{ 60. Kapitel }
Ihr Lieben.
Ich habe es geschafft und darf euch nun am Dienstag das letzte Kapitel präsentieren. Wie erwartet, ist es das Längste des ganzen Buches.
Ich bin noch nicht dazu gekommen, es großartig auf Fehler hin zu untersuchen, aber seid bitte nicht böse mit mir - ich wollte es euch nicht zwei Wochen vorenthalten, nur um es dann nach Möglichkeit komplett fehlerfrei zu präsentieren :)
Eine längere Info zu allem, was mit der Fortsezung zu tun hat folgt, wenn ich wieder da bin!
Bis dahin fühlt euch ganz doll gedrückt,
eure Lara ♥
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Am fernen Horizont zeigte sich bereits ein winziger Schimmer der Sonne, als wir auf der Brücke eines kleinen, grünen Parks anhielten. Inmitten der grünen Oase fühlte ich mich ein wenig besser und glitt deshalb sanft von Cyrions Rücken zu Boden. Augenblick begrüßte mich das Kitzeln unzähliger Grashalme an den Sohlen meiner nackten Füße. Das Glitzern des unter uns daher ziehenden Flusses hatte meinen Blick schon eine ganze Weile auf sich gezogen und nachdem ich den kleinen Abhang überwunden hatte und meine Finger in das kühle Nass eingetaucht hatte, belebte mich die Magie des Wassers. Ich spürte zwar, dass der Fluss an Abwässern litt und etliche, von Menschenhand erschaffene Reste an seinem Grund ruhten und ihn zusätzlich belasteten, aber dennoch schaffte er es, ein paar meiner Lebensgeister zurück zu bringen. Mein Geist klärte sich, meine Beine zitterten weniger und ich atmete einmal tief durch. Nun fühlte ich mich dazu gewappnet, die beiden Layphen aktiver bei unserer Rettungsmission zu unterstützen.
Zumindest, wenn uns unser Weg nicht direkt in eine überfüllte, dreckige Innenstadt hinein führte.
„Geht es dir besser?", erkundigte sich der Layph mit den goldblonden Locken und musterte mich prüfend, als ich zu den beiden zurückgekehrt war. Ich bildete mir ein, auch einen Hauch von Besorgnis in seinen Augen zu entdecken, aber im Licht des Mondes fiel es mir noch schwerer als sonst, seine Emotionen zu deuten.
„Ja, danke." Ich lächelte ihm zu und hoffte, dass er verstand, dass ich mich nicht nur für seine Aufmerksamkeit bezüglich der Frage bedankte, sondern auch dafür, mich bis hierher getragen zu haben.
„Genug des Süßholzgeraspels", mischte sich Dasyl ein und ich verdrehte nur stumm die Augen. Er hatte wirklich einen Hang zur Übertreibung. Und zum Stören in den falschen Momenten, pflichtete mir die altbekannte, naive Stimme in meinem Kopf bei. „Cyrion, weißt du, wohin sie Brax gebracht haben?" Nur langsam und widerwillig drangen die Worte aus dem Mund des dunkelhaarigen Hünen.
Erwartungsvoll blickte ich zu dem Layphen neben mir. Er war die einzige Person von uns dreien, die dabei gewesen war, als Brax verschleppt worden war. Wenn er nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wusste ich nicht, wie wir Brax jemals finden wollten.
Seine Reaktion ernüchterte meine Hoffnungen, denn er schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe absolut keine Ahnung. Ich war zu sehr mit Fray beschäftigt...und damit, dass Kol ihn niedergeschlagen hat." Sein Blick huschte zu Dasyl.
Dieser zischte augenblicklich aggressiv auf. „Diese Geschichte habe ich schon gehört. Das heißt nicht, dass ich sie glaube. Warum sollte Kol so etwas tun?"
„Warum sollte ich mir dergleichen ausdenken?" Obwohl Cyrion recht ruhig antwortete, verrieten mir seine tiefe Stirnfalte und sein angespannter Kiefer, dass es unter seiner beherrschten Oberfläche brodelte.
„Vielleicht, um zu verheimlichen, dass du Kol nicht hast retten können und ihn hier einfach hast liegen lassen?" Argwohn und Abscheu verzerrte die Züge des dunkelhaarigen Layphen.
