Zwölf (Stand 2025)
Ich stapfte zum Haus und öffnete die schwere Holztür, die sich mit einem typischen, lauten Quietschen bemerkbar machte. Der vertraute Klang hallte durch die stille Atmosphäre des Hofes, als würde er meinen Eintritt ankündigen. Doch diesmal, als die Tür aufschwang, blieb ich wie angewurzelt stehen.
„Nein, ich bin kaum an sie rangekommen, seit sie hier ist. Jedes Mal, wenn man ihre Familie erwähnt, fährt sie hoch und wird impulsiv. Das hat so keinen Sinn. Ich wollte erst mit Ihnen darüber reden, wie ich mich da verhalten soll", hörte ich Amy sagen. Ihre Stimme war ungewohnt ernst, fast unsicher.
Die Worte durchbrachen die dünnen Wände der Küche und prallten auf mich wie ein plötzlicher Donnerschlag. Was redete sie da? Meine Familie? Impulsiv? Was meinte sie damit? Und warum sprach sie darüber mit ihr? Ich schob mich näher zur Tür, lauschte, während ein drückendes Unbehagen in mir wuchs.
„Wenn Sie merken, dass Sie an ihre Grenzen stoßen, dann sollten Sie es auch dabei belassen", erwiderte die kühle Stimme der Klemmbrettfrau, professionell wie immer. „Es ist wichtig, dass sie Ihnen vertraut, und Vertrauen braucht Raum. Je mehr sie das Gefühl hat, dass Sie nicht drängen, desto eher wird sie sich Ihnen öffnen."
Ich spähte vorsichtig um die Ecke in die Küche. Amy stand am Esstisch, ihr Cowboyhut lag auf dem Tisch, und sie wirkte ungewöhnlich nervös. Sie wechselte ständig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, als wäre sie unsicher, ob sie stehen bleiben oder fliehen sollte.
„Glauben Sie nicht, dass das meine Kompetenzen übersteigt?" fragte Amy schließlich. Ihr Ton klang fast flehend. „Sollten Sie nicht lieber selbst mit ihr arbeiten? Sie haben die Ausbildung dafür."
Die Klemmbrettfrau, in ihrer steifen Bluse und mit einer schwarzen Aktentasche auf dem Tisch, schüttelte entschieden den Kopf. „Amy, Sie haben gesehen, wie sie auf mich reagiert. So reagiert sie auf jeden, der versucht, sich ihr zu nähern, ohne dass sie es will. Der Richter hat nicht umsonst entschieden, dass sie hierherkommen soll. Es ist kein böser Wille, der sie an diesen Punkt gebracht hat. Da steckt etwas Tieferes dahinter."
Die Spannung in der Luft wurde fast unerträglich, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht einfach in die Küche zu platzen. Stattdessen verharrte ich still an der Wand, mein Atem flach, meine Hände zu Fäusten geballt.
„Beide Eltern sind innerhalb kurzer Zeit weggewesen. Reicht das nicht aus, um so ein Verhalten zu erklären?" fragte Amy und sah die Frau mit einem Blick an, der gleichzeitig Zweifel und Mitgefühl ausdrückte.
Die Klemmbrettfrau atmete tief ein und lehnte sich zurück. „Es erklärt einen Teil davon. Aber der Jugendrichter hatte den Eindruck, dass da mehr ist. Etwas, das sie zurückhält. Und selbst wenn nicht, Amy, selbst wenn es keinen tieferen Grund gibt, wird ihr der Aufenthalt hier guttun. Sie haben ja selbst gesagt, dass sie sich bereits positiv entwickelt hat."
Amy schwieg, ihre Lippen fest zusammengepresst. Es war, als kämpfe sie innerlich, ob sie dem zustimmen sollte oder nicht.
Ich fühlte, wie die Worte tief in mir nachhallten. „Mehr dahinter." Was sollte das bedeuten? Warum sprachen sie über mich, als wäre ich ein Puzzle, das es zu lösen galt? Eine Mischung aus Wut und Verletztheit stieg in mir auf, aber ich zwang mich, äußerlich ruhig zu bleiben.
Also entschied ich mich für den üblichen Weg, um zu zeigen, dass ich da war. Mit einem lauten Knall ließ ich die Tür ins Schloss fallen. Sofort verstummten die Stimmen in der Küche, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Ich trat mit erhobenem Kopf in die Küche. Die Klemmbrettfrau, die immer so selbstsicher wirkte, drehte sich um, ihre Augen kurz musternd. Amy sah mich an, und ich bemerkte, wie sie unbewusst einen Schritt zurücktrat.
Mein Blick fiel in die Küche, wo die beiden Frauen nun schweigend standen. Die Klemmbrettfrau hatte zu meiner Überraschung kein Klemmbrett dabei, dafür aber eine schwarze Aktentasche unter dem Arm. Sie wirkte wie immer – ernst, professionell, und doch hatte sie etwas an sich, das mich unruhig machte.
