24) Wieder?
Das Handy, das Tilda mir vor zwei Tagen gegeben hatte, lag schwer und unheilvoll in meiner Hand.
Sein tadellos glänzendes Display, noch mit Schutzfolie abgeklebt, schien mich zu verhöhnen, schien mich dazu aufzufordern, diese dämliche Folie endlich abzuziehen und das Gerät in Benutzung zu nehmen.
Zum Beispiel, um die Zahlenabfolge einzuspeichern, die ich vor etwa eineinhalb Wochen von meinem Arm abgeschrieben und den kleinen Notizzettel anschließend ganz klischeehaft unter meinem Kopfkissen versteckt hatte.
Zwar gab es für die privaten Wohnräumlichkeiten kein Reinigungspersonal, das versehentlich darauf stoßen konnte, aber dafür gab es Harry. Da dieser den größten Teil seiner Freizeit – und so viel wie möglich von seiner Arbeitszeit – irgendwo in meiner Nähe verbrachte und sich nicht davor scheute, aus purer Langeweile heraus irgendwelche Schubladen zu öffnen, hatte das Kopfkissen in meinen Augen Sinn ergeben.
Und jetzt saß ich im Schneidersitz auf meinem Bett, umgeben von der tiefblauen Bettdecke, die sich so schön mit den Vorhängen glich, und starrte abwechselnd das neue Smartphone und Zayns Handynummer an, als könnte sich mein innerer Konflikt somit von selbst lösen.
Ich sollte Zayn nicht anrufen.
Und ich durfte es vermutlich auch nicht.
Aber ... ich wollte es.
Ich wollte seine Stimme hören.
Warum wollte ich seine Stimme hören? Ich kannte ihn nicht einmal. Zumindest nicht so wirklich. Ich wusste im Prinzip nichts über ihn. Nicht, woher er kam, was er neben seinem Studium sonst so tat, nicht einmal, wie seine Wohnung aussah. Sein Name war mir bekannt, ja, und ebenso, dass er Jura – Verzeihung, Rechtswissenschaft – studierte.
Sonst nichts.
Und dennoch wollte mir sein Gesicht nicht aus dem Kopf gehen. Ebenso wenig seine samtige Stimme, die es mir angetan zu haben schien. Sie war so leise und dennoch durchdringend. Die Vorstellung, ihm die flache Hand auf die Brust zu legen, während er sprach, und die Vibrationen direkt mit der Haut aufzunehmen, ließ meinen Blutdruck rapide ansteigen.
Was war nur los mit mir? Was faszinierte mich so an diesem Typen? Mochte ich ihn einfach, weil er sich so offensichtlich Sorgen um mich machte? War ich wirklich so verzweifelt nach jeglicher Art von Aufmerksamkeit?
Meine Güte.
Verzweifelt war ich außerdem auch wegen des Trainings.
Tilda war – entgegen meinem ersten Eindruck von ihr – eine erstaunlich geduldige, verständnisvolle Lehrerin. Sie schien einen Riecher dafür zu haben, wenn mein Kopf vor Anstrengung zu dröhnen begann, sie witterte es, wenn es mir auch mental zu viel wurde, und war dann sehr schnell damit, die Sitzung kurzerhand zu beenden. Ganz gleich, ob wir die offizielle Zeit genutzt hatten oder nicht.
„Es nützt nichts, etwas zu erzwingen", lautete ihr Motto. „Gelassenheit ist der Schlüssel."
Ich hatte sie nach diesem Statement nur fassungslos angestarrt.
Fehlte gerade noch, dass sie Charles Xavier und seinen Punkt zwischen Wut und Gelassenheit zitierte.
Den ich selbst wohl niemals finden würde.
Da war eine Menge Übereifrigkeit in mir, ja. Und Frustration. Sehr viel Frustration sogar. Und herbe Enttäuschung, wenn ich es auch nach dem zwanzigsten Mal nicht schaffte, ein stillliegendes, stinknormales Blatt Papier auch nur einen Millimeter anzuheben.
Wie zum Henker hatte ich es geschafft, dieses Messer abzuwehren, das mit der Kraft eines muskelbepackten Mannes auf mich zugeflogen war? Im Gegensatz dazu sollte ein blödes Blatt Papier doch ein Klacks sein, richtig?