Bevor ich überhaupt fassen konnte, was geschah, hatte Cyrion die Distanz zwischen ihm und Dasyl überwunden und den Hünen am Kragen seines Shirts gefasst. Vorbei war es mit der Ruhe. „Du bist krank. Ich würde niemals einen von uns zurück lassen." Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von Dasyls entfernt. In seiner Mimik war nichts anders zu lesen, als Härte.
Mit einer einzigen Bewegung riss Dasyl sich los. „Zurück lassen vielleicht nicht. Aber verraten, gewiss, nicht wahr?", höhnte er. Auge in Auge starrten sich die beiden ungleichen Layphen an, die zwar zu ein und derselben Spezies gehörten, aber charakterlich nicht unterschiedlicher sein konnten.
„Es war nicht richtig. Du hast uns alle in Gefahr gebracht", antwortete Cyrion eindringlich und kühl und ich bekam das untrügerische Gefühl, dass die beiden nicht mehr über Kol sprachen. Einerseits brannte in mir die Neugierde, endlich zu erfahren, was genau die starke, gegenseitige Abneigung ausgelöst hatte – aber der Wunsch, Brax zu rennen, loderte heller.
„Jungs, bitte hört auf", mischte ich mich ein und trat einen Schritt näher zu den beiden layphischen Streithähnen. Als beide mich ignorierten und sich nur weiter giftig anstarrten, sprach ich etwas lauter. „Habt ihr Brax schon vergessen?" Eindringlich sah ich Cyrion an, dessen Augen nach wie vor an Dasyl hingen. Der Hüne wandte mir mit einem Ruck seinen Blick zu und präsentierte mir mit gefletschten Mundwinkeln seine vier spitzen Giftzähne. Ich schauderte und atmete einmal tief durch um mich zu beruhigen. „Wenn wir nicht endlich anfangen, zu suchen, werden wir auch nie erfahren, was mit Kol geschehen ist", fügte ich hinzu.
Einen Augenblick lang musterte mich Dasyl noch mit dieser beängstigenden Miene, bevor er mit einem Stöhnen einen Schritt zurück trat und sich stürmisch durch das Haar fuhr. „Scheiße, du bist so nervig." Er atmete tief durch. Mit einem Ruck lag sein Blick wieder auf Cyrion. „Wir klären das später. Nachdem das Ganze hier vorbei ist."
„Wir können es uns im Augenblick nicht leisten, abgelenkt zu sein", stimmte der Angesprochene ihm nach einer kleinen Pause zu und ich atmete erleichtert auf. Dann trat der Layph mit den goldblonden Locken einen Schritt zur Seite und sog tief die Luft ein. Seine Augen waren geschlossen. Ob er versuchte, sich zu beruhigen? Es verstrichen nur wenige Augenblicke, bevor er in die entgegengesetzte Richtung zeigte, aus der wir gekommen waren. „Sie sind da lang."
Es dauerte einen Augenblick, bis mir bewusst wurde, dass er in irgendeiner Art und Weise herausgefunden hatte, welchen Weg Brax Entführer genommen hatten. „Woher willst du das wissen?", erkundigte ich mich entgeistert während wir uns in Bewegung setzten, erinnerte mich jedoch nur einen Moment später an die Analyse der Holzsplitter aus Brax Wunde mithilfe seines Geruchsinnes.
„Sein Duft liegt immer noch in der Luft", bestätigte Cyrion meine gedankliche These und unwillkürlich fragte ich mich, wonach Brax wohl riechen musste, was mich zu dem unheilvollen Gedanken brachte, wie Cyrion wohl zu meinem Duft stand. Unauffällig versuchte ich, an mir zu schnuppern, roch jedoch nichts Auffälliges. Wie auch, schließlich besitzt du nicht die Supernase der Layphen. „Darin bin ich recht gut", fuhr Cyrion fort. „Einigen Layphen - wie Dasyl zum Beispiel, fällt es dafür um einiges leichter, die Gedanken der Menschen zu lesen." Überrascht warf ich Dasyl einen kleinen Blick zu, der es vorzog, stur geradeaus zu schauen. Offenbar erkannte er zwar die Logik, den Zwist erst einmal zu begraben, an Konversationen war er offensichtlich dennoch nicht interessiert.
„Und du kannst uns jetzt theoretisch bis zu Brax' Aufenthaltsort führen?", wandte ich mich wieder an Cyrion und dieser nickte leicht. „Wenn diejenigen, die ihn entführt haben, keine Möglichkeit gefunden haben, seine Duftspur auszulöschen, sollte das kein Problem sein."
