Kapitel 33
Tristan hatte ein paar Stunden Ruhe finden können und hatte sich am Vormittag dazu entschlossen, seinen besten Freund im Hundesalon zu besuchen und ihm zur Hand zu gehen. Dabei hatte er von diesem Beruf und von Tieren kaum eine Ahnung. Außerdem wollte er sich mit Vergil noch einmal unterhalten, immerhin war dieser sein bester Freund und dieser konnte seine Gefühle nach Rache gewiss am besten verstehen. Das alles war eine komplizierte Geschichte.
Zumindest kam es Tristan kompliziert vor.
Dennoch stand er seinem Freund zur Seite, als dieser versuchte Herr über einen Rauhaardackel zu werden, der sich den Waschprozess alles andere als gefallen lassen wollte. Der Hund hatte seinen eigenen Kopf und versuchte, den Hundefriseur daran zu hindern, ihm wieder wunderschönes Fell zu verpassen. Tristan kam sich vor, wie im OP. nur, dass er nicht der war, der operierte, sondern derjenige, der dem Arzt die richtigen Instrumente reichte, während Vergil hoffte, dass alles so glücken würde, wie er sich das vorstellte und vom Kunden gewünscht war.
„Du willst also zurückkehren?", wollte der Braunhaarige von ihm wissen, während er den angeleinten Hund das Shampoo in das Fell massierte.
„Ich denke schon. Josie und ich haben noch einmal darüber gesprochen in der Nacht und irgendwie ist mir klar geworden, dass es wohl das einzig Richtige ist", erklärte Tristan die Situation, obwohl man ihm ansehen konnte, dass ihm die Sache alles andere als geheuer war. Er fürchtete sich davor, denn er fürchtete sich vor der Wahrheit. Die Wahrheit, dass Katie ihn doch zurückweisen würde oder Ben. Er würde es verstehen, aber es würde ihm das Herz brechen und er hatte keine Ahnung, ob er damit umgehen konnte. Nicht ein weiteres Mal. Ihm war klar, dass er sich das alles selbst zuzuschreiben hatte, aber er hatte lange keinen anderen Weg gesehen und nun fühlte er sich in die Ecke gedrängt.
„Ich muss mich Josie aber anschließen, Tristan. Klar, bist du hier willkommen, wenn du hier bleiben willst oder es doch nicht klappen sollte, aber ich finde, dass du versuchen solltest, das Problem zu lösen", hörte er seinen Freund sagen, der wieder die Hände ruckartig zurückzog, nachdem der Dackel nach ihm schnappte.
„Warum ist diese Rasse eigentlich immer so störrisch?", fluchte Vergil leise vor sich hin, jedoch schien er sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, denn ihm war klar, dass er seinen Job zu erledigen hatte. Wenn man Tristan fragte, hatte er Vergil zuerst gar nicht in diesem Beruf gesehen, schließlich war Vergil lange genug in der Politik tätig gewesen. Das hier war dann doch ein anderer Zweig. Es schien ihm Spaß zu machen und das war das, was zählte, nicht?
Seinen Freund glücklich zu sehen, verleitete ihn zum Lächeln und eigentlich wusste er, dass die beiden hier in Italien durchaus glücklich werden konnten. Sie waren jetzt schon wunderbare Eltern und ihm war klar, dass der kleine Vittorio ihr Glück nur ergänzen und vor allem vollenden würde.
Mehr wünschte er sich nicht.
Nun vielleicht bei sich, denn er hatte sich durchaus eine Zukunft mit Katie ausgemalt. Er wollte sie heiraten, mit ihr sogar Kinder kriegen. Damals, als sie noch verlobt gewesen waren, war das sogar zur Sprache gekommen, nur hatten sie sich dazu entschieden, sich vorerst auf ihre Karrieren zu konzentrieren. Danach konnte alles andere kommen, aber Tristan wurde das Gefühl nicht los, dass es bis dahin weiterhin dauern würde, wenn es überhaupt passierte. Er musste sich mit ihr hinsetzen und darüber sprechen, über alles. Ihr die ganze Wahrheit auf den Tisch legen und darauf hoffen, dass sie ihn deshalb nicht verließ.
Ihm brummte der Kopf, aber es tat ihm gut, zu sich zu stehen, zumindest seinen Freunden gegenüber, die ihm die letzten Tage über eine Menge an Mut zugesprochen hatten und dafür sorgten, dass er wieder auf die Beine kam. Er verdankte ihnen einiges und er hoffte, es ihnen irgendwann zurückgeben zu können. Ganz gleich, in welcher Form.
