1. Abgelehnt
»Marcus ...?«
Er hob nur kurz den Blick von seinem Buch, um zu Adrian hinüberzusehen, der nachdenklich an die Decke über seinem Bett starrte, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Draußen vor dem Fenster war die Dunkelheit hereingebrochen. Es war einer dieser Abende, während der sie im Schlafsaal einfach auf ihren Betten lagen, jeder in ein Buch oder seine Gedanken vertieft. Einer dieser Tage, wenn der Gemeinschaftsraum zu voll und zwischen all den älteren Schülern kaum mehr ein Platz für zwei Zweitklässler war. »Hm...«, erwiderte Marcus abwesend, den Blick kaum von seinem Buch lösend.
Adrian schwieg eine Weile, schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Hast du schon mal ein Mädchen geküsst?«, fragte er schließlich.
Ein wenig überrascht über diese völlig zusammenhangslose Frage hob Marcus den Blick von dem vor ihm liegenden Buch. »Nein.«
Adrian runzelte die Stirn und schien nachzudenken.
Marcus beobachtete ihn eine Weile, dann klappte er sein Buch zu und wandte sich seinem Freund zu. »Wie kommst du auf das Thema?«
»Terence hat. Also geküsst, mein ich.«
Marcus hob erstaunt die Augenbrauen. »Woher -«
Adrian löste endlich den Blick von der Decke und setzte sich auf. »Er hat es mir erzählt.«
»Wen?« Das interessierte Marcus jetzt doch.
»Erinnerst du dich an das Mädchen, mit dem er sich gestern unterhalten hat? Diese eine Braunhaarige aus der Dritten.«
Marcus nickte anerkennend.
Adrian schwieg eine Weile, zögerte. »Und was ist mit dir?«, fragte er schließlich.
»Was soll mit mir sein?«
»Gibt's ein Mädchen, das du ... magst?«
»Kann mit Mädchen nicht wirklich was anfangen«, murmelte Marcus und ließ sich rücklings in die Kissen fallen, wobei er schmerzhaft das Gesicht verzog. Er zog das Buch unter seinem Nacken hervor und warf es vom Bett.
Adrian kniff leicht die Augen zusammen. »Wie ... meinst du das?«
»Ich mag Jungs«, erwiderte Marcus schlicht.
Adrian schwieg.
Marcus wandte sich seinem Freund zu. »Problem?«
Adrian wich seinem Blick aus. »Ich - ähm, nein.«
Eine unangenehme Stille entstand, während der Marcus sein Buch wieder vom Boden aufhob, als Adrian plötzlich ganz abrupt aufstand.
»Wo willst'n du hin?«, fragte Marcus überrascht, doch er erntete nur ein kurz angebundenes »Bibliothek«, dann war Adrian auch schon mit einem Umhangwehen durch die Schlafsaaltür.
»In fünfzehn Minuten ist Ausgangssperre!«, rief Marcus ihm hinterher, als auch schon im nächsten Moment die Tür zukrachte. Frustriert warf er das Buch in die Richtung, in die sein Freund verschwunden war, und ließ sich zurück in die Kissen fallen.
Adrian tauchte den ganzen Abend über nicht mehr auf, und Marcus hatte irgendwann beschlossen, dass es keinen Sinn hatte, auf ihn zu warten. Ein wenig gekränkt rollte er sich in seine warme Bettdecke ein, horchte jedoch noch lange in die Stille durch das leise Atmen von Terence, in der Hoffnung, Adrian würde doch noch auftauchen. Irgendwann spät in der Nacht, bekam Marcus im Halbschlaf mit, wie die Schlafsaaltür leise geöffnet wurde und Adrians Schatten hereinschlich. Marcus blieb still.
Adrian blieb kurz zwischen ihren Betten stehen und sah zu ihm herüber. Dann wandte er sich ab und kletterte in sein Bett.
Kein geflüstertes »Marcus ...?« oder »Bist du noch wach?«
Marcus beobachtete mit einem Stich im Herzen die Silhouette seines Freundes, der sich mit dem Rücken zu ihm gedreht hatte. Er würde sich schon wieder einkriegen. Hoffentlich.
Tat er nicht. Als Marcus am nächsten Morgen aufstand, war Adrians Bett leer, und auch beim Frühstück ließ sich sein bester Freund nicht blicken. Mit einem flauen Gefühl im Magen machte sich Marcus eine halbe Stunde später alleine auf den Weg zum Quidditchfeld, den Besen geschultert. Adrian hatte ihm nicht viel Glück gewünscht. Es waren die ersten Auswahlspiele, an denen er teilnehmen durfte. Doch die Euphorie, die er und Adrian in den letzten Tagen deswegen geteilt hatten, hatte sich nun in ein beklemmendes Gefühl verwandelt. Und als er so dort stand, auf dem Feld, und zusammen mit den anderen Spielern, allesamt größer und breiter als er selbst, auf die Anweisungen des Slytherin-Kapitäns Vaisey wartete, fühlte er sich seltsam verloren und im Stich gelassen. Zum wiederholten Mal ließ er seinen Blick suchend über die Tribünen schweifen. Adrian war nicht gekommen.
~ • ~
Ein leichter Wind wehte in Marcus' Haaren, als er, in der Luft schwebend, den Blick quer über das Quidditchfeld schweifen ließ.