Und so war es tatsächlich auch. Wir wanderten noch etwa eineinhalb Stunden weiter und passierten dabei zum Glück keine städtischen Anlagen, sondern nur Wiesen und einen Wald, bis Cyrion Halt machte. Offenbar waren wir in einem weiten Bogen wieder zurück in die Richtung des Meeres gewandert, denn in einiger Entfernung hörte ich das Rauschen der Wellen. Zu unseren Füßen wucherte Moss und Efeu, über uns war der hellgraue Morgenhimmel zu erkennen. Rund um uns herum fuhr der Wind raschelnd durch die Baumkronen.
„Der Duft endet hier", murmelte Cyrion nachdenklich und schaute sich um. Auch ich ließ meinen Blick über die Umgebung gleiten. Nachdenklich starrte ich schließlich zum Himmel empor. Hatten sie Brax möglicherweise mit einem Flugzeug weggebracht? Wenn dem so war, hatten wir keine Chance, ihn durch die Geruchsfähigkeit der Layphen weiter zu verfolgen.
Als ich ein unregelmäßiges Rascheln vernahm, wandte ich meinen Blick wieder in Richtung Boden. Während sich Cyrion mit raschen Schritten von einer dunklen Ecke zur nächsten bewegte, hatte sich Dasyl gebückt und wirbelte mit der rechten Hand großflächig alte, trockene Blätter und Staub auf. Schließlich entdeckte ich ein metallisches Glänzen inmitten des erdig braunen Bodens. Mit einem Ruf machte ich Cyrion auf den Fund aufmerksam und wenige Momente später hatten die beiden Layphen an meiner Seite mit einem leisen Quietschen eine Falltür empor gehoben, die einen Weg hinein in die Dunkelheit offenbarte.
„Jetzt kann ich ihn auch riechen. Und Kol. Wir müssen da runter", stellte Dasyl fest.
Bei dem Gedanken daran, mich in die undurchdringliche, schwarze Wand zu meinen Füßen begeben zu müssen, wurde mir schlecht. Ich hatte keine Ahnung, was uns dort unten erwartete. Eines war sicher – dies war kein harmloser Streich von Aryan, den ich garantiert unbeschadet überstehen würde. Möglicherweise wartete dort unten Sakras. In einer Dunkelheit, die mich nur zu sehr an diejenige erinnerte, in der er mich beinahe vergewaltigt hätte.
Beinahe wie von selbst glitt mein Blick zu Cyrion, welcher Dasyl betrachtete, der unterdessen furchtlos in die Dunkelheit hinab stieg. Damals hatte mich der schweigsame Layph gerettet und sich einem Gegner gegenüber gesehen. Nun musste er Brax retten – und ich wusste nicht, wie viele Gegnern wir uns gegenübersahen. Möglicherweise würde er sich dort unten entscheiden müssen – und natürlich würde seine Wahl zugunsten seines besten Freundes ausfallen.
Ich will und darf nichts anderes erwarten. Es war meine eigene Entscheidung, mitzugehen. Cyrion hat mir geraten, in der Akademie zu bleiben. Ich bin für mich selbst verantwortlich – so, wie die Wächter die tagtäglich gegen die Menschen kämpfen.
Ich straffte meine Schultern und bemühte mich darum, meinen inzwischen hastig gewordenen Atem zu beruhigen. Das hier ist deine Feuerprobe, Serena. Du wolltest Gefahr? Jetzt hast du sie. Zwischen meine Angst mischte sich Entschlossenheit und Nervosität. Als ich hinter Dasyl den ersten Schritt in die Dunkelheit hinein tat, breitete sich prickelndes Adrenalin in meinen Adern aus. Dicht gefolgt von Cyrion stiegen wir die harten, kalten Treppenstufen hinab, bis uns die Schwärze des Untergrundes verschlang und auch den letzen, morgendlichen Lichtstrahl auslöschte.
***
Wir blieben stumm. Ich bemühte mich darum, so leise zu sein, wie nur irgend möglich und atmete flach. Nachdem wir in der Finsternis unzählige Treppenstufen passiert hatten, erstreckte sich vor uns ein erstes Leuchten inmitten eines etwa eineinhalb Meter breiten Ganges. Eine nackte Glühbirne spendete uns Licht. Die Decke war nur wenige Zentimeter von Dasyls Kopf entfernt und hin und wieder musste er sich ducken, um sich nicht den Kopf zu stoßen.
