18) Blondie
„So. Den Verwaltungstrakt kennst du jetzt schon. Und das hier ..." Harry schüttelte sich seine widerspenstige, braune Lockenmähne aus der Stirn, bevor er mir eine weitere Flügeltür aufhielt. „Das hier sind die Wohnräumlichkeiten. Hier bekommst du auch ein Zimmer, zumindest vorerst."
Der Eifer, mit dem er mich herumführte und sicherging, dass ich auch wirklich keine Fragen mehr hatte, war rührend. Und ansteckend.
Fast so ansteckend wie sein grübchenbehaftetes Grinsen, das er mir immer schenkte, sobald er bemerkte, dass ich ihn musterte.
Was ich ziemlich oft tat, um ehrlich zu sein. Der Kerl war mir sympathisch. Attraktiv war er natürlich auch, was ich in all meinem Schwulsein nicht leugnen konnte, aber daran lag es nicht, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühlte.
Es war seine seltsame Vertrautheit. Sie brachte mich dazu, seine Suche nach meiner Nähe bereitwillig zu erwidern und offen zu sein, wenn er Fragen zu meinem bisherigen Leben stellte.
Hier musste man anmerken, dass er dazu erstaunlich viele Fragen hatte. Noch dazu auch sehr detailliert und ein wenig irritierend, aber es störte mich nicht.
Harry wirkte auf mich wie jemand, dem man auch seine dunkelsten Geheimnisse anvertrauen konnte, der aber dennoch nicht urteilte oder diese gar weitertrug.
Ich vertraute ihm.
Eigentlich ohne jegliche Basis, aber nun gut. Mein Bauchgefühl war schon immer meine beste Führung gewesen, also würde ich mich auch in diesem Fall darauf verlassen.
Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, wie Harry vor mir zu einem Halt kam. Mit dem Resultat, dass ich schnurstracks gegen ihn rannte und uns beide damit zum Taumeln brachte.
„Hoppla." Harry griff nach meinem Arm, mit der anderen Hand nach dem Handlauf an der Wand. „Alles klar?"
Verlegen entzog ich ihm meinen Arm. „Ja. Tut mir leid. Ich bin ein bisschen verwirrt."
Harry begutachtete mich mitleidig. „Kann ich verstehen. Ähm ... das hier ..." Er deutete auf die Tür, vor der wir beinahe einen filmreifen Sturz hingelegt hätten. „Das hier wird für die nächste Zeit dein Zuhause. Natürlich ist es nicht besonders groß und du hast auch nur eine kleine Küchenzeile, aber es ist besser als nichts. Und definitiv besser, als irgendwo ..." Er brach ab und sein Lächeln erlosch. „Nun ja. Du weißt schon."
„Als irgendwo in einer dunklen Gasse abgefangen und abgemurkst zu werden?" Ich trat an ihm vorbei, um die Tür zu öffnen. „Das stimmt wohl."
Harry räusperte sich. „Sorry. Mein Humor ist schlecht."
„Nicht nur deiner." Ich betrat den Raum, hörte, wie Harry es mir gleichtat und die Tür hinter uns schloss. „Sieht doch gut aus. Ein bisschen wie meine Studentenbude, nur ein wenig moderner." Mein Blick blieb an den Vorhängen haften, die sich farblich perfekt zur Bettwäsche ergänzten. „Hey, Dunkelblau ist meine absolute Lieblingsfarbe. Was für ein Zufall."
„Wirklich?" Harrys Stimme klang merkwürdig. „Krass."
Fragend wandte ich mich zu ihm um und stellte fest, dass er mich anstarrte. „Ist denn bei dir alles klar?"
„Absolut." Er ließ seine Grübchen erstrahlen. „Training war hart, das ist alles."
Ach ja. Das ominöse Training.
„Okay?" Nun war mein Interesse geweckt. „Wie muss ich mir dieses Training denn vorstellen?"
Das unwillige Zucken von Harrys Mundwinkeln verriet, dass dieses Training leider gleich das nächste Thema zu sein schien, das ihm nicht behagte. Offenbar war ich heute geradezu darauf gepolt, in Harrys persönliche Fettnäpfchen zu tappen.
„Für solche Erklärungen bist du bei mir an der falschen Adresse. Mal wieder." Ein wenig zu schief grinste er mich an. „Mein persönliches Training beschränkt sich auf Selbstschutz. Weiter bin ich noch nicht gekommen. Seit über zwanzig Jahren. Frag also lieber Gemma, die kennt sich besser aus. Oder Louis und Liam. Oder einfach irgendeine andere Person hier."
