Die zweite Nacht
Die zweite Nacht
»Sie hat was?«, schreit Fatima nahezu und sieht mich geschockt an. »Wie dreist kann man sein?«
»Ja und deshalb hab ich nicht gelernt und ich glaube, ich schreibe die Prüfung einfach nicht. Ich kann das ja-«
»Wegen einem Tag?«, unterbricht mich Fatima und legt dabei den Kopf schief. »Wegen einer Nacht Begüm?«
»Du weißt gar nicht, wie anstrengend eine Nacht Begüm ist«, entgegne ich und lehne mich zurück.
Ich weiß nicht, wieso ich so ruhig bin. Sie hat mir Geld abgezockt, das ich so lange für ein Auslandssemester angespart habe. Ich sollte wütend sein. Mein Hass aber hat sich abgeklingt und ich sehe keinen Sinn darin, mich aufzuregen, während sie über alle Berge ist. Vielleicht findet sie ja dieses Mal ihr Glück mit meinem Geld.
»Ich verstehe gar nicht, wieso du sie überhaupt reingelassen hast«, meint sie kopfschüttelnd und klaut eine von meinen Pommes. »Man sollte nur solange Gutes tun, solange es einem selbst nicht schadet.«
»Ich hätte ja nicht wissen können, wie es endet«, verteidige ich mich. Ich habe keinen Appetit und stochere mit der Pommes in der Mayonnaise herum.
»Es schadet deiner Psyche!«, dramatisiert sie das Ganze und ich schiebe ihr meinen Teller zu, damit sie isst und nicht redet. Aber selbst das hilft nicht. »Du denkst, du hättest die Verantwortung für alles.«
»Eigentlich dachte ich nur, dass ich es nicht übers Herz bringe, sie draußen schlafen zu lassen, wenn in meiner Wohnung noch Platz ist«, erwidere ich und hoffe, dass sich das Gesprächsthema bald ändert.
Fatima lächelt breit, versteht dass ich nicht mehr darüber reden will. Ihre Zähne strahlen weiß, was durch ihren dunklen Hautton verstärkt wird.
»Bin gleich zurück«, sagt sie und verschwindet in der Damentoilette.
Meine Mutter ruft an. Ich seufze und nehme ihren Anruf ab. Eigentlich wollte ich zu Hause in Selbstmitleid ertrinken und Begüm verfluchen, aber heute scheint mich jeder kontaktieren zu wollen. Erst Fatima und jetzt meine Mutter.
Sie fragt lange, wie es mir geht, fühlt, dass etwas nicht stimmt.
»Alles bestens«, versuche ich sie zu beruhigen. »Nur der übliche Prüfungsstress.«
»Lara vermisst dich sehr«, meint sie und will damit sagen, dass nicht nur meine kleine Schwester, sondern auch sie und mein Vater mich sehen wollen.
»Am Wochenende«, verspreche ich sofort und spüre, wie sehr ich ihre Nähe vermisst habe. »Ich muss noch viel lernen.«
Fatima hat ihr dickes schwarzes Haar zugebunden. Vorne sieht eine Sträne heraus. »Komm, ich fahre dich nach Hause.«
Ihr Grinsen verrät, dass sie auch mein Essen schon bezahlt hat.
»Das nächste Mal gebe ich aus«, entgegne ich genervt.
»Wenn Begüm dich nicht ausgeraubt hat«, fügt sie lachend hinzu und wir machen uns auf den Weg.
Der Abend verabschiedet sich so langsam und nimmst seine geliebte Sonne mit.
»Ich hätte in der Nähe parken sollen«, mault Fatima, während ich immer heftiger spüre, wie mich ein Mann beobachtet. Ich zwinge mich, nicht nach hinten zu sehen. Abgesehen von uns Dreien ist niemand anderes auf der Straße und Fatima ist zu beschäftigt mit Reden um das zu realisieren.
Als der Mann zu einem der Wagen läuft, an die wir vorbeigehen, beruhigt sich mein Herz. Vielleicht war das nur Einbildung.
»Derin«, flüstert Fatima panisch. Ich sehe zuerst zu ihr, dann zur Stelle, zu der sie blickt.
»Lauf«, ruft sie, als ich erblicke, wie der Mann eine Eisenstange aus dem Wagen holt uns mich grinsend ansieht.