„Wo sind wir hier?", wisperte ich schließlich leise, nachdem wir unzählige Meter gegangen waren, ohne, dass sich eine einzige Änderung an unserer Umgebung vollzogen hatte. Selbst meine Flüsterstimme tönte ich dem stillen Gang viel zu laut und ich erntete einen bitterbösen Blick von Dasyl.
„Ich glaube, ich einem alten, ausgebauten Bunker, den die Menschen zu Kriegszeiten errichtet haben. Brax muss irgendwo hier sein. Sein Duft wird stärker. Und..." Ich musste meinen Kopf zur Seite drehen, um Cyrions dunkles Murmeln überhaupt zu verstehen. Fragend blickte ich ihn an. Was hatte er noch sagen wollen? Doch Cyrion schüttelte nur den Kopf.
Wir hatten unterdessen einige Abzweigungen passiert, doch Dasyl hatte keinen Moment gezögert, wann auch immer sich der Gang gespalten hatte. Offenbar fiel es ihm nun leicht, Brax zu riechen, denn Cyrion hatte kein Mal wiedersprochen.
Unwillkürlich spannte ich mich an. Wenn Brax hier irgendwo war, konnten auch seine Entführer nicht weit sein. Eine Sekunde lang bildete ich mir ein, dass Sakras uns im nächsten Moment aus einer dunklen Biegung entgegen sprang, aber bevor ich panisch werden konnte, hatte ich das Bild mit all meiner Kraft aus meinem Geist verdrängt. Ich durfte keine Ablenkung zulassen.
Wenige Minuten später hielt Dasyl plötzlich an. Ich verhinderte nur um ein Haar einen Zusammenprall. Obwohl mir die Worte förmlich auf der Zunge brannten, verzichtete ich darauf, nach der Ursache seines plötzlichen Stehenbleibens zu fragen. Möglicherweise nahm er eine Gefahr wahr, die ich noch nicht spürte. Plötzlich drängte sich Cyrion von hinten an mir vorbei und verschwand in einem Loch, das sich nur wenige Meter weiter auf der rechten Seite der Wand aufgetan hatte.
Bis aufs Äußerste angespannt verharrte ich hinter Dasyl, der sich nicht bewegt hatte. Was hatte Cyrion zu seinem Verhalten veranlasst? Warum war er so unvorsichtig geworden? Unruhig drehte ich mich um. Ohne den Layphen mit dem goldblonden Haar hinter mir fühlte ich mich auf ein Mal doppelt so unsicher wie zuvor. Wenige Momente vergangen, kein Geräusch erklang. Wo war Cyrion? Und warum bewegte sich Dasyl nicht voran? Fragen über Fragen explodierten in meinem Kopf, während meine Hände mittlerweile vor Nervosität und Ungewissheit zuckten. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, drängte mich ebenso an dem Hünen vorbei und trat in den Raum, in dem auch Cyrion verschwunden war.
Eine kleine Glühbirne spendete flackernd schwaches Licht. In der Mitte des Raumes stand ein Stuhl, vor dem in diesem Moment ein dunkler, lockenköpfiger Schemen kniete. Mit raschen Schritten trat ich näher und erspähte schließlich überrascht einen zwar unbewachten, aber offensichtlich bewusstlosen Brax und Cyrion, der sich damit abmühte, die Riemen um die Hand- und Fußgelenke seines Freundes zu lösen. Mit fliegenden Fingern kam ich ihm zu Hilfe und verlor währenddessen kein Wort. Warum hatten sich die ominösen Feinde die Mühe gemacht, Brax zu entführen und zu fesseln, wenn sie ihn unbewacht ließen? Hatten sie mit keiner Rettungsaktion gerechnet?
Es war mir ein Rätsel.
Bevor ich den letzten Knoten lösen konnte, erklangen plötzlich dumpfe Geräusche auf dem Gang. Erschrocken fuhr ich zusammen und wandte mich mit einem Ruck um.
