Kapitel 48, Teil 2
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Camilla
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Ich war immer noch erfüllt vom Jubeln der Menge, die ich während meiner Kutschenfahrt passiert hatte. Könnte Novel bloß in mir sehen, was diese jubelnden Menschen in mir sahen, wären meine Knie nicht erneut wackelig. Ich wusste nicht, ob ich mich gleich einem traurigen, einen wütenden oder einem ausgeglichenen Novel gegenüberstand und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, konnte ich mir nicht völlig sicher sein, dass er mir das „Ja-Wort" gab. Dafür hasste ich ihn - dass ich in dem Gefühl zum Altar gehen musste, nicht geliebt zu werden.
Ein Teil des Adels war beim Empfang des Parlaments dabei gewesen und deshalb musste ich noch einige Augenblicke warten, bis sie ihre Plätze eingenommen hatten und ich hineingehen durfte. „Ich habe gehört, dass du hervorragend warst", sprach mich die Kaiserin an und ich fuhr erschrocken zusammen. Ich lächelte angespannt, als sie mir einen Kuss auf die Wange drückte und mich musterte. „Es ist jetzt hübscher und es steht dir auch besser als mir", sagte sie nüchtern und bedeutete mir, mich einmal vor ihr zu drehen. Ich errötete und bevor ich mich nochmal dafür bedanken konnte, steckte bereits Nemours den Kopf durch die Tür und lächelte mich aufgeregt an.
„Majestät, wir wären soweit", teilte er uns mit, worauf Lavinia nickte und mich an der Hand zur Tür führte. „Ich habe Nemours gebeten, dass ich dich führen darf. Ist das in Ordnung?", fragte sie mich und lächelte mich an. Jetzt musterte ich kurz ihre Statur, wog ab, ob sie den Weg vom Ende des Saals bis zum Beginn schaffen konnte, ohne zu stolpern. Ich befand, dass wir beide bereit waren.
„Euch scheint es besser zu gehen"
„Ich habe meinen Frieden mit mir selbst gemacht und ich weiß mein Land jetzt in sicheren und fähigen Händen. Nach all den Jahren kann ich aufhören, mir Sorgen zu machen und die letzten Monate genießen"
„Ihr seid eine gute Kaiserin"
„Ich gab mein Bestes und ich habe mir für alles, dass Geringer war, selbst vergeben"
Verlegen senkte ich meinen Blick. Vielleicht wäre es gut, wenn sie Novel und mich noch von den großen Fehlern, die ihr in ihrer Regentschaft unterlaufen waren, warnen würde. Aber dafür hatten wir noch Zeit.
Das Streichquartett stimmte eine leichte Melodie an, als die Kaiserin mich entlang der kleinen Gruppe Adeliger nach vor brachte. Ich bemerkte weder den herrlichen Blumenschmuck, noch die ehrfurchtsvollen Blicken. Alles das ich sah, waren Novels verkrampfte Schultern. Mir sank mein Mut und ich blendete alles um mich herum aus, außer ihn.
Als die Kaiserin meine Hand in seine legte, sah er an mir vorbei. Das war keine christliche Zeremonie, deshalb kam man in der Angelegenheit schnell zur Sache. Ich versuchte Novels Blick zu suchen, abzuwägen, ob es nicht klüger wäre, wenn einer von uns so schnell und so weit wie möglich fort laufen würde. Aber er sah mich nicht an und ich musste hilflos auf die entscheidende Frage warten. Ich war zuerst an der Reihe und ich hoffte, dass Novel mir zumindest für einen Moment in die Augen sah.
„Werdet Ihr, Camilla Russo von Italien, die Regierung Seiner Majestät aus freien Stücken und bis zum Tod hin respektieren?"
„Ja"
„Wollt Ihr Novel aus dem Hause Manches heiraten und ihm ein Leben lang treu ergeben sein, ihn lieben und ehren bis der Tod euch scheidet?"
„Ja, ich will"
Es war eine trostlose Zeremonie, ein Staatsakt der mich an Novels Willen und seine Regierung band. Aber aufgrund von Lavinias kritischem Zustand wollten wir nicht in eine kalte Kirchen und dieses Prozedere, bei dem wir einander eine Reihe an Lügen schworen, in die Länge ziehen.
„Werdet Ihr, Novel von Bonheur, die Princesse gegen alle Feinde von Innen und Außen schützen und sie in ihrer neuen Heimat willkommen heißen?"
„Ja"
Endlich. Ich er sah mich für einen Moment an und meine Lippen verzogen sich sofort zu einem Lächeln.
„Wollt Ihr Camilla Russo von Italien, heiraten und ihr ein Leben lang treu ergeben sein, sie lieben und ehren bis der Tod euch scheidet?"
