Und ein einzigartiges Date
Lachend schüttelte sie sich den Regen aus den Haaren, als sie das Restaurant betrat.
„Ich hätte wirklich meinen Regenschirm mitnehmen sollen“,meinte Brian, der hinter ihr durch die Tür kam.
„Das macht doch nichts, ich liebe Regen“, erwiderte Lucy. Es stimmte. Sie liebte es im Regen zu tanzen. Das machte ihr mehr Spaß als jeder Sonnentag.
„Das ist mal außergewöhnlich“, sagte Brian. Lucy spürte sich erröten, als er ihr aus dem nassen Mantel half. Er benahm sich wie der perfekte Gentlemen.
Erst jetzt warf Lucy einen genaueren Blick in das Restaurant. Nach einem Moment des Staunens erschrak sie. Der Innenraum war elegant und schick eingerichtet. Der Duft von frischer Pasta erfüllte ihre Nase. Gedämpftes Stimmengewirr schlud ihr entgegen, das von Männern in Anzügen und Frauen in Abendkleidern ausging. Es handelte sich um ein italienisches Restaurant, der offensichtlich teureren Preisklasse.
Ein Kellner brachte sie gleich zu einem freien Tisch direkt am Fenster, sodass sie nach draußen in die verregnete, von Straßenlaternen beleuchtete, Stadt sehen konnten.
Brian zog ihren Stuhl zurück. Überrascht setzte Lucy sich und beobachtete, wie er milde lächelnd gegenüber von ihr Platz nahm.
„Brian?“,sagte sie leise.
„Ja?“
Sie deutete vage in den Raum.
„Das hier sieht wirklich schön aus, aber ich glaube nicht, dass ich mir das leisten kann“, sagte sie leicht beschämt. Am Besten bestellte sie nur einen Salat. Dann hielten sich die Kosten in Grenzen.
„Mach dir keine Gedanken, ich lade dich ein“, meinte er locker.
„Aber...“
„Keine Widerrede. Du wirst hier nichts bezahlen“, unterbrach er sie mit sanftem Lächeln.
„Trinkst du gern Wein?“
„Ja, sehr gern“, meinte sie zaghaft.
Es war ihr immernoch unangenehm, dass er für sie zahlte, aber eine Diskussion würde zum einen nichts bringen und zum anderen könnte sie ihr Essen vermutlich sowieso nicht bezahlen.
Ein Kellner reichte ihnen die Karten und Lucy schlug sie auf. Es standen keine Preise drin. Ein Indiz dafür, dass es wirklich teuer war.
„Pinot Noir, bitte“, bestellte er.
Lucy hatte keine Ahnung von Wein. Bisher hatte sie tatsächlich meistens Tetrapack-Wein aus dem Supermarkt getrunken. Deswegen entschied sie sich, Brian bei der Entscheidung einfach zu vertrauen.
Sie blickte aus dem Fenster und lächelte selig beim Anblick der Regentropfen, die die Scheibe hinunterliefen. Solch ein Wetter entspannte sie.
„Also“, fing Brian an. Lucy wandte sich ihm wieder zu und sah, wie er sich gelassen zurücklehnte. Er hatte den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet und fuhr sich durch die feuchten Haare.
„Du magst also Regen. Was für ungewöhnliche Eigenschaften hast du sonst noch?“
Überrascht lachte Lucy auf.
„Das klingt wie eine typische Datingfrage“, erwiderte sie.
Er schwieg für einen Moment und musterte sie, bevor er sich vorbeugte und mit den Armen auf den Tisch stützte.
„Hättest du denn etwas dagegen, wenn wir das hier als Date bezeichnen?“
Lucy überschlug ihre Beine.
„Du bist jetzt mein Chef“, merkte sie an.
„Und?“, erwiderte er, als würde er darin keinen Hinderungsgrund sehen.
„Wäre das nicht... Wie soll ich sagen?“
Sie stockte für einen Moment, um das richtige Wort zu finden.
„... unprofessionell?“
Innerlich stolperte sie über ihre Formulierung. Hatte sie nicht eben noch mit Samu über Professionalität gesprochen?
„Ich sehe darin kein Problem“, erwiderte er.
„Aber würde das nicht wirken, als würde ich mich...naja...“,begann sie.
