Kapitel 10.2 - Schwarz wie die Nacht ✅
»Also ehrlich, das ist total cool!« Das waren Claires exakte Worte. Will und ich grinsten bloß. Wie konnte eine versteckte Treppe nicht »cool« sein? Will und ich lebten sozusagen in einem Geheimgang. Wie viele Leute konnten das von sich sagen? Wäre ich noch ein kleines Kind gewesen, hätte ich mich vor Begeisterung sicher nicht mehr eingekriegt. Vermutlich hätte man mich auch nicht wieder aus den Räumlichkeiten hinter der Wand hervorlocken können.
Nun stand Claire in unserem Gemeinschaftsraum und bestaunte alles, auch wenn sie meiner Meinung nach etwas übertrieb. Ich weiß nicht weshalb, doch irgendetwas an ihrer Reaktion störte mich. Sie wirkte ein wenig aufgesetzt. Doch schnell schüttelte ich den Gedanken ab. Ich sah Geister, wo keine waren.
Außerdem kannte ich sie noch nicht lange genug. Vielleicht war sie einfach so. Jeder wie er mag.
Claire rannte aufgeregt in unserem Gemeinschaftsraum umher, als sei sie eine Katze, die gerade ihre fünf Minuten hatte. Dann blieb sie stehen. »Geil! Ihr habt sogar einen Fernseher!« Sie strahlte über das ganze Gesicht. Schließlich wandte sie sich an mich. »Zeigst du mir dein Zimmer?«
»Na klar.«, sagte ich und bedeutete Claire mir zu folgen. Will dagegen verschwand in seinem Zimmer. Wahrscheinlich um die letzten Stunden seines freien Tages zu genießen.
Ich öffnete die Tür, die zu meinem Zimmer führte. Claire staunte schon wieder.
»Voll schön.«, sagte sie ehrfürchtig und strich in meinem Zimmer umher. »Ist auch größer, als meins bei den Luftelementaren.« Sie drehte sich zu mir um.
»Du hast es gut.«, meinte sie. Ich nickte nur. Sie seufzte.
»Tut mir leid, ich muss gehen. Hausaufgaben.«, sie betonte das letzte Wort verschwörerisch und stöhnte genervt auf. Ich lachte. Claire grummelte.
»Na ja. Dann bis morgen.«, sagte sie, zog mich noch kurz in eine Umarmung, dann verschwand sie auch schon. Ich ließ mich auf mein Bett fallen. Sie war gar nicht lange geblieben. Eigentlich hatte ich erhofft, ein wenig mehr Zeit mit ihr verbringen zu können und ... Ja, was? Was taten Freundinnen denn sonst so, wenn sie sich nicht gerade die Zeit im Unterricht oder im Speisesaal vertrieben?
Dabei war es ja auch egal. Wir hatten noch genug Zeit, etwas gemeinsam zu unternehmen. Jetzt musste ich erst einmal einen Brief an meine Mutter schreiben. Wenn ich das nicht machen würde, würde sie wahrscheinlich eines Tages vor der Tür stehen. Außerdem wollte ich sie auch nicht zu lange auf eine Nachricht von mir warten lassen. Bestimmt saß sie sowieso schon auf heißen Kohlen.
Also setzte ich mich ergeben an den Tisch und nahm ein liniertes Blatt Papier und einen Füller.
Liebe Mom, schrieb ich. Sie fehlte mir. Bisher war ich nie lange von ihr fort gewesen, es sei denn, man zählte die Klassenfahrten dazu. Aber die waren immerhin etwas anderes, als das hier. Aber wie sollte ich ihr nur davon berichten, was geschehen war? So etwas besprach man besser unter vier Augen. Aber das war leider nicht möglich. Also musste es ein Brief auch tun. Erneut setzte ich mit dem Füller an.
du hast dich sicherlich schon gefragt, wann ich dir endlich schreibe.
Ich bin ganz gut angekommen. Du wirst dich jetzt wahrscheinlich fragen, zu welchen Elementaren ich gekommen bin. Zu den Luftelementaren. Im Jet hatte ich schon eine von ihnen kennen gelernt. Claire. Sie ist ein wenig komisch, aber wer ist das nicht?