Novels Blick huschte noch Mal zu mir und er schloss gequält die Augen, als er stumm nickte. Ich hätte ihn am liebsten getreten. Der gesamte Saal, inklusive mir, hielt die Luft an. Er würde doch nicht wagen ... „Ja, ich will"
Ich atmete erleichtert aus, reichte Novel meine rechte Hand, damit Nemours die Scherpe über unsere Hände legen konnte. Dann trat er einen Schritt zurück und wartete ab. Wieder fokussierte ich Novel eindringlich – er musste mich küssen. Als er sich langsam umwandte, sah ich hilfesuchend zu Lavinia. In ihrem Blick stand blankes Entsetzen und sie hatte sich eine Hand vor den Mund geschlagen. Ungefähr so würde auch ich aussehen, wenn ich meine Gefühle im Moment nicht im Griff hätte.
Ich registrierte gerade noch, wie sich Novel vorbeugte, bevor seine Lippen meinen äußeren rechten Mundwinkel trafen. Wütend funkelte ich ihn an und mittlerweile war alle Sitte gefallen und die Adeligen begannen leise zu tuscheln. Mir stiegen Tränen in die Augen, als er sich zurücklehnte, Nemours das Tuch zurückzog und die Adeligen verhalten zu applaudieren begannen.
Mit einem Schlag kehrte die Müdigkeit und die Kälte in meine Knochen zurück und ich war froh, mich auf Novel stützen zu können, als er mich hinausgeleitete. Als nächster Punk stand der Lunch an, aber davor hatte ich sicherlich noch Zeit mit einen Moment auszurasten. „Bitte bring mich in einen Salon. Ich bin erschöpft", forderte ich von Novel. Sein Blick ruckte zu mir, aber ich würdigte ihn keines Blickes mehr. Den ersten Dienst den er mir als Ehemann erwiesen hatte, war mich zu demütigen.
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Novel
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Camilla saß in dem kleinen Salon, umgeben von Schachteln, die eine Schar Hausmädchen gerade ausräumte. „Lasst uns alleine", forderte ich und alle Köpfe ruckten gleichzeitig zu mir herum. Camilla hob nicht den Kopf, aber ich konnte beobachten, wie sie ihre Fäuste abwechselnd ballte und wieder lockerte. Unwillkürlich schluckte ich und bediente mich am Brandy. Dieser Tag würde noch lang werden.
„Du siehst umwerfend aus, Camilla", ergriff ich schließlich das Wort, als ich mir sicher war, dass Camilla dieses Mal nicht auf mich zukommen würde. „Woher willst du das wissen? Du kannst mir kaum in die Augen sehen", erwiderte sie giftig und erhob sich schwungvoll. Sie starrte in eine der Schachteln und ich musste zusehen, wie ihre Schultern langsam zu beben begannen.
Ich wollte mich schuldig fühlen, mich entschuldigen, aber alles das ich begreifen konnte, war das bleischwere Gefühl auf meiner Brust. „Warum hast du mich nicht abgewiesen?", fragte sie und ich biss mir ertappt auf die Lippe. Ich hatte darüber nachgedacht und dafür werde ich mich den Rest meines Lebens schämen. „Dafür war es bereits zu spät", Papas Stimme schob sich schützend vor mich und in diesem Moment war dankbar, dass er die Rolle des Schurken übernahm. Camilla fuhr bei den Worten zusammen, aber keinen Augenblick später hatte sie sich wieder im Griff. Ihr Zittern war verschwunden und sie sah Papa mit einem so tiefen Ausdruck von Verachtung an, den ich auch bald kennenlernen würde, wenn ich mich nicht in den Griff bekäme.
„Étienne reist ab – wir sollten ihm auf Wiedersehen sagen", ergriff Papa das Wort und ich streckte Camilla ohne Widerworte meinen Arm entgegen. Als sie meinen Blick begegnete, konnte ich ihren inneren Kampf, ob sie mir nun vergeben sollte oder nicht, sehen. Ich wandte mich ab, denn ich wüsste nicht, wie ich reagieren sollte, wenn sie mir das erste Mal nicht vergeben würde.
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Camilla
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Durch meinen Kopf wirbelten so viele Gedanken, dass ich keinen davon zu fassen bekam. Novels Hand war ausgestreckt und ich fühlte mich in meinen Salon zurückversetzt, wo Novel den Schlüssel für meine Räume verlangt hat, sich Zugang verschaffte und mir dann die Hand entgegenhielt. Ich habe mich damals für ihn entschieden, obwohl ich wusste, dass ich ihn immer mit Elisabeth würde teilen müssen. Aber ich hatte noch keine Ahnung davon, wie weh das tun würde.
Zum Glück sagte niemand der beiden Männer ein Wort, sie ließen mich still eine Entscheidung treffen. Ich hakte mich bei Novel wortlos unter. Das bedeutete nicht, dass ich ihm vergab, aber zumindest war ich bereit die Fassade aufrecht zu erhalten.