„Hochschlafen?“, beendete er ihren Satz. Lucy nickte.
Brian lehnte sich wieder entspannt zurück.
„Ich denke, das ist ein Risiko, was wir eingehen müssten. Du musst selbst entscheiden, wie viel du auf die Meinung der Anderen gibst“
Der Anderen... Lucy hatte nur einen einzig anderen im Kopf, dessen Gedanken ihr wichtig waren. Und der wäre sicherlich nicht glücklich zu wissen, dass sie ihren Chef datete.
Aber es ging ihn auch nichts an. Es war ihre Entscheidung.
„Die Meinung der Anderen ist mir egal“, erwiderte sie lächelnd.
Brian sah erleichtert aus.
„Gut, dann kann unser Date ja beginnen“
Er deutete auf ihre Karte.
„Hast du dir schon etwas ausgesucht?“
Lucy blickte auf die Ansammlung fremdartiger italienischer Begriffe vor ihrer Nase und versuchte herauszufinden, was die einzelnen Wörter bedeuteten. Sie war versucht, die Begriffe auf ihrem Handy nachzuschlagen, aber wollte sich in diesem feinen Restaurant auch nicht diese Blöße geben, deswegen nahm sie einfach das Gericht, das für sie am melodischsten klang.
„Ich denke ich nehme die Spaghetti alle vongole“,meinte sie und hoffte, dass sie damit nicht allzu viel falsch machen konnte. Spaghetti gingen immer.
„Das klingt gut. Ich hätte nicht gedacht, dass du auf Meeresfrüchte stehst“, sagte er.
Er rief den Kellner zum Tisch und bestellte für sie beide, während Lucy sich Gedanken darüber machte, was für Meeresfrüchte er meinen könnte.
Hoffentlich bekam sie jetzt keinen Oktopus oder Algen serviert. Vielleicht hätte sie doch nachfragen sollen, was sie da eigentlich bestellt hatte. Kurze Zeit später wurde ihnen der Wein gebracht. Brian behielt die Flasche gleich am Tisch, damit er nachschenken konnte.
Er hob sein Glas und Lucy tat es ihm gleich. Der dunkelrote Alkohol schwenkte leicht hin und her, als sie miteinander anstießen und sich dabei tief in die Augen blickten. Lucy nahm einen kleinen Schluck von ihrem Getränk. Erstaunt hob sie die Brauen.
„Das schmeckt gut“, stieß sie aus. Ein Weinkenner hätte sie für diese Aussage vermutlich gelyncht.
Brian grinste wissend, als er sein eigenes Glas abstellte.
„Du trinkst nicht oft Wein oder?“
Lucy schüttelte den Kopf.
„Nein, als Studentin habe ich nur sehr selten Alkohol getrunken und wenn, dann war es meistens der Billige aus dem Supermarkt“
Sie blickte ihn prüfend an.
„Wie kommt es, dass du dich in diesen Dingen schon so auskennst? Du bist doch erst.... Wie alt bist du?“, unterbrach sie sich selbst.
„Siebenundzwanzig“, antwortete er.
„Siebenundzwanzig“, wiederholte sie.
„Du bist Tourmanager einer der bekanntesten Bands des Landes, kannst dir Restaurants wie diese hier leisten... “
Sie umfasste mit einer Geste den gesamten Raum.
„...und wirkst insgesamt viel erwachsener als alle anderen in deinem Alter. Du trägst so viel Verantwortung. Wie schaffst du das? “
Brians Finger verweilten am Stiel seines Weinglases. Er drehte es zwischen seinen Fingerkuppen hin und her.
„Kennst du Ian Philipp Martens?“, fragte er ruhig.
Etwas verwirrt nickte Lucy.
„Der Musikproduzent aus Großbritannien“
„Richtig“, stimmte Brian zu.
„Er ist mein Stiefdad“
„Wow“, sagte Lucy ohne darüber nachzudenken. Ian Martens war wirklich eine große Nummer im Musikbusiness.
Brian blickte ihr in die Augen und Lucy stellte fest, dass ihre Reaktion vermutlich die Standardreaktion war, sobald Brian seinen Stiefvater erwähnte.
„Ja, wow“, wiederholte Brian.
