Kapitel 35
"She found the colours to paint him where the world had left him grey."
-Atticus
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Shawn
In Portland wurde es Ende August kühler, ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass der Herbst sein Kommen ankündigte. Eigentlich liebte ich diese Jahreszeit fast so sehr, wie den Sommer, weil sie der lebende Beweis dafür war, dass jedes Ende einen noch schöneren Anfang bereithielt. Doch dieses Jahr wollte ich, dass er gar nicht kam. Denn der Herbst bedeutete, dass meine Tour in Asien weiterging und ich nicht nur meine Familie, sondern auch die Frau, die mir gerade in einem kleinen Diner gegenüber saß – meine große Liebe – zurücklassen und mich meinem größten Feind stellen musste: Der Einsamkeit. Denn es spielte keine Rolle, wie viele Menschen meinen Weg kreuzten oder den gleichen gingen wie ich. Nachts, wenn nur noch die Sterne sahen, was ich tat oder nicht, war ich alleine, egal ob meine Freunde neben mir grölten und tanzten oder sogar mein Manager Alkohol trank. Ich liebte meine Fans mehr als sie jemals verstehen würden und doch waren mein Zuhause meine Eltern, Aaliyah und eine wundervolle Seele, die wusste wie sich meine fühlte. Und wenn sie nicht da waren, wurde es viel zu still. Es glich beinahe einer Schande, es zu denken, aber manchmal war das Schweigen der Nacht lauter als der Rest meiner Welt und ließ meine Ohren mehr leiden, als es das Kreischen irgendeines Mädchens gekonnt hätte.
„Was ist los?"
Etwas schneller, als mir lieb war, holte mich meine Freundin in die Gegenwart zurück.
Ich will nur noch kurz so tun, als ob alles anders wäre. Das ist los.
Ich antwortete und sagte trotzdem nicht ein Wort.
„Ach, gar nichts. Es tut mir leid, dass ich nicht ganz anwesend bin."
Camila zog die Brauen zusammen und verfestigte wie von selbst ihren Griff um meine Hand. Ich schluckte schwer und nahm billigend in Kauf, dass Tränen hinter meinen Augen hervorkrochen.
Großartig. Verfickt großartig.
„Shawn. Shawn... Ich bin es. Nur ich, Babe. Bitte sprich mit mir und sag mir, was dich quält. Ich will... Ich will und ich muss für dich da sein." Camila seufzte anstrengend, als ob es sie ebenfalls alle Kraft kosten würde, gefasst zu bleiben. Wir waren absolut verkorkst und kaputt, doch ich liebte uns dafür. Ich liebte jedes einzelne ihrer verbogenen Teile und Atome, die Frage war bloß, wie lange sie mich und meine noch lieben würde. Ich durfte sie nicht verlieren. Ich durfte und konnte es nicht, und wenn das bedeutete, mich zu verstecken und ihr einen Filter meiner Selbst zu zeigen, dann war es eben so.
„Es ist nichts, Honey. Versprochen."
Und nichts ist manchmal eine ganze Menge.
Ich brachte es nicht übers Herz zu lügen und zu lächeln. Den Menschen, die alles für mich waren, fügte ich bereits durch ganz andere Dinge Schaden zu.
„Weißt du was? Ich glaube dir nicht."
Pause.
Wieder seufzte Mila und ließ meine Hand los. Mein Herz brannte, doch meine Freundin erhob sich von ihrem Platz um sich schneller als das Licht auf meinem Schoß niederzulassen und ihre Arme um meinen Hals zu schlingen. Sie küsste mich und dann kapitulierte ich und fing an zu heulen.
Nein. Nein, bitte nicht.
Ich schloss die Augen, um nicht in Camilas verletztes Gesicht starren zu müssen und grinste. Ich grinste heulend. Ich heulte grinsend. Zur Gänze echt, und zur Gänze verzweifelt.
„Macht es noch Sinn, etwas zu leugnen?", fragte ich, vollends wissend, was die Antwort war. Was tat man nicht alles, um das Unvermeidliche noch ein Stück hinauszuzögern.
„Das würde ich dir nicht empfehlen."
Ich nickte, so als ob ich bereit war, die Wahrheit zu sagen. Aber das war ich kein bisschen. Ich wusste ja nicht einmal, was sie war. Trotzdem fing ich an, zu sprechen und fühlte mich mir selbst näher und gleichzeitig ferner als jemals zuvor.
„Ich habe Angst."
Die Wahrheit bestand aus drei simplen, mickrigen Worten. Mehr bekam ich nicht auf die Reihe.
Milas Lippen teilten sich, als wären sie begierig etwas zu erwidern, doch ich wusste, dass sie das nicht tun würden. Meine Freundin fühlte und wartete.
