Kapitel 28
„Tristan, was ist passiert?", lauteten die ersten Worte, die ihre Lippen verließen. Katie kam ein Stück näher und musterte ihn, jedoch sah man ihr an, dass sie verwirrt war und dass sie versuchte, einen gewissen Sicherheitsabstand zu bewahren. Es verunsicherte sie und Tristan selbst wusste nicht, wie er reagieren sollte. Das war ihm doch zu viel. Am liebsten wäre er wieder umgedreht und gegangen, aber es war klar, dass er sich der Sache stellen musste. Und zwar endgültig. Ganz egal, wie das hier ausgehen würde.
Er versuchte, die Ruhe zu bewahren, während ihm gleichzeitig das Herz bis zum Hals schlug und drohte, seinen Körper zu verlassen. Er hatte Angst. Große, schreckliche Angst. Angst vor der Zukunft, Angst davor, dass es jetzt hier und gleich zu Ende sein würde mit seiner Beziehung. Er fürchtete sich davor, Kathleen das letzte Mal in seinem Leben zu sehen. Es war vorbei. Er hatte einen großen Fehler begangen und musste dafür geradestehen und mit den Konsequenzen leben.
Es herrschte eine Totenstille zwischen dem Paar, Tristan fand keine Worte, kämpfte gegen die Tränen in seinen Augen an und wusste einfach nicht, ob er ihr näher kommen oder ob er nicht die Flucht ergreifen sollte.
Es war alles zu viel und er war sich sicher, dass Katie sich im Moment das Gleiche dachte. Konnte er ihr das antun?
„Tristan", ihre Stimme war nur mehr ein Hauchen und es war sie, die es wagte, einige Schritte an ihn heranzutreten. Dabei beobachtete er, wie sie vorsichtig ihre Hand nach seiner geschundenen Wange ausstreckte, um ihn dort zu berühren. Doch dieses Mal schreckte er zurück und ließ es nicht zu. Er ertrug es nicht. Er ertrug jetzt keine Berührung von ihr. Das alles wäre zu schmerzvoll. Es würde ihm nur das Herz brechen.
„Rede doch mit mir", forderte sie ihn auf, dabei versuchend Kraft in ihrer Stimme zu finden und stark zu sein. Gerade versuchte sie, stark für sie beide zu sein. Genau, wie sie es immer tat.
Dafür bewunderte der Mann sie. Er bewunderte sie dafür, dass sie es schaffte, selbst in solchen Situationen, stark zu sein, eine Stimme zu haben und eine Lösung finden zu wollen. Er konnte das nicht. Tristan war bislang immer vor seinen Problemen davon gelaufen und war im Moment ebenfalls im Begriff, genau das zu tun. Weglaufen. Es war einfacher, als sich seinen Problemen zu stellen.
„Ich..Ich kann nicht", flüsterte er, kraftlos und selbst nicht wissend, was er sagen sollte.
Doch Katie schien nicht aufgeben zu wollen. Sie kam näher und wagte einen weiteren Versuch, ihn noch einmal zu berühren. Doch Tristan schüttelte nur den Kopf, spürte eine gewisse Wut dabei in sich aufkommen. Er ballte die Hände zu Fäusten und spürte das Zittern seines Körpers. Es war ein Kampf für ihn, den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken.
„Fass mich nicht an!", schrie er sie an und drückte sich an die Haustür. Er fühlte sich wie ein wildes Tier, das in die Ecke getrieben worden war. Er sah keinen Ausweg.
„Tristan, ich...ich möchte dir doch nur helfen. Lass mich dir doch helfen. Ich möchte doch nur wissen, was los ist. Was ist geschehen?" Nun bildeten sich Tränen in ihren Augen und Katie schien der Verzweiflung relativ nahe.
„Ich bin wach geworden und du warst nicht da. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du warst nicht erreichbar. Dein Handy ist einfach aus und dann habe ich Ben und Eddie anzurufen. Die wussten auch nicht wo du bist. Also dachte ich, du wärst im Krankenhaus, aber dort wusste auch niemand von dir." Ihre Stimme zitterte und sie schlang ihre Arme um ihren Oberkörper.
„Was ist denn mit dir passiert?", wollte sie wissen, aber Tristan kämpfte mit der Angst.
Ihm war schwindelig.
„Wenn ich es dir sage, wäre das unser Ende, Katie", hörte er sich leise sagen.
„Wenn ich es dir sage, wirst du mich nie wiedersehen wollen", erklärte er sich, versuchte, dabei seine Stimme zu finden und räusperte sich.
