Kapitel 36
Es waren drei schöne Tage in Italien, die sie verbracht hatten, gemeinsam mit ihren Freunden. Josephine bekam ihren Antrag am Strand und hatte natürlich Ja gesagt. Vergil hatte sich dafür ins Zeug gelegt. Tristan selbst musste dafür recht wenig machen, im Grunde ging alles wie von selbst. Sie hatten das alle miteinander gebraucht. Tristan und Katie hatten ein paar schöne Stunden miteinander verbracht, sie hatten sich viel unterhalten in diesen Tagen, hatten die Zweisamkeit genutzt, abseits ihrer Arbeit und ihres Alltages. Es war notwendig gewesen, deswegen konnten sie guten Gewissens wieder zurück in die Staaten zurückkehren.
Das bedeutete, dass wieder der Ernst des Lebens auf sie wartete und es noch einiges gab, was es zu erledigen gab.
Das Gespräch mit seinem Zwillingsbruder. Das war für Tristan die allergrößte Hürde in dieser ganzen Sache. Alles andere, da war er sich sicher, würde er schon hinbekommen. Zumindest leichter, als den Schritt auf seinen Bruder zuzugehen, bei dem er wusste, wie dieser tickte. Doch Katie hatte ihm gut zugeredet und so kam es, dass Tristan einen Tag, nachdem sie zurückgekehrt waren, vor seiner Tür stand, um sich zu entschuldigen und um sich zu erklären. Es war keine leichte Aufgabe, aber er wusste, dass es notwendig war, um ihre Beziehung aufrecht zu erhalten und ihn nicht als Bruder zu verlieren. Ihn noch einmal zu verlieren, das ertrug er nicht. Tristan würde damit nicht leben können, sollte Ben sich von ihm abwenden.
Eine Zeit lang hatten sich die beiden in den Armen gehalten und Tristan war dabei schon eine aufrichtige Entschuldigung über die Lippen gekommen, nachdem er sich anhören durfte, was für Sorgen sich sein Zwilling die letzten Tage gemacht hatte. Er konnte ihn verstehen, womöglich wäre es bei ihm nicht anders gewesen.
Danach hatte Tristan sich nach dem Wohlbefinden des Jüngeren erkundigt, immerhin war das wichtig und Benedict hatte voller Stolz seine Fortschritte gezeigt, die er in der Zeit erzielt hatte. Der Mann hatte nicht aufgegeben und weitergemacht, obwohl ihm ein wichtiger Teil gefehlt hatte, der ihn dabei unterstützte. Aber Benedict wurde immer selbstständiger, das konnte Tristan auch dabei beobachten, als dieser ihnen Tee kochte und alles von selbst auf den Tisch räumte.
„Ich schaffe es mittlerweile auch alleine in die Bibliothek bei uns um die Ecke", erklärte der Gleichaltrige ihm mit einem stolzen Grinsen, als er sich zu Tristan niederließ.
„Das heißt, ich kann meine ausgeliehenen Bücher selbst zurückbringen und mir somit auch neue holen", sprach er weiter und allein ihn dabei so glücklich zu sehen, reichte für Tristan, ebenfalls zu lächeln.
„Das ist wirklich großartig", meinte er aufrichtig zu ihm und nahm sich seine Tasse, die er vor sich abstellte. Es tat ihm gut zu sehen, dass Benedict wieder zurück in die Selbstständigkeit fand.
Es ließ ihn seinen Alltag leichter bewältigen, wenn er wusste, dass sein Bruder zurechtkam und sich dabei ein Leben aufbaute.
„Ich habe sogar überlegt, mich dort als Aushilfe zu bewerben. Ich meine, keine Ahnung, ob sie einen wie mich nehmen würden, aber es wäre ein Anfang", sagte er mit einem Grinsen und sah ihn doch erwartungsvoll an. Tristan war zunächst verwundert über diese Aussage, denn sicher war das toll, aber andererseits war es ihm wichtig, dass Benedict zuerst gesund wurde, bevor er den nächsten großen Schritt wagte. Andererseits war das ein guter, aber großer Schritt, um seine Genesung voranzutreiben.
Am Ende sollte Ben wissen, was für ihn richtig war. Was sich richtig anfühlte.
