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Das Erste, was Quinn Carter sah, als er in seine Heimat zurückkehrte, waren die weiten Felder auf denen seine Eltern und er jeden Sommer schwitzend geschuftet hatten.
Die Sonne brannte auch jetzt unerbittlich auf ihn herab, doch auf dem Feld herrschte gähnende Leere. Er blieb auf dem schmalen Kiesweg stehen und blickte auf das große Weizenfeld, das seine Eltern bestellten. Es war ewig her, dass er das letzte Mal an dieser Stelle gestanden, und seinen Blick über die Landschaft schweifen lassen hatte. Vier lange Jahre hatte er sein Zuhause nicht mehr betreten und er war sich manche Zeit sicher gewesen, er würde sein Elternhaus nie wiedersehen.
Doch er hatte Glück gehabt. Anders als Andere hatte er durchgehalten und nun war es ihm vergönnt, seine Familie wieder zu sehen. Quinn packte seinen Beutel fester und lief schnellen Schrittes auf das Haus seiner Eltern zu.
Der Weg endete an einem verwitterten Holztor. Quietschend ließ es sich öffnen und Quinn betrat den Garten, in welchem auf den ersten Blick alles aussah wie immer. Doch nach genauer Betrachtung fiel Quinn auf, dass das Gras halb vertrocknet war. Das Fallobst der Apfelbäume lag unbeachtet auf dem Boden und im kleinen Fischteich stand das Wasser nur noch halb so hoch. Seine Mutter hatte immer Wert auf einen gepflegten Garten gelegt und hätte nie einfach so Äpfel liegen lassen. Lieber hätte sie einen Kuchen aus ihnen gebacken.
Mit einem mulmigen Gefühl trat er an die Haustür und klopfte an. Die Lackfarbe blätterte an einigen Stellen schon ab.
Schlurfende Schritte kamen näher und die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet. Felicity Carter hatte dasselbe krause Haar wie vor vier Jahren, doch nun taten sich vereinzelte graue Strähnen auf. Als sie ihren Sohn erblickte hoben sich ihre Brauen überrascht und auf ihre Stirn traten Falten. „Quinn." Sie hauchte seinen Namen, immer noch im Unglauben über seine Rückkehr. Sie hatte nicht geglaubt ihn jemals wiederzusehen. Jeden Tag hatte sie mit einem Brief gerechnet, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihr Sohn ehrenvoll auf dem Schlachtfeld gefallen war. Doch nun stand er vor ihr, lebend, und sie konnte die aufsteigenden Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie stieß die Tür auf und fiel ihrem Quinn um den Hals. Er erwiderte ihre Umarmung mit solcher Intensität, dass ihm selbst Tränen in die Augen traten. Auch er hatte nicht mit seiner Wiederkehr gerechnet. „Mutter..." Mehr brachte er nicht über die Lippen, da er glaubte, seine Stimme würde brechen. Außerdem hatte er gelernt stark zu bleiben.
Vom Glück überwältigt ließ Felicity von ihrem Sohn ab und musterte ihn. „Ich hatte nicht geglaubt, deine Stimme je wieder zu hören." Ihr fielen die Muskeln und sein breites Kreuz auf. Die Zeit beim königlichen Heer hatte aus ihm einen stattlichen jungen Mann gemacht. „Wo ist Vater?" Quinn spähte an seiner Mutter vorbei, doch konnte ihn nicht entdecken. Vorahnungen machten sich in ihm breit. Ein wehleidiges Lächeln schlich sich auf die Züge seiner Mutter als sie sagte: „Er liegt oben in seinem Bett. Das Herz macht ihm zu schaffen."
Bedacht trat er an seiner Mutter vorbei durch die Tür und hielt im Hausflur einige Sekunden inne. Im Haus hatte sich nichts verändert. Der Flur war eng und unwohnlich, da kein Platz für Möbelstücke war. Nur ein verstaubter Bauernteppich säumte den Boden. Quinn schenkte seiner Mutter ein halbes Lächeln, ehe er die Stufen hinaufstieg. Das Obergeschoss bestand lediglich aus drei Zimmern. Die Schlafstube seiner Eltern grenzte an das kleine fensterlose Waschzimmer. Gegenüber befand sich ein schmuckloser Raum. Es war unüblich, dass die Kinder der einfachen Leute ein eigenes Zimmer besaßen, doch Quinn genoss damals dieses Privileg, da er keine Geschwister hatte.
Vorsichtig trat er durch die Holztür in das abgedunkelte Zimmer. Melvin Carter lag mit geschlossenen Augen im Bett. Durch die fast vollständig zugezogenen Vorhänge drang etwas Sonnenlicht, welches jedoch nicht reichte um den Raum zu erhellen.