War es nicht.
Die heutige Stunde hatte vor zwanzig Minuten damit geendet, dass Tilda mich mit Bestimmtheit aus dem Büro geschoben hatte, vermutlich befürchtend, ich könnte den armen Elton John mit bloßen Blicken in Flammen aufgehen lassen. Was ich eventuell rein theoretisch sogar konnte, würde ich es denn endlich können.
Ich blockierte mich selbst.
So langsam verstand ich Harrys Verbitterung über das Training – wenn auch mit dem klitzekleinen Unterschied, dass er sich seit zwanzig Jahren daran versuchte, ich erst seit ein paar Tagen.
Vermutlich war es dumm von mir gewesen, eisern darauf zu bestehen, mit der Telekinese zu beginnen und dabei sofort Niederlagen einzustecken. Die Sache mit den Gedanken und Emotionen wäre sicherlich einfacher.
Tilda hatte Ähnliches angedeutet, mit einem finsteren Gesichtsausdruck, der keine Widerrede mehr zugelassen hatte. Demnach ging ich davon aus, nach dem Wochenende erst einmal den Telepathie- und Empathiekram anpacken zu müssen, statt mich weiter mit unbewegten Papieren oder bewegten Kakteen abzukämpfen.
Vermutlich sinnvoll. Ein Erfolgserlebnis würde meiner Selbstwirksamkeitserwartung garantiert nicht schaden. Und wenn dieses Erlebnis nur beinhaltete, mir Tildas völlig irrelevante Gedanken über Elton Johns Hühnerkostüm zu Gemüte zu führen.
Seufzend zog ich die Schutzfolie vom Display des Smartphones, obwohl ich noch immer nicht so recht wusste, was ich damit anfangen sollte. Oder wen.
Meine Familie durfte ich nicht kontaktieren, davor hatte Anne mich ausdrücklich gewarnt. Sie und ihre Sicherheitsleute gingen davon aus, dass die Leitungen meiner Eltern überwacht wurden, in der sicheren Erwartung, dass ich mich früher oder später bei ihnen meldete. Was ich ohne Annes Hinweis wohl auch getan hätte, einfach um in der Vertrautheit ihrer Stimmen Ruhe zu finden.
Und ansonsten gab es niemanden, bei dem ich mich melden könnte. Klar, Zayns Nummer schlummerte hier auf dem Notizzettel in meiner Hand, aber mal abgesehen davon, dass ich eigentlich keinen Grund hatte, ihn anzurufen, wäre es auch nicht sehr klug.
Wer wusste schon, wohin die OOA ihre Kontrollfühler noch überall ausgestreckt hielt. Und wenn sie dann mein Handy orteten, war es vorbei – und zwar nicht nur mit mir, sondern vermutlich auch mit dem St. Hedwig und all den unschuldigen Oblivious, die dort Schutz suchten.
Ein horrender Gedanke.
Die abrupt auffliegende Tür riss mich aus meinen Tagalbträumen und veranlasste mich dazu, den Zettel mit Zayns Handynummer hektisch zurück unter mein Kopfkissen zu stopfen.
Harry – wer auch sonst – platzte herein, in seine übliche Arbeitskluft gekleidet. Ohne Umschweife durchquerte er den Raum und warf sich dann neben mir auf mein Bett, ganz selbstverständlich, als hätte er das schon unzählige Male getan.
Was er gewissermaßen auch schon hatte. Immerhin schien er während seiner Pausen ohnehin keine anderen Hobbys zu haben, als bei mir abzuhängen.
Nicht, dass es mich stören würde, versteht sich. Ich mochte ihn.
Er war über die letzten zwei Wochen zu meinem engsten Verbündeten geworden, zu einem Freund. Dass er mich als Sohn der Einrichtungsleitung über die neuesten Geschehnisse auf dem Laufenden halten konnte, war nur ein Bonus.
„Voilà." Ein in Papier gewickeltes Sandwich landete in meinem Schoß. „Das Personal an der Cafete war mir wohlgesonnen."
