmen Augen. "Mika, du kannst nicht lange bleiben. Oder sie werden dich finden."
"Ich weiß." Es war kaum mehr als ein Flüstern. Bedrückt sah ich zu Boden. Wieder holten mich die Schuldgefühle ein. Wenn ich doch etwas ändern könnte. Aber das konnte ich nicht. Es gab nichts, dass die Vergangenheit ändern konnte. Was geschehen war, war geschehen und ich hatte nicht die Macht dazu, das zu ändern. Aber ich hatte es mir selbst zuzuschreiben. Es war meine Schuld. Vielleicht war Damons Entscheidung, wieder ein Jäger zu werden sogar berechtigt. Allein der Gedanke daran, dass Damon wieder ein Jäger war, trieb mir die Tränen in die Augen. Wieso nur? Wieso nur war das Leben so scheiße unfair?
"Wie viel Zeit habe ich?" Hanne schwieg. "Ich weiß es nicht.", sagte sie schließlich, "So viel Zeit, wie sie uns geben."
"Kann ich erst einmal hier bleiben?" Verzweifelt sah ich meine Pflegemutter an. Diese lächelte nun sanft. "Aber natürlich, Kleine."
Nach einer langen Umarmung ging ich hinauf, in mein altes Zimmer. Wenn ich es so betrachtete, gefiel mir mein Zimmer bei meiner leiblichen Familie lieber. Es war um einiges gemütlicher und ich mochte es, diese Mischung aus alt und modern.
Dieses Zimmer hier war einfach ein Standartzimmer. So wie das Zimmer vieler anderer in meinem Alter auch.
Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen. Diese Ironie. Dieses Zimmer hatte sich nicht verändert. Es war gleich geblieben, wobei sich doch alles verändert hatte. Ein bedrücktes Lächeln legte sich auf meine Lippen. Sollte ich mich nicht freuen, dass wenigstens etwas gleich geblieben ist? Aber ich freute mich nicht. Es verursachte in mir nur einen Schmerz. Es erinnerte mich an die damaligen Zeiten. Damalige Zeiten. Wie das klang. So, als wäre mein "normales" Leben schon Ewigkeiten her. Doch es kam mir tatsächlich so vor. Als wäre es Ewigkeiten her. Trauerte ich meinem alten Leben nach? Vielleicht ein wenig. Es war alles noch so einfach gewesen. So normal.
Allerdings war nicht alles an meinem jetzigem Leben schlecht. Ich hatte meine Familie gefunden, ich hatte einen Bruder. Hanne war noch immer auf meiner Seite, sie hasste mich nicht. Ebenso meine richtige Familie. Sie standen hinter mir. Auf sie konnte ich mich verlassen.
Ich hatte die Wahrheit über mich herausgefunden. Das war besser, als ewig eine Lüge zu leben. Oder etwa nicht? Eine Lüge wollte ich nicht leben. Oder etwa doch? Ich wusste das alles im Moment selber nicht. Es hatte sich alles verändert und ich wusste dennoch nicht, ob ich mein altes Leben zurück wollte. Das Leben, indem Hanne noch meine Mum war. Das Leben, in dem ich die Außenseiterin gewesen war, der Freak.
Ich ließ mein Blick durch das Zimmer wandern. Es half nicht gerade meine Laune zu heben. Es deprimierte mich. Das hier war etwas aus meinem alten Leben. Dabei lebte ich doch bereits ein Neues. Ich war nicht mehr Mika, das merkwürdige Mädchen, das hinten alleine saß, das keiner kannte und einfach nur ein Freak war.
Ich war jetzt Mika, die Ghost Elementary. Mika, die Hexe. Mika, die Gejagte. Mika, deren einzigen Freunde sie verraten hatten. Mika, die bereits mehreren Menschen das Leben genommen hatte. Ich war unkontrolliert. Ich konnte nur hoffen, dass sich das durch das Training mit meinem Vater geändert hatte.
Ach ja. Und ich war Mika, die ihre richtige Familie gefunden hat. Und einfach abgehauen ist.
