22. Der Wurm im Marmeladenglas | Miki/Keno
„Also, wie lautet nun der Plan?", fragte ich stirnrunzelnd und sah meine beiden Mitstreiter an.
Keno war seit seinem Einzelgespräch mit Gesche Endler noch verschlossener als ohnehin schon und Kaja ließ sich sowieso nicht gerne in die Karten schauen. Doch jetzt zeigte sie erbarmen und antwortete: „Wir schleichen uns auf die Fähre und reden mit Alicia."
„Warum müssen wir uns denn unbedingt hinüberschleichen? Die Fähre ist doch für jeden frei nutzbar?"
„Weil manche Zauber nur zu bestimmten Zeiten ausführbar sind. Und dieser funktioniert nur bei Sonnenaufgang."
„Und was für ein Zauber ist das? Segen oder Fluch?"
„Ein Anziehungsfluch, aber wir benutzen ihn ja nicht, um Alicia zu schaden. Wir wollen nur mit ihr reden."
„Aha", meinte ich wenig überzeugt. Das Ganze wirkte noch etwas unausgegoren auf mich. „Und wir genau kommen wir ungesehen auf die Fähre?"
„Lass mich nur machen", erwiderte Kaja selbstbewusst und ich zückte vorsichtshalber mein Handy, um meiner Mutter zu schreiben, dass ich diese Nacht wohl auswärts nächtigen werde. Danach schaltete ich es aus, um lästigen Nachfragen zu entgehen. Auf der Insel hatte man eh keinen Empfang.
Der Hafen lag für einen Samstagnachmittag gespenstisch verlassen da. Es gab nur einen geöffneten Fischstand, an dem aber vorrangig Möwen interessiert waren.
„Das ist schlecht. Bei so wenig Publikumsverkehr fallen wir doch sofort auf", konnte ich mir nicht länger verkneifen zu bemerken, während wir uns dem Wartebereich der Fähre näherten.
„Wirklich?", fragte Kaja mich irritiert. „Du hast kein Problem damit, die Existenz von Geistern und Hexen zu akzeptieren, aber wenn ich behaupte, uns ungesehen auf dieses Boot schmuggeln zu können, da ziehst du eine Grenze?"
„Ich dachte, du bist keine Hexe", warf ich ihr charmant vor und die Falte auf ihrer Stirn, die seit einiger Zeit sehr präsent war, fraß sich noch ein Stückchen tiefer in die Haut. „Sei bitte einfach still. Ich muss mich hier konzentrieren."
Also hielt ich die Klappe und wie durch ein Wunder, schafften wir es wirklich unbehelligt an Bord, indem Kaja einen harmlosen Fluch auf die Steuerbordseite legte, der sämtliche Wasservögel auf mysteriöse Weise anlockte. Mare fluchte lautstark und versuchte diese „Scheißenden Mistviecher" zu verscheuchen.
Außer uns war wieder nur der Mann von letztem Mal, mit seinem Strauß Rosen an Bord gegangen. Er setzte sich ganz unauffällig auf eine der Sitzbänke und beobachtete Mare mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, wie diese versuchte ihr Schiff von den fliegenden Gästen zu befreien, was nebenbei bemerkt wirklich ziemlich witzig aussah.
Wir drückten uns im toten Winkel der Steuerkabine herum, doch wir konnten genauso gut unsichtbar sein. Wirklich niemand achtete auf uns.
Kein Wunder das Kaja so gute Noten hatte, mit solchen Fähigkeiten konnte man sicher ganz wunderbar schummeln, ohne jemals befürchten zu müssen, erwischt zu werden. Das war sowas von unfair.
Eine Viertelstunde später legten wir an. Das Schiff unbemerkt zu verlassen, war dann schon ein bisschen komplizierter. Doch auch die nächste Ablenkung funktionierte.
„Sieh nur, da sind Robben!", rief der alte Mann plötzlich ganz aufgeregt und auch Mare lehnte sich weit aus ihrer Fahrerkabine. „Robben? So nah am Ufer? Zu dieser Jahreszeit?", hörten wir die Fährfrau noch verwundert murmeln, als wir hinterrücks geduckt an ihr vorbeischlichen und dann schnellstmöglich in den angrenzenden Wald rannten.
„Das war der Wahnsinn", fand ich beeindruckt und grinste fett.
„Wir sind nicht zum Vergnügen da", erinnerte mich Kaja ernst. „Keno, kannst du irgendwas... sehen? Hey, Keno!"
