65) Auftakt
Achtung, 63 & 64 sind auch neu :)
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Zayn hatte den Kürzeren gezogen.
Also, nicht im wahrsten Sinne des Wortes, immerhin hatten wir zur Entscheidungsfindung kein Glücksspiel mit Strohhalmen benutzt, aber das Resultat stand fest: Zayn blieb mit Quinn und den anderen in der Kontroll- und Nottruppe, während Maura und Anne mir bei der Übergabe Gesellschaft leisteten.
Obwohl wir ausnahmsweise mal am längeren Hebel saßen (zumindest redeten wir uns das ein), verzichteten wir lieber darauf, Ken unnötig in Rage zu versetzen, indem wir ihn ausrechnet mit den Personen konfrontierten, die er am allerwenigsten sehen wollte.
Quinn.
Zayn.
Der Gründervater der Enzymforschung und der Oblivious-Verräter.
Das Auftauchen der beiden hätte nur dafür gesorgt, dass Ken ohne Umschweife die Pistole zog. Wir wollten kein Blutbad. Wir wollten nur Harry zurück. Und nebenbei ein Statement setzen, dass Ken mit seinen Angstspielchen nicht alles erreichen konnte, was er sich einbildete.
Außerdem war mit Anne sogleich eine ausgebildete Ärztin vor Ort, sollte etwas schiefgehen. Oder sollte Harry von seiner Gefangenschaft irgendwelche Verletzungen davongetragen haben.
„Gut." Anne umfasste das Lenkrad des Kleinbusses so fest, dass ihre Fingerknöchel im Halbdunkel der Straßenlampen förmlich leuchteten. „Niall und ich steigen zuerst aus. Maura, du hältst dich noch im Hintergrund. Ken soll nicht von der ersten Sekunde an wittern, dass etwas im Busch ist. Das gibt ihm ansonsten nur unnötig Zeit, sich mental darauf einzustellen."
Maura seufzte. „Anne, wir haben unser Vorgehen schon zigmal durchgesprochen. Und glaub mir, es kostet mich dank Bernards automatischer Rampe keine zehn Sekunden, bis ich mit dem Rollstuhl draußen bin." Sie hielt inne, und ich hatte den Eindruck, dass die beiden Frauen im Rückspiegel einen Blick tauschten. „Mach dir nicht so viele Sorgen. Wir haben die Lage unter Kontrolle."
„Ja." Die Ärztin rang sich ein Lächeln ab. „Ich weiß. Ich hoffe es jedenfalls." Erneut ein stiller Austausch durch den Innenspiegel. „Wie kannst du nur so ruhig sein? Wir wissen nicht, wie Ken reagiert. Und ..." Anne zögerte. „Und deine letzte Begegnung mit ihm war alles andere als positiv."
Mit ausdruckslosem Gesicht starrte ich aus dem Fenster auf die vorbeirasenden Häuser hinaus und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, mit welch großem Interesse ich der Unterhaltung lauschte.
Exakt der Gedanke, den Anne soeben ausgesprochen hatte, verfolgte mich selbst auch schon ein Weilchen. Ken, Mauras eigener Bruder, hatte bei ihrem letzten Zusammentreffen versucht, sie zu töten. Gezielt hatte er sie vom Dach des Rebellenlagers gestoßen, in der Überzeugung, sie danach nie wiedersehen zu müssen und ungestört sein eigenes Ding durchziehen zu können. Der Mordversuch hatte ihr gesamtes Leben verändert.
Würde sie eine Konfrontation mit Ken nicht triggern?
„Die Zeit des Traumas ist längst vorbei, Anne", erklärte Maura exakt in dieser Sekunde, als hätte sie meine Gedanken gehört. „Außerdem kam das Drama damals nicht völlig unerwartet. Ich hatte längst die Befürchtung, dass er mir irgendwann auf die Schliche kommt und kurzschlussartig reagiert." Maura klang gleichgültig und sachlich, aber ehrlich. „Er hat ja nicht geahnt, dass ich durchaus noch klar genug im Kopf war, um nachvollziehen zu können, dass er mir nach und nach alle Entscheidungen aus der Hand nimmt. Zwar konnte ich meine Fähigkeiten aufgrund von Bernards medikamentöser Behandlung nur noch bruchstückhaft einsetzen, aber das war mir allemal lieber, als den Verstand zu verlieren. Dadurch konnte ich mich auf dem Dach natürlich auch nicht groß verteidigen, aber wie hätte die Situation letztendlich auch anders ausgehen sollen? Hätte ich überlebt, wäre Ken trotzdem geflohen und hätte sich an anderer Stelle seine Cognizant zusammengetrommelt – mit dem Unterschied, mich als OOA-Verbündete und große Nemesis der Oblivious darzustellen, statt als Gründerin der Rebellion. Im Endeffekt sind wir jetzt besser dran."