„Sie sind da", formte Cyrion leise mit seinen Lippen. „Bleib hier." Im flackernden Licht verweilte sein Blick für einen Moment auf meinen Augen. Flüchtig strich er mit einer sanften, aber so raschen Bewegung über meine Wange, dass ich mir nicht sicher sein konnte, dass es sie tatsächlich gegeben hatte. Aber das zarte Kribbeln, das sich auf der linken Seite meines Gesichtes ausbreitete, gab mir Gewissheit. Besorgt sah ich Cyrion einen langen Moment hinterher. Er war ein guter Kämpfer, ebenso wie Dasyl, aber ich wusste nicht, wie viele Feinde draußen auf ihn warteten. Mein Herz schrie mir förmlich zu, dass ich ihm hinterhergehen solle und mich darum bemühen solle, ihm zu helfen, aber ich blieb, wo ich war und löste mit zitternden und schwitzigen Fingern den letzten der Knoten.
Während die unheilvollen Geräusche auf dem Gang lauter wurden, richtete ich mich auf und umfasste Brax Gesicht, das schlaff zu einer Seite gerichtet war. Er atmete zwar noch, doch seine Augen waren fest geschlossen und auch ein sanftes Tätscheln ließ ihn nicht wach werden. „Komm schon", wisperte ich leise. Sicherlich konnte wir ihn auch hier heraus tragen, wenn es nötig war – falls wir so weit kamen – aber es würde unsere Fluchtchancen nicht gerade erhöhen.
Ein plötzliches, leises Scharren hinter mir versetzte mich in Alarmbereitschaft, aber bevor ich mich umdrehen konnte oder sonst wie in der Lage war, zu reagieren, presste sich mir eine schwielige Hand auf den Mund und ich wurde an eine harte Brust gezogen. „Hübsche. Wie schön, dich wieder zu sehen."
Allein beim Klang seiner Stimme kam mir die Galle hoch und unzählige Momentaufnahmen fluteten in meinen Kopf.
Das Gewitter.
Das kratzige Gefühl der Fesseln um meine Gelenke.
Der Anblick der Verletzungen, die er mir zugefügt hatte.
Mein Blut an seinen Fingern.
Seine Zähne an meinem Hals.
Unwillig schüttelte ich meinen Kopf und versuchte trotz der Panik, die meine Kehle förmlich zuschnürte, zu schreien, doch Sakras Hände schluckten jeden Laut. Unbändig überwand ich meine Abscheu und biss in seine Finger während ich gleichzeitig nach hinten austrat.
Es überraschte mich selber, dass er mich tatsächlich losließ.
Rasch sprang ich nach vorn, wich Brax aus und drehte mich dann blitzschnell um. Wild strich mein Atem über meine Lippen. Okay, was hatte Cyrion mir in unseren Trainingsstunden geraten? Fieberhaft huschten die Gedanken blitzschnell durch die Windungen meines Kopfes, während ich Sakras fixierte und darauf wartete, dass er mich erneut angriff.
Wegrennen. Ich sollte wegrennen.
Die Option war hinfällig, denn der einzige Weg zur Tür wurde von Sakras versperrt. Ich konnte nicht erkennen, ob seine Augen grün oder goldrot waren, denn das Licht beschien ihn von hinten und verdunkelte seine Front.
Ein Schrei nach Hilfe? Möglicherweise lenkte dieser jedoch Cyrion ab und gab seinem Feind die nötige Gelegenheit, einen endgültigen Treffer zu landen.
Einen nächsten Gedanken konnte ich nicht mehr fassen, denn im nächsten Moment hatten sich eisige Finger um mein Handgelenk geschlungen. Panisch sprang ich nach hinten und zog währenddessen fest meinen Arm nach hinten, was lediglich dazu führte, dass sich ein brennender Schmerz in meinem Schultergelenk ausbreitete. Verdammt!
Sakras Griff war unerbittlich. Scharfe Nägel bohrten sich in meine weiche Haut und Tränen traten mir in die Augen, während der Layph mich mit einem Ruck näher zu sich zog. Geistesgegenwärtig nutzte ich den Schwung aus, hob mein Knie und traf frontal die Region zwischen seinen Beinen.
Mein Gegner jaulte laut auf, während ich innerlich triumphierte und sein fester Griff um mein Handgelenk lockerte sich. Mit einem weiteren Ruck, der meine Schulter weiter strapazierte befreite ich mich aus der Fessel seiner Berührung. In der ungünstigen Belichtung erkannte ich nur schemenhaft, wie er seinen Kopf senkte und sein gutes Stück mit der linken Hand bedeckte. Sein Stöhnen war jedoch Zeichen genug für mich, um zu erkennen, dass ich im Augenblick eindeutig nicht im Fokus seiner Aufmerksamkeit stand. Ich bezweifelte jedoch stark, dass es ihn noch länger als ein paar Augenblicke ablenken würde.