Das passiert gerade nicht wirklich. Wir rennen nicht wirklich vor einem Psychopathen mit einer Eisenstange weg. Er braucht sie wahrscheinlich für etwas anderes.
Fatima ist schneller als ich uns biegt links ab. War der Wagen nicht rechts? Ich weiß es nicht mehr, meine Orientierung ist vor Panik komplett weg. Das Herz pumpt in einer solchen Geschwindigkeit, als würde ich verbluten. Ich höre nicht einmal mehr unsere Schritte, so laut ist es. Die Panik überträgt Bilder in meinem Kopf, die ich nicht sehen will. Ich will nicht sterben.
Fatima bleibt stehen und ich laufe in sie hinein, kann meinen Körper kaum noch kontrollieren.
»Scheiße«, zischt sie und vor stehen mitten in einer Sackgasse. »Hier müsste noch ein Weg sein«, bringt sie mit zittriger Stimme hervor und deutet auf die Wand. »Genau da.«
Als wir uns umdrehen, ist der Mann schon vor uns. Seine Augen sind dunkel, die Haare dicht gelockt und in jede Richtung abstehend.
»Bei drei«, flüstert Fatima, die sich im Gegensatz zu mir ein Stück weit zusammenreißen kamn. »Du links, ich rechts.«
Wo war links noch einmal?
»Eins«, beginnt sie langsam und wir machen gleichzeitig zwei Schritte zurück.
»Zwei.«
Meine Finger kribbeln, mein Herz ist so laut, dass ich kaum etwas anderes höre. Gleich wache ich auf. Das ist eins dieser wirren Träume. Gleich wache ich auf und Begüm liegt neben mir. Sie liegt neben mir und will noch eine Nacht bei mir bleiben, klaut meinetwegen auch mein Geld. Alles besser als das.
Der Mann schwingt mit der Eisenstange, als Fatima, »Drei«, ruft und nach vorne sprintet. Ich reagiere zu spät, meine Beine zittern. Er wird mich bekommen, sie ist schneller als ich. Allah, hilf mir.
Zuerst höre ich einen tiefen dumpfen Schlag und dann einen lauten schmerzverzerrten Schrei. Ich sehe, wie ihr Körper auf den Boden gleitet. Es passiert so schnell, zu schnell. Das muss ein Traum sein, anders geht es nicht.
Dickflüssiges Blut spritzt gleichzeitig gegen die Wand, saugt sich in meine Kleider und kennzeichnet mein Gesicht. Mein Herz steht still, während ich paralysiert in das leichenblasse Gesicht starre, der offene Mund, der gerade noch einen Schrei hervor gequellt hat und die leeren leblosen Augen, die immer noch offen stehen. Ich erblicke darin meinen schmerzverzerrten Ausdruck. Ich vergesse das Leben, während ich ihren Tod sehe.
Alles um mich herum ist verschwommen, nur meinen Herzschlag vernehme ich. Und genau dieses in vollem Tempo pumpende Herz holt mich ins Geschehen zurück.
Er holt noch einmal mit der Eisenstange, die er fest in seinem Griff hält, aus und trifft ihren Körper statt meinen. Ich kann nicht schreien, meine Stimme hat mich verlassen, hat als erstes die Hoffnung aufgegeben. Nur ein Quieken kommt über meine Lippen, während ich versuche auf meinen zitternden Beinen zu stehen. Sie werden nachgeben, denke ich. Doch bevor ich aufgebe, stoße ich mich vom Boden und laufe auf ihn zu.
Das ist das einzige, was ich in dieser Sackgasse tun kann. Es ist dunkel, eng, genauso wie meine verzwickte Lage. Mein Plan scheint nicht so schlecht zu sein, vielleicht sogar ansatzweise gut, denn als ich mein Knie gegen seine Körpermitte ramme, lässt er die Stange fallen. Doch kaum hört man das Klirren auf dem Boden und ich versuche an ihm vorbei zu rennen, packt er mich am Arm. »Zieh den Kopf aus dem Sand, Süße.«
Er wirft mich zurück. »Es gibt keinen Ausweg.«
Und dann trifft er mich mit dem Bein an der Brust und die Welt geht unter.
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Ich bin so motiviert, ich glaube hier wird es wirklich regelmäßig weiter gehen. Danke für die ganzen Kommentare, ohne Witz, das ist echt pure Motivation für mich 🌸
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