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1. Besser als gestern

»Die erste Erscheinung, an die ich mich erinnern kann, ist der Geist meiner verstorbenen Großmutter Mathilde. Sie saß eines Nachts einfach da, auf der Bettkante, mit verrutschter Perücke und im Schoß gefalteten Händen. Sie sagte nichts und ich traute mich nicht sie anzusprechen. Also saßen wir uns nur gegenüber und starrten uns an. Ich weiß noch, es war Vollmond. Großmutter hat Vollmondnächte geliebt, dann ist sie immer barfuß hinaus in den Garten geschlichen und hat begonnen, die Erde in den Blumenbeeten umzugraben. Sie dachte, wenn das Mondlicht in die Erde sickert, würden die Samen dieses Mondschimmern aufnehmen und noch schöner erblühen. Mein Vater schämte sich deswegen. Sie können es sich ja vorstellen, wie es ist, in einem so überschaubaren Ort aufzuwachsen und wurde am Morgen danach jedes Mal ärgerlich. Verdammt Mama, sieh dir nur den ganzen Dreck an, den du hereinschleppst! Könntest du dir nicht wenigstens Schuhe anziehen? Solche Dinge sagte er zu ihr. Aber es ging nie wirklich um den Dreck, die Erde oder gar darum, dass sie sich ernstlich erkälten könnte. Nein, er wollte nur nicht, dass die Nachbarn mit vorgehaltener Hand über uns tuschelten. Damals arbeitete er noch als Lokführer bei der Eisenbahn und versuchte alles Sonderbare oder Befremdliche von sich fernzuhalten. Vielleicht kann er deshalb bis heute nicht darüber reden. Über ihren Selbstmord, meine ich.«

Ich machte eine kleine Pause und trank einen Schluck Wasser.

»Ich habe es nur meiner Mutter erzählt. Und Andy natürlich. Ich war sechs und furchtbar durcheinander, schließlich war seit der Beisetzung noch keine Woche verstrichen. Ich hatte zugesehen, wie sie in ihrem Sarg hinab in die frische Erde gelassen wurde und plötzlich schien selbst meinem Vater das nichts mehr auszumachen. Er selbst war es sogar, der den ersten Spaten Erde hinabwarf, um sie damit zuzudecken. Für immer. So wurde es mir gesagt, sie wäre jetzt glücklich, dort unten bei ihren Blumensamen. Aber warum ist sie dann zurückgekommen?«

Ich erwartete keine Antwort und bekam auch keine.

»Irgendwann gewöhnte ich mich an ihre Anwesenheit in den Vollmondnächten; sie tat nie jemandem weh oder störte anderweitig. Manchmal wandert sie einfach nur im Schein des Mondes auf und ab. Es ist sogar irgendwie beruhigend ihr dabei zuzusehen. Viel besser als Schäfchen zählen.«

»Nimmst du deine Schlaftabletten regelmäßig?«, fragte Dr. Larson mit leicht vorwurfsvollem Blick.

»Ich versuch's«, log ich.

»Keno«, sagte sie nachdrücklich meinen Spitznamen und lehnte sich aus ihrem Behandlungssessel vor. Ihre Hand berührte sanft mein Knie. Eine knappe, angemessene Berührung, die ihre professionelle Zuneigung ausdrückte, ohne mir auch nur eine Sekunde unangenehm zu sein. »Möchtest du heute über Elena reden?«

»Nicht wirklich«, wehrte ich entschieden ab, lehnte mich zurück und blickte abwesend aus dem Fenster. Es war ein heißer Sommertag und gleich neben der Straße, keinen Steinwurf entfernt, funkelte eine spiegelglatte Wasseroberfläche im Sonnenlicht. Eine Hummel hatte sich laut brummend am Fensterrahmen niedergelassen.

»Na gut. Beenden wir doch die Sitzung für heute. Es ist ein schöner Tag und die Ferien stehen vor der Tür.«

»Okay.«

»Pass auf dich auf, Keno.«

»Klar.«

»Und nimm deine Tabletten.«

Dr. Larson war durchaus keine schlechte Therapeutin. Zwar war sie noch eine blutige Berufsanfängerin, als ich die Behandlung begann, doch hatte sie umso mehr Entschlossenheit an den Tag gelegt, um mir bei der Verarbeitung des Traumas zu helfen. Vier Jahre später war ihr anfänglicher Enthusiasmus deutlich geschrumpft und der bitteren Erkenntnis gewichen, dass manche Kinderseelen, ganz egal wie viel Mühe man sich mit ihnen gab, gebrochen blieben.