Ich musste diesen Moment nutzen. Jetzt oder nie. Ich hob gerade meinen Fuß, um ihn in den Magen zu treten, als etwas, das von hinten kam, ihn seitwärts gegen die nahe liegende Wand schleuderte. Mit einem übelkeitserregenden Knacken traf Sakras Kopf auf der harten Oberfläche auf, bevor der Layph zu Boden sackte und sich nicht mehr regte. Ich zuckte zusammen und wandte meinen Blick ab, als eine dunkle Flüssigkeit, die im wenigen Licht kaum erkennbar war, sich auf dem Boden ausbreitete. Galle kroch meine Kehle hoch und ich spürte, dass ich leicht zitterte.
Ein sanfter Finger schob sich unter mein Kinn und zwang mich dazu, die Augen zu öffnen. „Alles in Ordnung?", wisperte Cyrion mit seiner baritonartigen Stimme und musterte mich besorgt. Beim Klang seiner Worte entspannte ich mich ein wenig, und die Anspannung, die ich empfunden hatte, seitdem er den Raum verlassen hatte, verpuffte.
„I-ich...ja. Ich bin...bin nur froh, dass es vorbei ist", brachte ich krächzend hervor. „Ist er...ist Sakras...tot?"
Prüfend trat Cyrion einen Schritt zurück und ließ seinen Blick über dem am Boden liegenden Layphen schweifen. „Noch nicht." Dann schritt er zu Brax und umfasste den Layph so, dass er ihn über seine Schulter schwingen konnte. „Komm. Wir müssen hier raus."
Das abklingende Adrenalin ließ meine Glieder immer noch ein wenig zittern, als ich hinter Cyrion aus dem Raum trat. Am Boden lagen zwei mir unbekannte Gegner, die sich nicht mehr regten, während Dasyl an der Wand lehnte und sich etwas Dunkles von der Lippe wischte – vermutlich Blut. Unzählige blaue Flecken zierten sein Gesicht.
„Alles in Ordnung?", erkundigte ich mich bei ihm – obwohl er immer so unausstehlich zu mir war, konnte ich den winzigen Hauch der Besorgtheit, die ich um ihn empfand, nicht verbergen.
„Es war erfrischend", erwiderte Dasyl und einer seiner Mundwinkel hob sich.
Cyrion schüttelte nur den Kopf über seine Erwiderung. „Lasst uns gehen. Wir hatten Glück, dass es nur drei Gegner waren."
Augenblicklich verhärteten sich Dasyls Züge. „Ihr könnt gehen, ich bleibe. Ich weiß, dass Kol hier ist. Ich kann ihn riechen. Möglicherweise halten sie ihn auch gefangen."
„Dasyl, tu das nicht. Kol wird nicht gefangen gehalten – er ist der Feind."
„Das glaube ich nicht." Mit dem Rücken zu uns entfernte sich Dasyl. Auf seinem Gesicht loderte dieselbe Wut, wie auf der Brücke. Plötzlich traf ihn etwas in den Rücken und er wurde er nach vorne geschleudert. Mit einem dumpfen Laut und einem Keuchen landete der Hüne auf seinen Knien. „Verdammt!"
„Ja, verdammt", wiederholte eine Stimme das Gesagte aus dem Dunkel des Ganges vor uns. Mit grün blitzenden Augen trat Kol hinter Dasyl und trat ihn noch einmal in den Rücken. Dieses Mal fiel der Layph auf sein Gesicht, ein Knacken erklang.
„Kol", krächzte Dasyl, hustete, rappelte sich mit ungeschickten, langsamen Bewegungen auf und kroch zur linken Seite der Wand. Verwirrung leuchtete in seinen goldroten Augen auf. Er hatte offensichtlich noch nicht ganz begriffen, wer ihn zu Boden getreten hatte – oder vielleicht wollte er es auch gar nicht begreifen.
Cyrion hingegen ließ Brax zu Boden gleiten und positionierte sich kampfbereit und mit erhobenen Fäusten. „Glaubst du mir jetzt?", knurrte der Layph mit den goldblonden Locken in Richtung Dasyl, doch dieser reagierte nicht. Sein Blick haftete wie betäubt an seinem Freund. Währenddessen schritt Kol ruhig auf Cyrion zu. Ich war die einzige Barriere, die noch zwischen den beiden Layphen war und machte mich bereit, ihn anzugreifen.