Es klang verdächtig so, als hätte sie sehr viel Zeit dafür gehabt, sich diese Perspektive der Dinge so zurechtzulegen. Vermutlich, um sich nicht mehr mit lästigen, selbstzerstörerischen wenn-dann-Gedankengängen herumschlagen zu müssen.
Anne wirkte, als wollte sie noch etwas sagen, aber letztendlich ließ sie es bleiben. Ich war froh darüber. Es gab definitiv andere – bessere – Orte und Zeitpunkte, um gemeinschaftlich in der Vergangenheit und in irgendwelchen Realitätsszenarien zu wühlen.
„Du und Zayn, ihr scheint euch ja endlich gefunden zu haben", merkte sie stattdessen an. „Hat lange genug gedauert, wenn man euren ganzen stillen Beobachtern so schenken darf."
Verlegen zuckte ich die Achseln, während ich nur zu bewusst wahrnahm, wie neugierig meine Mutter mich von hinten musterte. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie von nun an so viel wie möglich von meinem Leben mitbekommen wollte – aktiv und als Teil davon, statt nur aus sicherer Entfernung zusehen zu müssen.
„Moment mal." Ruckartig wandte ich mich Anne zu. „Unsere stillen Beobachter?"
Das Entsetzen in meiner Stimme brachte sie doch tatsächlich dazu, leise zu lachen. „Allerdings. Einer davon sitzt mit uns im Wagen."
„Ach."
Maura zuckte die Achseln und schob sich eine ihrer kinnlangen, dunkelblonden Strähnen hinters Ohr. „Kannst du es uns verübeln? Wir haben dich jahrelang beobachtet. Und wir haben auch Zayn jahrelang beobachtet. Und als gleich bei eurem ersten Zusammentreffen die Funken geflogen sind, wurden zum Teil schon Wetten abgeschlossen, wie es ausgeht. Ihr wart der Lichtblick eines harten, frustrierenden Arbeitsprozesses."
„Aha." Grummelnd rutschte ich tiefer in meinen Sitz. Meine Wangen brannten. „Schön, dass wir zu eurer Erheiterung beitragen konnten. Verfolgt ihr die Telenovela zwischen Harry und Louis auch so detailliert?"
„Harry und Louis?" Anne klang ehrlich überrascht. „Ich dachte, das wäre längst vom Tisch? Vor ein paar Jahren hatten die beiden einen riesigen Streit deswegen, aber meinem Wissensstand nach hatte es sich dann auch erledigt. Sag bloß, es gibt Neuigkeiten?"
„Ähm." Unschlüssig blickte ich auf meine Finger hinab. Ich war fest davon ausgegangen, dass Anne die Schwingungen, die von Louis ausgingen, ebenfalls wahrgenommen hatte. Seine auffallend große Sorge um Harry, seine nur dürftig versteckte Erleichterung über die Beziehung zwischen Zayn und mir ... nun ja. „Vergesst es."
„Keine Chance." Prompt tauchte in Annes Wange ihr typisches Grübchen auf, dem Harrys so furchtbar ähnlich. „Zu spät, um es zu vergessen. Da werde ich wohl nachhaken müssen, wenn Harry wieder ..." Schlagartig verfinsterte sich ihr Gesicht, ihr Lächeln verschwand, zusammen mit dem Grübchen. „Wenn Harry wieder daheim ist."
Daheim.
Was war eigentlich daheim? Und wo? Ich könnte höchstens definieren, wer, aber der Rest? Schwierig.
Meine Adoptiveltern wären da noch. Meine Güte. Wenn das hier endgültig vorbei war und ich reisen konnte, ohne von den gegensätzlichsten Vereinigungen gejagt und getötet zu werden, musste ich meiner Familie endlich wieder einen Besuch abstatten.