Quinn trat an das Bett seines Vaters und berührte vorsichtig seine Schulter. Mühsam öffnete dieser die Augen und blickte auf den Mann an seinem Bett. Erst auf den zweiten Blick erkannte der Vater seinen Sohn in diesem Soldaten. „Mein Sohn. Du warst lange weg." Quinn ließ sich auf die Bettkante sinken und blickte traurig auf seinen schwachen Vater. Bevor Quinn fortgehen musste, hatte Melvin Carter noch hart auf dem Feld geschuftet und ist nur selten müde geworden. Jetzt lag er hier im Bett, schwach, und es war ihm nicht mehr möglich seine Arbeit zu verrichten.
„Das war ich. Es war Zeit zurückzukommen." Sein Vater versuchte sich aufzusetzen und als Quinn sah, dass er Mühe hatte sich aufzustützen, half er ihm. „Die Lage hat sich verändert." Sein Vater sah ihn interessiert an und Quinn begann zu berichten. „Die Ausschreitungen an der Grenze haben sich beruhigt. Viele Männer konnten nach Hause geschickt werden. Der König ist der Auffassung die Armee Andalas würde so bald nicht mehr angreifen. Ich denke aber, es ist nur eine Frage der Zeit bis sie die Grenzen stürmen." Sorge trat in Melvin Carters Augen, doch er wusste, er musste die Zeit, die ihm mit seinem Sohn blieb, nutzen. „Du hast dich recht gut entwickelt. Aus dir ist ein Mann geworden, mein Sohn." Stolz lächelte Quinn. Es gab noch so Vieles zu erzählen, doch er merkte, dass sein Vater schwach und müde war, und so beschloss er sich erst einmal zurückzuziehen. Er musste noch jemanden begrüßen.
Das Licht der untergehenden Sonne tauchte die Landschaft von Reyona in ein warmes Licht. Quinn lief um sein Elternhaus herum, in Richtung Weizenfeld. Das Getreide wurde erst vor Kurzem abgeerntet und so war es für ihn ein Leichtes, durch die kurzen Stoppeln hindurchzugehen. Der Wind frischte auf und Quinn Carter zog seine Wolljacke enger um sich. Freudige Nervosität brachte seine Hände zum Schwitzen und er wischte den Schweiß achtlos an seiner braunen Stoffhose ab. Was würde sie sagen, wenn sie ihn sah? Er konnte es kaum erwarten, Sharleen wieder in seine Arme schließen zu können.
Bei seiner Abreise vor vier Jahren, hatte sie weinend auf dem Hof gestanden und ihm sehnsüchtig nachgesehen. Die Nachricht, dass er in die Schlacht zog, brachte sie aus der Fassung. Das sonst so ruhige und gutmütige Mädchen hatte getobt, auf den König geschimpft und sich die kurzen Haare gerauft.
Hinter dem Feld seiner Eltern lag ihr Elternhaus. Unendlich nervös hob er die Hand und klopfte gegen die schwere Holztür. Minuten später, so schien es ihm, wurde die Tür geöffnet und er stand einer völlig Fremden gegenüber. Lange blonde Haare verdeckten den Großteil des Gesichtes der Frau. Sie war schlank und hatte dennoch Kurven an den richtigen Stellen. Das Einzige, was sie verriet, waren ihre hellblauen Augen. Dieser Farbton hatte ihn schon immer gereizt und er hatte nie genug davon bekommen können in ihre wunderbaren friedlichen Augen zu sehen. „Sharleen. Du bist so groß geworden." Ohne ein Wort zu sagen, fiel sie ihm um den Hals. Vor Glück liefen ihr Tränen die Wangen hinab und sie schmiegte ihr zartes Gesicht an seine Schulter. „Quinn!" Tausend Worte hätte er ihr sagen können, doch er hatte, so schien es, das Sprechen verlernt. Er hielt sie fest umschlungen und war gewillt, sie nie wieder loszulassen. Er hatte leiden müssen, musste sich verbissen durchschlagen. All das um zu überleben. Alles für sie. Und er wusste, er würde sie nicht wieder zurücklassen. Nie wieder würde er sie verlieren.
Und als kleine Kinderhände an ihrem Kleid zupften und große Knopfaugen zu ihm aufsahen, waren all seine Hoffnungen, all seine Träume die ihn weitermachen lassen hatten, mit einem Mal verflogen.
Betretenes Schweigen herrschte in dem kleinen Wohnzimmer. Nur das Kind vergnügte sich mit ein paar Bauklötzen vor dem feuerlosen Kamin. Quinn hatte sich hier immer wohl gefühlt und das Haus als sein zweites Heim betrachtet, doch nun fühlte er sich völlig fremd. Als er sich das Wiedersehen mit Sharleen ausgemalt hatte, waren selbst seine schlimmsten Vorstellungen nicht so schwer zu verarbeiten gewesen, wie diese es war. Sie war Mutter, und zu jeder Mutter gehörte ein Vater. Quinn Carter wollte sich nicht eingestehen, dass sie einen anderen Mann in ihr Leben, geschweige denn, in ihr Bett gelassen hatte. Er schätzte das Kind auf zwei, maximal vier Jahre und er konnte keineswegs der Vater sein. Also musste Sharleen kurz nach seinem Aufbruch geschwängert worden sein. Diese Tatsache traf ihn tief. Tiefer als er es zugeben wollte. Quinn war mit ihr zusammen gewesen und er konnte und wollte es nicht wahrhaben, dass sie ihn schon so schnell aufgegeben hatte.
