Kapitel 15 - Damon Firelights Geschichte ✅
Ich wollte heulen. Einfach nur heulen.
In Liebe, Mom
Wie könnte sie mich noch lieben? Nachdem ich etwas so Schreckliches getan hatte, dass ich mich nicht einmal mehr selbst im Spiegel sehen wollte? Wüsste sie es, würde sie mich hassen. Sie würde mich nicht mehr haben wollen. Sie war alles, was ich hatte. Sie war meine Mutter. Und selbst, wenn ich jemals Wills Eltern - meine leiblichen Eltern - kennengelernt hätte, würde sie das auch immer bleiben. Es klang schrecklich von mir, aber ich glaubte kaum, dass ich meine leiblichen Eltern jemals so sehr lieben können würde, wie meine Mutter. Obwohl sich das ja sowieso erledigt hatte. Nach gestern Nacht würde ich sie niemals kennenlernen. Aber war das auch ein Verlust? Ich war mir nicht sicher.
Ich wollte sie nicht alle von mir stoßen. Aber ich tat es, weil es das Richtige war.
Will und Claire hatte ich von mir gestoßen, da ich nicht wollte, dass sie es erfuhren. Da ich nicht wollte, dass ich sie verletzte. Meiner Mutter würde wohl sehr bald das Gleiche blühen. Und sie würde sich fragen, was sie falsch gemacht hatte. Dabei lag der Fehler nicht bei ihr. Sondern bei mir: Ihrer missratenen Tochter.
Aber Will und Claire machte das misstrauisch, dass ich sie wegstieß. Sie würden nachforschen. Ich machte die ganze Zeit nur Fehler. Konnte ich denn überhaupt auch etwas richtig machen? Ich war eine wandelnde Vollkatastrophe.
Dazu kam noch, dass Will der Überzeugung war, Damon Firelight hätte mir etwas angetan. Aber wie sollte ich Will davon überzeugt, dass Damon gar nichts getan hatte? Immerhin war er so menschlich gewesen, mich zum Krankensaal zu bringen und mich am Leben zu lassen. Aber das waren dann auch schon Damons positive Aspekte.
Außerdem musste ich als aller erstes herausfinden, was mit Damon los war. Es konnte ja sein, dass er nur den Gerechten spielte, um mich auf der sicheren Seite zu wiegen. Um mein Vertrauen zu gewinnen und zu zuschlagen, wenn ich es am wenigsten erwartete.
Aber das war vollkommen unlogisch. Sonst hätte Damon mich nämlich gestern töten können. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht anlog. Aber ich brauchte Antworten. Dringend.
Er war der Feind. Noch vor Kurzem wollte er mich, während er in Wut versank, tot sehen. Nun war mein Tod für ihn nur nötig, wenn ich mich als bösartig erwies. Wieso dieser Wandel?
Gedankenverloren strich ich über Moms Unterschrift. Ich konnte sie nicht verlieren. Das würde ich nicht verkraften. Zumindest sie bräuchte ich. Aber sie würde mich von sich stoßen, wüsste sie die Wahrheit. So gerne wollte ich ihr schreiben. Doch ich konnte nicht. Die richtigen Worte ließen sich nicht finden. Und über was wollte ich schreiben? Die Glückliche wollte ich nicht heucheln. Das hieß, es gab nichts, was ich ihr von hier berichten könnte.
Um meinen Kopf freizubekommen, verließ ich das Schloss und irrte verloren in der gewaltigen Parkanlage umher. Das alles hier kam mir vor, wie ein Eliteinternat, zu dem nur unverschämt reiche Leute Zugang hatten. Aber so war es nicht. Was ich immer noch nicht richtig begreifen konnte. Wie war die Schule nur an ein solches Grundstück gelangt? Oder war das schon immer das Grundstück der Schule gewesen? Wie war es möglich, dass die gewöhnliche Bevölkerung noch nichts hiervon wusste? Fragen, auf die ich wohl niemals eine Antwort erhalten würde.
Trotz des guten Wetters befanden sich überraschend wenig Schüler draußen. Aber ich wollte mich nicht beschweren. Hier war es wirklich schön. Dennoch hatte ich das Gefühl, als würde ich nicht hierher gehören. Ich war eine kleine Made, umgeben von Marienkäfern.