„Ich denke, das klingt nach gar keiner so schlechten Idee. Es lässt dich noch selbstständiger werden. Es wäre auf jeden Fall ein Anfang, Ben", versicherte er ihm, denn er wollte, dass der Jüngere vorankam. Er wollte, dass er eines Tages wieder glücklich wurde.
„Ich habe Eddie davon noch gar nichts erzählt", erklärte der Braunhaarige ihm, der sich etwas verlegen am Kopf kratzte.
„Irgendwie wollte ich wissen, was du dazu sagst. So als Arzt und mein Bruder, weißt du?" Eine gewisse Unsicherheit schien sich in ihm breitzumachen, doch Tristan schüttelte nur den Kopf.
„Nein, Ben. Das ist großartig. Wenn du meinst, dass es sich richtig anfühlt und du die Kraft dazu hast, dann mach es. Ich bin voll dafür und ich bin mir sicher, dass Eddie das genauso sehen wird." Er wollte ihm Mut zusprechen, ihm bei seiner Entscheidung helfen, stand bei jeder Sache direkt hinter ihm und versuchte zu helfen, wo er nur konnte.
Benedict nickte nur stumm, griff nach seiner Tasse, um einen Schluck von dem Heißgetränk zu trinken. Tristan tat es ihm gleich, weshalb sich eine Stille zwischen ihnen ausbreitete und dafür sorgte, dass es allmählich zu jenem Thema kam, das zwischen ihn stand.
„Was ist geschehen, Tristan?", stellte Benedict vorsichtig die Frage und sah ihn unsicher dabei an.
„Katie hat erzählt, dass ihr euch ziemlich heftig gestritten habt, aber war es wirklich ein Streit?", wollte er wissen. Tristan seufzte. Wie erklärte er ihm das denn? Den ganzen Weg über hatte er versucht, sich zu überlegen, wie er seinem Bruder die ganze Sache schonend beibrachte, aber er war erstens auf kein Ergebnis gekommen und zweitens schien sein Kopf vollkommen leer zu sein.
„Ich meine, man sieht dir an, dass da etwas passiert sein muss. Dein Gesicht ist immer noch nicht ganz verheilt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es zwischen Katie und dir körperlich wurde." Benedict war ein guter Beobachter, er bemerkte Dinge leichter als andere oder weit vor allen anderen. Außerdem war er gut darin, Dinge zu verknüpfen und logisch alles zusammenzubauen. Das musste Tristan ihm lassen und dafür bewunderte er seinen Bruder.
Tristan atmete tief durch, nahm einen Schluck von seiner Tasse und schüttelte den Kopf.
„Du hast recht. Diese ganze Sache hat im Grunde nicht direkt mit Katie etwas zu tun", gab er zu, es waren die ersten Worte, die seine Lippen verließen.
„Aber was ist dann geschehen?", wollte Ben wissen, der sich doch Sorgen machte.
„Bist du in Schwierigkeiten? Ich meine, wenn etwas sein sollte, dann weißt du doch, dass du damit zu mir kommen kannst, Tristan. Wie damals. Wenn ich die Typen erwische, die dir das angetan haben, dann können die wirklich ihr blaues Wunder erleben." Nervosität machte sich in Ben breit, der seine Hände fester um die heiße Tasse schloss.
Doch Tristan schüttelte nur den Kopf.
„Ben, es ist alles in Ordnung. Also, mehr oder weniger. Ich komme klar, mittlerweile. Zumindest denke ich das. Du musst dich auch nicht mit irgendjemanden anlegen. Das habe ich schon getan", redete er weiter, obwohl ihm klar war, dass er in ziemlichen Rätseln sprach.
Er musste es jetzt über die Bühne bringen, egal, was Ben dachte.
„Ich verstehe nicht, Tristan. Was ist los?" Er schien nicht zu ahnen, was hier vor sich ging. Benedict rutschte etwas unsicher und nervös auf seinem Stuhl herum und wollte endlich herausfinden, was es mit ihm auf sich hatte.
„Ben, unsere Vergangenheit hat mir nie Ruhe gelassen. Und ich meine das so, wie ich es sage. Ich wurde nie in Ruhe gelassen und irgendwann habe ich handeln müssen."