Zu seiner Linken brachten sich die beiden anderen Jäger in Position. Er atmete tief durch, lehnte sich leicht vor und wartete auf die Anweisungen des Slytherin-Kapitäns.
Vaisey schwebte ein paar Meter über ihnen, einen Fuß lässig auf der Stütze seines Besens, während er sich die halblangen Handschuhe zurecht zog. »Alles klar, zeigt, was ihr könnt. Ich will Teamwork sehen, klar?«
Marcus blickte missmutig nach links zu den anderen beiden Jägern. Ein ziemlich breiter Fünftklässler, der fast alle Würfe verwandelt hatte und ein Drittklässler, der einige Quaffel verschusselt hatte, und - Marcus' Meinung nach - ziemliches Glück hatte, dass er überhaupt weiter gekommen war. Ein starker Konkurrent und ein schwacher Mitspieler - mit keinem von beiden wollte Marcus gerne zusammenspielen.
Der Quaffel wurde ihnen zugeworfen, und Marcus zwang sich zu maximaler Konzentration, als er sich vorlehnte und den ersten Angriff startete.
Sie waren gut. Einige Durchgänge später hatten sie zehn Tore geworfen, und Marcus hatte noch jeden seiner Würfe verwandelt. Alle paar Runden tauschten sie Positionen. Marcus flog auf die Torringe zu, konzentriert, tief auf seinem Besen gelehnt, den Quaffel unter dem Arm. Im letzten Moment passte er zu dem Drittklässler - der am Torring vorbeiwarf. Den nächsten Angriff flog Marcus im Alleingang. Der Hüter stürzte dem Quaffel hinterher und warf wieder ihn den Jägern zu.
»Teamwork, Flint! Er will Teamwork sehen«, rief ihm der Fünftklässler entgegen, als Marcus abermals mit dem Quaffel unter dem Arm auf die Torringe zuflog.
Marcus gab nicht ab.
~ • ~
Eine halbe Stunde später saß Marcus hoch oben auf der Tribüne, alleine, neben sich den Quidditch-Umhang, der ihm nicht ganz gepasst hatte. Ihm war elend zumute.
Er war abgelehnt worden. Das ganze letzte Schuljahr hatte er darauf hin gefiebert und stundenlang trainiert, um endlich ins Quidditchteam kommen zu dürfen, und jetzt das. Abgelehnt. Marcus vergrub das Gesicht in den Händen und raufte sich die Haare, während er Vaisey drüben auf dem Feld seinen Treibern Anweisungen zurufen hörte.
Marcus wusste selbst nicht, warum er sich die Auswahlspiele überhaupt noch ansah, aber irgendwie saß er eine Stunde später immer noch dort oben und sah den anderen Kandidaten zu. Seine anfängliche Wut war verraucht. Jetzt fühlte er sich nur noch alleine und fehl am Platz. Einmal mehr wurde ihm bewusst, dass Adrian nicht bei ihm war. Er hatte sich den ganzen Tag über nicht blicken lassen. Und irgendwie wurde Marcus das Gefühl nicht los, dass es diesmal anders war. Nicht nur eine Laune, bei der er sich nach einer Zeit wieder einkriegen würde. Diesmal hatte Marcus Angst. Angst um ihre Freundschaft.
Gedankenverloren kratzte Marcus mit seinem Zauberstab in das Holz der Tribüne. Leichte Brandspuren waren an den Rändern der Buchstaben zu erkennen.
Jubelschreie waren vom Spielfeld zu hören. Dort unten fiel einer der Spieler freudestrahlend seinen Freunden in die Arme.
Marcus wandte den Blick ab und wischte sich wütend eine Träne aus dem Gesicht.
Mit bebenden Lippen wandte er sich ab, verließ die Tribüne und hinterließ auf seinem Platz nichts weiter als ein paar Worte im wettergegerbten Holz.
ICH FÜHL MICH SO ALLEIN
Wenig später stand Marcus oben auf dem Astronomieturm. Der Wind fuhr ihm in die Haare und trocknete die Tränenspuren auf seinem Gesicht. Er ließ seinen Blick über das Gelände schweifen, über den verbotenen Wald und den grauen Himmel. Es war kalt; er zog den Umhang enger um den Körper und setzte sich auf den Boden. Doch seine Schultern bebten aus einem anderen Grund ...
~ • ~
Herzlich Willkommen zu dieser Fanfiction!
Diese Geschichte ist ein absolutes Herzensprojekt von mir und wird Oliver Wood und Marcus Flint über 7 Jahre Schulzeit auf Hogwarts begleiten. Lest, wie zwei junge Schüler aus verfeindeten Häusern einander kennen lernen, wie sich trotz allem eine Freundschaft (und mehr) entwickelt, und wie Quidditch zwei junge Spieler vereint und später zwei älter gewordene Teamkapitäne zu erbitterten Gegnern werden lässt.
Es wird süß, ein bisschen dramatisch, ein bisschen romantisch, vielleicht etwas traurig - eigentlich hauptsächlich süß.
Geplant sind um die 50 Kapitel (wahrscheinlich mehr, ich merke jetzt schon, dass es knapp wird), davon sind 14 bereits vorgeschrieben. Ihr könnt euch also auf neuen Lesestoff freuen. Update immer freitags.
In diesem Sinne:
Setzt euch her, macht es euch gemütlich. Jeden Freitag Lesestunde :)
Ich freu mich auf euch.
Viel Spaß beim Lesen!
Schneestern37
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