Kapitel 42
"She wasn't sad anymore, she was numb.
And she knew somehow, numb was worse.
-Atticus
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Camila
Das erste Mal, seit ich denken konnte, hatte ich Angst vor einem Montag. Im Rosario waren noch keine Gäste eingetroffen und wo ich sonst mit der Stereoanlage meine Gedanken ausgeblendet hatte, blieb es heute totenstill. Nachdem ich eine Woche lang keinem Menschen geglichen und nur existiert hatte, arbeitete ich wieder. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich polierte die Tische und Maschinen bis sie glänzten und ordnete die Leckereien, die Juans Frau zubereitet hatte, auf hundert verschiedene Weisen an. Die Tür ging auf und mein Boss nahm mich wortlos in den Arm, bevor ich begriff: Ich war völlig allein. Vermutlich war es mein Schicksal, das Glück nicht lange halten zu können. Und es doch jeden Tag zu suchen.
Ein Atemzug nach dem anderen.
Juan löste sich von mir und wischte eine Träne weg, die ich nicht an meiner Wange gespürt hätte, wenn mein Leben davon abhinge. Sein Blick war ernst und undurchdringlich und doch traf mich sein Mitgefühl bis ins Mark.
„Wie geht es dir?", fragte ich.
Ich zuckte die Schultern und schluckte Tränen hinunter, die so oder so fließen würden.
Ich weiß nicht, wie es mir geht, Juan.
„Nur damit eine Sache klar ist." Die Autorität in der Stimme meines Chefs war nicht zu überhören und aus irgendeinem Grund erleichterte mich das. Ich war immer noch die Alte. Zumindest behandelte er mich so.
„Du weißt, dass ich Phoebes Aktion mehr als nur nicht in Ordnung finde, aber ich möchte, dass ihr euch, während eurer gemeinsamen Schichten in diesem Laden zusammenreißt. Eure privaten Probleme haben hier nichts zu suchen und ich denke, ihr seid erwachsen genug, professionell zu agieren. Ich brauche euch und kann und werde keine entlassen, weil wir sonst in unglaublicher tiefer Scheiße stecken würden. Ich verlasse mich auf euch beide, Camilita. Hast du mich verstanden?"
Juan zog seine Augenbrauen zusammen und mein Herz tat es mir gleich. Erst, als ich mich räusperte, registrierte ich, wie trocken mein Hals war. Als hätte ich seit Jahren kein Wort gesagt. Wasser. Ich brauchte dringend Wasser.
„Tja, ich denke, das musst du nicht mehr." Rosario tauchte wie aus dem Nichts hinter ihrem Mann auf und schlang ihre Arme um seine Taille. Den winzigen Stich der Eifersucht in meiner Brust ignorierte ich geflissentlich.
„Phoebe hat heute Morgen gekündigt."
Unsere Kinnladen rasten beinahe zeitgleich nach unten. Es hätte mir egal sein müssen, was Phoebe Torres tat. Doch so sehr ich mich darum bemühte – das war es nicht. Und ganz egal, wie viel Schmerz mir der Mensch zugefügt hatte, von dem ich niemals erwartet hatte, dass er dazu imstande war, so wusste ich doch eines: Das kleine Cafe, in dem sich unsere Leben synchron abgespielt hatten, würde ohne sie nicht dasselbe sein.
Ich sah, dass Juan die Frage nach dem Warum auf der Zunge lag, doch er sprach sie nicht aus. Stattdessen nickte er und begab sich in einen der Lagerräume.
Rosario umarmte mich kaum, dass ihr Mann aus unserem Sichtfeld verschwunden war und sagte... Nichts. Gar nichts. Bis sie es doch tat.
„Phoebes Freund hat mich angerufen", begann sie und mir fiel siedend heiß ein, dass es noch jemanden gab, der in dieser ganzen Sache den Kürzeren gezogen hatte: Ethan.
Ich nickte nur und ließ Rosario weitersprechen.
„Er und Phoebe gehen für eine Weile nach Boca Raton. Die beiden haben in letzter Zeit ziemlich viel und lange miteinander gesprochen und es soll wohl so etwas wie ein Neuanfang werden."
Ich wartete und wartete. Darauf, dass der Schmerz und Neid darüber einsetzten, dass sie einfach so davonkam und weiterlebte. Doch nichts passierte. Ich war wie betäubt und hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, etwas und nichts zu fühlen.
„Ich weiß, dass es sehr unangebracht ist, das dir gegenüber zu sagen, aber... Phoebe hat es nicht einfach. Sie hat einen Fehler gemacht und der Mensch, der ihr niemals vergeben wird und sie am meisten hasst, ist sie selbst."