Seit Wochen vertröstete ich sie mit Nachrichten per Handy und E-Mail, gab vor, für einen Skype-Anruf keine Zeit zu haben. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie misstrauisch wurden. Was, wenn sie sich für einen spontanen Besuch entschieden und dem Feind in die Arme liefen? Meine Güte.
Ob sie wohl ahnten, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging? Ich meine, wie viel hatte man ihnen damals erzählt, als ich zu ihnen gestoßen war? Immerhin war ich auch kein Kleinkind oder Baby mehr gewesen, sondern schon um die zehn Jahre alt. Es musste ihnen doch merkwürdig vorgekommen sein, dass ich mich an nichts erinnern konnte, was in meinen bisherigen Lebensjahren passiert war. Hatte Bernard Quinn diesen Gedächtnisverlust womöglich mit Traumata begründet? Oder mit meiner Diagnose?
Dinge, nach denen ich mich bei ihnen wohl nie erkundigen können würde, wenn ich sie nicht in die komplette Welt der Oblivious-Mutation einweihen wollte.
Fuck.
„Fuck."
Ich zuckte zusammen, als Anne mein gedachtes Schimpfwort laut aussprach.
Anne, die fluchte? Ungewohnt. Die Nerven der Ärztin mussten ordentlich blankliegen.
Verübeln konnte ich es ihr definitiv nicht. Mir selbst war schon die ganze Fahrt über speiübel und heiß und kalt zugleich. Fehlte nur noch, dass ich in einen Fieberkrampf ausbrach und unters Handschuhfach kotzte.
Bei der Vorstellung hätte ich fast hysterisch gelacht.
„Fuck", stimmte ich ihr demnach laut zu. „Aber sowas von."
Maura hinter uns begann doch tatsächlich zu lachen.
Anscheinend verfielen wir nun alle drei allmählich in Hysterie.
„Anne, du hast schon immer alle Prinzipien über Bord geworfen, wenn es hart auf hart kommt", informierte sie uns amüsiert. „Gut, dass sich manche Dinge anscheinend nie ändern."
„Ja." Ausdruckslos lenkte Anne den Bus um eine Biegung, ehe sie ihn ruckhaft am Straßenrand vor einem überwucherten Gartenhäuschen zum Stillstand brachte. Der Motor erstarb abrupt. „Wir sind da."
Skeptisch spähte ich nach draußen. „Sicher? Ich dachte, wir müssen ins Industriegebiet?"
„Da sind wir." Mit hektischen, aber dennoch koordinierten Bewegungen klappte Anne die Armstütze hoch und griff hinein. Eine Sekunde später hielt sie eine glänzende Schusswaffe in der Hand. „Ganz am Rand. Das hier ist die letzte Straße vor dem Grundstück der alten Porzellanfabrik. Dazwischen liegt noch ein kleiner Park, aber der kommt uns als Schutzschild gerade recht."
Ich hielt inne. „Du denkst, er könnte seine Leute schon so positioniert haben, dass sie uns sofort niederschießen, sobald wir das Grundstück betreten?"
Selbst im Halbdunkel sah ich, wie Anne die Zähne zusammenbiss. Ihre sonst so sanften, grünen Augen brachten nichts als Kälte zum Ausdruck.
„Es ist denkbar." Mit einem Ruck löste sie ihren Sicherheitsgurt. „Aber vergiss nicht, dass auch wir unsere Verstärkung im Ärmel haben. Liam hat jahrelange Erfahrung in der Koordination der Einsatzteams, er weiß, wann und wie er eingreifen muss."
Ich schluckte schwer, nickte jedoch.
Dass Ken uns einfach alle über den Haufen pusten könnte, sobald wir einen Fuß auf sein Zielgebiet setzten, hatte ich naiverweise noch überhaupt nicht in Betracht gezogen.
Verdammte Scheiße. Würden wir heute sterben? Vielleicht sogar in fünf Minuten?
Fuck!
Liam mit ins Boot zu kriegen, war nicht schwer gewesen. Er hatte die Situation in einem einzigen Informationsdurchgang und einem knappen Nicken erfasst und dann direkt seine Hilfe angeboten.
Auch, dass er im Gegensatz zu Louis so lange außen vor gelassen worden war, schien er uns nicht übel zu nehmen. Ich schätzte, er hatte genug Durchblick und Verständnis für die Situation, um zu begreifen, dass das nichts mit mangelndem Vertrauen ihm gegenüber zu tun hatte, sondern schlicht und ergreifend mit der Maulwurfrolle seines Vaters.
