Kapitel 19 - Lichter
"Die halten doch einen für uns für den Mörder von Jim."
Es war nur dieser eine Satz. Aber der reichte aus. Ermittlungen in kleinen Gemeinden, bei denen man einen Außenstehenden als Täter ausschließen konnte, waren selten. Gott sei Dank. Denn es war schrecklich. Im Grunde genommen war es logisch, dass es einer von den Anwesenden gewesen war. Weil Jim sich kaum selbst erschlagen hatte. Und weil Harry und seine Kollegen übermenschliche Phänome grundsätzlich ausschlossen. Und da blieben nun einmal nur die Leute aus diesem vermaledeiten Dorf. In dem Sinne sagte Mike weder etwas Neues noch etwas Überraschendes. Es hatte von Beginn an über ihnen allen geschwebt. War ihnen vielleicht nur nicht so ganz bewusst gewesen. Insofern hatte Mike den fetten Braten angeschnitten und offenbarte nun die zähe Schuhsohle, die hinter einer schönen saftigen Fassade furztrocken und ungenießbar war.
Der Effekt war dennoch nicht zu verachten. Getuschel hob an auf dem höchsten Punkt des Mönchspfads. Eine Art Kettenreaktion. Blicke, eben noch neutral oder fröhlich, wurden in Sekundenbruchteilen misstrauisch bis hin zu feindselig. Solche Situationen waren brenzlich. Weil es hier, wie in jedem Kaff Gerüchte und Anfeindungen hinter der hübschen Fassade der guten Leute gab.
Gleichzeitig war das für die Ermittler natürlich auch eine Art offenes Fenster. Vielleicht würde das Dorf den Mörder ihnen, wenn auch unbewusst, ans Messer liefern.
Dr Rocdot, der den Umzug anführte, begann stoisch ein Lied zu singen, dessen Text alle in die Hand gedrückt bekommen hatten, sodass nach und nach ein äußerst schwacher Chor entstand. Weder besonders grade noch besonders textsicher, weil man im Fackellicht bei Gegenwind nicht allzu viel erkennen konnte, aber immerhin.
Harry, Liam und Zayn warfen sich kurze Blicke zu. Pole Depab war auf seine Weise ein Pulverfass. Und es war nur eine Frage der Zeit, wann es hoch gehen würde. Vielleicht hatte Dr Rocdot, die von Mike entfachte Zündschnur nochmal ausgetreten, aber vielleicht überlebten auch einige Funken. Die drei Ermittler wollten auf jeden Fall dabei sein, wenn es so weit war.
Harrys Blick suchte Louis.
Der war noch immer direkt neben seinem Bruder, aber scannte die ganze Zeit alle Anwesenden. Chili stand neben ihm.
Was, wenn Louis doch sehr viel mehr wusste? Was, wenn Harry diesen Fall anders beurteilte weil.. weil Louis. Harry neigte nicht zu vorschnellen Gefühlsausbrüchen. Schon gar nicht bei der Arbeit. Aber er war ein Mensch, hatte ewig keinen Sex gehabt und Louis war genau sein Typ. Haargenau. Würde man Harrys Typ zeichnen wollen, bräuchte man nur ein Foto von Louis dorthin kleben. Und wie Louis' Blick jetzt auf ihn fiel, glaubte er, da doch eine gewisse Chance zu haben.
Das Lied verebbte irgendwo zwischen zwei Zeilen und dem Rauschen des Windes.
"Wir entzünden das Licht als Trost für die Welt und als Wegweiser für alle, die sich auf ihrem Weg verloren haben. Hoffen wir alle, dass unser guter Freund Jim Mictiv den seinigen Weg auf die andere Seite des großen Flusses findet. Denken wir alle daran: er ist nicht aus unserer Mitte gerissen worden, nur uns allen einen Schritt voraus, der auch eines Tages vor uns liegen wird. Hoffen wir, dass wir alle diesen Schritt gehen werden, ohne, dass uns, wir den armen Jim, jemand schubst.", sprach Dr Rocdot und für einen Moment herrschte andächtiges Schweigen.
Dann wandte sich der Arzt um und führte die Bewohner wieder in Richtung Dorf. Eine Fackel blieb zurück und leuchtete weit in die Dunkelheit hinein.