„Ian hat mir viel gezeigt. Er hat mich mit den größten Künstlern bekannt gemacht und hat mich schon als Kind in die Richtung einer Musikkarriere gedrängt. Ich wollte das nie und er hat auch nie verstanden, warum ich so absolut unmusikalisch war. Das bin ich übrigens bis heute“
Er stieß ein leises Lachen aus, das in Lucys Ohren alles andere als fröhlich klang.
„Er wollte, dass du Musiker wirst?“, hakte sie nach.
Brian schüttelte den Kopf.
„Nicht ganz. Er wollte, dass ich Musik produziere. Sein Ziel war es, dass ich mal in seine Fußstapfen trete und mit dem weitermache, womit er begonnen hat“
„Aber das wolltest du nicht“, meinte Lucy, nachdem er einen Moment lang geschwiegen hat.
Sein Blick hatte sich in ihrem verankert. Lucy hatte gerade das Gefühl, dass sie bis auf den Grund seiner Seele schauen konnte.
„Am Anfang schon“, fuhr er schließlich fort. „Ich wollte lange Zeit alles tun, um ihn stolz zu machen. Aber dann habe ich festgestellt, dass ich nicht meinem eigenen Traum nachgehe, sondern nur seinem Traum nachjage. Als ich ihm das gesagt habe, hat er mich als undankbar bezeichnet und aus dem Haus geworfen. Da war ich sechszehn“
„Das ist nicht fair“
Lucy beobachtete, wie er einen kleinen Schluck aus seinem Weinglas trank, ehe er auf ihre Aussage reagierte. Das Lächeln auf seinen Lippen war schmal.
„Fair war es nicht, aber es hat mich schnell selbstständig gemacht. Ich habe gelernt mich auf mich und meinen eigenen Weg zu konzentrieren und es hat mich weit gebracht“
Seine Stimme klang selbstsicher und Lucy bewunderte ihn nun umso mehr.
„Aber du bist trotzdem bei der Musik geblieben“, stellte sie fest.
„Weil ich das am Besten konnte. Auch wenn ich selbst nicht gut darin bin, Musik zu machen, habe ich ein Händchen für Künstler und ihre speziellen Persönlichkeiten“, sagte er zustimmend.
„Das ist beeindruckend“, sagte Lucy und sie meinte es auch so.
„Danke“, erwiderte er. Ein Windstoß drückte gegen die Fensterscheibe, sodass sie für einen Moment schweigend den klopfenden Regen beobachteten.
„Hättest du dich für einen anderen Weg entschieden, wenn du nicht diese Vorerfahrung gehabt hättest?“, unterbrach sie schließlich die Stille.
Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Informatik“, sagte er sofort.
„Wirklich? Warum?“, wollte sie überrascht wissen. Sie hätte alles mögliche erwartet, aber sicherlich nicht Informatik.
„Wegen der unbegrenzten Möglichkeiten. Du hast so viele Optionen und alle Freiheiten. Und du kannst überall damit arbeiten. Das fand ich schon zu Schulzeiten faszinierend, aber ich gehörte nie zu denjenigen, die wirklich gut in dem Fach waren“
Er zuckte mit den Schultern.
„Also bin ich bei der Musik geblieben“
„Spaghetti alle vongole?“, unterbrach sie ein Kellner, der mit zwei Tellern in der Hand vor ihrem Tisch stand.
„Für mich“, sagte Lucy und beobachtete gespannt, was der Kellner ihr vor die Nase setzte.
Das erste, was sie sah, waren merkwürdige Dinger auf ihren Nudeln. In der nächsten Sekunde stellte sie fest, dass es Muscheln waren. Spaghetti mit Muscheln.
Sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Ihre Erfahrungen mit Muscheln beschränkten sich auf ein einziges Mal Miesmuscheln essen mit ihren Eltern im Spanienurlaub. Aber das auf ihrem Teller waren erstens keine Miesmuscheln und zweitens befanden sie sich noch in ihren Schalen.
„Guten Appetit“, wünschte der Kellner ihnen und verschwand.
„Na dann, lass es dir schmecken“, sagte Brian und fing an, sein eigenes Gericht, bestehend aus grünen Bandnudeln, zu essen.