Allerdings bin ich kein Luftelementar und da niemand wusste, zu welchen Elementaren ich gehöre, wurde ich ausgeschlossen.
Beim Kampftraining nutze ich schließlich meine Kräfte. Ich glaube was geschehen ist, schreibe ich dir lieber nicht. Das willst du nicht wissen.
Auf jeden Fall haben dann alle Abstand von mir gehalten und hatten Angstvor mir (haben immer noch die meisten).
Claire jedenfalls ist zu mir zurückgekommen.
Und stell dir vor; ich habe meinen Bruder kennen gelernt! Ja, du hast richtig gelesen! Ich habe einen Bruder. Er ist älter als ich. Achtzehn und wir verstehen uns ganz gut.
Jetzt willst du garantiert wissen, ob ich schon den Rest meiner richtigen Familie gesehen habe. Die Antwort ist nein. Und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich bereit dafür bin, sie zu sehen. Natürlich, bin ich froh, Will zu haben, aber das reicht mir fürs erste.
Ansonsten habe ich mich schon ganz gut eingelebt.
Ach ja, bevor ich vergesse dir das zu schreiben: Ich bin ein Geistelementar. Kaum zu glauben, oder? Aber es ist eigentlich schon ganz cool. Von den zusätzlichen gruseligen Fähigkeiten mal abgesehen.
Ich hoffe, dir geht es gut und du fühlst dich nicht allzu allein.
Bis dann,
Deine Mika
Zufrieden las ich den fertigen Brief durch. Ja, so konnte ich das abschicken! Ich faltete ihn zusammen und steckte ihn in einen Umschlag, wo ich unsere Adresse drauf schrieb.
Dann klebte ich eine Briefmarke auf den Umschlag und steckte den Zettel hinein. Jetzt musste ich nur noch einen Briefkasten finden!
Soweit ich wusste, gab es außerhalb des Schlosses, aber noch auf diesem Gelände, einen Briefkasten, der regelmäßig geleert wurde. Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte mir, dass ich den Brief lieber jetzt losschicken sollte. Zwar war es draußen bereits dunkel und ich verspürte nicht wirklich den Drang, mich alleine draußen aufzuhalten, dennoch wollte ich meine Mutter nicht länger warten lassen. Wenn ich mich beeilte, würde der Brief noch heute rausgehen. Sollte ich zu spät sein, würde es ein paar Tage dauern, bis meine Mutter endlich ein Lebenszeichen von mir in ihren Händen hielt.
Ich hatte den Westturm verlassen und lief durch die mittlerweile verlassenen Gänge. Da sich kaum noch Schüler in den Gängen befanden, waren diese nur noch schwach beleuchtet. Dadurch wirkte das zuvor prächtige Schloss plötzlich beunruhigend gespenstisch.
Keine Menschenseele war in der Nähe. Ich war allein. Oder etwa doch nicht? Woher kam jetzt dieser Gedanke? Urplötzlich musste ich an meine Angst vor dem Feuerelementar denken. So abwegig, dass er mir irgendwo in der Dunkelheit auflauerte, war es gar nicht. Und das machte mich ungemein nervös. Also lief ich schneller.
Dennoch versuchte ich mir einzureden, dass ich mir unnötig Gedanken machte. Damon würde es doch wohl kaum wagen, mich hier in der Schule anzugreifen. Oder?
Die Gänge wurden immer dunkler. Und ich immer schneller.
Auf einmal erschien mir die Idee, draußen in der Finsternis nach einem Briefkasten zu suchen, unglaublich dämlich. Dennoch machte ich jetzt keinen Rückzieher. Das hier war eine Schule. Was sollte schon großartig geschehen? Außerdem gab es hier doch Lehrer, Hausmeister, Köche und noch mehr Leute. Irgendwer würde doch aufpassen, dass alles seinen gewohnten Gang ging.
Schon bald hatte ich eine der Türen erreicht, die nach draußen führten. Entschlossen stieß ich sie auf. Frische Abendluft begrüßte mich spielend. Ruhig atmete ich ein und aus. Ließ die Luft meine Lungen füllen.
