Kapitel 1
Nyalaerin sah aus ihrem Fenster. In den letzten drei Jahren hatte sie es weit gebracht. Sie besaß nun eine Hütte am Stadtrand, noch außerhalb der Stadtmauer, aber war unter den Kriminellen zu einer echten Größe aufgestiegen. Immer wieder suchten Fremde sie auf, um für sie Aufträge erledigen zu dürfen. Meist ging es darum, ein Kopfgeld einzutreiben, ab und zu sollten sie auch etwas für Nyalaerin stehlen.
Im Gegenzug durften die Fremden ein Haus nennen, das für eine Woche lang jede Nacht von ihr geschützt wurde. Im Normalfall reichte es, wenn sie ein paar ihrer Skelette in besagte Häuser schickte, und einen Totenkopf auf die Tür der Häuser malte. Die Stadtwachen hatten nach ein paar Hausdurchsuchungen schnell herausgefunden, dass es besser war, dieses Zeichen zu meiden. Sosehr diese auch versuchten, Verbrecher zu stellen, so sehr fürchteten sie sich doch auch, in ein Haus hineinzustürmen, in dem Skelette sich erhoben hatten und bereit waren, gegen sie zu kämpfen.
Nyalaerin drehte sich wieder in den Raum, und sprach ihr Gegenüber an: "Cedric, sag unserem Wachmeister, dass wir heute wieder ein Haus schützen müssen. Ein Händler hat uns ein paar Säcke Brote gebracht, und unseren Schutz erbeten. Er teilte uns mit, die Königssoldaten wollen ihn umbringen, weil er einem kleinen Mädchen bei der Flucht vor ihnen geholfen hat."
Ihr Gegenüber nickte stumm und drehte sich zur offenen Zimmertür.
"Ach, und sag bitte Isa bescheid, dass sie herausfinden soll, wer diese Soldaten sind", fügte sie noch schnell hinzu.
Cedric drehte sich noch mal zu ihr um, und fragte nach: "Ist es wegen des Mädchens?" Nyalaerin blickte einige Sekunden in seine Augen, und Cedric verstand. Sie hatte immer wieder betont, das jeder, der über vierzehn Jahre alt war, für ihre Dienste aufkommen musste, aber kriminelle Kinder würden immer ihre Unterstützung bekommen. So sicherte man sich Nachwuchs. Und nichts war in diesen Zeiten schwieriger, als treuen Nachwuchs zu finden.
Einen Tag später stieg sie zufrieden aus ihrem Bett. Wie sie erwartet hatte, war ihr nächtlicher Schutzdienst ohne Komplikationen geblieben, und so konnte sie guten Gewissens das Brot des Händlers an ihre Handlanger verteilen. Mit zerzausten Haaren setzte sie sich auf, und schaute aus dem Fenster, dass ihr gegenüber in die Wand eingelassen war. Sie besah gerade einen weit entfernten Baum, als es an ihrer Tür klopfte.
"Nya, ein Spion hat eine Eilnachricht weitergegeben. Die Königswachen werden ab nächster Woche offiziell Ermittlungen gegen uns aufnehmen. Inoffiziell sind wir für vogelfrei erklärt worden", teilte Cedric ihr durch die Tür mit.
Nun, dachte sie, das würde ungemütlich werden. "Cedric, informiere alle, dass sie in Gefahr schweben. Sie sollen sich auf die drei Keller im Norden der Stadt verteilen, dort können wir sie am besten verstecken. Und lass dem Anführer der Wache zu hören kommen, dass seine Familie dafür bezahlen wird."
Niemand, wirklich niemand, durfte Nyalaerins Leuten zu Nahe kommen. Sie alle hatten ein besseres Leben verdient, und sie würde es ihnen auch geben. Dass war ihr stilles Versprechen an jeden, der in ihre Reihen aufgenommen wurde.
Genervt von so viel Stress am Morgen ließ sie sich wieder ins Bett fallen und starrte an die Decke. Wieso musste die Wache plötzlich aktiv werden? Bisher hatten ein paar Münzen Bestechungsgeld ausgereicht, damit der Wachhauptmann wegguckte. Nyalaerin seufzte. Was hatte sich geändert?
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