„Ich trete morgen oder übermorgen die Rückreise an und dann werde ich sehen, was mich erwartet", meinte er leise und entschied sich dazu, sich dem Hund etwas zu nähern, ihm etwas von den Leckerlis zu geben, die Vergil bereitstehen hatte. Beschwichtigung und Bestechung war dann bei Tieren immer der beste Weg. So viel wusste er auch.
„Ich weiß, dass das für dich hart ist, Tristan, aber ich weiß auch, dass das klappen wird. Ich meine, wenn dich jemand versteht, dann ist es Katie. Das wird dir Josephine gewiss auch gesagt haben", sprach Vergil weiter, der vor sich hin lächelte, als ihm klar wurde, dass der Dackel endlich nachgegeben hatte und die Prozedur über sich ergehen ließ. Also konnte er zu dem kleinen Duschkopf greifen und das Shampoo aus dem Fell waschen. Tristan blieb dort stehen und fütterte das Tier mit weiteren Leckerlis, um weitere Zwischenfälle zu vermeiden.
„Ich muss mich meinen Dämonen stellen. Ganz egal, wie es ausgeht. Vielleicht ist das auch der Weg, der richtig ist und mir hilft, damit fertig zu werden. Und sollte mich dort nichts mehr halten, werde ich irgendwo neuanfangen."
„In Ravenna findest du immer einen Platz", versicherte Vergil ihm mit einem Grinsen und Tristan war klar, dass er jederzeit hierher zurückkehren konnte. Italienisch konnte er lernen, er war sprachbegabt, als war das ein Kinderspiel für ihn. Und Ärzte brauchte man überall.
Doch bevor er darüber nachdachte, musste er sich zuerst seinen Liebsten stellen und herausfinden, was sie dachten. Es brachte ihm nichts, wenn er sich die Antworten einredete.
Als das Klingeln vorne im Salon ertönte, sah Vergil auf die Uhr und schüttelte nur den Kopf.
„Im Moment erwarte ich niemanden, kannst du also bitte nachsehen, wer das ist? Ich komme gleich nach." Natürlich kümmerte sich Tristan gerne um die Bitte, während er da war, legte die Schale mit den Hundekeksen auf dem Tisch ab, erntete dabei einen enttäuschten Blick von dem Hund. Er ging nach vorne und musste feststellen, dass er die beiden Personen sogar sehr gut kannte, die hereingekommen waren.
Es waren zwei Frauen.
Eine von ihnen war Josephine, die ihn mit einem entschuldigenden Lächeln ansah.
Die andere war Katie. Kathleen stand mit ihm im Salon und wirkte alles andere als glücklich. Sie war müde, das konnte er ihr ansehen und wenn er ehrlich war, konnte er sich dem anschließen. Viel hatte er in den letzten Nächten auch nicht geschlafen. Erholsam war das alles nicht gewesen.
„Tristan, ich hab sie gerade vom Flughafen abgeholt", hörte er Josephine sagen, die an ihn herantrat.
„Ich habe ihr gesagt, sie soll kommen. Ihr beide müsst das klären. Hier seid ihr weit weg von allem und könnt alles in Ruhe besprechen. Wenn du also auf jemanden sauer sein willst, dann sei es auf mich. Vergil wusste es bis heute morgen auch nicht." Josephine seufzte, doch Tristan blieben die Worte weg. Einerseits war er dankbar dafür, dass Josie Katie Bescheid gegeben hatte, andererseits stimmte ihn das doch sauer, denn war mit einer Konfrontation im Moment nicht vorbereitet gewesen und er war alles andere als ein spontaner Mensch.
Er atmete tief durch und er schüttelte den Kopf.
„Schon gut, Josie. Danke. Früher oder später hätte ich mich all dem trotzdem stellen müssen", hörte er sich trotzdem sagen und versuchte, seinen Ärger nicht herausklingen zu lassen.
„Und wie du dich all dem hättest stellen müssen", nun war es Katie, die das Wort ergriff und ihn eindringlich ansah. Sie hatte recht, das sprach er nicht ab, aber er wusste nicht, ob das jetzt und hier im Salon passieren musste.
Aber es gab kein Halten mehr. Zumindest nicht für seine Freundin. Josephine merkte das schnell und entschied sich dazu, nach hinten zu Vergil zu verschwinden, damit sie reden konnten.
„Du gottverdammter Idiot! Was fällt dir eigentlich ein, einfach zu verschwinden? Dich abzusetzen und keinem von uns etwas zu sagen?" Katie wollte nicht reden. Sie wollte ihrer Wut Luft machen und er ließ sie gewähren. Das hatte er verdient. Sie hatte es verdient, zu sprechen. Deshalb entschied er sich, stehen zu bleiben und ihr zuzuhören.