„Du weißt, dass ich alles verstehen würde, Tristan. Das habe ich dir doch schon so oft klar gemacht. Ich habe es dir doch schon so oft gesagt."
Doch der Mann schüttelte nur den Kopf und versuchte, ein verzweifeltes Lachen zu unterdrücken.
„Dieses Mal nicht, Katie. Ich habe Schreckliches getan und ich weiß, dass du mir das niemals verzeihen würdest." Er war aufgewühlt, innerlich zerrissen. Er hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Deshalb schob er sich an ihr vorbei, um zumindest ins Wohnzimmer zu gelangen. Tristan brauchte Raum, denn er hatte das Gefühl zu ersticken.
„Aber gerade deshalb solltest du mir doch sagen, was los ist. Ich denke nämlich, ich sollte mir selbst ein Urteil bilden und selbst entscheiden, ob es schrecklich war, was du getan hast oder nicht." Nun klang Katie schnippisch, die ihm folgte und die Hände in die Hüften stemmte.
Tristan blieb stehen, mit dem Rücken zu ihr gewandt, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Er wagte es nicht, sie anzusehen. Das ertrug er einfach nicht. Nicht hier, nicht jetzt im Moment.
„Tristan, bitte!", flehte sie ihn an und er spürte, wie sie einige Schritte näher kam.
„Du willst es wirklich wissen?", fragte er sie, drehte sich nur leicht zu ihr um, auch wenn er es vermied, ihren Blick zu suchen.
„Natürlich will ich das wissen. Ich mache mir Sorgen. Seit Wochen bist du wieder komisch drauf...Das ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch Ben. Was ist mit dir los? Warum siehst du so aus? Wer hat dir das angetan?" Nun war sie es, die aufgebracht klang und darauf beharrte die Wahrheit zu erfahren.
Doch Tristan drehte sich nicht um, sondern schüttelte nur den Kopf. Wie sollte er ihr das erklären?
„Ich habe mich um ein Problem gekümmert. Ein Problem, das uns allen zum Verhängnis geworden wäre, wäre ich nicht eingeschritten", presste er durch die zusammengebissenen Zähne durch, denn es war wahrhaftig ein Kampf für ihn, das alles überhaupt auszusprechen. Vor allem, weil er sich vorgenommen hatte, es nicht zu tun und für sich zu behalten.
„Was für ein Problem, Tristan? Soweit ich weiß, war doch nichts."
„Weil ich versucht habe, euch da nicht mit hineinzuziehen. Ihr hättet das alles auch nicht mitbekommen sollen. Es ist aber etwas schief gelaufen und jetzt sehe ich nun einmal aus, wie ich aussehe."
Katie wirkte fassungslos. Sie Schie keine Worte zu finden, denn obwohl er sie nicht direkt ansah, bemerkte er, dass sie versuchte, den Mund immer wieder zu öffnen, schloss diesen aber wieder.
„Katie, wir...ihr wart in Gefahr und ich konnte nicht zulassen, dass euch etwas zustößt. Weder dir, Ben oder Eddie. Das kann ich doch nicht zulassen."
Die Frau fuhr sich durch das wirre, blonde Haar und schüttelte den Kopf.
„Ich verstehe nicht, Tristan. Was zur Hölle ist passiert? Ich möchte es einfach nur verstehen. Was für eine Gefahr? Warum sagst du nichts? Wir hätten doch zur Polizei gehen können!" Sie wurde lauter, doch der Arzt schüttelte nur den Kopf.
„Die Polizei hätte uns nichts gebracht. Genau, wie sie uns oder mir damals nichts geholfen hat."
Nachdem er diesen Satz ausgesprochen hatte, herrschte wieder eisige Kälte und vor allem Stille zwischen ihnen. Tristan konnte sich vorstellen, dass bei Katie allmählich der Groschen gefallen war.
„Warte", versuchte sie die Situation ein wenig zu drosseln und hob verständnislos die Arme.
„Hat das was mit damals zu tun?", stellte die Ärztin die richtige Frage und kam weitere Schritte näher an ihn heran. Tristan schluckte und brauchte einen Moment, bis er es schaffte, den Kopf von oben nach unten zu bewegen, um so ein Nicken anzudeuten.
„Aber warum sagst du dann erst recht nichts, Tristan? Ich...ich bin deine Freundin! Wir sind verlobt gewesen! Ich, vielleicht kann ich dir doch helfen! Ich habe dir doch gesagt, dass du da nicht alleine durchmusst!" Sie wurde lauter und eigentlich hoffte der Mann darauf, dass das hier nicht ausarten würde und andere davon mitbekamen.