Es brannte mir auf der Zunge, mich danach zu erkundigen, was er damit meinte, noch nicht weiter gekommen zu sein, doch genau in diesem Moment schwappte mir eine derartige Welle der Verbitterung entgegen, dass ich mir die Frage sofort verkniff.
Harry fing meinen Blick auf, ehe ich ihn abwenden konnte, und verdrehte prompt die Augen.
„Siehst du? Nicht einmal das kriege ich hin." Frustriert schüttelte er sich einige dunkle Locken aus der Stirn. Warum er sie nicht einfach zu einem Zopf zusammenfasste, damit er sie aus dem Gesicht hatte, war mir ein Rätsel.
Resolut schob er sich an mir vorbei, um sich auf das Bett fallen zu lassen. Erst als er schon saß, erstarrte er und sah schuldbewusst zu mir auf. „Hoppla. Ist es in Ordnung, wenn ich hier sitze? Das hier ist ja jetzt dein Zimmer und dein Bett."
Amüsiert winkte ich ab. „Alles gut." Nachdenklich setzte ich mich neben ihn. „Ähm, sorry, wenn ich damit in wunden Punkten bohre, aber ..."
„Aber du willst wissen, was mit mir falsch läuft?"
Ich war entsetzt. „Nein, so meinte ich das-..."
Ein freundschaftlicher Knuff gegen meine Schulter brachte mich zum Schweigen. „Nimm doch nicht alles so ernst, Blondie."
„Blondie?" Übertrieben empört rückte ich ein Stück von ihm ab. „Soll ich das etwa auch nicht ernst nehmen?"
Für einen kurzen Moment glaubte ich, einen Ausdruck blanken Horrors über Harrys Gesichtszüge huschen zu sehen.
„Fuck. Das war nicht..." Er schluckte schwer. „Tut mir leid. Das ist ... war nur ein Spitzname für einen alten Freund. Du ... äh ..." Plötzlich wirkte er furchtbar verletzlich. „Du erinnerst mich sehr an ihn."
„Oh." Ich senkte den Blick, als Harry ihn ohnehin zu meiden begann. „Was ist mit ihm passiert?"
Ich spürte den Luftzug, als Harry die Hand hob, um diese zum zigsten Mal durch sein Haar gleiten zu lassen. Hätte ich dafür nur einen einzigen Grund, der Sinn ergab, würde ich behaupten, er würde Zeit schinden.
„Er ist nicht mehr hier?" Es klang wie eine Frage. „Glaube ich zumindest. War nur eine Kinderfreundschaft. Er kann sich vermutlich ohnehin nicht mehr daran erinnern, falls ... falls er noch lebt. Also, äh, ich weiß natürlich nicht, ob er noch lebt. Damals, als mit den Rebellen alles eskaliert ist, haben wir einander aus den Augen verloren und ..."
Harry sprach ohne Zusammenhang und in einer Geschwindigkeit weiter, die meinem Gehirn definitiv einen Knoten verpasst hätte, hätte ich denn noch zugehört.
„Gibt es denn keine Möglichkeit, ihn zu finden und Kontakt aufzunehmen?" fiel ich ihm schließlich ins Wort. „Deine Mutter hat doch sicherlich so ziemlich überall Kontakte, oder? Und wenn ihr so gut darin seid, Oblivious zu finden, werdet ihr doch wohl auch jemanden ausfindig machen können, den ihr vor Jahren schon gekannt habt."
Harry starrte mich an.
Er starrte mich so lange an, dass ich mich irgendwann unter seinem Blick zu winden begann und mich fragte, ob etwas an meiner Nase klebte, das es sich anzustarren lohnte.
„Nein", antwortete er irgendwann. „Die gibt es nicht. Nicht mehr. Er ist weg."
„Oh." Betroffen zwirbelte ich den Saum der dunkelblauen Bettdecke zwischen meinen Fingern. „Tut mir leid."
Ich hörte, wie Harry zischend Luft einholte, ich spürte, dass ihm etwas auf dem Herzen brannte. Er wollte etwas sagen. Doch als ich mich dazu entschloss, den Kopf zu heben und ihn erwartungsvoll anzusehen, schien er sich schon dagegen entschieden zu haben.