Bevor ich mich versah, traf mich wie aus dem Nichts eine flache Hand auf meiner rechten Wange und ich schlug mir den Kopf an der Wand an. Aus der Finsternis des Schattenwanderns materialisierte sich Kol wieder und kam vor Cyrion zum Stehen.
„Serena!", rief Cyrion aus und zischte wütend. Einen kurzen Moment lang verharrte sein Blick auf mir, bis er sich vergewissert hatte, dass es mir den Umständen entsprechend gut ging. Dann hatte Kol seine volle Aufmerksamkeit wieder und der Layph holte aus. Bald schon prasselten unzählige Schläge auf die beiden Körper ein, während vor meinen Augen bunte Flecken tanzten und mein Kopf schmerzhaft dröhnte. Dennoch ließ ich die beiden Kämpfenden nicht aus den Augen und sog scharf die Luft ein, als Kol Cyrion nach einer gefühlten Ewigkeit, in der keiner sichere Treffer hatte landen können, in das bereits malträtierte Gesicht schlug und der Layph kurz darauf zu Boden ging. Ohne lange zu Zögern, holte Kol aus und trat Cyrion gegen die Rippen. Mit einem dumpfen Laut sackte der Getroffene zu Boden.
„Cyrion", rief ich panisch und eilte taumelnd auf die beiden zu, ohne einen klaren Gedanken gefasst zu haben. Ich musste helfen, ich musste irgendetwas tun! Bevor ich auch nur ansatzweise in die Nähe des muskulösen Layphen gelangte, hatte Kol mich gepackt und meinen Arm schmerzhaft verdreht. „Das würde ich an deiner Stelle lassen", zischte er und sein Atem brannte auf meinem Hals. „Du wirst noch gebraucht."
Der heiße Schmerz, der sich in meinem Gelenk ausbreitete, vertrieb jegliche Fragen in meinen Gedanken, die sich um mich und meinen Gebrauch drehen könnten. Bei dem Versuch, mich zu befreien, verdrehte sich mein Arm noch mehr. Mein Blick verankerte sich auf dem Layphen mit dem goldblonden Haar. Seine Haltung verwehrte mir jeglichen Blick in seine Augen, seine Locken fielen ihm ins Gesicht, während sich seine Hände gegen seine Rippen pressten. Verdammt, ich musste ihm helfen! „Beim nächsten Versuch ist deine Schulter ausgekugelt."
Bevor er seine Vorhersage wahr machen konnte, ließ der Druck auf meinem Arm nach und ich erblickte Dasyl, der seinen Arm um den Hals seines Freundes geschlungen hatte und ihn fest in einem Würgegriff hielt. „Warum tust du das?"
„Weil ich es will", presste Kol hervor und bemühte sich darum, Dasyl Griff zu lösen. Doch der Layph, aus dessen Gesicht das Blut unaufhörlich ungleiche Striemen malte, ließ nicht los.
„Warum?"
„Weil...ich muss. Es geht nicht anders."
„Wieso?"
„Weil...sie...es...wollen."
„Wer sind sie?" Dasyls Worte klangen immer abgehackter, während Kol nur noch krächzen konnte. Die Luftnot machte dem Layphen offenbar schwer zu schaffen.
„Die...Lamien..." Im nächsten Moment erschlaffte sein Gesicht und seine Augenlider schlossen sich. Dasyls Griff hatte dazu geführt, dass er bewusstlos wurde.
Wie betäubt lockerte der Hüne seinen Griff und Kol landete mit einem dumpfen Laut auf dem Boden. Als hätte mich das Geräusch aus einer Starre befreit, überwand ich die letzte Distanz zu Cyrion. Vor ihm fiel ihm auf die Knie, und augenblicklich wurde mein Kopf von einer Schmerzwelle überrollt. Vorsichtig legte ich meine Finger um seine stoppeligen Wangen. „Cyrion. Geht es dir gut?" Besorgt suchte ich seinen Blick.
„Geht schon", presste er hervor. „Ich glaube, er hat ein paar meiner Rippen gebrochen." Endlich hob er seinen goldroten Blick und traf auf den meinen. Sein flacher Atem stockte, als ich mich in seinen Augen verlor. Wir waren uns so nahe, dass ich beinahe die Wärme seiner Haut auf der meinen spürte. Mein Blick fiel auf seine blutige Lippe und ich rückte Cyrion noch ein wenig näher. Es war beinahe so, als wäre er der Honig und ich die Biene, die sich der Verlockung nicht entziehen konnte.
