Wahn
Weil Mika recht damit hat, dass es nicht leichter wird, je länger man Dinge hinauszögert, bestelle ich Tua am frühen Vormittag zurück in seine Wohnung. Ehe ich mit Pari rede, möchte ich ihn sehen.
Tua lässt sich auf meine Idee ein, dass wir zusammen etwas kochen. Es soll Massaman Curry geben und die ersten aromatischen Dämpfe steigen bereits aus den verschiedenen Töpfen und Pfannen auf, als ich mich überwinde und endlich ein ernstes Gespräch beginne.
"Danke, dass ich hierbleiben durfte", sage ich. Tua schaut mich nicht an. Er zerhackt frischen Ingwer. "Ich frage mich, seit du gegangen bist: Warum tust du solche Sachen noch immer für mich? Du bist doch jetzt mein Ex. Wieso bietest du mir an, einfach uneingeschränkt deine Wohnung zu nutzen?"
Da er fertig ist mit dem Hacken, transferiert er alles auf den Teller, wo wir gerade verschiedene Zutaten zusammentragen, die später alle gemeinsam hinzugefügt werden müssen. Er legt das Messer ab und zieht die Schultern langsam bis zu den Ohren hoch, ehe er sie wieder sinken lässt.
"Ehrlich gesagt ... Das hab ich mir immer gewünscht", erklärt er. "Dass du hier ein und aus gehst. Ich hab mir lange vorgestellt, wie das wäre: Wie ich sage, dass ich länger im Studio bleiben muss, weil ich mit irgendwas nicht fertig werde und du - statt auf mich zu warten - hier bist, und dir die Zeit vertreibst. Zum Beispiel, indem du für uns kochst, oder selber noch irgendwas arbeitest, oder mit Pari telefonierst, während du in meinem Bett chillst."
Auch, wenn es albern ist, kommen mir fast die Tränen davon, so, wie er davon erzählt. Wenn es doch nur so gewesen wäre. Aber ich habe so viel Zeit verschwendet, seit ich den Schlüssel von ihm überreicht bekommen habe. Aus Gewohnheit habe ich weitergemacht mit uns wie bisher, aber es hatte sich etwas verändert. Daran hätte ich mich anpassen können, statt es zu ignorieren. Ich schätze, ich war wohl einfach noch nicht bereit dafür, ihm wieder zu vertrauen. Wie er war, nachdem sein Vater gestorben ist, habe ich noch genau im Gedächtnis. Es hat mich so viele Nerven gekostet, ihn dazu zu bewegen, mit dieser Therapie anzufangen - und nun brauche ich selbst eine.
"Sich das auszumalen ist super schön", hauche ich leise und drehe mich wieder zum Herd herum, um die Hitze herunterzuregeln. Und weil ich es nicht länger ertragen würde, ihm in die Augen zu schauen, ohne dabei loszuflennen.
"Ich hab mir jeden Tag bei Vadim vorgestellt, wie ich zu dir fahre, und wie alles davor nie passiert ist. Dass du lächelst, wie im Fahrstuhl, als wir uns das erste Mal begegnet sind, und so tust, als wäre unsere Beziehung ganz anders verlaufen; mich einlädst, dass wir uns gemeinsam belügen, solange wir noch dran glauben können, dass uns genau das glücklich macht."
"Das möchte ich nicht", erwidere ich. "Ich möchte nicht, dass wir uns belügen, Tua. Und ich will auch nichts rückgängig machen. So hart das alles auch war, ich war gern mit dir zusammen. Mir ist trotzdem wichtig, dass ich allein zurecht komme, und dir offesichtlich auch, sonst hättest du mich nicht allein gelassen. Ich hoffe dauernd, dass du mit mir geduldig bist. Das wünsche ich mir von allen, und zwar so krampfhaft, dass ich inzwischen gemerkt habe, dass hier was nicht stimmen kann. Du hast es ziemlich gut zusammengefasst, als du meintest, ich würde mich nicht nach dir sehnen, sondern nach mir selbst."
Der Augenblick wird zerschossen von Tuas Handy, das so plötzlich losklingelt, dass ich zusammenzucke. Er verdreht die Augen und zieht es aus der Tasche, um es stumm zu schalten.
"Wer ist es?", frage ich dennoch, weil mich auf einmal so eine Ahnung beschleicht.
"Pari", antwortet er und sieht mir fest in die Augen. "Du hast noch immer nicht mit ihr geredet, oder?"
Ich schüttle den Kopf.
"Würdest du rangehen?" Ich schaue leicht flehend zu ihm auf, und obwohl ich weiß, dass das nicht fair ist, kann ich mir nicht helfen. "Sonst ... Ich bin noch einfach noch ziemlich sauer auf sie. Ich kann sie natürlich auch nachher von mir aus anrufen und das klär-" Aber da hat Tua den Anruf schon entgegengenommen.