„Hm?", fragte dieser und blinzelte ganz verwirrt, da er offensichtlich mit den Gedanken ganz woanders gesteckt hatte.
„Konzentriert euch gefälligst!"
„Sorry. Nein, Alicia ist nicht hier."
„Gut, dann warten wir bis in die Morgenstunden und versuchen meine Methode."
„Hätte ich gewusst, dass wir heute Nacht Wildcampen, hätte ich mich deutlich wärmer angezogen", beschwerte ich mich leise.
„Ich hab Tee dabei", meinte Kaja aufmunternd und kramte eine Thermosflasche aus ihre Tasche. „Und Taschenlampen."
Wir saßen Knie an Knie und ließen den Thermosdeckel, der gleichzeitig als Tasse fungierte, kreisen. Noch war es eigentlich relativ warm, aber sobald die Sonne unterging, würde sich das rasch ändern. Wir hatten uns für ein Plätzchen nahe am Strand entschieden, damit wir noch möglichst viel von der Helligkeit abbekamen.
„Lust auf ein Spiel?", fragte Keno irgendwann in die beginnende Abenddämmerung hinein. „Um die Zeit totzuschlagen?"
„Was willst du denn spielen?", fragte Kaja argwöhnisch. „Doch nicht Wahrheit oder Pflicht?"
„Ich dachte eher an Wahrheit oder Wahrheit."
„Du willst mich also ausfragen", schlussfolgerte Kaja schnaubend.
„Also nicht?"
„Meinetwegen. Aber ich fange an. Hat deine Großmutter jemals dir gegenüber ihre Erscheinungen erwähnt? Wolltest du deshalb deine Tabletten nicht nehmen? Weil du ihr insgeheim geglaubt hast?"
„Woher weißt du, dass ich meine Tabletten nicht genommen habe? Sag mir nicht, dass Dr. Larson... meine eigene Therapeutin, mich all die Jahre verarscht hat..."
„Nein, Andy hat es mir erzählt."
„Du redest mit meiner Schwester über mich?", fragte Keno betont anklagend zurück.
„Klar. Der Zirkel nützt jede nur mögliche Informationsquelle, um dich im Auge zu behalten. Wie gesagt, unsere Hauptaufgabe ist es, das Gleichgewicht zu wahren und du bist bedauerlicherweise der größte Störfaktor dieses Gleichgewichts."
„Du glaubst das wirklich, was? Denn ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass es deinem Zirkel vorrangig darum geht, sich selbst zu schützen. Was glaubst du denn, was schlimmstenfalls passieren würde? Es gibt jetzt schon Menschen, die an das Übernatürliche glauben. Na und? Die Mehrheit wird das nie tun. Niemand wird im einundzwanzigsten Jahrhundert Scheiterhaufen errichten und euch abfackeln."
„Du hast keine Ahnung", warf sie ihm aufgebracht vor. „Vielleicht nicht mehr so wie früher, aber Hexenverfolgungen passieren noch immer."
„Ist das dein Ernst?", fragte ich völlig entsetzt dazwischen. „Wer macht denn sowas? Die Kirche? Exorzisten? Wenn das wahr ist, ist es umso wichtiger deine Mitmenschen über diesen Missstand aufzuklären! Unwissenheit ist der Nährboden für jede Form von Grausamkeit! Wenn du dich damit an die Presse wendest, dann..."
„Dann was? Komme ich aufs Titelblatt der Bildzeitung? Großartig. Dann werde ich als Spinnerin abgestempelt und jeder Hexenjäger weltweit kennt meinen Aufenthaltsort. Super Idee! Und für Keno wäre das genauso gefährlich! Ein Hexenblut bewahrt das Gleichgewicht, Hexenjäger wollen dagegen unsere Seite, alles Übernatürliche innerhalb dieser Welt, ausmerzen."
„Aber wieso?", fragte ich fassungslos. „Ihr schadet doch niemandem... oder?"
Die Sonne hatte bereits mit ihrer Abwärtswanderung begonnen und färbte Wasser und Himmel langsam in ein tief leuchtendes Orange. Ein beeindruckendes Farbenspiel, für das ich aber im Moment keinen Blick erübrigen konnte. Alles, was ich sah, waren Kajas weiche Gesichtszüge und vor allem ihre tief braunen Augen, in denen so viel Wärme steckte.