„Na gut." Ruckartig erhob er sich und klatschte in die Hände. „Du hast deinen Wohnraum gesehen. Falls du nicht aufs erste Mal allein zurückfindest, ist das vollkommen in Ordnung, niemand tut das. Wenn man den Gang vom Hauptbereich aus weitergeht, gelangt man direkt zu den Trainingsräumlichkeiten. Dort gibt es nicht nur mentales Training, sondern auch Kampfsport, der Umgang mit Waffen und alles, was einem irgendwie helfen kann."
„Wo wohnst du denn?" Ich folgte ihm wieder auf den Gang, den Zimmerschlüssel entgegennehmend, den er mir nun hinhielt. „Auch hier irgendwo?"
Harry lächelte verhalten. „Nicht ganz. Ich wohne mit meiner Familie in einem Haus direkt hinter dem Klinikum. Und, weil ich dir an der Nase ablesen kann, dass das deine nächste Frage gewesen wäre: Ja, ich arbeite hier. Hab hier meine Pflegeausbildung gemacht und mich dann zum Bleiben entschlossen. Hier muss ich mich nicht verstecken und kann so sein, wie ich bin, verstehst du? Auch wenn es manchmal schon ein wenig mies ist, die eigene Mutter als Chefin zu haben."
Er runzelte die Stirn. „Ich hatte aber ohnehin das Gefühl, dass Mum es nicht gefallen hätte, wäre ich sofort ausgezogen, um woanders zu arbeiten. Ich meine, ich bin sehr offensichtlich nicht gerade der bedrohlichste Oblivious, aber nachweisen lässt sich die Mutation trotzdem. Und diese blöden DNA-Tests gibt es inzwischen fast überall, in der Hoffnung, Oblivious aufzusammeln, die vor der Existenz der Tests geboren wurden oder anderweitig durch das Raster gefallen sind."
„Und Gemma?" Ich wusste, dass ich mich wie ein neugieriges Stück Scheiße verhielt, aber ich konnte es nicht abschalten. „Arbeitet sie auch hier?"
Harry nickte. „Aber natürlich nicht beim Pflegepersonal. Sie hat Medizin studiert und befindet sich aktuell in der Assistenzarztzeit." Wieder klang er gepresst, äußerte sich jedoch nicht weiter dazu. Stattdessen stieß er mich mit der Schulter an. „Genug zu mir. Was hast du denn in den letzten Jahren sonst noch so getrieben? Sorry, falls das respektlos und sensationslüstern ist, aber ich bin furchtbar neugierig, wie du dich mit so starken Mutationsausprägungen so lange durchschlagen konntest. Und deine ... deine Eltern? Wie war das mit ihnen?"
Wir umrundeten eine Ecke und passierten dann eine Glastür, woraufhin wir ein klassisches Klinik-Areal mit Rezeption, Wartebereich und verschiedensten Richtungsweisern betraten. Offenbar befanden wir uns nun im offiziellen Hauptbereich, zu dem alle Leute Zugang hatten. Nicht nur Leute wie wir.
„Ähm ..." Mühsam eiste ich den Blick von einem mit Schläuchen übersäten Typen ab, der eben per Bett in den Aufzug gerollt wurde. Krankenhäuser taten mir eindeutig nicht gut. „Ich weiß nicht, ob ihr das nicht ohnehin schon wisst, aber ich bin bei Adoptiveltern aufgewachsen. An meine leiblichen Eltern kann ich mich nicht mehr erinnern, die haben offenbar gleich nach meiner Geburt beschlossen, dass ich zu nichts zu gebrauchen bin." Ich fing Harrys Blick auf und lachte. „Sorry, das klang bitterer, als ich wirklich bin. Ich hab meine leiblichen Eltern nie kennengelernt, also kann ich sie auch nicht vermissen oder so. Und meine Adoptiveltern sind toll. Ich hätte meine Kindheit nirgendwo anders verbringen wollen."
Harry schwieg.
Ich fasste das als Aufforderung zum Fortfahren auf. „Die Diagnose Schizophrenie kam schon recht früh. Keine Ahnung, wann, ich habe nie wirklich darauf geachtet, von welchem Datum sie stammt. An ein Leben ohne die Tabletten kann ich mich jedenfalls gar nicht erinnern. Sie waren immer dabei, wenn auch am Anfang nur jeden dritten Tag."