"Hallo?" Paris Stimme klingt selbst so gedämpft irgendwie nervös, müde und erschöpft. Eigentlich fühlen sie und ich uns wahrscheinlich gerade ähnlich.
"Ja, ist sie. Sicher, dass du mit ihr reden willst? Sie ist noch ziemlich sauer auf dich", wiederholt er, was ich gerade erst gesagt habe. Tua hört Pari noch ein wenig zu, dann gibt er mir sein Telefon.
"Hallo", begrüße ich sie.
"Oh, Mann. Deine Stimme zu hören , tut gerade so gut, das glaubst du gar nicht."
Dasselbe könnte ich darüber sagen, wie es für mich ist. Mein blöder Stolz - ich müsste ihn schlucken, und doch klingt es schnippisch, als ich sage: "Mika hat mir erzählt, dass zwischen dir und ihm alles wieder in Ordnung ist." Nachdem er vorhin abgezischt ist, hab ich noch eine Nachricht von ihm bekommen, in der das stand. "Respekt, wie hast du das denn geschafft?"
"Das war nicht einfach, ich dachte, ich kriege das nie wieder gerade gebogen."
"Na, anscheinend hast du's ja irgendwie hinbekommen. Was gibt's so Dringendes?"
"Tut mir leid, dass ich meinte, du würdest mir nicht zuhören und deine Ratschläge wären Müll. Das stimmt überhaupt nicht."
Tua mustert mich, während des Telefonats und ich schaue ihm kurz in die Augen, ehe ich zu Pari sage: "Ich akzeptiere deine Entschuldigung."
"Können wir uns vielleicht treffen?", platzt es aus ihr heraus. "Jetzt gleich? Ich muss dir was Wichtiges erzählen."
"Ähm, okay", mache ich überfordert und sehe, wie Tua die Augenbrauen hochzieht. "Dann im Atopia in einer halben Stunde?", schlage ich vor und beobachte, wie er fassungslos den Kopf schüttelt und die Küche verlässt.
"Das müsste gehen."
"Alles klar, Süße, bis gleich", verabschiede ich mich.
"Bis dann."
Als ich aufgelegt habe und zu Tua will, renne ich in ihn rein, denn er wollte offenbar gerade zurückkommen.
"Ist das dein Ernst gerade?", fragt er mich finster und ich verschränke die Arme vor der Brust.
"Sie klang, als würde sie mich wirklich brauchen", verteidige ich mich automatisch.
"Weißt du was, Iara? Geh. Und melde dich nicht bei mir, bevor ich mich bei dir gemeldet habe, denn ich bin gerade so wütend auf dich, Das wird diesmal nicht verschwinden in ein paar mickrigen Tagen, in denen ich dich vermisse. Ich hab dich letzte Woche drum gebeten, mich nicht so zu beandeln und du tust es trotzdem. Was ist dein Plan, willst du mir jeden meiner Fehler bar auf die Hand zurückzahlen?"
"Und wenn ich es wollte - du müsstest damit leben", wehre ich mich scharf.
"Das ist nicht fair, und du weißt das genau!"
"Wann warst du je fair zu mir?!", fahre ich ihn an und jedes Wort brennt in meiner Kehle. "Wann hast du je deine Scheiß-Depression überwunden und dich um mich gekümmert als ich dich gebraucht hätte?!"
"Du brauchst mich nicht und du hast mich nie gebraucht!"
"Aber du mich! Denn wenn ich nicht da bin, schläfst du nächtelang nicht; du schraubst dich immer tiefer in den Abgrund; du kiffst, bis die Welt scheinbar aufhört sich zu drehen; oder vergräbst dich im Studio und produzierst Sachen, mit denen du unzufrieden bist! So will ich nicht von dir gebraucht werden und ich brauche dich nicht als den Mann, der mir seine Wohnung überlässt, damit ich mich darin verkriechen kann oder den Mann, der mir davon erzählt, was er sich für uns gewünscht hätte! Ich brauche nur dich, aber du bist nicht du! Du bist die ganze Zeit nicht da! Und ich habe das Gefühl, ich verschwinde langsam auch." Ich schiebe mich an ihm vorbei, ziehe meine Sneaker an. Als ich meine Jacke überstreife greift Tua nach meinem Arm, zieht mich zu sich, nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst mich. Ich erwidere es, weil es schmeckt nach dem, was wir einerseits nie hatten und andererseits doch verloren haben. Als er sich zurückzieht, öffne ich einfach nur die Wohnungstür und schiebe mich durch die Lücke in den Hausflur.
Jetzt haben wir einander endgültig in den Wahnsinn getrieben.
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