„Für sie sind und bleiben wir einfach nur Monster, die mit einem einzigen Fluch töten können und jederzeit mit einem Mord davonkommen. Dass wir inzwischen über jeden gewirkten Zauber durch unsere Blackboxen vor unserem Zirkel Rechenschaft ablegen müssen, interessiert sie nicht. Selbst Hexenbluts die nie irgendwem ein Leid zugefügt haben, sind nach ihrer kranken Justiz nicht Daseins berechtigt und müssen ausnahmslos ausgelöscht werden. Also ja, das Gleichgewicht zu wahren ist in gewisser Weise durchaus selbstsüchtig von uns, aber wir machen das für uns alle, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn du den Schleier zu sehr ausdünnst, wird das zwangsläufig irgendwann auffallen."
„Aber ich weiß gar nicht, wie genau ich das mache", murmelte Keno überfordert.
„Ja, das ist das Problematische daran. Wir wissen praktisch nichts über deine Art."
„Wie soll ich dann lernen, es bewusst zu kontrollieren?"
„Keine Ahnung. Wir wissen nicht einmal sicher, ob es überhaupt kontrollierbar ist."
Innerhalb von Minuten war es stockfinster geworden und wir schalteten jeweils unsere Taschenlampen an.
„Aber ein Problem nach dem anderen. Heute Nacht fokussieren wir uns allein darauf, Alicia zu finden", meinte Kaja und blickte hoch zum Himmel, wo die ersten Sterne auftauchten.
Mir entwich ein nicht mehr zu unterdrückendes Gähnen. Die zurückliegenden Stunden forderten ihren Tribut.
"Legt euch ruhig schlafen", schlug Katja daraufhin vor, die Augen weiterhin himmelwärts gerichtet. "Ich übernehme die erste Wache."
*
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber sicher keinen Regenwurm, der in einem Marmeladenglas steckte.
„Willst du Alicia etwa damit anlocken? Wie einen Fisch?"
„Nein. Es ist eher sowas wie eine Einladung."
„Warte... du willst doch nicht etwa Alicias Seele in dieses Marmeladenglas locken und einsperren?"
„Psst", machte Kaja bestimmt und legte mir einen Finger an die Lippen. „Bitte nicht mehr reden, okay?"
Sie schraubte den Deckel auf und umfasste den Wurm mit Daumen und Zeigefinger, um ihn behutsam aus dem Glas herauszuheben; seine rosigen Enden zuckten.
Und dann, ohne jede Vorwarnung, streckte sie die Zunge heraus und ließ den zappelnden Wurm in ihren Mund gleiten.
„Ihhh", stieß ich angewidert hervor und auch Keno zog eine Grimasse. Kaja schluckte unbeeindruckt und wischte sich anschließend mit dem Handrücken über den Mund. Das war echt verdammt ekelhaft.
„Ich hoffe das funktioniert", meinte sie und ihr Blick ruhte auffordernd auf Keno.
„Was genau soll funktionieren?", fragte dieser irritiert zurück.
„Na ja, laut den Aufzeichnungen meiner Großmutter, müsste ich jetzt sowas wie ein Geistermagnet sein."
„Was?!", japste ich entsetzt. „Und wenn du den falschen Geist anziehst?! Wie beispielsweise den Marionettenspieler von Patrick Endler, der uns offensichtlich ins Jenseits befördern möchte?! Was machen wir dann?!"
„Beruhige dich – deshalb hab ich die Reichweite begrenzt. Es zieht nur Geisterwesen in unmittelbarer Nähe an."
„Oh... na dann kann natürlich nichts schiefgehen", erwiderte ich unbehaglich und schob mir die frierenden Finger unter die Achseln. Es würde bald hell werden, doch die Meeresluftluft schmeckte immer noch eisig und ließ den Atem als weiße Dunstwolke schweben.
Was war das denn auch für ein Plan? Auf einer Friedhofsinsel, alle herumspukenden Geister anzulocken und zu hoffen, dass der Richtige dann schon darunter sein wird. Genial.
Ich öffnete den Mund, um Kaja auf weitere Schwachstellen dieses genialen Plans hinzuweisen, als Keno neben mir umklappte.
Einfach so.
*
Die Schwärze der Nacht war verschwunden und einem sonnendurchfluteten Frühlingstag gewichen.
Kurz war ich irritiert, dann fiel mir ein, dass mir das manchmal ja passierte. Nachdenklich drehte ich mich um meine eigene Achse. Es war dieselbe Lichtung, wo ich eben noch mit Miki und Kaja gestanden hatte, nur das der Untergrund nun in einem saftigen Grün erstrahlte und aus den Baumkronen Vogelgezwitscher zu hören war.