„Kalio! Nimm das nicht in den Mund." Das kleine Wesen hatte also einen Namen, dachte Quinn und betrachtete das Kind. Es hatte verstrubbeltes braunes Haar und winzige Sommersprossen um die Nase herum. Die glasklaren blauen Augen gaben dem Gesichtchen einen wachen Ausdruck. Seufzend ließ sich Sharleen tiefer in das Sofa sinken und sah Quinn mit einem bedauernden Ausdruck an. Er meinte einen kurzen Moment, Trauer in ihren Augen gesehen zu haben, doch sie lag lauernd wie ein Schatten tief begraben. Je länger die Frau ihren todgeglaubten Freund ansah, desto stärker drängte sich das verhasste Gefühl an die Oberfläche, desto stärker versuchte Sharleen auch, es zu unterdrücken.
„Er ist noch so aufgeweckt. Ständig muss ich auf ihn Acht geben." Sie versuchte krampfhaft ein Gespräch zu beginnen, doch Quinn wusste nicht um die richtigen Worte.
„Wie alt ist ... er?" Seine Stimme krächzte und er räusperte sich schnell. „Drei Jahre. Ich habe ihm so viel aus unserer Kindheit erzählt. Er wollte dich kennenlernen." Quinn nickte. Sammelte sich für die folgenden Worte.
„Warum hast du mich aufgegeben? Wie konntest du so kurz nach meiner Abreise einen anderen Mann in dein Leben lassen? Wir waren so glücklich. Du und ich. Wir waren die ganze Welt. Ich dachte wir könnten jetzt, da ich wieder hier bin, weitermachen. Dort wo wir aufgehört haben. Ich wollte dich heiraten, dir einen Antrag machen. Es schmerzt mich. Es tut weh, dass du glaubtest mich ersetzen zu müssen und eine Familie mit einem Anderen gründen zu müssen. Du warst das Einzige, das mich hat weitermachen lassen. Nur wegen dir bin ich nicht gefallen. Und jetzt stelle ich fest, dass alles eine Illusion gewesen war. Du hast mich nie wirklich geliebt, Sharleen."
„Ich habe dich geliebt! Mehr als mein Leben." Traurig schüttelte Quinn den Kopf und sah ihr in die Augen. „Wenn du das getan hättest, dann hättest du mich nicht ersetzt. Du hättest gehofft und auf mich gewartet."
„Auf dich warten? Was glaubst du, wie es mir ging? Jeden Tag habe ich geglaubt einen Brief zu bekommen, in dem mir dein Tod mitgeteilt wurde. Es hat mich fertig gemacht. Nicht zu wissen, wie es dir auf dem Schlachtfeld geht ..." Ihre Stimme brach. Sie Schluckte den aufkeimenden Kloß hinunter und blinzelte die Tränen weg. „- ich habe mir nicht den Nächstbesten gesucht. Ich wollte mir nicht den Nächstbesten suchen. Alles was ich wollte, warst du. Doch meine Eltern haben mir das Trauern und Hoffen nicht gegönnt. Sie haben mich verlobt und hätte ich der Verbindung nicht zugestimmt, dann hätten wir das Haus verloren. Wo wären wir untergekommen? Nein, das konnte ich ihnen nicht antun." Darauf wusste er nichts zu erwidern. Lange Zeit sah er die Frau an und Bilder der vergangenen Zeit liefen vor seinem inneren Auge ab.
„Es tut mir leid." Damit stand er auf und verließ das Haus. Nicht ohne noch einmal auf das Kind zu schauen, das von alledem nichts mitbekommen zu haben schien.
Lange saß Quinn auf dem Feld seiner Eltern und schaute in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Nur ab und zu lugte ein Stern hinter der pechschwarzen Himmelswand hervor. Oft hatte er hier gesessen, neben Sharleen, und sie hatten einfach geschwiegen. Jetzt schwieg er mit der schlafenden Amsel um die Wette und fragte sich, wie es wohl gewesen wäre, wenn er niemals zum königlichen Heer gegangen wäre. Würde er jetzt neben ihr sitzen und seinem Kind beim Unsinn treiben zusehen? Quinn fluchte auf den König und sein Land. Wenn es keine Soldatenknappheit gegeben hätte, wären viele 16-jährige Knaben weiterhin zu Hause aufgewachsen. Doch er hatte ebenso wie Hunderte, viel zu junge Knaben, an der Front gestanden und gelernt, ein Schwert zu führen. Er verwünschte den ganzen sinnlosen Krieg und sein Leben.
Die Amsel schien ihn durch die Stille hindurch auszulachen.
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Ich hoffe ich konnte euch neugierig machen und ihr habt Lust meine Geschichte weiter zu verfolgen :D Ich habe mich an einer neuen Perspektive ausprobiert und hoffe ich habe nicht allzu daneben gehauen.
Bis dahin
Eure Stefanie
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