Noch dazu war er wohl der erfahrenste der jungen Truppe, die ich gleich zu Beginn dieses Mutations-Trips kennengelernt hatte. Er leitete im St. Hedwig ein eigenes Sicherheitsteam, gab Kampfunterricht und war auch ansonsten in der Befehlshierarchie der Außeneinsätze ganz weit oben mit dabei.
Ob da sein Vater als stellvertretende Leitung der Einrichtung seine Finger im Spiel gehabt hatte, wusste ich natürlich nicht, aber letztendlich war mir das auch egal. Liam machte seine Arbeit einwandfrei und professionell, der Rest war egal.
Fröstelnd schlug ich den Kragen meiner dunklen Lederjacke hoch, als ich aus dem Bus stieg und leise die Tür hinter mir schloss. Langsam wurde es in den späten Abendstunden wirklich kalt. Vermutlich dauerte es nicht mehr lange, bis auch die ersten Schneeflocken vom Himmel fielen und einen Vorgeschmack auf die Weihnachtszeit lieferten.
Weihnachten.
Daran durfte ich in dieser Sekunde gar nicht denken. Genau genommen durfte ich in dieser Sekunde wohl nicht einmal bis morgen in die Zukunft denken. Oder eine Stunde. Eine halbe. Fünf Minuten. Zwei Minuten. Jederzeit konnte sich jemand auf uns stürzen. Oder im Schutz der Dunkelheit ganz verstohlen einen Abzug betätigen und uns der Reihe nach niederschießen, ehe wir begriffen, was geschah.
Bei dieser Vorstellung kroch es mir eiskalt das Rückgrat hinab, während gleichzeitig meine Handflächen klamm vor Schweiß wurden.
„Bist du bereit?" Anne verstaute die Schusswaffe sicher unter ihrer Jacke.
Ich war froh, dass man mir keine angeboten hatte. Der Schock darüber, mit einer Pistolenkugel ein Menschenleben genommen zu haben, ohne die Waffe selbst auch nur zu berühren, saß mir noch viel zu tief in den Knochen. Mittlerweile klappte es ganz gut, die Erinnerung zu verdrängen, aber sobald ich eine Waffe zu Gesicht bekam, kochte alles wieder hoch.
Dann ging mir auf, dass Anne noch immer auf eine Reaktion von mir wartete.
Schnell zwang ich mich zu einem Nicken. „Ja."
„Gut." Sie wartete, bis ich den Bus umrundet und zu ihr aufgeschlossen hatte. „Dann los."
Schweigend verließen wir die Straße, um uns stattdessen einen Weg durch das angrenzende Gestrüpp zu bahnen. Das Gartenhäuschen direkt am Straßenrand hatte im Gegensatz zu er Buschlandschaft hier hinten noch regelrecht gepflegt gewirkt. Offenbar hatte es sich hierbei mal um eine grüne Oase am Stadtrand mit Obstbäumen, Teich und Sitzbänken gehandelt, doch davon war nicht mehr allzu viel zu sehen. Inzwischen wucherten viel zu viele Bäume, Sträucher und Büsche in alle Richtungen, um noch zu definieren, welches Gewächs im Sommer denn nun Früchte trug oder nicht. Der Teich – oder zumindest ging ich davon aus, dass es sich zur Blütezeit dieses Parks um den Teich gehandelt hatte – glich einem Schlammloch, umrandet mit rot-weißem Band. Letzteres war wohl ein halbherziger Versuch, Betrunkene davon abzuhalten, hineinzufallen und zu sterben.
Zahlen zur Erfolgsrate hätten mich brennend interessiert. Danach.
Wenn es denn ein danach gab.
Am Rande eines weitläufigen Schotterhofs, weiterhin im Schatten mehrerer strauchartiger Bäume, kamen wir schließlich zu einem Halt. Obwohl wir wirklich nicht weit gelaufen waren, ging mein Atem pfeifend und erinnerte mich einmal mehr daran, wie schlecht es um meine Kondition stand.