„Sie haben dich gleich von Beginn an mit Tabletten vollgestopft?" Harry klang entsetzt. „Heilige Scheiße. Sie müssen wirklich Angst vor dir gehabt haben. Normalerweise wird das Medikament im Durchschnitt erst ab dem fünfzehnten Lebensjahr angesetzt, wenn sich die ersten, konkreten Ausprägungen zeigen. Bei dir muss das schon recht früh gewesen sein. Weiter im Text."
Verstört räusperte ich mich. „Die Stimmen kamen erst viel später." Ich runzelte die Stirn, nachrechnend, in welcher Jahrgangsstufe ich mich befunden hatte, als Quinn sich dazu entschlossen hatte, die Dosis des Medikaments zu erhöhen. „Richtig schlimm wurde es aber erst nach meinem Umzug, während des Studiums. Jetzt, ganz am Schluss, war eigentlich jeder Tag fürchterlich. Dann habe ich die Tabletten mal weggelassen und den Rest kennst du."
Gedanklich setzte ich einen Punkt und lauschte dann auf Harrys nachdenkliches Schweigen.
„Und diesen Bernard Quinn hast du schon immer als Therapeuten? Von klein auf?" Er runzelte die Stirn. „Aber wie kann das sein, wenn du umgezogen bist?"
„Er hat mehrere Praxen." Ich wich einem weiteren Krankenbett aus, das von einer jungen Frau durch die Gegend geschoben wurde. „Drei sind es, glaube ich. Zumindest hat er das gesagt, als er angeboten hat, mich trotz des Umzugs weiter betreuen zu können."
„Oder er ist dir gefolgt", warf Harry ein. „Wenn sie dich von Anfang an als besonders starken Oblivious auf dem Schirm hatten, werden sie kaum zulassen, dass du in einem so kritischen Alter plötzlich einen neuen Zuständigen bekommst, der dich überhaupt nicht kennt."
Plötzlich war da wieder dieser Kloß in meinem Hals, der mir die Luft abzuschnüren drohte.
„Ich habe ihm wirklich vertraut", platzte es dann aus mir heraus, ohne es wirklich zu wollen. „Quinn, meine ich. Er war irgendwie schon immer da. Auch wenn mir die Gespräche mit ihm mit der Zeit immer weniger geholfen haben, hatte ich bei ihm immer das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Deshalb bin ich auch direkt zu ihm, als ich gemerkt habe, dass die Dinge aus dem Ruder laufen. Dass ausgerechnet er am Ende nun derjenige war, der mich ans Messer geliefert hat ..."
Ich verstummte, wohlwissend, dass ich wie der letzte Schwächling den Wasserhahn aufdrehen würde, wenn ich nun weitersprach.
Anstatt mich jedoch zu bemitleiden und mich noch mehr zum Heulen zu bringen, wie ich es insgeheim wohl erwartet hatte, warf mir Harry kumpelhaft einen Arm um die Schultern.
„Dann hast du ja jetzt mich. Bei mir bist du definitiv gut aufgehoben", verkündete er großspurig. „Und natürlich bei den anderen hier auch."
Reflexartig erwiderte ich die halbe Umarmung. „Das ist sehr nett. Ich weiß das zu schätzen."
So ironisch mein Tonfall auch sein mochte, meinte ich das vollkommen ernst. Es war schön, zu wissen, hier eine Bezugsperson zu haben, vielleicht sogar einen Freund, dem ich mich anvertrauen konnte.
Mal ganz abgesehen davon, dass sich das mit Harry längst wie eine enge Freundschaft anfühlte, auch wenn ich noch nicht so recht wusste, woran das lag. Eigentlich war ich niemand, der irgendwelchen Leuten blind vertraute.
Hatte womöglich Anne ihre empathischen Finger im Spiel gehabt? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Sie wirkte nicht wie jemand, der bewusst Sympathien oder Antipathien manipulierte. Vielleicht war es wirklich natürliches Vertrauen von der ersten Sekunde an gewesen.
Ähnlich wie bei Louis damals.
Der Gedanke an Louis versetzte mir zum wiederholten Mal einen Stich.
„Harry?", begann ich so beiläufig wie möglich. „Was macht Louis überhaupt so? Hat er auch eine Ausbildung gemacht? Wohnt er hier?"
„Er wohnt und arbeitet hier", erwiderte Harry bereitwillig. „Er gehört wie Liam zu unserem Einsatztrupp im Außendienst. Gemma ist häufig auch dabei. Als medizinische Kraft."