Amüsiert schnippte ich gegen seine Schulter. „Sollte nicht eher ich dir Essen vorbeibringen? Immerhin bist du derjenige, der arbeitet, während ich nur herumsitze."
Harry zuckte die Schultern, während er sich in eine sitzende Position emporstemmte, um sein eigenes Essen auszupacken „Ich gehe ohnehin an der Cafeteria vorbei. Und die Leute dort geben mir das Essen umsonst, weil sie mich mögen."
„Ist das so." Ich zupfte an der Verpackung des Sandwiches. „Ganz schön vor dir selbst überzeugt, Mr. Styles."
Harrys Augen funkelten schalkhaft. „Mein Charme ist eben unwiderstehlich."
„Offensichtlich."
Einige Minuten lang waren wir beide viel zu sehr mit Essen beschäftigt, um große Gespräche zu führen. Verstohlen musterte ich Harry von der Seite her, nahm seinen zerrupften Haarknoten zur Kenntnis, die müden Augen und die Art und Weise, wie er unablässig mit dem Fuß wippte, als stünde er unter massivem Druck.
Was vermutlich auch der Realität entsprach. Sicherlich war auch heute wieder irgendjemand von seinen Kollegen krank, für den man keinen Ersatz gefunden hatte.
„Bist du zufrieden?" Die Frage entschlüpfte mir, bevor ich mir überlegen konnte, warum ich sie stellte. „Mit deinem Job und dem ganzen Drumherum, meine ich."
Harry warf mir einen erstaunten Blick zu. „Es passt, denke ich?" Es klang mehr wie eine Frage. „Ich meine, abgesehen vom chronischen Personalmangel. Aber da ich es gar nicht anders kenne, als ständig irgendwo einspringen zu müssen oder mit der Hälfte der eigentlichen Personenanzahl zu arbeiten, merke ich es wohl gar nicht so sehr wie die älteren Kollegen."
Er nahm noch einen Bissen von seinem Sandwich. „Außerdem gefällt es mir, unseren Leuten zu helfen, weißt du? Oblivious auf der Flucht zu unterstützen. Das Wissen, dass ich hier einen wichtigen Teil leisten kann, tut gut."
Das klang plausibel.
Doch trotz seines überzeugten, lässigen Tonfalls konnte er mich nicht täuschen. Ich musste mich nicht einmal bemühen und meine empathischen Fühler ausstrecken, um die Verbitterung zu spüren, die sich hinter seinen Worten verbarg.
Der Stress, der mit der chronischen Unterbesetzung des Pflegepersonals einherging. Kombiniert mit seinen Zweifeln an sich selbst, an seinen Fähigkeiten, die so viel schwächer zu sein schienen als die eines durchschnittlichen Oblivious.
Er hatte eben nicht das Gefühl, seinen Teil leisten zu können.
Während die anderen regelmäßig auf Einsätzen unterwegs waren, Oblivious aufsammelten oder sich unter Einsatz ihrer Mutation undercover in den höheren Riegen umhörten, war Harry dazu verdammt, seinen normalen Job zu tun. Er hatte zwar das Gefühl, hier seinen festen Platz zu haben, aber trotzdem nicht zu hundert Prozent dazuzugehören.
Es tat weh, obwohl ich es nur aus zweiter Hand spürte.
Doch bevor ich zu einem Entschluss kommen konnte, ob ich ihn nun darauf ansprechen sollte oder nicht, ergriff er schon selbst wieder das Wort.
„Falls du dich fragst, wie es mit dir selbst weitergehen wird ..." Er hielt inne, um seinen letzten Bissen eilig zu kauen. „Mum wartet immer noch darauf, dass unser Maulwurf bei der OOA ein Update gibt, was dich betrifft. Normalerweise werden umgehend großangelegte Suchaktionen losgetreten, wenn ein Oblivious plötzlich von der Bildfläche verschwindet. Immerhin ist ein unkontrollierter Oblivious eine Bedrohung. Dass sie innerhalb der OOA keinen offiziellen Auftrag herausgeben, ist merkwürdig. Das legt den Verdacht nahe, dass sie im Verdeckten nach dir suchen, ohne das übliche System zu nutzen. Als würden sie es darauf anlegen, deine Existenz so bedeckt wie möglich zu halten."