Nicht nur sie selbst wird nicht mehr vergeben.
Ich biss mir auf die Unterlippe.
„Ethan muss sie wirklich lieben, oder?"
Ich wusste, dass ich kein Recht hatte, diese Frage zu stellen, doch meine Seele war – wie immer – schneller gewesen, als mein Verstand. Rosario legte eine Hand auf meine Schulter und ließ mich erneut zerbrechen. Vielleicht brauchten wir das alle an einem gewissen Punkt in unserem Leben. Menschen, in dessen Gegenwart wir zerfielen und genug Zeit hatten, wieder ein Ganzes zu werden. Oder so etwas Ähnliches zumindest.
„Ich weiß nicht, wieso sie getan hat, was sie getan hat, aber ich wage es zu sagen, dass es nichts zu bedeuten hatte. Sie liebt deinen Freund nicht..."
„Ex-Freund", fuhr ich dazwischen. „Shawn ist mein Ex-Freund."
Rosario räusperte sich. „So sollte es aber nicht sein, oder? Es gab immer nur Shawn und dich. Ethan und Phoebe. Auch wenn es passiert ist, bin ich davon überzeugt, dass sie nie die Absicht hatte, all das zu zerstören."
Ich schloss die Augen und grinste. Verzweifelt und nicht einmal annähernd echt.
„Ros, ich kann nicht einfach... Wenn an allem, was du mir gerade erzählt hast, auch nur irgendwas dran ist, soll sie mir das ins Gesicht sagen."
„Deswegen bin ich hier."
Wir fuhren herum und mein Herz sank tief und immer tiefer. Phoebe und ihr Freund standen im Türrahmen. Ethan flüsterte ihr etwas ins Ohr und beinahe war ich froh, dass zwischen den beiden noch so etwas wie wahre Liebe existierte. Eines war ganz gewiss: Egal, von wie vielen Narben ein Mensch gezeichnet war, ganz gleich wie viel Schmerz er anderen zugefügt hatte – jeder brauchte Liebe. Jeder verdiente sie.
Und dann war ich mit der Frau, die einmal meine beste Freundin gewesen war, alleine.
„Können wir reden?", fragte sie. Nichts an Phoebe ähnelte der Version ihrer selbst, die ich geglaubt hatte, so gut wie meinen Handrücken zu kennen. Sie sah ungeheuer müde aus, als hätte sie das Leben innerhalb kürzester Zeit gezeichnet und besiegt. Immerhin hatten wir diese eine Sache noch gemeinsam.
„Ich weiß nicht, worüber du und ich noch reden sollten", gab ich zurück und trat ein paar Schritte nach hinten. In einem anderen Leben wäre es schmerzhaft gewesen, wie weit weg wir tatsächlich voneinander waren, doch nicht hier. Nicht jetzt.
„Mir würden ein paar Dinge einfallen."
Gott, steh mir bei.
„Wie zum Beispiel, dass du den Mann, den ich liebe, geküsst hast und mir jetzt erklären willst, dass es überhaupt nichts zu bedeuten hatte? Rein gar nichts?"
Ich kam nicht gegen den Sarkasmus in meiner Stimme an. Die gesamte Situation war einfach viel zu unwirklich.
„Camila, es... Es tut mir leid. Das tut es wirklich. Aber es war... Es ist nicht so einfach, wie..."
Ich lachte. Ich lachte bitter, um nicht an Ort und Stelle in Tränen auszubrechen.
„Nicht? Es sah aus, als würde dir nichts leichter fallen, als mein Herz bluten zu lassen. Soll ich dir was sagen? Es hört nicht auf, zu bluten, Phoebe. Es hört einfach nicht auf. Bist du zufrieden? Ist es das, was du wolltest? War das der Plan?"
„Du hast ja keine Ahnung", zischte sie und obwohl er es nicht sollte, machte mir der Unterton, der in ihrer Stimme mitschwang, Angst.
„Denkst du, es hat Spaß gemacht? Immer die zweite Wahl zu sein? Es war ein verdammt beschissenes Gefühl, zu wissen, dass alle Typen immer zuerst dich angebaggert haben und ich der Trostpreis dafür war, dass du sie hast abblitzen lassen. Ich wollte, dass einmal etwas mir gehört. Und ich weiß, wie krank das klingt, weil Shawn immer nur dir gehört hat und du ihm. Aber in dieser Nacht hat es sich zum ersten Mal so angefühlt, als ob ich... Als ob ich die Kontrolle über etwas hätte."
