Kapitel 52
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Novel
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Am missbilligenden Blick meines Adjutanten konnte ich ablesen, dass es eine schlechte Idee war, heute auszuschlafen, nachdem ich die halbe Nacht an Camillas Seite verbracht hatte. Sie unruhig zu nennen war eine Untertreibung – sie schien immer noch mit Albträumen vom Attentat zu kämpfen zu haben, aber anders als die meisten Menschen wachte sie nicht schreiend auf, sondern ihre eigenen Tränen rissen sie aus dem Schlaf. Ich hätte gerne mitgeweint, da mir klar war, dass die Situation wesentlich besser wäre, wenn wir Papa bloß aus dem Verkehr ziehen könnten.
„Die Erzherzogin, Majestät", wandte sich mein Adjutant kühl an mich und es war ihm anzusehen, dass er Leila für die weitere Verzögerung gerne den Hals umgedreht hätte. „Ich lasse bitten", erwiderte ich ebenso kühl – ich war kein Kleinkind mehr, wo mir sein Missfallen schlaflose Nächte bereitet hätte.
Leilas Röcke rauschten wie ein Wirbelwind, als sie zielstrebig auf meinen Schreibtisch zutrat und sich entschlossen darauf abstützte. „Da du mich nicht sehen willst, werde ich mich kurz halten", sagte sie schnippisch und ich zog überrascht meine Augenbrauen hoch. Die Mundwinkel meines Adjutanten zuckten, „Ich will eine Katze. Ich weiß, dass Mama dagegen ist, aber sie ist nicht mehr im Schloss, also bekommt sie das kleine Wesen gar nicht zu Gesicht und außerdem bin ich jetzt, wo Étienne vor dir geflüchtet ist, du Camilla in die Kaserne verbannt hast und Avel sich sowieso nur um alles kümmert, um das du dich kümmerst und du zeigst zur Zeit überhaupt kein Interesse daran, dich meiner anzunehmen, einsam!" Ich blinzelte einige Male perplex.
Das war der längste Satz, den ich jemals gehört habe. „Was ist mit George?", bohrte ich nach, worauf Leilas Schultern nach unten sackten und sie mich flehentlich ansah. „Der interessiert sich nur für Kranke oder Camilla", antwortete sie mit belegter Stimme, „Bitte, Novel. Ich will doch nur eine Katze, damit ich nicht alleine in meinem Salon sitze" Als ihr Tränen in die Augen stiegen stand ich abrupt auf. Das war meine kleine Schwester. Seufzend umrundete ich den Tisch und zog sie in eine enge Umarmung.
„Ihre Majestät wünscht eine Katze", teilte meinem Adjutanten mit, der darauf seine Augen zu Schlitzen verengte. „Wirklich?", fragte Leila überrascht und ich ihre Tränen versiegten für den Moment. „Ich nehme an, du hättest gerne eine Babykatze?", vergewissert ich mich und warf meinem Adjutanten noch einen strengen Blick zu. Leila nickte eifrig.
Als mein Adjutant den Raum verließ, um sich um Leilas neuen Freund zu kümmern, machte sie Anstalten, ihm zu folgen. „Da wartet ein Haufen Arbeit auf mich", erklärte ich mit einem Nicken auf den Schreibtisch. Ich presste kurz meine Lippen zusammen, bevor ich mir selbst einen Ruck gab, „hast du Zeit, mir dabei zu helfen?"
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Camilla
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Es hatte sich gut angefühlt, als Novel immer wieder über eine feuchten Wangen gestrichen hat. Ich fühlte mich erholter, als seit Langem, als ich am nächsten Vormittag aufstand. Es stand eine Schüssel mit Wasser bereit, dass mittlerweile natürlich ausgekühlt war und ein einfaches Frühstück. Hungrig machte ich mich zuerst über das Essen her.
Als ich gerade dabei war, mir mein Gesicht zu waschen, klopfte es zögerlich an der Tür. „Kommt Ihr zurecht Majestät?", Gabrielle klang ehrlich besorgt und ich sah mich einen Moment suchend um. Vor dem Bett stand eindeutig meine Kleidertruhe, aber das Korsett konnte ich ohne Hilfe nicht schnüren.
„Wo sind meine Hofdamen?", fragte ich ohne ihm näher zu antworten. Ich hasste den Oberkommandierenden für das, das er Novel angetan hatte und gerade bei ihm Zuflucht zu suchen, fühlte sich demütigend an. „Der Oberkommandierende will hier so wenig Frauen wie möglich", antwortete er und ich schnaubte. Er bot mir Zuflucht, aber meinem Hofstaat nicht. Das war nicht besonders galant. „Ich brauche eine Frau die mir beim Ankleiden hilft", stellte ich klar. Das lag nicht an meiner Eitelkeit, sondern schlichtweg daran, dass ich mir die Sachen alleine nicht anziehen konnte. „Natürlich, Majestät", erwiderte Gabrielle zerknirscht.