„Alicia?", rief ich laut ihren Namen, auch wenn ich keine Antwort erwartete. In diesen Visionen schien sie mich nicht einmal wahrnehmen zu können. Also handelte es sich wahrscheinlich um Erinnerungsfragmente ihrer Vergangenheit.
„Hallo", sagte plötzlich eine kindliche Stimme dicht hinter mir und mein Herzschlag setzte vor Schreck beinahe aus. Langsam wandte ich mich um und erkannte die vielleicht zehnjährige Alicia.
„Hi", erwiderte ich lahm und sie legte den Kopf schief, sodass ihre langen dunklen Haare sie beinah vollständig umhüllten. Durch die Zwischenräume ihrer Zehen, quetschte sich Gras hindurch und auf ihrem Nasenrücken befand sich ein langgezogener Erdstrich der erst an ihrem Kinn endete. Vielleicht eine Kriegsbemalung. Lilo hatte auch immer gern Native American gespielt.
„Was machst du denn hier?"
„Ich wollte gerne mit dir reden. Wie... alt bist du denn?"
„Also ich bin mit achtzehn gestorben", antwortete sie nachdenklich. „Aber in dieser Erinnerung bin ich elf."
Okay, ganz ruhig. Ich durfte das jetzt auf keinen Fall versauen, dafür stand zu viel auf dem Spiel. Auch das Leben meiner Freunde.
„Warum... bist du gestorben?"
„Weil ich anders bin als die anderen."
„Inwiefern... anders?"
Sie lächelte und zuckte überfordert mit den Schultern. „Mir wurde immer nur gesagt, dass niemand herausfinden darf, dass ich sie sehen kann. Nicht einmal meine engste Familie. Deshalb durfte ich fast nie das Haus verlassen und war schrecklich einsam. Nur für ein paar Wochen im Jahr, wenn ich zu meiner Familie an die Nordsee durfte, habe ich mich richtig frei gefühlt."
„Bist du deshalb hierher zurückgekommen? Weil du hier glücklich warst?"
„Bis auf meinen letzten Sommer, ja."
„In dem Sommer, als du den Autounfall hattest?"
„In dem Sommer, als alle herausfanden, was ich war."
„Ein Sehendes Hexenblut", vermutete ich und sie nickte bestätigend und wurde konkreter: „Ein gigantischer Störfaktor für das Gleichgewicht unserer Gemeinde. Eine unerwünschte Mutation und Laune der Natur. Ein Kind des Teufels. Die Mehrheit der Mitglieder wollten mich deshalb verbannen, doch meine Eltern und auch Nazarios und Carmens Familie weigerten sich. Es kam beinahe zum Bruch der Gemeinde. Bevor die Sache völlig eskalierte, wollte ich freiwillig gehen. Irgendwo einen Neuanfang wagen. Doch dazu ist es nie gekommen. In der Nacht wo ich alles hinter mir lassen wollte, bin ich gestorben."
„War es ein Unfall, oder...?"
„Ich bin mir nicht sicher", gestand Alicia unsicher. „Es hat stark geregnet und die Sicht war unglaublich schlecht, die Straße rutschig. Ich war emotional aufgewühlt und hätte nicht fahren sollen. Patrick war derselben Meinung und wollte Plätze mit mir tauschen, aber ich war so stur und wütend und... verzweifelt. Ich war überzeugt, meine Familie, die so sehr für mich gekämpft hatte, nie wiederzusehen. Mein Herz war gebrochen. Und dann ging alles so furchtbar schnell."
Ich schluckte und wusste nicht, was ich ihr sagen sollte, außer: „Das war sicher schwer für dich; so plötzlich aus dem Leben zu scheiden."
„War es. Dennoch ging es mir lange Zeit gut auf dieser Insel. Ich durchlebte kontinuierlich die vielen schönen Sommer, die ich hier verbracht hatte. Doch vor gar nicht langer Zeit wurde dieses von mir erschaffene Refugium zerstört. Ich konnte Patricks Tod fühlen, der mir sämtlichen Frieden raubte. Warum hatte ihm das jemand angetan?", fragte sie und ein Zittern schlich sich in ihre Stimme hinein, was mit jedem gesprochenen Wort zunahm. „Er ist... war... so ein guter Mensch. Er hätte nie jemandem absichtlich wehgetan. Warum... warum passieren guten Menschen schlimme Dinge?"