Und so rutschte meine Behandlung immer mehr in eine wöchentliche Routine ab, in der wir uns beide wohlfühlten, aber nichts mehr voneinander erwarteten.

*

Wieder auf der Straße ging ich direkt zum Meer. Hinter mir hörte ich den Verkehr rauschen, doch vor mir erstreckte sich ein unendliches Blau. Routiniert streifte ich mir Schuhe und Socken ab und watete knöcheltief ins Wasser hinein. Die Nordsee war selbst zu dieser Jahreszeit sehr frisch. Eine Weile stand ich einfach nur da und blickte aufs Wasser, bis er auftauchte.

Lilos kleiner Körper trieb fast bewegungslos an der Wasseroberfläche. Ihre Augen waren weit geöffnet und blickten in den Himmel. Obwohl die Sonne brannte, war sie sofort wieder da. Die altbekannte Kälte, die sich wie ein wachsendes Geschwür auszubreiten begann.

Der Kopf des Mädchens kippte zur Seite und die blauen Lippen verzogen sich sofort zu einem Lächeln; sie winkte.

Ich hob ebenfalls die Hand und erwiderte den Gruß.

»Hey!«

Ertappt drehte ich mich um. Eins der Autos hatte angehalten. Eine Frau in roten Shorts war ausgestiegen und schob sich die Sonnenbrille in den Haaransatz. Sie musterte mich besorgt.
»Jungchen, geht's dir gut? Soll ich jemanden anrufen?«

Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen, vielleicht eine Touristin auf Durchreise. »Mir geht's gut«, antwortete ich ruhig.

»Wirklich? Weil auf mich wirkt es als ... Na ja, wie du da so angezogen durchs Wasser gewatet bist, so verstört ... « Sie sagte nichts weiter, was auch nicht nötig war, denn ich verstand es auch so.

»Na, ich will morgen nichts über dich in der Zeitung lesen müssen«, betonte sie noch, bevor sie hastig zurück zu ihrem Auto ging. Vermutlich bereute sie es schon, überhaupt ausgestiegen zu sein.

Der Motor startete und sie brauste davon.

Lilo war verschwunden, doch daran war nichts merkwürdig, zumindest nicht für mich. Für mich war es normal die Leiche meiner kleinen Schwester im Wasser treiben zu sehen und genauso normal war es, wenn sie plötzlich unterging und aus meinem Sichtfeld schwand.

Wie ein verblassendes Bild oder schmelzender Schnee. Ganz langsam.

»Keno!«

Diesmal kannte ich die Stimme. Onkel Fred, der mit einer Einkaufstüte bewaffnet über die Schutzplanke stieg und das kleine Grasstück hinunter schlitterte. Erst kurz vorm Wasser kam er zum Stillstand. »Komm schon, ich fahr' dich.«

Fred war das Musterbeispiel eines Fischers aus der Gegend. Er trug auch an Land und trotz der klaffenden Hitze, seine dicken abgetragenen Arbeitsschuhe, besaß einen ungepflegten Bart und gelbliche Zähne vom unermüdlichen Kaffeetrinken.

Weder seine Wortkargheit mir gegenüber, noch seine Verdrießlichkeit nahm ich persönlich, denn so war er eben. Ein schweigsamer Bootsmann, der niemals großartig irgendwo aneckte und sich abends in seiner Stammbar zwei oder drei Bier genehmigte.

Ich folgte ihm zu seinem Auto. Aus dem Radio plärrte lautstark Musik. Ich machte es aus und wir fuhren los.

»Und ... wie - geht es dir denn?«

»Viel besser«, sagte ich und kurbelte das Fenster runter. Der Fahrtwind war meine Rettung, Freds alte Klapperkiste hatte keine Klimaanlage.

»Gut. Siehst du ... noch... Dinge?«

Onkel Fred wusste natürlich, dass ich in Behandlung war. Und weshalb.

»Manchmal, aber nicht mehr so häufig wie früher.«

Eine glatte Lüge, die ich immer wieder gerne hervorkrame; nicht nur Onkel Fred gegenüber, sondern auch für Dr. Larson. Ich bin nicht geheilt, aber mir geht es besser. Besser als gestern. Und morgen, morgen wird es mir nach dieser Logik dann noch besser gehen. Und irgendwann geht es mir dann wieder gut. Nur ... wann dieses irgendwann sein sollte, war eben fraglich.