Mit meiner Kleiderkiste waren auch anscheinend einige Briefe und die Zeitungen eingetroffen. Ich musterte die Titelseiten und stellte zufrieden fest, dass überall über unseren gelungenen Auftritt berichtet wurde. Niemand wusste bisher, dass ich erneut zusammengebrochen bin und mich deshalb beim bösen Wolf höchstpersönlich versteckte. Wegen dieses Vorfalls werde ich wohl noch einige Arztbesuche über mich ergehen lassen müssen.
Eine halbe Stunde später stand ich ihm bereits gegenüber. Mir war bis heute schleierhaft, wie Novel ihm so entschlossen entgegentreten konnte. Mich überfiel bereits eine eisige Kälte, wenn ich das vernarbtes Gesicht des Oberkommandierenden blicken musste. Als könnte er meine Gedanken lesen, zuckten seine Mundwinkel.
„Mich hat es überrascht, dass Ihr der Idee des Kronprinzen zugestimmt habt, Majestät"
„Seine Majestät war recht deutlich, aber mir ist nicht klar, warum Ihr das vorgeschlagen habt"
„Ihr seid eine mächtige Verbündete, Majestät"
Mir lief es eiskalt über den Rücken hinunter und ich strafte meine Schultern. Er wollte also keine Gegenleistung von Novel, sondern, dass ich in seiner Schuld stand. Er schien mit jedem grauen Haar schlauer zu werden. „Ich versichere Euch, dass ich Euer Entgegenkommen nicht vergessen werde", erwiderte ich ungeschickt und wünschte mir im selben Moment, dass er mich endlich gehen ließe. Plötzlich fühlte ich mich wieder unendlich müde.
„Dessen bin ich mir sicher – vor allem, wenn es um die Erziehung des künftigen Kronprinzen geht", erwiderte er selbstgefällig und mir blieben die Worte im Hals stecken. Meine Hände begannen unkontrolliert zu zittern und versuchte es so gut es ging in meinem Rock zu verbergen. Grundsätzlich wollte ich ihm keinen Sieg gönnen, aber wenn ich nicht sofort diesen Raum verließ, würde ich vor Angst zusammenbrechen.
„Adonis, bringen Sie Ihre Majestät zurück in Ihre Räume. Ihr scheint nicht ganz wohl zu sein", spottete er, worauf sie ein dunkel gebräunter Mann mit dichtem, schwarzen Haar aus dem Schatten löste. Er bot mir galant seinen Arm an, worauf ich leicht errötete. Ich würdigte den Oberkommandierenden keines weiteren Blickes mehr und reagierte auch auf meinen Leibwächter nicht weiter.
Als wir vor meinen Gemächern ankamen, war von Gabrielle nichts zu sehen. „Wo ist Leutnant Russo?", fragte ich sofort. Gabrielle hatte mich zum Oberkommandierenden gebracht, sich aber anscheinend nicht darum gekümmert, dass ich auch wieder den Weg zurückfinde.
„Ich werde sofort nach ihm suchen, Majestät", erwiderte er in einem Akzent, den ich nicht zuordnen konnte. Neugierig musterte ich ihn. Seine Hautfarbe und sein Umgang mit Französisch deuten darauf hin, dass er noch nicht lange hier war. „Woher kommt Ihr?", fragte ich neugierig nach, worauf Adonis, wie ihn der Oberkommandierende nannte, sofort breiter lächelte. „Aus Griechenland", erwiderte er sofort und ich erwiderte sein Lächeln. Also auch aus dem Süden.
Ich öffnete eine meiner Kisten, die noch nicht ausgepackt waren und holte ein Buch heraus, von dem ich wusste, dass auch eine Karte darin war. „Von welchem Teil?", bohrte ich nach und reichte ihm das Buch. Einen Moment lang starrte er es ehrfürchtig an, bevor er an die südwestliche Küste deutete. Also vom Meer. Obwohl ich Italienerin war, hatte ich das Meer erst zu lieben gelernt, als ich nach Bonheur kam. Seit dem sehnte ich mich nach wärmeren Gefilden, wo man auch seine Zehen ins Wasser halten konnte, ohne sofort zu erfrieren
„Mit Verlaub Majestät, aus welchem Teil Italiens kommt Ihr?", fragte er und meine Augen leuchteten sofort begeistert auf. Ich spürte es in meinem Fingerspitzen. Das war der Beginn einer sehr besonderen Freundschaft.
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