Die Anlage rund um das Schloss war wirklich schön. Gleichmäßig gemähter Rasen, Büsche, die kunstvoll zu verschiedenen Figuren geschnitten worden waren. Wüsste ich es nicht besser, würde ich meinen, mich in einer längst vergangenen Zeit zu befinden.
Es war stockdunkel. Hier waren keine Lichter weit und breit. Dennoch konnte ich einige Bänke erahnen.
»Ha!«, rief ich auf einmal triumphierend, als ich am Waldrand einen gelben Kasten erblickte, der so gar nicht in die alte Atmosphäre des Schlosses passen wollte.
Da ich schnell wieder auf mein Zimmer wollte, rannte ich auf den Kasten zu und steckte zufrieden den Briefumschlag durch den Schlitz.
Urplötzlich legte sich eine Hand auf meinen Mund. Mein Herz machte einen erschrockenen Hüpfer, entsetzt riss ich meine Augen auf. Hastig versuchte ich, die Hand loszuwerden, doch stattdessen legte sie sich nur noch fester auf meinen Mund und ich konnte mich nicht mehr frei machen. Tausende Gedanken gleichzeitig schossen mir durch den Kopf, aber keinen von ihnen konnte ich greifen. Einer jedoch erhob sich nur zu deutlich aus der Menge: Damon. Jetzt würde er es zu Ende bringen.
»Nicht schreien, Kleine.«, hörte ich hinter mit eine tiefe Stimme. Aber es war nicht Damon. Mein Herz klopfte wild, drohte, mir aus der Brust zu springen. Meine Hände schwitzten. Gab es einen Ausweg? Es gab keinen Ausweg! Panisch zog und zerrte ich, doch es brachte rein gar nichts. Weshalb hatte ich niemandem Bescheid gegeben? Oder zumindest Will mitgenommen? Bestimmt hätte er nicht abgelehnt. Wie konnte ich nur so dumm sein?
»Das war's dann wohl, was kleiner Geist?«, lachte der Mann. Sein Lachen klang dreckig und kratzig. Allein dieses Geräusch jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.
»Ich bin nicht klein!«, nahm ich all meinen Mut zusammen, obwohl ich nichts lieber täte, als hemmungslos in Tränen auszubrechen.
Abrupt wurde ich umgedreht und eine lodernde Flamme erleuchtete die Dunkelheit. Erschrocken sog ich die Luft ein. Feuer. Immer wieder Feuer. Die aufkommenden Tränen blinzelte ich weg. Heiß flackerte die Flamme in der Nähe meines Gesichts. Beinahe wie eine leise Drohung, mich erneut zu verbrennen und nicht bloß eine kleine Brandnarbe zu hinterlassen, wie letztes Mal.
Der Mann, ich schätzte ihn auf fünfundzwanzig, hatte dunkles Haar und ein triumphierendes, bösartiges Grinsen im Gesicht. Es verzog seine Miene zu einer grausamen Fratze.
Das Feuer, das hier gerade die Dunkelheit erleuchtete, befand sich in der Hand des Mannes. Allerdings hatte nur noch eine Hand mich gepackt und zwar an der Schulter.
Ich weiß nicht, woher auf einmal mein Drang zur Provokation kam, aber ohne, dass ich die Worte zurückhalten konnte, schossen sie mir auch schon aus dem Mund: »Hey, dein Gesicht und mein Fuß könnten gute Freunde werden, weißt du?« Ich selbst erschrak wohl am meisten und die Angst riss meine Augen auf. Vielleicht hatte ich es gesagt, weil ich mich nicht mehr so hilflos wie bei Damon fühlen wollte, als ich ihm zum ersten Mal gegenüberstand. Vielleicht erschufen diese Worte die Illusion in mir, dass ich die Situation irgendwie noch unter Kontrolle hatte. Hatte ich natürlich nicht. Wieder einmal war ich die kleine, hilflose Mika. Genau wie damals im Wald. Nichts hatte sich verändert. Ich war zu nichts imstande. Konnte mich nicht wehren. War verloren.