Schon längst war mir alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und der Boden unter mir wackelte gefährlich. Vielleicht war es aber auch nur ich selbst. Wer wusste das schon?
„Ich glaube das einfach nicht...", murmelte ich und raufte mir die Haare, um nicht zu schreien. Das konnte gerade nicht wirklich passieren. Der Scherz war viel zu mies. Viel zu geschmacklos.
„Deshalb hast du Shawn geküsst? Nur deshalb?"
Sie öffnete den Mund, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. Mir war heiß und ich würde ausrasten. Nur noch nicht jetzt. Ich musste noch so tun, als on ich klarkam. Doch, das tat ich nicht. Nicht einmal ansatzweise.
„Was ist mit Ethan, hm? Warst du so versessen darauf, dir etwas zu nehmen, das du nicht haben konntest, dass du nicht kapiert hast, wer dich liebt? Wer dich wirklich liebt?
„Denkst du, es ist mir nicht aufgefallen?", keifte Phoebe. „Dass er vor mir dich angesprochen hat? Er wollte gar nichts von mir, ich war bloß einfach zu haben!"
„Er hat mit mir über dich gesprochen, du blöde Kuh!"
Es schmerzte, auf diese Weise mit ihr zu sprechen, doch ich konnte nicht mehr. Phoebe schwieg. Offenbar hatte sie mit meinem letzten Satz nicht gerechnet.
„Was willst du mir damit sagen?"
„Ethan hat mich angesprochen, um herauszufinden, wer du bist, Phoebe. Deinen Namen. Er wollte wissen, wer das Mädchen ist, in das er sich Hals über Kopf verliebt hat."
Sie öffnete ihren Mund und schloss ihn wieder. „Du meinst...?"
Beinahe hätte ich gelacht. „Das meine ich. Ethan wollte immer nur dich. Er ist der, auf den du gewartet hast und ich weiß... Aus irgendeinem Grund weiß ich, dass du ihn lieben wirst. Du wirst Ethan immer lieben, Phoebe Torres."
Meine ehemals beste Freundin sagte kein Wort mehr. Ich beobachte die Erkenntnis dabei, wie sie langsam ihr Inneres erfüllte. Jede Pore.
„Scheiße..."
In der Tat.
Ich wusste nicht, was über mich kam, als ich die nächsten Worte aussprach, doch sie waren stärker als ich.
„Alle Menschen machen Fehler, Phoebe. Selbst die Menschen, die wir lieben."
Sie blickte auf und ihre Augen glänzten. Doch die Zeiten, in denen ich dafür sorgen sollte, dass sie Trost fand, waren nicht länger unsere.
„Camila, kann ich dich etwas fragen?"
Ich tat etwas, das ich von dem Mann gelernt hatte, an den ich nicht länger hätte denken sollen. Ich wartete.
„Denkst du, wir kriegen das irgendwann wieder hin?"
Es tat weh, wenn Abschiede mehr oder weniger endgültig waren.
„Ich weiß es nicht", sagte ich.
„Das klingt doch besser als ein Nein."
Ein kurzes Leben voller Schweigen verging.
„Du übrigens auch", sagte Phoebe irgendwann.
Verständnislos sah ich sie an.
„Auch du wirst immer einen einzigen Mann lieben. Dessen bin ich mir absolut sicher, auch wenn ich euch in die Quere gekommen bin. Du liebst Shawn und er liebt dich. Er liebt dich so sehr."
Ich schluckte schwer. „Phoebe, ich denke nicht, dass wir darüber..."
Sie grinste traurig. „Ach, komm schon. Als ob dein Herz jemals für jemand anderen schlagen würde. Es gab immer nur euch beide."
Wieder wurde es still, bevor die Frau, über die ich nichts mehr wusste, sich räusperte.
„Mach's gut", murmelte Phoebe.
Sie ging schneller, als ich blinzeln konnte. Erst als die Tür hinter ihr zufiel, erwachte ich aus meiner Starre.
„Du auch."
Ich weinte, bis mein Handy vibrierte und der Schmerz sich mit voller Kraft zurückmeldete.
Shawn: Können wir reden?
Ich liebe dich.
Ich: Nein.
Shawn: Okay.
Shawn: Ich liebe dich.
Auch wenn es auf der Hand lag, dass wir nicht wieder funktionieren würden, lernte ich in diesem Augenblick eine weitere Wahrheit kennen. Ich würde dasselbe tun. Solange mein gebrochenes Herz schlug.
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Und weiter geht's! <3 Ich hasse es übrigens auch, dass die beiden nicht zusammen sind, ihr könnt mir glauben ;(
Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel trotzdem. <3
Love,
Maggie <3
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