Er bemerkte meinen verbissenen Gesichtsausdruck und seufzte. „Niall, es stimmt, er ist auf dich angesetzt worden und hat deshalb den Kontakt zu dir gesucht. Aber wenn du denkst, dass du ihm nichts bedeutest und nur ein Job für ihn warst, liegst du falsch. Nach dem Attentat hat er ewig vor deinem Zimmer gesessen, bis Mum ihm verklickern konnte, dass du keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hast. Vermutlich wird er es nicht offen zugeben, dass ihm seine Auftragsperson so ans Herz gewachsen ist, aber wir alle wissen, dass es so ist. Zumindest diejenigen, die ihn kennen."
Ich zwang mich zu einem Nicken, doch der meteoritengroße Kloß in meinem Hals wich keinen Millimeter von der Stelle. „Wie lange kennst du ihn denn schon?"
Harry legte den Kopf schief, offenbar nun ebenfalls mit Rechnen beschäftigt. „Gute Frage. Kennengelernt habe ich ihn kurz nach der Rebelleneskalation. Seine Eltern waren offenbar beim aktiven Widerstand und wurden dabei erschossen, entführt oder was auch immer. Aufgetaucht sind sie jedenfalls nie wieder. Louis war zwar auch als Kind schon ein großmäuliger Idiot, aber ich mochte ihn. Mittlerweile sind wir zwar nicht mehr ganz so dicke, aber es passt einigermaßen."
Und dann verstummte er und tat so, als hätte sich das Thema damit erledigt.
Dümmlich glotzte ich ihn an.
Nicht mehr ganz so dicke?
Es passte einigermaßen?
Was?
Verwirrt darüber, dass die Erzählstunde zu Louis damit schon beendet sein sollte, schälte ich mich aus seiner Halbumarmung. „Und das war's?"
Harry zuckte die Schultern. Plötzlich wirkte er sehr verlegen. „Von meiner Seite aus, ja."
Forschend kniff ich die Augen zusammen. „Von deiner Seite aus? Das klingt, als hätte Louis aus seiner Perspektive noch ein paar Details zu liefern."
„Du kannst ihn gerne fragen." Er befeuchtete die Lippen. „Es wird aber nicht sein Lieblingsthema sein, so weit kann ich dich vorwarnen."
Plötzlich hatte er es sehr eilig damit, die Uhrzeit zu checken. „Hast du Hunger? Wir haben ein kleines Ritual, zusammen zu Abend zu essen, wenn alle im Haus sind. Liam, Louis, Gemma, eine von Gemmas Freundinnen und ich. Du bist natürlich eingeladen."
Unsicher vergrub ich die Hände in den Hosentaschen. „Ich ... ähm ... ich möchte mich nirgendwo hineindrängen", gab ich zu bedenken. „Ihr seid immerhin eine feste Gruppe und ich bin ein totaler Niemand, den keiner kennt, und..."
„Unsinn!" Wieder landete sein Arm um meine Schultern. „Du gehörst dazu!"
Trotz der Überzeugung in seinem Tonfall konnte ich das Gefühl der Nervosität nicht abschütteln. Die Nervosität, wenn ich mich fremden Leuten stellen und mich irgendwie zu ihnen gesellen musste. Hatte ich schon erwähnt, dass ich fürchterlich darin war, neue Kontakte zu knüpfen?
„Ladet ihr jeden, der neu dazukommt, gleich in euren Freundeskreis ein?"
Harrys Lächeln zuckte. „Nicht jeden. Aber, glaub mir einfach, du gehörst dazu."
„Das sind hohe Erwartungen."
Harry musterte mich eingehend, während er eine Glastür aufzog und uns in ein Treppenhaus bugsierte. Wo wir uns inzwischen befanden, wusste ich selbstverständlich nicht.
„Hey, kein Grund, nervös zu sein, Bl-... Niall." Er pustete gegen meine Schläfe und es war einerseits so befremdlich, andererseits so verdammt normal, dass ich vor Schock beinahe über meine eigenen Füße gestolpert wäre. „Sag bloß, du hast immer noch Angst vor fremden Leuten."
„Was?" Jetzt konnte ich nicht anders, ich musste einfach die erste Treppenstufe verfehlen und mir den Knöchel an der Kante aufschürfen. „Immer noch?"
Harry grunzte etwas Unverständliches und wirkte dabei, als hätte er am liebsten den Kopf in die nächstbeste Kloschüssel versenkt.
„Vergiss es. War nur so dahingesagt." Sein Griff um meine Schultern verstärkte sich. „Komm. Wir gehen zu uns rüber. Ich schreib den anderen, dass ich dich mitbringe."