Es war in Ordnung. Es war an der Zeit.
„Ist dir eigentlich klar, was für Sorgen wir uns gemacht haben? Ben hat nicht einmal eine Ahnung, was passiert ist! Er weiß nur, dass du weg bist! Ich habe ihm gesagt, wir hatten einen heftigen Streit und dass du danach einfach verschwunden bist!" Sie kam näher, in ihrem Blick war der Zorn stark zu erkennen, aber Tristan blieb weiterhin stehen und nickte nur stumm, um ihr zu signalisieren, dass er ihr zuhörte und ihr folgte.
„Du Idiot!" Katie war aufgebracht, den Tränen nahe und sie so zu sehen, sorgte bei ihm dafür, dass er mit sich zu kämpfen hatte, doch Tristan wollte zunächst standhaft bleiben und ihr die Chance geben, sich auszulassen. Sie brauchte das jetzt. Nun war er dran, erst einmal zu schlucken und alles über sich ergehen zu lassen.
Kathleen, die näher kam, blieb am Tresen stehen, auf dem ein Korb mit einigen Proben von Shampoos stand, griff hinein und warf im nächsten Moment damit nach ihm. Er hob zwar die Arme, um seinen Körper oder zumindest sein Gesicht zu schützen, bekam aber doch einiges ab und nachdem er von dem Kampf immer noch etwas angeschlagen war, spürte er das deutlich. Einige Proben hatten empfindliche Stellen erwischt und ehe er sich versehen konnte, stand seine Freundin vor ihm und schubste ihn ein Stück weit nach hinten. Es trieb ihm die Tränen in die Augen, sie so zu erleben. Aber er hatte das verdient. Sehr sogar. Er hatte Mist gebaut, also musste er gerade dafür stehen.
„Kannst du auch endlich mal etwas sagen?", wollte sie wissen und versuchte mit ihren Fäusten auf seine Brust einzuschlagen und obwohl Tristan sie die ersten zwei Schläge gewähren ließ, griff dann nach ihren Handgelenken und hielt sie fest.
„Katie", das war das Erste, was seine Lippen verließ und er suchte mit seinen blauen Augen, die Ihren. Er sah in ihre blauen Iriden und versuchte, anhandessen herauszufinden, was in ihr vorging. Ohne weitere Worte. Doch alles, was er erkannte, war Müdigkeit, Trauer und Wut.
„Es tut mir leid", flüsterte er ihr zu und schluckte schwer. Er wusste doch selbst nicht, was er sagen sollte.
„Es tut dir leid?", kam es wieder aufgebrachter von ihr und sie löste sich aus seinem Griff, nur um ihn wieder ein Stück weit nach hinten zu schubsen.
„Ist dir eigentlich klar, was du damit aufs Spiel gesetzt hast? Du bist einfach verschwunden, ohne dir überhaupt anzuhören, was ich dazu zu sagen habe? Oder Ben? Wir hätten doch über alles reden können! Wir hätten über alles sprechen können! Wir können dir helfen, Tristan!", schrie die Blonde ihn wieder an und er spürte, wie schwer sein Herz wurde.
„Verdammt, Tristan! Kannst du auch endlich mal mehr dazu sagen?"
Was sollte er denn sagen? Es tat ihm doch leid und er hatte eingesehen, dass er einen Fehler gemacht hatte. Das hatte er sich gestern endlich eingestanden.
„Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber ich hatte auch Angst, okay?", entgegnete er ihr endlich und versuchte seine Gedanken endlich in Worte zu fassen. Zumindest seiner Freundin gegenüber.
„Ich hatte Angst, dass ihr mich danach nie wiedersehen wollt. Ich weiß ja, was ich angerichtet habe. Ich weiß, was ich getan habe und warum ich es getan habe. Ich habe den falschen Weg gewählt und das tut mir leid. Aber ich habe jahrelang nichts anderes gesehen als diese verfluchte Rache. Rache an jenen Menschen, die meine Familie auf dem Gewissen haben und sie immer noch bedrohen."
Katie hörte ihm zu, stand vor ihm und schüttelte den Kopf.
„Trotzdem gibt es dir nicht das Recht, einfach zu verschwinden! Wir hätten dich doch nie verraten! Wir brauchen dich doch. Ben braucht dich. Die Leute im Krankenhaus brauchen dich. Und allermeisten brauche ich dich! Gerade jetzt, verdammt!"
Sein Herz setzte einen Schlag aus. Sie so zu hören, so zu erleben, sorgte dafür, dass es brach.