Dieser Gedanke beruhigte Fred und erlaubte ihm durchzuatmen. »Freut mich, wirklich. Du kannst es vermutlich nicht mehr hören, aber wir sorgen uns um dich.«

»Wir?«, fragte ich tonlos.

»Na, ich, dein ... Vater und Andy.«

Ich blickte ihn schweigend an, dann schaltete ich das Radio wieder ein. Die Beach Boys waren immer noch eine bessere Alternative als dieses Gespräch.

Die restliche Fahrt verbrachten wir in einvernehmlicher Stille. Rechts von mir zog sich die Küste, die langen Wiesen und die darin gelegenen kleinen sandigen Strandabschnitte entlang. Da es sich um ein Vogelschutzgebiet handelte, gab es weder Strandkörbe, noch Imbissbuden. Nur eine Menge Holzstege, die netzartig aus dem Grasmeer hervorragten.

Nach einer scharfen Rechtskurve kam der Leuchtturm in Sicht, doch Fred verließ bald darauf die Küstenstraße und fuhr in ein angrenzendes Waldstück hinein.

Unser Haus tauchte auf, ein unspektakulärer zweistöckiger Anblick, doch die Aussicht dahinter machte das wieder wett. Von hier aus konnte man an klaren Tagen ungehindert bis zur Friedhofsinsel sehen, die gute zwei Kilometer weit entfernt aus dem Meer ragte.

»Danke fürs Heimfahren, Onkel Fred«, murmelte ich wirklich dankbar und stieg aus.

»Halt die Ohren steif!«, rief er mir noch aus dem heruntergelassenen Fenster hinterher und drehte das Radio wieder in gewohnter Lautstärke auf.

Ich schlürfte das letzte Stück zum Haus und ging hinein. Aus dem Wohnzimmer hörte ich das Geräusch des laufenden Fernsehers dringen, doch ich verspürte nicht das geringste Bedürfnis hineinzugehen und mit meinem Vater zu reden.

In der Küche bereitete ich mir eine Schale Cornflakes zu und setzte mich hungrig löffelnd an den Küchentresen. Kaum dass ich saß, bekam ich sogleich Gesellschaft; eine sehr blasse Frau im bodenlangen Nachthemd und tiefen, violett schimmernden Würgemalen um den Hals, setzte sich mir gegenüber.

Meine Mutter hatte sich letztes Jahr auf dem Dachboden erhängt - genau am ersten Todestag ihrer kleinen Tochter. Lilos plötzlicher Verlust hatte uns alle hart getroffen, aber unsere Mutter war unaufhaltsam in eine schwere Depression hineingestürzt und hatte schlussendlich einfach keinen anderen Ausweg mehr gesehen.

Sie erschien mir nur selten, nur, wenn ich komplett allein war oder es sich zumindest so anfühlte. Vielleicht wurde sie genau von dieser Einsamkeit angezogen wie eine Motte vom Licht.

»Was für ein verflucht beschissener Tag!« Meine Schwester Andy kam in die Küche gerauscht und steuerte augenblicklich den Kühlschrank an.

»Was war denn so furchtbar?«, erkundigte ich mich neugierig über meine Schale Cornklakes hinweg.

»Wenn dieser Typ mich noch einmal angräbt, ich schwöre dir, reiß' ich ihm seine kleinen Eierchen aus!«

Ich musste lachen und spritzte Milch aus der Nase.

»Nicht witzig. Wie war deine Sitzung?«, forschte sie missmutig nach und trank einen Schluck Orangensaft direkt aus dem Karton.

»Großartig«, behauptete ich mit einem kleinen, unschuldigen Lächeln auf den Lippen, dass sie mir keine Sekunde abkaufte.

Stattdessen stützte sie beide Hände auf den Küchentisch ab und sah mich durchdringend an. »Du musst das ernster nehmen, sonst endest du wie Mum.«

Ich sah zu der Erscheinung auf dem Nachbarstuhl, die sich fast im selben Moment aufzulösen begann.

»Das würde Dad umbringen. Und mich auch.«

»Okay«, erwiderte ich bloß, die Augen weiterhin auf den Stuhl gerichtet. »Ich versuche es, ehrlich.«

Andy blickte nun ebenfalls auf den leeren Platz neben mir. »Keno, da ist niemand.«

»Ich weiß.«

Niemand lebendiges.

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