Ich dachte sofort an Lilo und es zerfetzte mir das Herz. „Ich denke... schlimme Dinge passieren einfach. Manchmal guten Menschen, manchmal weniger guten. Dem Schicksal ist es egal wer du bist oder was du getan hast."
„Aber so sollte es nicht sein", flüsterte Alicia und tief in mir, stimmte ich zu. Es war grundlegend falsch, dass kleine Mädchen im Meer ertranken.
Aber deshalb war ich nicht hier.
„Weißt du wer Patrick das angetan hat?"
„Ja, ich denke schon."
„Verrätst du es mir?"
„Nur wenn du versprichst, dass du Patrick ganz sicher retten wirst."
„Ich werde mein Möglichstes tun", versprach ich und meinte es auch so. Alicia blickte mich eine Weile durchdringend an. „Nazario hat dir vertraut, also werde ich es auch tun. Der Mann, der Patrick das angetan hat, ist derselbe Mann, der damals am lautesten auf meine Verbannung bestand. Und nicht nur das, er war auch derjenige, der meine Fähigkeit Geister zu sehen herausfand und Anklage erhob."
Ein schauriger Verdacht drängte sich mir auf und je länger ich Alicia ansah, desto mehr überkam mich das Gefühl, sie könne meine Gedanken lesen. „Ja, genau", flüsterte sie traurig. „Das Monster was ihn erst umgebracht hat und nun kontrolliert, ist sein eigener Vater. Kurt Endler."
Natürlich... Wie hatte ich das übersehen können? Sowohl bei unserem Besuch im Pflegeheim als auch später im Heizungskeller, diese schiere Verachtung in seinen hasserfüllten Augen, seine Formulierung: Kind des Teufels.
„Aber wieso tut jemand das seinem eigenen Kind an? Patrick hat sich doch um ihn gekümmert?"
„Kurt hat Patrick nie verziehen, dass er mir damals bei meiner Flucht geholfen hat. Er wollte diese Gelegenheit nutzen, um seinen Einfluss im Zirkel auszubauen; wollte einen Umsturz der Machtverhältnisse erzwingen, aber durch mein freiwilliges Weggehen und schließlich meinem Tod, wurde ihm jeglicher Nährboden für einen internen Konflikt entzogen. Die Gemüter beruhigten sich und alles lief normal weiter. Das hat Kurt sicher nicht gefallen."
„Und deshalb hat er seinen eigenen Sohn in den Selbstmord gezwungen?", hauchte ich schockiert. „Und nutzt ihn jetzt als Rachewerkzeug? Aber an wem genau will er sich denn rächen?"
„Ich denke in seinen Augen tut er einfach nur das, was getan werden muss", wisperte Alicia gequält. „Manche Mitglieder des Zirkels sind noch sehr altmodisch in ihren Ansichten und glauben, das Wesen wie du und ich nichts als Unheil verursachen. Er wollte Patrick davon überzeugen, dass es unumgänglich sei, dich ebenfalls zu beseitigen, um das ach so heilige Gleichgewicht zu bewahren. Aber Patrick hat sich geweigert, weshalb Kurt Endler zu anderen Methoden gegriffen hat. Erst hat er seinen Sohn in den Selbstmord gezwungen, um dann Kontrolle über seinen Geist zu erlangen."
„Ich kann einfach nicht glauben, dass sein eigener Vater Patrick so etwas getan haben soll", entschlüpfte es mir betroffen. Sie waren doch... eine Familie?
„Über die Jahre hat sich sehr viel Hass und Groll in ihm angestaut. Kurt fühlt sich vom Leben betrogen. Er hat nie erreicht, was er erreichen wollte und wartet in einem Pflegeheim auf den erlösenden Tod. Kannst du dir vorstellen, wie das ist? Tagein, tagaus in einen Rollstuhl gefesselt zu sein und nachts darauf zu warten, dass die Dämonen der Vergangenheit einen heimsuchen?"
„Du klingst fast, als würde er dir leidtun?"
„Wenn du länger tot bist, musst du lernen loszulassen oder du verbitterst innerlich."
„Alicia, warum bist du... geblieben?"
„Weil das hier mein Himmel ist", antwortete sie überzeugt und ihr entrückter Blick schweifte über die Baumreihen. „Oder es zumindest war. Jetzt nicht mehr. Nicht seitdem ich spüren kann, wie sehr Patrick leidet. Bitte. Bitte hilf meinem Freund."
***
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