Amy stand daneben und hielt ihren Hut in den Händen. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, aber ihre Finger, die unruhig über die Krempe ihres Huts strichen, verrieten, dass sie nervös war. Ich entschied mich, so zu tun, als hätte ich nichts bemerkt, und lief an ihr vorbei, um mir ein Glas aus dem Schrank zu holen.
Die Luft in der Küche war drückend, als hätte das Gespräch der beiden einen unsichtbaren Schatten hinterlassen. Während ich das Glas mit Wasser füllte, spürte ich ihre Blicke auf mir. Das leise Plätschern des Wassers aus dem Hahn schien das einzige Geräusch im Raum zu sein. Ich trank das Wasser hastig, das kühle Nass half nur wenig gegen die erdrückende Hitze des Tages.
„Ist das hier eine Privatbesprechung, oder darf ich mitreden?" fragte ich, bemüht, meine Stimme fest und neutral zu halten. Schließlich sollten sie nicht merken das ich das gerade alles gehört hatte.
Die Klemmbrettfrau lächelte dünn. „Natürlich nicht. Wir haben nur ein paar Dinge besprochen, die deinen Aufenthalt hier betreffen."
„Oh, wie nett", sagte ich sarkastisch, verschränkten die Arme und sah abwechselnd zwischen den beiden hin und her. „Hoffentlich waren sie konstruktiv."
Als ich das leere Glas abstellte, wanderte mein Blick wieder zu der Klemmbrettfrau. Ihre sonst so strenge Frisur war heute zerzaust, und ein paar Strähnen fielen ihr unordentlich ins Gesicht. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich mir vorstellte, wie Amy sie mit dem Quad über den schmalen Waldweg hierhergefahren hatte.
Es war kein Weg, den man mit einem normalen Auto bewältigen konnte. Man brauchte etwas Geländetaugliches – ein Quad, einen Traktor oder einen Jeep. Und Amy, das wusste ich, hatte eine Vorliebe dafür, ihren Gästen mit halsbrecherischem Tempo zu zeigen, dass sie sich hier auf dem Land befanden.
„Irgendwie sehen Sie heute nicht so aus wie sonst", sagte ich schließlich, ohne sie direkt anzusehen, und füllte das Glas erneut mit Wasser.
Die Klemmbrettfrau hob eine Augenbraue, ihr Gesicht blieb jedoch ungerührt. „Manchmal hat der Tag einfach zu wenig Stunden", erwiderte sie knapp. Ihre Stimme klang fest, aber ich bemerkte die Spur von Erschöpfung darin.
„Oder die Straßen zu viele Schlaglöcher", murmelte ich, gerade laut genug, dass sie es hören konnte.
Amy ihr Blick blieb ernst. „Lou, sei höflich", zischte sie, ihre Stimme war ruhig, aber es lag ein Hauch von Strenge darin.
„Warum sind Sie eigentlich hier?" fragte ich ohne den beiden Raum für eine Antwort zu lassen und richtete mich direkt an die Klemmbrettfrau. „Ich dachte, wir sehen uns nur bei diesen fantastischen Check-up-Terminen, auf die ich mich immer so freue."
Die Frau lächelte wieder, dieses Mal ein wenig breiter, aber das Lächeln erreichte nicht ihre Augen. „Ich wollte einfach sehen, wie es dir geht, und sicherstellen, dass du hier gut zurechtkommst. Das ist schließlich meine Aufgabe."
„Natürlich ist es das", murmelte ich und fühlte, wie die Wut in mir brodelte. Aber ich wusste, dass ich nichts gewinnen würde, wenn ich jetzt aus der Haut fuhr. „Weil ich ja so spannend bin, dass man mich ständig überprüfen muss."
Amy warf mir einen warnenden Blick zu, aber ich ignorierte ihn. Ich hatte das Gefühl, dass hier mehr hinter ihrem Besuch steckte, und ich wollte nicht so tun, als wäre ich blind dafür.
„Vielleicht liegt es daran, dass wir alle sicherstellen wollen, dass du hier gut zurechtkommst", sagte die Klemmbrettfrau ruhig. „Das ist nichts, worüber du dich lustig machen solltest."
Ich hielt ihrem Blick stand. „Sicherzustellen, dass ich gut zurechtkomme? Klingt, als würden Sie mir nicht vertrauen."
„Lou", unterbrach Amy, ihre Stimme leise, aber eindringlich. „Das ist nicht der Punkt. Sie ist hier, um zu helfen."
„Helfen? Ich komme schon zurecht", sagte ich und stand auf. Ich griff nach meinem Glas und füllte es zum dritten Mal. „Ich brauche keine Kontrolle. Und ganz sicher brauche ich keine Überraschungsbesuche."