„Doch, das muss ich aber alleine durchmachen, Katie! Du...ihr wisst doch eigentlich gar nicht, was wirklich abgeht!", brachte er hervor, hatte die notwendige Kraft, um sich zu ihr umzudrehen.
„Dann wird es höchste Zeit, dass du endlich mit der Sprache rausrückst, Tristan!" War da ein Hauch von Wut? Etwas Zorn?
Nun reichte es ihm, er hielt das alles nicht mehr aus. Ihm war schwindelig, in seinem Kopf drehte sich alles und seine Angst wandelte sich ebenfalls in Wut. Vielleicht sogar in Verzweiflung.
„Denkst du, es ist einfach zu sagen, dass diese Leute, die hinter all dem gesteckt haben, immer noch hinter einem her sind? Dass sie mir nie Ruhe gelassen haben und ich zwei von sechs Männern umgebracht habe? Davon einen diese Nacht?"
Er war aufgewühlt, aber das, was er im Moment aussprach, kam überraschend ruhig über seine Lippen. Das verwirrte ihn gleichermaßen, wie es Kathleen tat, aber nun war es raus und eigentlich brauchte er auch nicht mehr gegen die aufsteigenden Tränen zu kämpfen.
„Du...hast was getan?", flüsterte sie und raufte sich erneut das Haar, nicht glaubend, was hier ausgesprochen wurde.
„Katie, ich bin ein Mörder. Ich...ich bin ein Monster. Seitdem ich erfahren habe, dass einer dieser Typen bei Ben im Krankenzimmer gewesen war, habe ich alles daran gesetzt, ihn ausfindig zu machen und ihm das zu geben, was er verdient hat. Noch bevor er irgendetwas tun konnte." Sein Herz schmerzte, während es ihm heftig gegen den Brustkorb hämmerte.
„Ich bin ein gottverdammtes Monster, Katie. Das ist das, was diese Männer aus mir gemacht haben. Das ist das Werk von Grayson Lapointe. Dem Kopf dieser ganzen Geschichte."
Tristan stand da und starrte seine Freundin an, die weiterhin nicht zu glauben schien, was hier passierte.
„Warum hast du nichts gesagt? Tristan, ich hätte dir doch helfen können...irgendwie."
Der Schock stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben und eigentlich hatte er genau das vermeiden wollen. Er wollte Katie nicht leiden sehen. Das ertrug er viel weniger, als ihr die Wahrheit sagen zu müssen.
Deswegen bekam er kein Wort mehr heraus. Nur Katie schien weitere Fragen zu haben.
„Und Ben? Weißt er davon?", wollte sie wissen.
Tristan schüttelte den Kopf.
„Nein. Er hat mir davon erzählt, aber er denkt, dass das alles ein Albtraum war. Das habe ich ihm eingeredet, damit er keine Angst bekommt. Er soll es also auch gar nicht erfahren", erklärte er ruhig und sah sie an.
„Oh Tristan...ich...ich wünschte, du hättest etwas gesagt."
„Ich konnte nicht. So sehr ich es gerne gewollt hätte, aber ich konnte nicht. Und es ist jetzt besser, wenn ich gehe. Ich denke nicht, dass es gut wäre, wenn wir so weitermachen. Es ist nur zu eurem Schutz." Es tat ihm weh, diese Worte auszusprechen, aber sie waren notwendig. Notwendig, um sich abkapseln zu können.
„Nein, das kannst du nicht tun! Du kannst jetzt nicht einfach verschwinden!"
Er sog die Luft hörbar ein und schüttelte den Kopf.
„Doch kann ich und ich werde gehen, Katie. Ich denke, es ist besser so. Vielleicht war es ein Fehler, es überhaupt noch einmal mit dir versuchen zu wollen, obwohl ich wusste, dass ich noch so viele Rechnungen offen habe. Ich kann damit nur abschließen, wenn ich es selbst zu Ende bringe."
Nun liefen bei Katie die Tränen über die Wangen.
„Das tust du nicht, Tristan Livingston! Du wirst hier bleiben und mir alles erklären, verdammt nochmal!" Sie schrie ihn an, nachdem ihr klar wurde, was er ihr damit sagen und vor allem bezwecken wollte.
„Du rennst nicht vor deinen Problemen davon, denn ich weiß jetzt darüber Bescheid und ich werde dich nicht gehen lassen!" Sie kam auf ihn zu, um sich an ihm festzuhalten und für einen Moment ließ der Arzt sie gewähren, ehe er sie in eine Umarmung zog und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte.