„Scheiße, Tristan. Ich...ich bin schwanger, verstehst du? Ich kann das alles gerade überhaupt nicht gebrauchen! Nicht so!" Bei diesen Worten war sie wieder an ihn herangetreten und hatte sich an ihn gelehnt, während sie endgültig in Tränen ausbrach.
Moment. Sie war was?
Verständnislos sah er sie an.
Stattdessen legte er nur seine Arme um ihren Körper und versuchte sie an sich zu drücken, sie festzuhalten.
„Ich wollte es dir doch schon vor ein paar Tagen sagen, aber dann ist dieser ganze Scheiß passiert und du warst weg. Ich hatte ja keine Gelegenheit. Ich weiß es auch noch nicht so lange und es ist noch relativ früh, aber ich bin es, okay? Und du darfst nicht einfach verschwinden. Nicht so. Das ist auch dein Baby."
Sein Herz wurde immer schwerer. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie er reagieren sollte. Er sollte Vater werden? Katie, seine Freundin war schwanger? Mit einem Baby.
Der Arzt hatte das Gefühl, dass sich die Welt etwas schneller drehte als sonst, weshalb er sich umso mehr an sie klammerte und seinen Kopf an ihren lehnte.
„Es tut mir so unfassbar leid, Katie. Ich habe versagt", flüsterte er ihr zu und strich mit einer Hand durch ihr lockiges, blondes Haar.
„Es tut mir einfach so leid. Ich wusste doch auch nicht, was ich tun sollte. Ich wollte es dir doch immer sagen, aber ich wusste einfach nicht wie. Aus Angst, du könntest in mir ein Monster sehen. Was ich auch bin. Ich habe Weglaufen als einzige Option gesehen. Es tut mir so schrecklich leid."
„Du hättest aber mit mir reden können. Wenn du es bis jetzt nicht getan hast, dann tu es jetzt endlich", forderte sie ihn auf und sah ihn dabei an. Er spürte, wie sie ihm eine ihrer Hände auf die Wange legte und ihm die Tränen wegstrich, die darüber flossen.
„Rede endlich mit mir. Erzähl mir die Wahrheit. Ich habe mich doch schon entschieden. Schon vor Ewigkeiten. Ich habe mich für dich entschieden, aber die Frage ist, entscheidest du dich für mich? Für uns?"
Tristan hatte das Gefühl, nicht atmen zu können. Das alles war zu viel für ihn. Doch er hielt seine Freundin fest, während er gegen neue Tränen ankämpfte.
„Du bist doch die Frau, die ich an meiner Seite haben will bis an mein Lebensende", machte er ihr leise klar, denn im Augenblick hatte Tristan keine Kraft in seiner Stimme.
„Ich liebe dich, Katie und ich weiß, dass ich einen großen Fehler begangen habe. Aber es wird Zeit, dass du endlich die ganze Wahrheit erfährst", sprach er weiter, legte eine zitternde Hand auf ihre Wange und sah sie an.
„Wir sollten reden. Ganz dringend. Ich sollte reden."
„Ja, solltest du, du Idiot", versicherte sie ihm, ehe sie sich wieder in seine Arme fallen ließ, da sie den Halt scheinbar genauso brauchte, wie er.
„Tristan, geht zu uns nach Hause", hörte er plötzlich Josephines Stimme hinter sich und als er sich umdrehte, erkannte er ihre beiden Freunde, die sie lächelnd ansahen.
„Geht nach Hause und klärt alles. Und wenn ihr fertig seid, schreibt eine Nachricht. Dann kommen Vergil und ich auch nach Hause. Aber ich braucht jetzt die Zeit und den Raum. Macht euch wegen uns keinen Kopf."
Er war dankbar für diese Menschen.
„Danke, Josie", bedankte er sich bei ihr, wobei das nicht nur der Möglichkeit galt, gleich mit Katie zu reden, sondern auch, dass sie es eingefädelt hatte, dass seine Freundin hier auftauchte.
„Mach dir keinen Kopf. Und jetzt los. Es gibt eine Menge zu besprechen."
Tristan atmete tief durch, strich sich die Tränen weg und nickte stumm, legte den Arm um Katie, um sie aus dem Salon zu führen, immerhin war es jetzt wichtig, alles auf den Tisch zu legen. Je eher, umso besser.
Deshalb machten sie sich auf den Weg zu Josie und Vergils Haus, wo alles herauskommen würde, was Tristan all die Jahre geschluckt hatte. Es war Zeit.
Und natürlich mussten sie dabei über ihre gemeinsame Zukunft sprechen. Die sie von jetzt an zu dritt beschreiten mussten. Es gab eine Menge zu bereden und zu verdauen, das war klar. Er fühlte sich endlich bereit dazu.
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