Skeptisch sah Lucy auf ihre Muscheln herab. Sie griff nach ihrer Gabel und holte den Inhalt einer Muschel aus ihrer Schale. Es sah gewöhnungsbedürftig aus, aber sie überwand sich und steckte sich das Stück in den Mund. Erstaunlicherweise schmeckte es nicht so fischig, wie sie erwartet hatte. Es erinnerte sie fast ein wenig an Hähnchen.
Sie spießte die nächste Muschel auf, die sich jedoch nicht ganz so leicht aus der Schale löste wie die erste. Das Messer zur Hilfe nehmend, drückte sie mit Kraft gegen die Muschelschale, die sich immernoch nicht vom Fleisch lösen wollte. Schließlich rammte sie ihr Messer in den Muschelinhalt und benutzte die Gabel, um die Schale kraftvoll abzulösen.
Zu ihrem Glück klappte das auch, sodass das Muschelfleisch am Messer hängenblieb. Die Schale jedoch flog in hohem Bogen von ihrem Teller und landete mit einem leisen „Flump“ im Weinglas.
In Brians Weinglas.
Langsam hob Lucy ihren Blick und starrte auf die rote Flüssigkeit, in der die Muschel langsam versank.
Sie spürte das Blut in ihre Wangen rauschen. In Zeitlupe griff sie nach seinem Glas, nahm es in die Hand und fischte mit ihrer Gabel nach der Muschel.
Ein langgezogenes Quietschen entstand, als sie die Muschel schließlich gefunden hatte und am Rand des Glases nach oben schob.
Zu ihrem Leidwesen fiel die Muschel dann aus dem Glas heraus und landete, Rotwein spritzend, auf der weißen Tischdecke.
Mit hochrotem Kopf legte sie die Muschel schließlich auf ihren Tellerrand.
Ein leises Kichern ertönte.
Brian kicherte.
Sie hob den Blick und in dem Moment brach er in schallendes Gelächter aus. Das gesamte Restaurant starrte sie an, aber das war Lucy inzwischen egal, denn auch sie konnte ihr Lachen nicht mehr zurückhalten.
Das gesamte restliche Essen musste sie immer wieder aufkommende Lachanfälle zurückhalten und Brian ging es dabei nicht anders.
Lucy hatte das Gefühl, dass dieser Moment etwas zwischen ihnen verändert hatte. Es war, als wäre das Eis gebrochen, das sich vorher noch zwischen ihnen befunden hatte.
Viel später an diesem Abend, als der Kellner sie schließlich bat, das Restaurant zu verlassen, da sie schlossen, und nachdem sie gut gelaunt durch die Nacht zum Hotel gewandert waren, standen sie nun im ruhigen Hotelflur. Brians Zimmer lag nur wenige Ecken von ihrem entfernt, wie sie gerade festgestellt hatten.
„Das war ein schöner Abend“, meinte Brian leise.
„Das fand ich auch“, wisperte Lucy und lächelte ihn warm an.
„Dankeschön“, fügte sie noch hinzu.
„Ich muss mich bedanken“, erwiderte er. „Danke, dass du mich begleitet hast“
Seine Augen funkelten im gedimmten Licht. Der Regen hatte sie beide durchnässt, aber die Wärme des Hotels sorgte dafür, dass sie nicht froren.
„Das würde ich immer wieder tun“, antwortete sie ihm.
Lächelnd blickte er auf sie herab.
„Ich nehme dich beim Wort“
Sanft trat er auf sie zu und beugte sich ihr entgegen. Er ließ ihr Zeit sich dagegen zu entscheiden und Lucy dankte ihm innerlich dafür.
Sie drückte ihm einen federleichten Kuss auf die Wange, ehe sie einen Schritt zurücktrat.
Sie sah das Strahlen in seinen Augen, auch wenn sie ihn nicht wirklich geküsst hatte.
„Gute Nacht, Brian“, wisperte sie.
„Gute Nacht, Lucy“
Hallo meine liebsten Leser,
da die letzten Kapitel alle ein wenig kurz waren, gibt es heute endlich wieder ein extra langes Kapitel.
Ich hoffe es gefällt euch.
Vielen Dank für die 2k Reads, ich bin euch unendlich dankbar. Ich freue mich über jeden einzelnen Kommentar und Vote und auch wenn ich mal einem Kommentar nicht antworte, ich lese sie alle und bin jedes Mal sehr, sehr glücklich darüber.
Viele Grüße
Luisa
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