Schlagartig verging mir der Appetit und ich musste das halbgegessene Sandwich zur Seite legen, bevor mir vom bloßen Anblick übel werden konnte.
„Was meinst du damit?" Unruhig wischte ich mir einige Brösel von meiner Jeans. „Und warum sollten sie das tun? Sie haben doch nichts davon, wenn sie nicht alle ihre Möglichkeiten nutzen und ich ihnen am Ende durch die Lappen gehe."
Harry zuckte die Schultern und wandte sich wieder seinem Essen zu, doch ich glaubte, einen Anflug von Frust über sein Gesicht huschen zu sehen – vermutlich darüber, nicht die Klappe gehalten zu haben. Mal wieder.
„Keine Ahnung. Aber ich schätze, wenn sich auch in der kommenden Woche nichts mehr tut und du mit deinem Training vorankommst, wird Mum dich sicherlich einem Team zuordnen." Er warf mir einen Blick zu. „Es sei denn, du möchtest als Hilfskraft bei uns mitarbeiten. Du weißt ja, Personalmangel und so."
Auch wenn dieser Vorschlag natürlich scherzhaft gemeint war, kam ich nicht umhin, ernsthaft darüber nachzudenken.
„Weißt du was?", meinte ich schließlich. „Das wäre für mich auch in Ordnung. Alles ist besser, als tatenlos hier herumzusitzen und nicht zu wissen, was abgeht. Weiß deine Mutter überhaupt, dass du mich mit so ziemlich allen Infos fütterst, die du irgendwo in Erfahrung bringen kannst?"
Harry gluckste leise. „Nicht direkt, aber bin mir sicher, sie ahnt es. Außerdem fände ich es unmenschlich, dich im Dunkeln zu lassen. Immerhin geht es hier um dich. Um dein Leben."
„So ernst fühlt es sich gar nicht an", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich meine, ich weiß, dass ich mich hier verstecke, weil es mir sonst an den Kragen gehen könnte. Und dass unsicher ist, ob ich überhaupt meinen Namen behalten kann, oder ob ich mir eine komplett neue Identität zulegen muss. Ich weiß, dass alles verdreht und dramatisch und seltsam ist. Und trotzdem sitze ich hier und stopfe seelenruhig ein Sandwich in mich hinein und verbringe meine Abende damit, mit euch abzuhängen und zu quatschen, als wäre alles in bester Ordnung."
Falls mein plötzlicher Ausbruch ihn überraschte, ließ er es sich nicht anmerken.
Stattdessen nickte er nur verständnisvoll. „Du bist nicht der Erste, der das sagt. Aber ich bin mir sicher, dass sich schon bald klären wird, woran du bist." Er zögerte. „Louis läuft auch mit angepassten Papieren durch die Gegend, musst du wissen. Ursprünglich hatte er den Nachnamen seiner Mutter, hat sich dann aber den seines Erzeugers geschnappt. Und dieses Lewis, das auf seinen ganzen Ausweisen steht ..."
„Moment, was?" Entgeistert starrte ich ihn an. „Zu mir hat er immer gesagt, das wäre nur ein Fehler der Behörden."
Harry lachte in sich hinein. „Nein, er ist ganz offiziell als Lewis Tomlinson gemeldet. Schön für ihn, sich irgendwie trotzdem weiterhin mit seinem richtigen Vornamen vorstellen zu können."
Ich brummte zustimmend. „Dann könnte ich mich wohl Neil oder so nennen."
„Könntest du", stimmte Harry nachdenklich zu. „Wobei mir Niall um Welten besser gefällt. Ich finde, das ist ein sehr niedlicher Name. Er passt zu dir."
Erneut ließ ich das Sandwich sinken, nachdem ich gerade erst beschlossen hatte, wieder bereit für Nahrungsaufnahme zu sein. „Wie bitte? Hast du mich gerade indirekt als niedlich bezeichnet?"
Harry wandte sich schnell ab, jedoch nicht schnell genug, um die Röte zu verbergen, die sich schlagartig auf seinen Wangen ausbreitete.
„Ich meine ja nur", murmelte er undeutlich, die Zähne halb in seinem Sandwich vergraben. „Mir gefällt der Name eben."