Auf einmal bemerkte ich einen rötlichen Haarschopf hinter einer der in Form geschnittenen Büsche. Eigentlich wäre das mein Zeichen, wieder hineinzugehen und zu verschwinden. So wenig Zeit wie möglich sollte ich in Damons Nähe verbringen. Trotzdem ging ich zu ihm hin. Was auch immer mich dazu geritten hatte. Aber ich hatte Fragen.
Damon saß im Schatten eines Busches, der die Form eines Schwans angenommen hatte und las entspannt in einem Buch. Jetzt hätte er wie ein völlig normaler Schüler des Internats gewirkt, hätte ich es nicht besser gewusst. Als er meine Gestalt bemerkte, blickte er auf.
»Was willst du?«, fragte er. Zögerlich trat ich von einem Bein auf das andere. Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen. Womöglich überspannte ich hiermit den Bogen unseres derzeitigen Friedens. Er ließ mich leben. Nicht mehr und nicht weniger. Das bedeutete noch lange nicht, dass ich einen Freibrief hatte, was ihn anging.
Er sah mir meine Unsicherheit an und seufzte tief. »Nun sag schon.«, sagte er ungeduldig. Ich schluckte und knetete meine Hände. Mit hochgezogener Augenbraue sah er mich an.
»Wieso jagst du Geistelementare?«, traute ich mich schließlich zu fragen. »Wir haben dir doch nichts getan.« Das war womöglich das Schlechteste, was ich hätte sagen können. Verbittert lachte der Jäger auf und erneut blitzte mir dieser Hass entgegen, den ich schon im Wald gesehen hatte.
Mit düsteren Gesicht klappte er sein Buch zu. Der laute Knall ließ mich zusammenzucken. Als er aufstand, wäre ich am liebsten davon gerannt. Er wirkte wieder so bedrohlich. Erstaunlich, dass er bis vor ein paar Sekunden noch menschlich ausgesehen hatte.
»Du willst wissen, weshalb ich Geistelementare töte?« Seine Stimme schnitt wie ein Rasiermesser und ich zuckte erneut zusammen. Ein Kloß in meinem Hals hinderte mich am Sprechen. Also beließ ich es bei einem zögerlichen Nicken.
»Meine Aufgabe ist es, euch aufzuspüren. Mittlerweile weist du sicher, dass die meisten Familien von euch untergetaucht sind. Meistens finde ich sie. Und dann töte ich sie.« Seine dunklen Augen beobachteten mich bei jedem seiner Worte. Wollten meine Reaktionen sehen. Ich zwang mich, nicht vor ihm zurückzuweichen. Er war ein Mörder.
»Deine Familie suche ich schon lange. Seit sie damals meine Familie getötet hat.« Er ließ die Worte wirken, ließ mich nicht aus den Augen. Es war ein Schlag ins Gesicht.
»Was?«, hauchte ich. Ungläubig starrte ich den Jäger vor mir an. Die Bedeutung seiner Worte wollte einfach nicht in meinen Kopf. Meine Familie? Meine leibliche Familie? Nein, das war nicht möglich. Auf keinen Fall.
»Glaub es oder glaub es nicht. Mir ist das egal.«, sprach Damon eisig. »Es ändert nichts an dem, was passiert ist. Deine Familie, die Fenreys, haben mir alles genommen. Meine Eltern, meine Schwester und meinen Bruder. Sie haben sie mir genommen. Sie sind Schuld daran, dass ich von einem Waisenhaus ins nächste geschoben wurde. Dass ich schon so oft adoptiert worden bin, ehe sie mich zurückbrachten, wie einen Hund, den man nicht haben will. Als es mir endgültig reichte und ich auf der Straße landete, nahmen die Jäger endlich Kontakt zu mir auf. Meine Familie sollte deine aufspüren. Das tat sie auch.« Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als mir klar wurde, dass Damon mir nun den Plan erzählen wollte, wie seine Familie meine umbringen wollte. Das machte die Bedrohung durch die Jäger auf einmal deutlich realer, als sie mir ohnehin schon vorgekommen war. Erst danach fiel mir auf, dass Damon mir den Nachnamen meiner Eltern verraten hatte. Fenrey. So hätte auch ich geheißen, wäre ich nicht bei meiner Mutter aufgewachsen.