Das klappte bis zur Nachspeise vier Stunde später. Novel und ich mussten zwingend nebeneinander sitzen, aber das brachte uns den Vorteil ein, dass wir beide auf die andere Seite plaudern konnten, wenn das Schweigen zwischen uns zu unangenehm wurde. Aber wir waren beide höfisch erzogen – wir hatten genügend Gesprächsthemen parat über die wir unverfänglich sprechen konnten. Wir hätten den Abend noch gerettet, wenn nicht plötzlich ein Soldat den Raum betreten hätte und direkt auf Paget zusteuerte. Novel sah mich warnend an und ich schluckte mein Unbehagen hinunter. Ich mistraute Paget immer noch und wenn möglich, würde ich mein Glück heute auch nicht von Novels wechselhaften Launen abhängig machen.
Paget erhob sich abrupt und umrundete unseren Tisch um sich zu Novel herunterzubeugen. Er wählte das mir zugewandte Ohr, damit ich jedes Wort verstand. „Der Oberkommandierende hat Informationen betreffen Camilla. Wir sollten sofort aufbrechen", flüsterte er in sein Ohr und ich verkrampfte meine Hände unter dem Tisch. Ich war mir völlig sicher, dass Paget das erfand. An Novels zweifelnden Blick konnte ich erkennen, dass es ihm ebenso ging. Paget richtete sich wieder auf und sah abwartend auf seinen Sohn hinunter. „Der Oberkommandierende wies mich an zu betonen, es sei dringend", nuschelte der Soldat und Novel presste die Lippen zusammen, bevor er nach meiner Hand griff und einen harten Kuss darauf drückte. Dann erhob er sich und verschwand.
Und er kam nicht zurück. Diese Tatsache wurde mit schlagartig bewusst, als wir bereits seit einer halben Stunde in meinem Ankleidezimmer saßen und mein Haar bürsteten. Wir waren mehr als zwei Stunde hinter dem Zeitplan, weil wir bereits länger im Salon verharrten und mein Aus- und Ankleideprozedere bereits in die Länge gezogen hatten. Aber jetzt stand es fest. Er wird heute Nacht nicht zurückkommen.
Fragend wandte ich mich zur Kaiserin um, die aber noch immer bestimmt den Kopf schüttelt. Seufzend erhob ich mich und ging vor ihr auf die Knie. „Er ...", ich musste plötzlich gegen die Tränen ankämpfen und Lavinia sah mich ebenfalls bereits mit glasigem Blick an, „Mit Sicherheit hat er eine gute Erklärung" Ich schniefte und erhob mich. Maida, Lavinias engste Vertraute, legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter und stützte sie, als sie sich erhob.
„Ich ...", setzte sie an und sah sich einmal hilfesuchend um. Nemours, Chevaliers und der Volksminister, die alle der Bettlegezeremonie bewohnen sollten, sahen alle betreten zu Boden. „Wenn es Euch nicht ausmacht, ziehe ich mich zurück. Es war ein langer Tag", ergriff ich schließlich das Wort und straffte meine Schultern, als mich eine Runde mitleidiger Blicke traf. Nachdem sich Novel sein Ja-Wort bereits abgerungen hatte, rechnete ich nicht damit, dass er am Abend nicht erscheinen würde.
„Es tut mir so leid", flüsterte Nemours, als er mir einen Kuss auf die Wange drückte. Lavinia krallte sich an meiner Hand fest, als ich sie ergriff, um einen Kuss darauf zu drücken.
Als alle abgezogen waren, blieb ich alleine mit Gräfin Russo und Gabrielle zurück. Angewidert warf ich einen Blick in den großen Spiegel. Wenn man meine feuchten Augen ignorierte, sah ich prächtig aus. So prächtig, wie es der Kronprinzessin in ihrer Hochzeitsnacht mit ihrem Ehemann gebührte.
„Gabrielle, sehen Sie bitte nach Novel", ich hob die Hand, als Gabrielle zu einem Protest ansetzten wollte. Es reichte mir bereits die Demütigung vor dem kleinen Rat, da wollte ich nicht, dass das ganze Land von Novels Eskapaden in der Hochzeitsnacht erfuhr, „Ich verlange nicht, dass Ihr mir Bericht erstattet. Habt lediglich ein Auge auf ihn" Gabrielles Lächeln kam wieder in Position, als er sich tief vor mir verbeugte und mich Gräfin Russo alleine ließ. Zumindest war Novel nicht bei ihr. „Bitte bringt mir ein Nachtkleid. Ich will dieses ... diesen ...", mir blieben die Worte im Hals stecken, als ich auf meine Aufmachung deutete. „Natürlich, Majestät", sie sprach leise, aber deutlich. Ich hatte mir lange gewünscht, dieselbe Anrede wie die kaiserliche Familie zu tragen – hätte ich bloß gewusst, was der Preis dafür ist.
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