Und dann fing er seinem Zwillingsbruder zu erklären, was geschehen war, dass er von Grayson aufgenommen worden war, dass er bei diesem vier Jahre gelebt hatte und dass es mit seinem Auszug nicht aufgehört hatte. Er erzählte ihm von dem Terror, den Grayson die ganze Zeit ihm gegenüber verübt hatte und dass er nach diesem Vorfall selbst nur von Rache getrieben war. Er erzählte ihm davon, dass seine Familie nicht nur einmal bedroht worden war, dass er mit sämtlichen Drohungen leben musste und dass er mit der Zeit keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte. Er beichtete ihm, dass er zwei Menschen auf dem Gewissen hatte und dass er jenen Mann, der Ben besucht hatte, vor ein paar Tagen ermordet hatte.
Tristan legte alle Karten auf den Tisch und beobachtete Ben dabei, wie dieser immer fahler im Gesicht wurde und zuerst gar nicht wusste, was dieser sagen sollte. Er konnte es ihm nicht einmal verübeln.
„Du hast was getan?", lautete die Frage, die Tristan aus den Gedanken riss und dafür sorgte, dass ihm das Herz in die Hose rutschte. Ben klang aufgebracht und er beobachtete ihn, wie dieser sich das Haar raufte, und erkannte die Verständnislosigkeit in dessen Gesicht.
„Tristan, das ist alles ein schlechter Scherz, oder?", stellte er ihm die nächste Frage und lachte dabei verzweifelt auf, doch Tristan schüttelte nur den Kopf.
„Nein, Ben. Das ist kein Scherz. Katie hat mich gesehen, wie ich nach Hause kam in jener Nacht", fing er an zu erklären und war sogar ruhig. Es brachte nichts, wenn sie sich beide aufregten.
„Sie hat gesehen, in welchem Zustand ich zurückgekommen bin. Ich bin nämlich in einen Kampf verwickelt worden und habe dementsprechend einstecken müssen", erklärte er die Situation.
„Deshalb sehe ich auch so aus, wie ich aussehe. Ich hatte gehofft, das schnell über mich bringen zu können und dass keiner etwas davon mitbekommt, aber ich habe mich geirrt. Ich habe die Lage unterschätzt."
Ben sah ihn vollkommen fassungslos und mit offenen Mund an.
„Das heißt, du hättest nie etwas gesagt, wenn das reibungslos über die Bühne gegangen wäre?"
Sein Herz wurde immer schwerer und Tristan vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
„Ich habe keinen anderen Ausweg gesehen, nachdem du mir erzählt hast, dass er bei dir im Zimmer gestanden ist. Ich wollte dafür sorgen, dass es aufhört."
Ben stand ruckartig auf, sodass der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, nach hinten kippte und lautstark am Boden aufkam.
„Du hättest die Polizei einschalten sollen! Mir vielleicht sagen sollen, dass das alles kein Traum oder Einbildung war!" Nun wurde Tristan angeschrien und er konnte es verstehen. Sehr gut sogar. Er konnte Ben verstehen. Er konnte seine Wut nachvollziehen.
„Scheiße, Tristan. Du hast Leute umgebracht und würdest es weiterhin tun, hätten Katie und die anderen dich nicht aufgehalten! Und ich bin der Letzte, der davon erfährt!" Benedict war aufgebracht, stützte sich am Tisch ab und schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Ich kann das alles nicht glauben!", kam es von ihm und Tristan hatte das Gefühl, sich selbst einen Dolch ins Herz zu stechen.
Es tat ihm so unglaublich weh, ihn so zu sehen.
Deshalb war er still, senkte den Blick und versuchte, seine Gedanken zu sortieren, während er gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfte.
Das war alles zu viel.
„Du hättest mit der Polizei zusammenarbeiten sollen, Tristan. Ich habe dir das nie gesagt, weil ich dir keine Vorwürfe machen wollte, aber das...das wirft ein komplett anderes Licht auf dich und ich habe das Gefühl, meinen Bruder gar nicht zu kennen. Du hast mit uns allen ein falsches Spiel gespielt. Du hast dein wahres ich vor uns verborgen."
Das tat weh. Diese Worte trafen mitten ins Schwarze, doch Tristan konnte nicht einmal wütend auf seinen Bruder sein. Kein bisschen. Er machte ihm keine Vorwürfe, denn er konnte ihn gut verstehen und eigentlich konnte er ihm nur Recht zusprechen.