Bloß der Gesichtsausdruck des Mannes rief mir wieder ins Gedächtnis, dass ich keineswegs mehr die Mika von damals war. Ich war nicht hilflos. Nicht mehr. Und sowollte ich mich auch nie wieder fühlen. Immer wieder sagte ich mir das, führte mir vor Augen, zu was ich jetzt fähig war. Dennoch schien mein Kopf das noch nicht so ganz begreifen wollen. Leise wisperten die Zweifel in meinen Gedanken, beschworen mich, es sein zu lassen, bevor ich es nur noch schlimmer machte.
»Miststück!«, zischte der Mann wütend. »Vollkommen hilflos und dennoch eine gefährlich große Klappe!«
Hilflos? Nein. Nein, das war ich nicht mehr. Jetzt war ich stark. Ich konnte mir selbst helfen. Ängstlich kämpfte ich gegen meine Zweifel an. Die konnte ich mir jetzt nicht leisten. Ich musste von mir selbst überzeugt sein, musste wissen, was ich tat.
Trotz meines inneren Kampfes kam ich nicht drum herum, ihn verdutzt anzusehen. Der Mann lachte.
»Das wundert dich jetzt, was? Damon hat mir alles von eurer Begegnung im Wald erzählt! Dass du keine Kräfte hast. Damals hat er dich nicht getötet, da er dachte, er hätte es geschafft. Aber nun bin ich hier, um seinen Fehler wieder gut zu machen!«, sagte er mit einem bösen Grinsen. Und das Widerwärtigste war, dass ihn der Gedanke daran, offensichtlich mit Freude erfüllte.
Nun war ich wirklich verwirrt. Damon Firelight hatte die Jäger nicht auf den neusten Stand gebracht? Hatte er ihnen nicht erzählt, was ich im Kampftraining getan hatte? Er war zwar nicht dabei gewesen, aber es wussten alle. Schließlich hatte sich das Geschehen beim Kampftraining wie ein Lauffeuer verbreitet.
Wieso hatte Damon Firelight den Jägern nichts gesagt? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn.
»Aber jetzt werde ich dich töten.« Der Mann grinste immer noch. Wie gerne würde ich ihm meine Faust in sein Gesicht schlagen, nur um ihm sein scheußliches Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Über meinen eigenen Gedanken erschrocken, zuckte ich zusammen. Dennoch, je tiefer ich in mich ging, desto deutlicher nahm ich wahr, dass ich wütend war. Unglaublich wütend. Er machte mich wütend.
Und wir waren nicht alleine. Das konnte ich spüren. Irgendwer oder irgendwas war im Wald, getarnt durch die Bäume und die Dunkelheit und beobachtete uns. Ob das nun gut oder schlecht für mich war, konnte ich noch nicht sagen. Aber wenn dieser jemand mir wohlgesonnen wäre, hätte es doch bestimmt schon eingegriffen und mir geholfen, oder?
Nun fiel sein Blick auf die lange Brandnarbe, die durch mein Auge verlief. Er grinste noch breiter. Mit seinem Daumen fuhr er meine Narbe nach. Am liebsten hätte ich seine Hand weggeschlagen. Er widerte mich an. Tief in meinem Inneren verborgen, begann es zu brodeln. Ein Gefühl, das mir unbekannt war. Ein Gefühl, das die alte Mika nicht gekannt hatte. Waren das etwa Hass und Wut? Was ich jedoch wusste war, dass ich mich selbst verteidigen wollte. Dieses Mal würde ich mein Schicksal nicht tatenlos jemand anderem überlassen. Wo nahm ich plötzlich nur diese Entschlossenheit her?
»Damon hat allerdings ein schickes, kleines Andenken hinterlassen.«, sagte der Mann, der einfach nicht mit seinem verdammten Grinsen aufhörte. Je länger ich in sein grinsendes Gesicht sah, desto stärker wurde der Drang, ihm ins Gesicht zu schlagen. Dabei war ich normalerweise nicht gewalttätig.
Ich wusste, dass auch der Beobachter im Wald gerade wütend wurde. Aber wütend weswegen? Dass der Mann mich berührte? Dass er Damon Firelight für sein kleines Andenken in meinem Gesicht lobte?