In einem Anflug von Neid beäugte ich sein Smartphone, das er nun hervorzog. „Kann man sich so eins hier irgendwo holen?"
Harry bemerkte meinen gierigen Blick und begann natürlich zu lachen. „Klar. Meine Trainerin ist zufällig zuständig für solche materiellen Belange. Ich gebe ihr Bescheid, dann kann sie dir zu deiner ersten Stunde gleich eins mitbringen."
Horror befiel mich.
Abrupt kam ich zu einem Halt, womit ich uns beide beinahe ins Schleudern brachte – was mitten auf einer Treppe natürlich ein klein wenig ungünstig gewesen wäre.
„Meine erste Stunde?" Meine Stimme besaß plötzlich große Ähnlichkeit mit einem Quieken. „Was soll das denn heißen?"
Harry zog die Augenbrauen hoch, während er seine Nachricht abschickte. „Naja, deine erste Trainingsstunde? Du scheinst zwar ein Naturtalent zu sein, aber nötig hast du das Training trotzdem."
Die Übelkeit verschlimmerte sich sekündlich.
„Ab wann soll das denn stattfinden?" Kläglich sah ich ihn an. „Ich weiß doch erst seit heute, was hier abgeht. Kann denn niemand ein wenig Gnade haben?"
„Meine Güte." Ehe ich den Kopf einziehen konnte, hatte Harry mir schon mit der Hand durchs Haar gestrubbelt, als wäre ich ein Haustier. Und seltsamerweise störte es mich überhaupt nicht. „Ich kann bei der ersten Stunde mitkommen, wenn du möchtest. Tilda wird sich sicherlich bei dir melden. Oder Mum gibt dir Bescheid."
„Tilda?"
„Die Trainerin."
Harry führte mich an einer riesigen, von Menschen überfüllten Anmeldungstheke vorbei, anschließend noch an einer Cafeteria und einer Kinderspielecke, ehe sich vor uns eine Glastür automatisch zu beiden Seiten öffnete. Draußen erstreckte sich das gepflasterte Areal eines Vorhofs, dahinter ein großflächiger Parkplatz mit Parkdeck.
„Tildas Stärke ist die Telepathie", fuhr Harry bereitwillig fort. „Sie hat aber auch fundierte Fähigkeiten in Empathie und Telekinese. Sie ist eine der wenigen Leute, die alle drei Hauptbereiche der Ausprägungen abdecken kann, wenn auch zwei davon nicht so stark."
„Ach."
„Du gehörst auch zu diesen Leuten", merkte er an, als hätte ich das nicht schon zur Genüge gehört. „Ich bin gespannt, wo deine Hauptstärke liegt."
Ich nickte nur, angespannt und befremdet. Inzwischen hatte ich begriffen, dass es nichts nützte, neugierig und voreilig nachzuhaken, nur um dann bei den eingeforderten Erklärungen doch nichts zu kapieren.
„Wo ist denn nun dieses Essen?", forderte ich stattdessen. „Ich habe Hunger."
Harrys Lachen war melodisch und nun wieder gutgelaunt, dass ich mich davon anstecken ließ. „Das müssen wir erst kochen, B-... äh ... Niall."
Ich seufzte. „Nenn mich doch einfach Blondie, wenn es dir Spaß macht."
„Wirklich?"
„Ja."
Harry strahlte mich an. „Okay. Blondie."
Doch als er mich allein innerhalb der nächsten zehn Minuten viermal mit diesem Namen ansprach und sich dabei einen Spaß daraus machte, an meinen Haaren zu zupfen, hegte ich den Verdacht, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben.
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Alright, inzwischen haben vermutlich alle kapiert, warum Harry so an Niall klebt. Also ... alle außer Niall, versteht sich.
Sorry für das späte Update, ich habe meinen Kopf aktuell einfach ganz woanders und fühle "Oblivious" momentan null.🤦🏻♀️
Aaaaaber, Band 1 vom ehemaligen "The Spy" (Ziall) ist vergangene Woche ganz offiziell ins Lektorat gegangen!😍 Die Lektorin klang super nett und echt professionell, und ich bin seeehr gespannt!
Noch dazu haben wir Karten für Harry nächstes Jahr bekommen, also habe ich eigentlich jeden Grund, hyped zu sein😂
There's that. Schönes Wochenende und liebe Grüße!
Andi❤
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