„Scheiße, du bist nicht besser als die. Ganz egal, was die uns angetan haben und was sie dir danach noch angetan haben. Du hättest mit jemanden reden sollen, du hättest irgendetwas tun sollen, aber doch nicht zu solchen Mitteln greifen!" Benedict war aufgebracht und Tristan stand auf, um Abstand zwischen ihnen zu gewinnen. Das war zu viel für ihn.
Er konnte Ben verstehen, aber dennoch tat ihm das alles so unglaublich weh.
Es tat ihm doch leid.
Vielleicht war er doch das Monster, für das er sich all die Jahre gehalten hatte.
„Ben, es tut mir leid", hörte er sich nur sagen und er wischte sich die Tränen weg.
„Es tut mir wirklich leid", wiederholte er sich und trat einige Schritte zurück.
Einen Moment herrschte eine unangenehme Stille zwischen den beiden Brüdern. Es war ihm unangenehm und im Grunde konnte er die Entscheidung des Jüngeren sehr gut nachvollziehen.
„Ich denke, du solltest jetzt gehen", kam es dann ruhiger von Ben, der ebenfalls mit den Tränen zu kämpfen hatte. Tristan sah ihm an, dass er das alles gar nicht wollte, aber gerade selbst keinen anderen Weg sah.
„Vielleicht ist es vorerst besser, wenn wir uns aus dem Weg gehen. Ich komme sehr gut ohne dich klar, Tristan. Das habe ich in den letzten Tagen sehr gut herausgefunden", meinte der Braunhaarige, Tristan selbst hob beide Hände und nickte. Obwohl es ihm weh tat, nickte er stumm und versuchte, den Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte.
„Geh jetzt. Ich muss jetzt allein sein. Ich muss nachdenken. Ich muss mit dem Gedanken klar kommen, dass mein Bruder ein Mörder ist."
Es tat weh, so unfassbar weh, aber er akzeptierte es.
Deshalb entschuldigte er sich noch einmal leise bei seinem Bruder, ehe er die Wohnung, so schnell es ging, verließ und sich kurzerhand wieder auf den Straßen New Yorks wiederfand.
Das war ihm zu viel. Er wusste, dass Ben nicht begeistert von seinen Taten sein würde, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass er so verletzend wurde. Er konnte ihn verstehen, aber das war selbst ihm zu viel.
Abstand war das einzig Richtige. Dennoch sollte Ben in dieser Situation nicht alleine sein, weshalb Tristan sein Handy hervorholte, nachdem er ein Stück gegangen war und sich gefangen hatte. Er atmete mehrmals tief durch, ehe er es schaffte, zuerst Eddie eine Nachricht zu schreiben, um ihm klar zu machen, dass es besser war, wenn jetzt jemand bei Benedict war. Dann rief er verzweifelt seine Freundin an, um ihr zu sagen, wie das Gespräch gelaufen war, und sprach dabei seine Ängste aus, seinen Bruder zu verlieren. Und das nur, weil er falsche Entscheidungen im Leben getroffen hatte.
Katie selbst machte ihm den Vorschlag, dass sie sich gleich treffen würden, nachdem sie selbst unterwegs war, um einige Besorgungen zu machen. Tristan wollte und sollte jetzt auch nicht alleine sein. Es war viel passiert in der letzten halben Stunde, Dinge, die nicht in Ordnung waren. Er brauchte jemanden, an den er sich lehnen konnte und der ihm erzählte, dass alles bald wieder besser werden würde.
Er brauchte Katie, denn er wusste nicht, wann und ob er Benedict jemals wiedersehen würde. Seinen Bruder, der extra zu ihm nach New York gezogen war, damit sie nah beieinander sein konnten. Und er hatte alles vermasselt. So allmählich wurde ihm nämlich auch das Ausmaß seiner Taten bewusst und ihm wurde klar, dass er mit den Konsequenzen zu leben hatte, die er hervorbeschworen hatte.
Obwohl er gleich bei Katie sein würde, fühlte Tristan sich so schrecklich einsam in diesem Augenblick. Es war, als hätte man ihm ein weiteres Mal seine Familie einfach so genommen.
Es war, als wäre er wieder vollkommen alleine auf dieser Welt.
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