»Na meine Kleine? Wer bist du nur? Ein so kleines schwaches Nichts wie du ... Was willst du nun tun?« Er genoss seine Dominanz. Er genoss die Macht, die er glaubte, über mich zu haben. Weiter kam er aber nicht, denn ich schlug seine Hand von meinem Gesicht weg und trat einen Schritt zurück. Der Kerl war zu überrascht, um zu reagieren.
»NIMM DEINE HÄNDE VON MIR!«, brüllte ich mit einer Lautstärke, von der ich nicht geglaubt hatte, dass ich dazu in der Lage wäre. Bisher war ich dafür immer viel zu gehemmt gewesen. Aber tatsächlich gefiel es mir sogar. Irgendwie gab es mir das Gefühl, stark zu sein. Stark und selbstbewusst. Er konnte mir gar nichts. Im Gegensatz zu mir war er nur ein armseliger, mickriger Wurm. Wieso ließ ich mir so etwas von ihm gefallen?
»Dafür, dass du ziemlich schwach bist, bist du unerhört selbstbewusst.«, meinte der Kerl verwirrt. Das Bild, das er in seinem Kopf von mir hatte und mein Verhalten, schienen für ihn nicht zusammenzupassen.
Ohne zu zögern nutzte ich den Moment und drang in sein Unterbewusstsein ein. Ehe er kapierte, was hier gerade geschah, schrie er plötzlich vor Schmerz auf.
Schmerz. Immer wieder. Schmerz. Aber mir war das egal. Mit ihm hatte ich kein Mitleid. Er schrie, brüllte, sank auf die Knie, krallte seine Fingernägel in die Erde, nur um sich irgendwo fest zu halten. Dann bäumte er sich auf wie eine Schlange, ehe er schließlich komplett zu Boden sank, hörte nicht auf von den unerträglichen Schmerzen zu schreien. Er litt. Und ich? Meine Lippen hatten sich zu einen düsteren und zufriedenen Grinsen verzogen. Wie zuvor beim Kampftraining genoss ich es. Vor allem bei ihm, denn er hatte es verdient. Er hatte es verdient, sich zu quälen.
Ich genoss die Schreie meines Möchtegern-Peinigers. Genoss es, ihn leiden zu sehen. Genoss es, zu wissen, dass ich es war, die ihm das hier antat und ihn somit zum schreien brachte. Ich genoss es, nicht hilflos zu sein.
»HÖR AUF!«, brüllte der Mann unter gewaltigen Schmerzen. »HÖR AUF! BITTE!«
Ich jedoch lächelte nur kalt. Er hatte es verdient. Wieso sollte ich aufhören? Mich hätte er doch auch nicht verschont. Er hatte sich gefreut, mir etwas anzutun. Er hatte sich gefreut, mich zu töten. Ein Mädchen, von dem er gedacht hatte, dass es vollkommen hilflos und unfähig wäre, sich zu wehren.
»Genieße den Schmerz, denn es wird dein letzter sein.«, kamen die Worte aus meinem Mund, während ich eisig über ihm stand und auf ihn herab blickte. Meine Worte trieften nur so vor Kälte und Gleichgültigkeit. Tief in meinem Inneren wisperte eine verwirrte Stimme. Eine Stimme, die nicht verstand, wieso ich das hier tat und wieso ich es nicht einfach sein ließ, um Hilfe bei einem Lehrer zu suchen. Eine leise Stimme, die sich fragte, wie solch böse Worte über meine Lippen wandern konnten. Worte, die bisher nicht zu mir gepasst hatten. Doch ich erstickte diese Stimme, bevor sie lauter werden konnte.
Ich sah noch, wie der sich vor Schmerz am Boden windende Mann vor Entsetzen die Augen aufriss, als sich meine grauen Augen auch schon schwarz verfärbten und der Kopf des Mannes kraftlos zu Boden sank.
Stille. Kein Ton war zu hören. Kein Wind, keine Geräusche aus dem Wald. Es schien, als habe die gesamte Welt den Atem angehalten. Meine Augen, schwarz wie die Nacht, blickten kalt und abschätzend auf den reglosen Mann zu meinen Füßen hinab.
Seine Augen waren nach wie vor weit aufgerissen, das Entsetzen und die Qual standen ihm ins Gesicht geschrieben. Er war tot. Und ich hatte ihm getötet. Ich hatte das getan.
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