Kopfschüttelnd versetzte ich ihm einen Stoß gegen die Schulter. „Du bist seltsam."
„Danke. Gleichfalls."
Völlig aus dem Kontext gerissen ging mir plötzlich auf, dass ich ihm gar nichts zu trinken angeboten hatte.
Abrupt erhob ich mich. „Willst du was trinken? Sorry, Mann. Du bringst mir Essen vorbei, und ich denke nicht einmal daran, gastfreundlich zu sein."
Harry winkte ab, sichtlich erleichtert über den Themenwechsel. „Keine Sorge. Das Leitungswasser, das ich grundsätzlich trinke, hätte ich mir auch selber holen können."
„Trifft sich gut." Ich schnappte mir zwei Gläser aus dem Wandschrank über der Küchenzeile. „Was anderes gibt es hier nämlich ohnehin nicht. Ich bin mir sowieso nicht sicher, wie ihr das hier finanziert. Dass Leute hier unterkommen und versorgt werden können, noch dazu über so lange Zeit, ohne dafür bezahlen zu müssen, meine ich."
Harry verzog das Gesicht, während er dankend das Glas entgegennahm. „Frag mich nicht. Finanzen sind nicht gerade mein Spezialgebiet. Ich weiß nur, dass es ganz oben irgendeine Stelle gibt, die genug Geld hat, um Einrichtungen wie uns finanziell zu unterstützen. Welche das ist und wer dort das Sagen hat, weiß hier wohl niemand. Ist alles streng vertraulich, damit ja nichts an die OOA dringt, sollte einer der Unterstützungspunkte enttarnt und gefilzt werden."
Ich nickte nachdenklich und fluchte, als ich es fertigbrachte, einen beachtlichen Schwall meines Wassers über das Kopfkissen zu kippen. Harry lachte mich nur aus, während ich das Kissen gedankenlos packte, um es zur Seite zu schieben – wobei natürlich der Zettel mit Zayns Handynummer zum Vorschein kam.
Ich Idiot.
Leider hatte Harry ihn noch vor mir gesichtet, und bevor ich reagieren konnte, hatte er sich schon vorgebeugt und neugierig danach gegriffen.
„Na, was lagerst du denn unter deinem Kopfkissen?" Amüsiert drehte er den Zettel um. „Das muss ja schon etwas unfassbar Wichtiges sein."
„Nein." Hektisch schnappte ich danach. „Ist es nicht. Es ist nur ein Zettel."
Zu spät.
Harry hatte die Zahlen schon gesichtet.
Prüfend sah er zu mir auf. „Ist das eine Handynummer?"
Ich zuckte die Achseln. Ich fühlte mich merkwürdig ertappt. „Möglich."
Sein Stirnrunzeln intensivierte sich. „Warum lagerst du die denn unterm Kopfkissen? Du hast doch jetzt ein Handy, du kannst die Nummer einfach einspeichern." Eine Sekunde später weiteten sich seine Augen. „Halt. Das ist doch nicht etwa ... ist das etwa die Nummer von deinem Nachbarn, von dem Gemma erzählt hat? Dieser Typ, den ihr letzte Woche bei unserer Klamottenmission getroffen habt?"
„Ich ...ähm ...fuck." Peinlich berührt kratzte ich mich im Nacken. Schließlich seufzte ich, wohlwissend, dass ich Harry diesen sehr wahren Verdacht nicht mehr ausreden konnte. „Eventuell. Ja. Ist sie."
Die daraufhin eintretende Stille war aus irgendeinem Grund sehr beißend.
„Er hat dir seine Handynummer gegeben." Es war nichts als eine neutrale Feststellung, doch sein Tonfall klang merkwürdig gepresst. „Und du denkst ernsthaft darüber nach, ihn anzurufen?"
Plötzlich war die entspannte, wohlige Stimmung zwischen uns endgültig dahin, Harrys grübchenbegleitetes Lächeln verschwunden. Stattdessen lag nun ein verkniffener Ausdruck auf seinem Gesicht, ein Anflug von Bitterkeit in seinen grünen Augen.