Die Klemmbrettfrau seufzte leise und stellte ihre Aktentasche auf den Tisch. „Vielleicht sollten wir später darüber sprechen, Lou. Wenn du dich ein wenig beruhigt hast."
Ich schnaubte und drehte mich zur Tür. „Ach, das ist ja interessant. Wann genau habe ich mich denn aufgeregt?", fragte ich. Ich wusste nicht genau warum aber allein die pure Anwesenheit dieser Frau brachte mich zum kochen. Und die Tatsache das sie so gut auf meine Stichlein reagierte machte es mir nicht einfacher mich im Griff zu halten.
„In Ordnung, Lou, ich bin nur hier, um nach dem Rechten zu sehen, und dann bin ich auch schon wieder weg. Gibt es sonst noch etwas, das du mir sagen möchtest?" Die Klemmbrettfrau sprach erstaunlich ruhig, fast so, als wolle sie mich nicht provozieren. Ihre Haltung war sachlich, ihre Augen jedoch suchten aufmerksam nach einer Reaktion von mir.
Ich antwortete nicht sofort. Stattdessen ließ ich die Frage im Raum stehen, während ich ihr musternd in die Augen sah. Was sollte ich ihr sagen? Sie schien darauf vorbereitet zu sein, dass ich schweigen würde, und wartete geduldig. Schließlich sagte sie: „Amy hat mir erzählt, dass du dich hier gut eingelebt hast." Ihr Tonfall war warm, beinahe aufmunternd – ein klarer Versuch, mich zum Reden zu bringen.
Ich seufzte, wandte den Blick ab und griff nach einem Glas, das auf der Spüle stand. Während ich es langsam mit Wasser füllte, murmelte ich: „Sind Sie fertig? Ich habe zu tun." Meine Stimme war patzig, aber ich hatte keine Lust auf Smalltalk oder auf diese durchsichtigen Versuche, mein Vertrauen zu gewinnen.
Ich bemerkte, wie sie kurz die Augen verdrehte, bevor sie erneut ansetzte: „Hast du irgendwelche Fragen an mich? Oder gibt es irgendetwas, worüber du sprechen möchtest?" Ihre Stimme blieb ruhig, aber ich konnte spüren, dass sie nicht aufgeben würde.
Ich kniff die Augen zusammen und starrte auf das Wasser im Glas. Warum sollte ich mit ihr reden? Ich wusste nicht einmal genau, welche Rolle sie hier spielte, geschweige denn, ob ich ihr vertrauen konnte. Trotzdem ließ ich mich auf ihren Vorschlag ein – zumindest ein bisschen. „Ich habe tatsächlich eine Frage", sagte ich schließlich.
Überrascht hob sie eine Augenbraue, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass ich wirklich etwas von ihr wissen wollte. „Natürlich. Was möchtest du wissen?" Sie klang fast erleichtert.
„Können Sie mir sagen, wie es Ellie geht?" fragte ich. Der Name veränderte sofort ihre Mimik. Das anfängliche Interesse in ihren Augen schwand so schnell, wie es gekommen war. Ihre professionelle Maske kehrte zurück, und sie antwortete zögerlich: „Ich habe keine aktuellen Informationen über sie. Aber wir könnten über etwas anderes sprechen—"
„Danke, keine weiteren Fragen", schnitt ich ihr scharf das Wort ab. Ich stellte mein leeres Glas ab und richtete mich auf. „Vielleicht sollten wir später reden. Wenn ich mich weniger... impulsiv fühle." Ich sah ihr direkt in die Augen und genoss den kurzen Moment, in dem sie die Fassung verlor, bevor sie wieder ihre Maske aufsetzte.
Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und ließ sie in der drückenden Stille zurück und marschierte zur Tür hinaus.
„Gut, dann sehen wir uns später noch mal", rief sie mir hinterher. Doch der letzte Teil ihres Satzes wurde vom Knallen der Haustür verschluckt.
Draußen blieb ich stehen, der warme Wind streifte mein Gesicht. Ich warf einen letzten Blick zurück zum Haus. Das Küchenfenster stand offen, und obwohl ich schon ein paar Schritte entfernt war, hörte ich die beiden leise sprechen.
„Gut, Amy, dann zeig mir mal die Unterlagen", sagte die Klemmbrettfrau mit dieser sachlichen Selbstverständlichkeit, die mich jedes Mal nervte.
„Die sind oben im Büro, auf meinem Rechner. Folgen Sie mir", antwortete Amy, ihre Stimme leise, fast zögerlich.
Ich fühlte, wie mein Herz einen Moment schneller schlug. Unterlagen? Was für Unterlagen? Und warum hatte ich das dumpfe Gefühl, dass sie etwas mit mir zu tun hatten? Das Gespräch weckte in mir einen Verdacht, den ich nicht ignorieren konnte. Ich musste herausfinden, worum es ging – und zwar schnell.
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