„Es ist aber das Beste, Katie. Ich bringe euch nur in Gefahr und ich könnte es mir nicht verzeihen, dass man meiner Familie erneut Schaden zufügt. Nicht, wenn ich es verhindern kann. Ich werde gehen, zu eurem Besten. Man wird mir nichts nachweisen können. Hat man schon vor Jahren nicht", sagte er leise, strich ihr dabei sanft durch das Haar und wagte es nun, ihr kurz in die Augen zu sehen.
„Zu unserem oder deinem Besten, Tristan?", stellte sie ihm die wichtige Frage und unterdrückte dabei ein Schluchzen.
„Katie, lass mich gehen. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, vielleicht schaffe ich es dann, dir die ganze Wahrheit zu sagen, dir meine ganze Geschichte zu erzählen, aber im Moment weißt du schon zu viel und das ist gefährlich", versuchte er ihr zu erklären, dabei wusste er selbst, dass das nicht wahr war. Eigentlich hatte er nicht vor, wiederzukommen. Er war auf einer Mission und die musste er zu Ende bringen.
„Das kannst du nicht tun", entgegnete sie ihm ein weiteres Mal und hielt seine Hände fest.
„Es tut mir leid, dass du dich in einen so kaputten Mann, wie mich verliebt hast, Katie. Ich habe nie vorgehabt, dir weh zu tun. In keiner Weise. Das hast du nicht verdient. Aber du hast es verdient, glücklich zu werden. Vielleicht klappt das besser ohne mich."
Sie sah ihn mit großen, glasigen Augen an und schüttelte den Kopf.
„Hör auf, solch einen Unsinn zu reden!", schrie sie ihn an, löste dabei ihre Hände von seinen und schlug mit ihren Fäusten gegen seine Brust. All das schnürte ihn, aufgrund der Schmerzen, die Luft für einen Moment ab, aber Tristan versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Nicht hier, nicht jetzt.
„Es tut mir leid, Katie."
„Und dein Bruder? Willst du ihn jetzt auch einfach so zurücklassen?"
Sie schaffte es immer und immer wieder, ins Schwarze zu treffen.
Und das tat weh.
„Es bleibt mir keine andere Wahl."
Tristan legte eine Hand auf ihre Wange, sah ihr in die Augen und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Ich liebe dich, Kathleen Dunham. Das habe ich immer und werde ich immer tun. Aber es ist besser so." Tristans Lippen zitterten, es schmerzte, diese Worte auszusprechen, im Glauben, es könnte das letzte Mal sein, dass er das zu ihr sagen durfte.
„Tristan, hör endlich auf, so ein Idiot zu sein!"
Doch ihre Worte prallten an ihm ab. Anstatt ihr etwas zu antworten, ließ er von der Frau ab, die alles daran setzte, ihn bei sich zu behalten, ihn festhalten zu können.
„Bleib hier!", rief sie ihm nach, als er sich die ersten Schritte von ihr entfernte und er die Richtung der Wohnungstür einschlug.
„Tristan, bitte! Wir können doch über alles reden! Wir haben alles bis jetzt gemeistert. Wir beide! Hast du das etwa vergessen?" Er wusste nicht, wie laut sie war, er vernahm die Frau nur mehr aus einer Wolke an Watte, die sich um ihn herum gebildet hatte. Er fühlte sich im Moment so, wie damals, kurz bevor er das Bewusstsein für mehrere Tage verloren hatte.
„Ich liebe dich!"
Das waren die letzten drei Worte, die er von Kathleen hörte, nachdem er die Wohnung verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er lief die Treppen sofort hinunter und hoffte, dass sie ihm nicht folgen würde. Sie brauchten nicht noch öffentliche Aufmerksamkeit.
Mit schwerem Herzen verließ er das Haus, ohne einen Blick zurückzuwerfen, aus Angst, sie könnte hinter ihm stehen. Allein ihren Blick zu sehen, würde sein Herz nur noch mehr in viele tausend Teile sprengen. Das allein würde genügen.
Stattdessen versuchte er, sich schnellstmöglich in seinen Wagen zu setzen und davon zu fahren.
Er musste hier weg. Für eine unbestimmte Zeit. Er wusste nicht, ob er jemals wieder zurückkehren würde, ob er seine Freundin und seinen Bruder je wiedersehen würde. Er wusste nicht, ob er das alles überleben würde, wenn er erst einmal weitermachte. Er wusste nicht, ob er nicht doch gefasst werden würde bei seinem Racheakt. Aber er wusste, dass er das tun musste. Er musste das tun, um endlich mit all dem Abschließen zu können. Es war zum Wohle all jener, die er liebte.
Und eigentlich gab es für Tristan ein einziges Ziel.
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