»Meine Eltern wollten die Fenreys mithilfe eines Hinterhalts töten. Da sie sie bereits ausspioniert hatten, wussten sie, dass sie eine kleine, nicht einmal ein Jahr alte Tochter hatten. Dein Bruder war damals zwei Jahre alt. Vielleicht erinnert er sich noch an den Tag. Ihr habt euer Haus verlassen und seid erst spät in der Nacht zurückgekehrt. Deine Großeltern, deine Eltern und ihr beide. Meine Familie lauerte in der Dunkelheit und überraschte euch. - Weißt du, dass deine Mutter als wilde Furie beschrieben wird?«
Natürlich nicht. Und das wusste er auch. Wollte ich wirklich hören, was er dazu erzählen hatte? War ich bereit, mir anzuhören, was für Gräueltaten meine Familie begangen hatte? Was Damons und meine Familie sich gegenseitig angetan hatte?
Ohne auf mich zu achten, fuhr Damon seine Erzählung fort. »Für sie zählt nur der Sieg. Egal, wie sie ihn erhält. Sie ist eine Irre. Als mein Vater ihr den Kopf abschlagen wollte, soll er aus dem Nichts angefangen haben, zu schreien als würde er gefoltert werden. Schließlich erstickte er an seinen eigenen Schreien. Daraufhin wurde sie von meiner Schwester angegriffen. Sie war erst siebzehn Jahre alt, als deine Mutter sie ermordete. Sie hat Finja mit ihrem eigenen Schwert aufgeschlitzt. Währenddessen kämpften dein Vater und mein Bruder. Als Finn sah, was deine Mutter getan hatte, wollte er sie lebendig verbrennen. Dabei ließ er sich nicht von den Schmerzen aufhalten, die deine Mutter ihm zufügte. Aber sie begann sein Feuer zu kontrollieren, weshalb er selbst verbrannte. Nun war nur noch meine Mutter übrig, die es mit deinem Vater aufnahm. Dessen Eltern, deine Großeltern, tötete sie, als diese zur Hilfe eilen wollten. Aber meine Mutter starb mit ihrem eigenen Schwert im Bauch.«
Eindringlich sah er mich an. Wenn er erwartete, dass ich dazu etwas sagte, wurde er enttäuscht. Ich fand keine Worte. Ich konnte ihn bloß entsetzt ansehen. Diese Welt der Elementare war so grausam. Wie konnte etwas so grausam sein?
»Nun, Geist. Hier hast du deine Antwort, weshalb ich deinesgleichen töte.«, sagte Damon mit kalter Ruhe. »Als ich hörte, dass die Fenreys eine kleine Tochter hatten, die sie versteckt hielten, nahm ich den Auftrag, dich ausfindig zu machen und zu beseitigen also liebend gern an.«
»Aber du hast mich nicht getötet.«, sagte ich und schalt mich direkt selbst für diese Aussage. Immerzu musste ich den Bogen überspannen. Irgendwann würde das nicht mehr gutgehen.
»Nein. Offensichtlich nicht.«, erwiderte Damon. Er hegte einen persönlichen Hass gegen meine Familie. Das konnte ich nach einer solchen Geschichte sogar verstehen. Allerdings wunderte ich mich nun einmal mehr, weshalb er mich jetzt am Leben ließ. Und weshalb er seinen Leuten nicht gesagt hatte, dass ich sehr wohl Fähigkeiten hatte.
»Wieso lebe ich noch?«, wollte ich leise wissen. Das ergab für mich nach wie vor keinen Sinn.
Lange sah Damon mich an, ehe er antwortete. »Ich verabscheue deine Eltern für das, was sie meiner Familie angetan haben. Für mich hat es Priorität, sie zu töten. Du hast mir nichts getan. Noch nicht. Aber ich werde sehen, wie sehr sich deine Verwandtschaft auf dich auswirken wird.« Bösartig. Er würde mich töten, sollte er erkennen, dass ich bösartig war. Sah er meine leiblichen Eltern so? Als bösartig?
Aber wenn er bei allen Geistelementaren nach Bösartigkeit ging, würde er doch wohl kaum so viele töten, oder nicht? Wie passte er dann zu den Jägern, die jeden einzelnen Geistelementar töten wollten? Aber darauf würde ich wohl keine Antwort erhalten.
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