Sie sieht mich.
Eine zementschwere Last glitt langsam von meiner Seele, als sie ihre kleine Hand in meinem Haar vergrub und fragte:
„Was macht dir Angst?"
Ich hielt inne und versuchte in Camilas Augen einen neuen Weg für meine Worte zu finden, ohne dabei wie ein Fünfjähriger zu klingen.
„Ich... Ich will hier nicht weg", gab ich leise zu und starrte auf die Schwalbe an meiner Hand. Die Worte lagen schwer auf meiner Zunge und ich glaubte für einen kurzen Moment, für immer auf die Bilder meiner Haut starren zu müssen. Ich schämte mich so sehr, dass es kaum auszuhalten war. Ich spürte Camilas warme Finger unter meinem Kinn und war im nächsten Moment gezwungen, ihr alles von mir zu zeigen. Meine Tränen und meine vollkommene Hilflosigkeit, wenn es darum ging, einen neuen Schritt zu wagen. Mila lächelte und es war der sanfteste Ausdruck, den ich jemals im Gesicht eines Menschen gesehen hatte, auch wenn mein Herz an der Tatsache zerbrach, dass ihre Augen schimmerten. Es kostete mich die größten Mühen der Menschheitsgeschichte, sie nicht zu fragen, was zum Teufel sie eigentlich noch hier machte. Warum zog sie nicht los und umarmte das Glück, dass ihr ein Anderer geben konnte?
Warum bleibst du, wenn es so viel einfacher wäre, zu gehen?
Ihr Gesichtsausdruck gab mir binnen eines Sekundenbruchteils zu verstehen, dass all das Beten um meine Selbstbeherrschung umsonst gewesen war. Ich hatte meine letzte Frage tatsächlich laut ausgesprochen.
Gute verdammte Arbeit, Mendes.
Camila schluckte und auch wenn sie noch immer auf meinem Schoß saß, schien es, als hätte sie sich ein gesamtes Leben entfernt. Meine Seele rutschte unaufhaltsam in meinen Magen und ich rechnete fest damit, innerhalb weniger Sekunden eine eklige Spur in diesem winzigen Diner in Portland zu hinterlassen. Das wäre eine Tragödie gewesen, weil es mich irgendwie an das „Rosario" in der Heimat meines Mädchens erinnerte und dieser Ort, der bis auf wenige Ausnahmen nichts als Magie für mich bedeutete, verdiente es definitiv nicht von mir vollgekotzt zu werden. Doch Milas Tonfall sorgte dafür, dass mir jedes Bedürfnis, jedes Gefühl und jedes Wort im Hals stecken blieb.
„Danke für die Doppelmoral", brachte sie hervor und auch wenn sie scheinbar alles tat, um unberührt zu klingen, misslang es ihr schrecklich. Ihre Verletzung und ihr Ärger waren nicht zu überhören.
„Was sagtest du noch gleich? Dass du jedes meiner kaputten Teile liebst und alles an mir willst? Warum lässt du mich nicht dasselbe empfinden?"
„Ich..."
Ich habe nicht den blassesten Schimmer.
Ihre Lippen auf meinen bescherten mir ein internes Feuerwerk und ließen gar nicht zu, dass ich auch nur einen Wimpernschlag lang darüber nachdachte, warum ich so verdammt abgefuckt war.
Ihr Kuss war sanft und liebevoll und gleichzeitig so wütend und hungrig und voller Verlangen. Sie bescherte mir die schönsten und süßesten Qualen und das Schlimmste war: Camila wusste es. Sie wusste ganz genau, wozu sie fähig war und spielte gnadenlos meine größte Schwäche gegen mich aus. Sich selbst.
Verdammt, ich liebe dich.
Unsere Atemzüge trafen aufeinander und ich musste mich schmerzerfüllt damit abfinden, dass sich unsere Lippen voneinander gelöst hatten.
Ich will nicht, dass es aufhört. Ich will, dass die Ewigkeit ewig wird.
„Es tut mir leid", raunte ich schwer atmend und sah einer ihrer Tränen bei dem Lauf über ihre Wange zu, bevor ich sie abfing und sie küsste. Alles dafür gab, sie zusammenzuhalten.
„Es tut mir so leid, meine Süße.", sagte ich wieder.
Sie lachte traurig. Ich zerbrach weiter.
„Was genau tut dir leid?"
Anstatt nach einer Antwort zu suchen, suchte ich in ihren Augen und das Schönste war, dass ich keine Ahnung hatte, wonach eigentlich. Ich verlor mich in ihr. Sie war mein Zuhause, mein sicherer Hafen.