Oder steckte noch etwas von der alten Mika in mir? Ich schien gar nicht mehr zu wissen, wer ich überhaupt war. Ich musste dringend einmal meine Gedanken sortieren.
Plötzlich krachte es unten an der Haustür und das riss mich aus meinen heimatlos umher irrenden Gedanken.
Wieder krachte es unten an der Tür. Ich hörte Hanne schreien.
"Machen Sie auf!", ertönte eine Stimme von draußen. Ich hastete an mein Fenster und warf einen Blick nach draußen. Dort stand eine Gruppe von Männern. Keine Jäger. Oder irrte ich mich? Sie trugen alle eine dunkelblaue, beinahe schwarze Uniform mit einem Abzeichen auf der Brust, das ich noch nie gesehen hatte. Es zeigte die vier bekannten Elemente und ein Schwert, das zwischen allen stand. Nein, das waren keine Jäger. Das hier wirkte auf mich eher so, wie eine Elementary Polizei.
"Öffnen Sie die Tür und händigen Sie uns Mika Lunar-Eclipse aus!", rief einer der Männer, "Oder wir müssen Ihre Tür aufbrechen!" Verdammt, sie waren doch schon längst dabei, die Tür aufzubrechen!
Unten krachte es. Das hieß wohl, sie hatten es geschafft, die Tür aus ihrer Angel zu reißen. Ich vernahm Hannes Schrei. Sofort spannte sich alles in mir an. Wenn sie Hanne auch nur das kleinste Leid zufügen würden ...
Meine Augen blitzten auf und ich schien mich neben Hanne im Wohnzimmer zu befinden. Hanne wich vor den Männern zurück, die in ihr Haus eintraten. Ohne ihre Erlaubnis und mit der kaputten Tür. Verdammt, Hanne hatte diese Tür geliebt! Sie hatte sie von ihrer Großmutter geerbt. Ich weiß, ein merkwürdiges Erbe, aber Hanne hatte diese Haustür geliebt.
"Wo ist das Mädchen?" Einer der Männer ging bedrohlich auf Hanne zu. Diese antwortete nicht. Sie hielt die Lippen fest verschlossen. Der Mann, der vor ihr stand wurde wütend. "Verdammt, antworte!" Er packte sie fest am Arm. Hanne schrie auf. Meine Augen begannen gefährlich zu lodern.
"Sie sind festgenommen wegen Mithilfe einer Mörderin!", verkündete der Mann.
Hannes Augen weiteten sich. "W-Was?!"
Der Mann sah sie kalt an. "Sie haben mich schon verstanden. Sie wissen, wo sie ist. Und da sie es verschweigen, muss ich Sie als eine Komplizin sehen." Hanne stand der Schock deutlich ins Gesicht geschrieben. Mir reichte es!
Ich befand mich wieder in meinem Zimmer. Meine Augen loderten beide nun blutrot. Nicht. Hanne!
Ich brodelte nur so vor Wut. Wie ein Vulkan, der gleich auszubrechen drohte. Ich schritt die Treppe hinunter. Stellte mich selbstsicher hin. Meine Augen loderten wie Feuer. Blutrotes Feuer. Die Männer bemerkten meine Anwesenheit. Bei meinem Anblick wich ihnen alle Farbe aus dem Gesicht. Auch Hanne starrte mich an. Sie erblasste. So hatte sie mich noch nie gesehen. So kannte sie mich nicht. Ich strahlte eine Macht aus, wie noch nie zuvor. Eine Macht die "Gefahr!" bedeutete. Das bekam jeder in diesem Raum hier nur zu gut zu spüren.
Auf meinen Lippen breitete sich ein hinterhältiges, finsteres Grinsen auf. Mein bedrohliches Auftreten wurde nur noch mehr verstärkt durch die spitzen Eckzähne, die jetzt zum Vorschein kamen. Alle Anwesenden wurden weiß wie Schnee.
"Fangt mich wenn ihr könnt."
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