„Wir müssen hier raus." Wieder war es Dasyl, der einen Kuss verhinderte.
Es war nicht dieser Moment, in dem mir aufgefallen war, dass Cyrion nicht nur kurz davor war, sich in mein Herz zu schleichen, sondern es schon längst getan hatte. Es war auch nicht der Moment, in dem er unter augenscheinlich höllischen Schmerzen Brax gemeinsam mit Dasyl ans Tageslicht beförderte. Es war auch dann nicht geschehen, als Navarra wenige Meter von der Höhle entfernt mitsamt eines Suchtrupps und einer Standpauke von höchster Güte auf uns wartete und der Layph in meiner Nähe verweilte, als würde er mich immer noch beschützen wollen. Oder, als wir in dem Helikopter zurück zur Akademie gebracht wurden und sein Kopf gegen meine Schulter fiel, weil er vor Erschöpfung kurz eingenickt war und mich eine seiner dichten Haarsträhnen an meinem Hals kitzelte.
Tatsache war, dass es schon längst geschehen war. Cyrion, der Layph, der mich vor Sakras gerettet hatte – zwei Mal – befand sich in tief meinem Herzen. Schleichend, immer ein wenig mehr hatte er sich angenähert, bis ich es mir nur nicht hatte eingestehen können, es aber schon längst passiert war.
Nun saß ich mit angezogenen Beinen auf meinem Bett und drehte den Saphiranhänger, den mir Aryan vor einer gefühlten Ewigkeit, die sich gleichzeitig wie ein Wimpernschlag anfühlte, in meinen Händen hin und her.
Was bedeutete es für meine Zukunft, wenn ich mir meine Gefühle für Cyrion eingestand? Und diese Gefühle...übertrafen sie diejenigen, die ich für Aryan empfand? Oder waren sie möglicherweise gar nicht vergleichbar?
Mit einem Seufzen lehnte ich meinen Kopf gegen die kühle Wand. Mir blieben nur noch wenige Minuten, bis ich in Navarras Büro erscheinen musste – zusammen mit Cyrion, Dasyl und Brax, der inzwischen aufgewacht war. Möglicherweise konnte mein Freund mit den flachsblonden Haaren uns mehr über die unglaubliche Erkenntnis verraten, die Kol Dasyl mitgeteilt hatte.
Lamien. Das Wort geisterte in meinem Kopf herum, bevor ich es bewusst hatte denken können. Was bedeutete das für die Layphenwelt? Und für die meine?
Und was hatten die Worte zu bedeuten, die Kol zu mir gesagt hatte? Du wirst noch gebraucht. Wofür?
Mit einem erneuten Seufzer legte ich den Herzanhänger auf meinem Nachttisch ab, erhob mich von meinem Bett, und ging zur Tür. Ich hatte sie bereits halb geöffnet, als mich irgendetwas dazu brachte, mich wieder umzudrehen und zurück in mein Zimmer zu blicken.
Alles war – natürlich – noch so, wie ich es gerade vor wenigen Momenten verlassen hatte.
Alles, bis auf das Saphirherz.
Friedlich auf meinem Nachttisch ruhend, ging von ihm ein sanftes Strahlen aus, das kurz daraufhin ein Viertel meines Zimmers in sein blaues Strahlen getunkt hatte. Ich bekam überhaupt nicht mit, dass ich die Distanz überwand, bis ich es in den Händen hielt. Ein dumpfes Röhren drang an mein Ohr und beinahe wie paralysiert ließ ich meinen Blick zum Himmel schweifen. In einiger Entfernung, noch zu hoch, um es eindeutig erkennen zu können, näherte sich ein weißes Glänzen, das die mittäglichen Sonnenstrahlen reflektierte.
Meine vorher noch so chaotischen Gedanken waren auf einmal klarer als der blaue Himmel. Nur wenige Worte bahnten sich ihren Weg durch diese Klarheit, bis sie das Einzige waren, das ich noch wahrnehmen konnte.
Achte auf das Saphirherz, geliebte Serena. Bald wird es heller strahlen als der glühendste Stern am Himmel, denn dann werde ich wieder bei dir sein.
In Liebe,
Aryan.
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