Auf dem Weg zurück war nichts so wirklich zu vernehmen. Es war zwar hier und da etwas Gemurmel zum hören, aber das war es auch. Keine Stimmen wurden allzu laut. Hauptsächlich wurde sich bei Dr Rocdot für die wohl unangekündigten Worte bedankt.
Auf dem Dorfplatz wurden dann die Würstchen und der Punsch verkauft. Harry erspähte Louis beim Punschstand, den er zusammen mit William und Yvette betrieb.
"Hey Lou. Ich hab meine Tasse vergessen.", murmelte Niall dazwischen, als Harry sich Louis gerade nähern wollte.
"Ich weiß. Wusste ich vorher schon.", lächelte Louis nachsichtig und zog eine Tasse mit einem Schneemann drauf unter der Theke hervor, goss sie voll und winkte ab, als Niall sein Kleingeld zusammen klauben wollte.
"Danke Lou."
"Gern."
Alle anderen Leute standen lieber Schlange, um von Yvette oder William bedient zum werden, als vor Louis zu treten.
"Hast du es schon gehört, Lou?", fragte Niall dann und pustete auf die dampfende Tasse, die er nun in Händen hielt.
"Was denn?"
"Die Polizei sucht nach einem Vogelschänder. Jemand hat Turteltauben zerstört. Ich hab die Beweise der Polizei gebra-"
"Psssst! Prousaun das nicht so herum, Ni. Wenn jemand Jim deshalb ermordet hat und du stolz verkündest, dass du die Polizei auf seine Fährte gelockt hast..."
"Oh Scheiße!", zischte Niall und sah sich versucht unauffällig und dadurch sehr sehr auffällig um.
"Meinst du, das hat wer gehört?", fragte Niall ängstlich, während Louis direkt zu Harry sah, sich dann aber wieder Niall zuwandte und erklärte: "Nein. Aber besser, du hältst den Schnabel, bis der Täter verhaftet wurde..."
"Aber war es denn richtig von mir? Zur Polizei zu gehen? Ich meine, vielleicht haben die Vögel gar nichts mit Jim zu tun. Ich hab die Fotos im Herrenhaus gefunden..."
"Das war auf jeden Fall richtig. Herausfinden, ob das was miteinander zu tun hat ist deren Job und nicht deiner."
"Warst du in letzter Zeit im Herrenhaus?"
"Nur einmal kurz. Aber da hab ich nichts Kosmisches gesehen."
"Wärst du sonst auch zur Polizei gegangen?"
"Ja. Aber ich würde niemandem sonst davon erzählen."
"Du glaubst auch, dass der Täter einer von uns ist, oder?"
"Ja.", antwortete Louis schlicht.
"Wen denkst du?", fragte Niall und trank einen Schluck, verbrannte sich die Zunge und sprang komisch im Kreis.
"Ich weiß nicht...", murmelte Louis, weil es genau in diesem Moment laut wurde.
"Lasst uns doch einfach in Ruhe! Wir stören euch doch auch nicht bei eurem widernatürlichen Verhalten!", schnauzte Yvette Mrs Smith an, die ganz vorn in der Punschschlange stand.
"Aber, aber meine Liebste, das war doch keinesfalls böse gemeint. Ich habe nur gesagt, dass ich verstehen kann, wenn man sich in jungen Jahren nicht festlegen will.", zwitscherte die Dame im Pelzmantel.
"Ich kann mich halt schlecht auf meinen Sohn festlegen wie sie!", zischte Yvette sauer.
"Das reicht. Mrs Smith, so lange Sie sich uns gegenüber so verhalten, werden wir Sie nicht bedienen. Der nächste bitte.", ging William resolut dazwischen.
"Wie naiv...", murmelte Mrs Smith.
"Ich war William immer treu. Egal, mit was für Dreck Sie schmeißen! Ich liebe ihn. Ehrlich und aufrichtig! Völlig egal, was Sie immer behaupten.", rief Yvette Mrs Smith noch hinterher.
"Junge Frauen.. die Neigung zu Hysterie ist einfach nicht von der Hand zu weisen.", amüsierte sich Smith Junior Zayn anblickend, der zufällig vor diesem stand.
"Entschuldigen Sie mich.", erklärte er dann noch und eilte zu seiner Mutter.
Na, da ist Mal eine fröhliche Stimmung 😂
Bis dann.
Viele Grüße ^_^
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