Auf die Knie gestützt holte ich mehrmals tief Luft, während ich den Blick über das Areal schweifen ließ. Die Schotterfläche lag leer vor uns, mal abgesehen von einem uralten Container und mehreren Haufen aus Steinen oder Bruchporzellan. Ganz weit hinten, direkt an der heruntergekommenen Fabrikhalle, waren noch ein Lastwagen und ein Gabelstapler zu sehen, die beide nicht ganz unmodern wirkten, also ging ich davon aus, dass hier ab und an doch noch etwas Leben herrschte.
Angestrengt kniff ich die Augen zusammen. „Siehst du jemanden?"
„Nein. Noch nicht." Annes Hand an meinem Arm verkrampfte sich kaum merklich. „Aber sie sind hier irgendwo. Ich weiß es."
„Na ja. Hoffen wir es. Sonst ... fuck!" Blind zuckte ich zurück und wäre beinahe über einen Baumstumpf hinweg zu Boden gegangen, hätte Anne nicht geistesgegenwärtig noch fester zugepackt. „Verdammt, was ..."
„Niall." Furcht, gepaart mit Sorge spiegelte sich in Annes Blick wider. „Was ist passiert? Niall?"
Ich atmete tief durch, eine Hand an meine Stirn gepresst. „Harry."
„Was?!" Die Ärztin ergriff auch noch meinen zweiten Arm. „Was ist mit Harry? Was hast du gespürt oder gehört? Oder gesehen? Niall?"
Mühsam schluckte ich gegen meine trockene Kehle an. Die Welle aus Harrys Emotionen hatte mich vollkommen unvorbereitet getroffen. Wie ein Schlag ins Gesicht. Urplötzlich und hart und mit voller Wucht.
„Er ist auf jeden Fall hier. Ich fühle es." Ich spürte in mich hinein. „Und er hat eine ganze Palette an Emotionen dabei."
Annes Augen loderten noch immer. „Konntest du etwas Spezifisches spüren? Eventuell ... Schmerz?"
Die letzte Frage klang ängstlich.
„Kein Schmerz. Furcht, ja. Und Wut. Vor allem Wut." Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich auf die Eindrücke, die wellenartig über mich hinwegschwappten. „Er ist verdammt wütend."
Anne presste die Lippen zusammen. „Das wundert mich überhaupt nicht. Er denkt vermutlich gerade, dass er die Schuld an dieser Situation trägt. Sollte in den nächsten zehn Minuten etwas schiefgehen, wird er sich das bis auf alle Ewigkeit auf seine Kappe schreiben."
Ja, das klang leider nach etwas, was Harry definitiv tun würde.
Ich fuhr zusammen, als es in meinem Ohr knackte, und Annes reflexartige Bewegung in Richtung Kopf deutete darauf hin, dass sich nun auch ihr Headset zu Wort meldete. Liam hatte uns verkabelt und uns eine kurze Einweisung in die Nutzung des Krams gegeben, in dem Wissen, dass es den meisten ja nicht möglich war, mit mir gedanklich zu kommunizieren.
Quinns Vermutung nach könnte das an den unterschiedlichen Ausprägungen der Mutation liegen. Erste Generation kommunizierte mit erster Generation, die zweite mit der zweiten. Inklusive einiger Grauschattierungen.
So ganz Sinn ergab das für mich zwar trotzdem nicht, immerhin hatte ich ganz am Anfang dieses Höllentrips einen nicht ganz so netten Plausch mit Louis in meinem Kopf geführt, aber irgendwie war es mir mittlerweile egal.
Ich musste nicht alles bis ins kleinste Detail wissen und verstehen.
Jedenfalls nutzten wir professionelle Headsets des Sicherheitsdienstes, damit alle Beteiligten vernetzt waren – auch Quinn, Zayn und Maura. Die drei waren in Sachen Telepathie ohnehin außen vor.
„Hey. Anne, Niall?" Liam meldete sich in meinem Ohr, mit einer Ruhe in der Stimme, von der wir uns hier beide nur eine Scheibe abschneiden könnten. „Gibt es Probleme?"
Natürlich befanden sich unsere Leute schon auf Position und warteten angespannt darauf, endlich freie Sicht auf uns zu haben – die sie normalerweise auch schon hätten, wäre Harrys Emotionsschub nicht gewesen.
„Nein, alles gut.
Mit neu gewonnener Überzeugung straffte ich den Rücken, fing entschlossen Annes Blick auf.
„Dann sorgen wir dafür, dass es auch weiterhin keine gibt."
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