Ich fühlte mich in die Enge getrieben. „Ich habe darüber nachgedacht, ja. Aber ich denke, ich werde es nicht tun."
„Du denkst, du wirst es nicht tun?" Die Schärfe in seiner Stimme brachte mich noch mehr aus dem Konzept. „Niall, lass es. Du weißt nicht, wer er ist. Mit allem, was wir wissen oder eben nicht wissen, könnte er ein Spitzel der OOA sein, den sie gezielt in die Wohnung neben dir verfrachtet haben, um dich noch besser zu überwachen."
Ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen. „Wie bitte? Zayn und ein Spitzel der OOA? Harry, bitte. Dieser Typ hat mich nach einem Totalzusammenbruch an der Uni heimgeschleppt."
„Ich weiß", entgegnete Harry sofort. „Das habe ich gesehen. Und bevor er zu dir ins Auto gestiegen ist, hat er noch telefoniert. Findest du das nicht verdächtig?"
Ich konnte ihn nur anstarren. „Du hast uns gesehen? Auf dem Parkplatz?"
Harry wand sich. „Nicht direkt." Irgendwie klang es wie eine schnell dahingesagte Lüge. „Es wurde mir so berichtet." Auch das. Eine Lüge. „Außerdem hast du den eigentlichen Punkt meiner Aussage überhört: Es war verdächtig."
Heftig schüttelte ich den Kopf. „Harry, glaub mir, Zayn ist vollkommen harmlos. Er ist ein stinknormaler Jurastudent. Oder denkst du, ich würde es nicht bemerken, hätte er Dreck am Stecken?"
„Bei Louis hast du es doch auch nicht bemerkt, oder?" Harry gab nicht nach. „Außerdem werden OOA-Agenten gezielt für solche Aktionen geschult. Sie sind gut darin, normal zu wirken und sich Vertrauen zu erschleichen."
Ich seufzte. „Zayn ist kein OOA-Agent. Glaub mir doch einfach."
„Woher willst du das so genau wissen?" Mittlerweile war sein Tonfall so schnippisch, dass auch in mir Ärger aufstieg. „Nur weil du ihn magst, heißt das noch lange nicht, dass er kein Verdächtiger sein kann. Du wirst ihn garantiert nicht anrufen."
„Was zur Hölle, Harry?" Ich entriss ihm den Zettel, womit ich ihn glücklicherweise so sehr überrumpelte, dass es ihm nicht mehr gelang, diesen festzuhalten. „Warum bist du denn auf einmal so verbohrt?"
Harry knirschte mit den Zähnen. „Weil ich nicht möchte, dass du dich verarschen lässt, Niall. Falls du es noch immer nicht begriffen hast: In deiner Position kann der Kontakt mit den falschen Leuten tödlich enden."
„Zayn gehört nicht zu diesen Leuten."
Ernüchtert warf er die Arme empor. „Meine Güte! Kannst du nicht ein einziges Mal objektiv denken?" Er warf einen Blick auf die Uhr und fluchte. „Fuck, ich muss weiter. Niall, ich weiß, ich kann dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast. Aber bitte pass auf, wem du vertraust. Hörst du? Ich möchte dich nicht gleich wieder verlieren."
Meine Irritation stieg ins Unermessliche.
„Wieder? Harry, was..."
Doch Harry war bereits aufgesprungen und auf dem Weg zur Tür. „Lass uns bitte nach meiner Schicht nochmal reden, okay?"
Ich konnte nur nicken und noch einen letzten Blick auf Harrys angespanntes, verletztes Gesicht erhaschen, dann war er schon auf dem Gang und hatte die Tür sorgsam hinter sich verschlossen.
Einige Sekunden lang starrte ich die Stelle an, an der Harry bis eben noch gesessen hatte.
Und dann schnappte ich mir kurzerhand das Smartphone, um es endlich in Betrieb zu nehmen – und um Zayns Nummer dort einzuspeichern.
Zwar wusste ich nicht, ob ich sie jemals wählen würde, aber es konnte ja nicht schaden, sie griffbereit bei mir zu haben, richtig?
Richtig.
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That went ... well? I guess.
Welches Problem Harold wohl mit Zaynie hat?👀
Dankeschön für alles und liebe Grüße!
Andi❤
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