„Manche Tage sind beschissener als andere, schon vergessen?", flüsterte sie und strich zärtlich über meine Wange. Gegen meinen Willen lachte ich.
Wie wahr.
Im nächsten Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen. Camila nahm mein Gesicht in ihre Hände und küsste mich noch einmal, bevor sie dazu überging, mich nur anzusehen. Fünf Sekunden lang. Weiter, bis es fünfzehn waren. Weiter, bis es fünfundzwanzig waren. Dreißig. Fünfunddreißig...
„Ich liebe dich nicht, weil du perfekt bist....", beteuerte sie.
Pause.
„Du bist perfekt, weil ich dich liebe, Shawn Peter Raul Mendes."
Bevor ich wusste, wie mir – wie uns – geschah, küssten wir und wieder und meine Tränen vermischten sich mit ihren.
„Du bist Liebe", schwor ich, meine Stimme dünner und versteckter als jemals zuvor.
„Du bist meine Liebe."
Weitere Sekunden, in denen wir nichts taten, außer unsere Herzen füreinander schlagen zu lassen, verstrichen, bevor Mila sich räusperte.
„Ich glaube, wir müssen reden."
Ein schwermütiger Seufzer verließ meine Lippen.
„Ja, das müssen wir wohl."
Der riesige Tourbus kam mir klein und stickig vor, als der entgeisterte, verwirrte und geschockte Gesichtsausdruck meiner Freundin mich von Kopf bis Fuß ausfüllte.
„Könntest du das noch einmal sagen? Ganz, ganz langsam?"
Sie war kurz davor, den Verstand zu verlieren. Und das war ganz allein meine Schuld.
Noch einmal offenbarte ich ihr alle Details der Begegnung zwischen ihrem Erzeuger und mir und sah ihr hilflos dabei zu, wie sie die Augen immer wieder schloss und öffnete. Ich fragte mich, ob ihr auffiel, dass sie nicht immer atmete.
„Er meinte, dass dieser... Jace es nicht einmal hinbekommen würde, mich umzubringen..."
„Jace!?", rief sie alarmiert.
„Jace... Jace... Jace..."
Immer wieder murmelte sie den Namen stoisch vor sich hin, als hätte er eine Bedeutung, von der ich nicht wusste. Und ganz offensichtlich hatte er das auch.
„No lo puedo creer. Ich glaube das einfach nicht." Sie schüttelte den Kopf.
„Dann ist also der gleiche Typ, der mich angebaggert hat, bevor... Er ist der, der für meinen Erzeuger ein Leben hätte auslöschen sollen. Einfach so. Als würde es nichts bedeuten." Sie zuckte die Schultern und lachte ungläubig. „Diós mio. Oh mein Gott."
Sag es nicht, sag es nicht, sag...
„Er hat dich angebaggert?"
Meine Freundin streifte mich mit einem Seitenblick und sagte Worte, mit denen ich nicht rechnete. Nicht jetzt.
„Ich liebe dich. Ich liebe nur dich. Das ist passiert, als wir uns noch gar nicht kannten."
Ich schluckte. „Okay."
„Nichts ist okay.", gab sie zurück, bevor ich sie auf meinen Schoß zog.
„Doch. Wir sind hier. Wir sind es. Wir sind okay."
„Okay?"
„Okay."
„Okay?"
„Okay."
Das Klingeln eines Handys ließ unsere geschützte Blase platzen und der Anruf, den Mila entgegennahm, drehte unsere Welt in die schlimmste Position. Alles, was ich über die Güte des Schicksals zu wissen glaubte, löste sich in Luft auf.
Teile von Worten und Ungerechtigkeiten drangen an mein Ohr.
Cameron... Caytlins Bruder... Unfall... kritischer Zustand.... Wissen nicht, ob er durchkommt...
...ob er durchkommt...
...ob er durchkommt...
Nur ein einziger Satz schaffte es vollends in mein Bewusstsein.
„Ich muss sofort nach Miami. Ich muss nach Hause."
Meine nächsten Worte sprach ich aus, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.
„Ich komme mit. Ich bin bei dir."
Ihr fehlte die Kraft, zu protestieren, denn sie nickte. Ich schlang meine Arme um sie und betete darum, dass ihr Herz heil blieb. Das Herz meiner Liebe. Ich musste sie schützen und würde für sie kämpfen, bis ich keinen Atemzug mehr aushauchte. Und wenn es das Letzte war, was ich tat.
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Hallo ihr Lieben...
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll... Es tut mir unendlich leid, dass so lange nichts gekommen ist und ich würde euch so gerne versprechen, dass es besser wird, aber momentan kann ich das nicht. :(
Ihr müsst bloß wissen, dass ihr auf gar keinen Fall vergessen werdet und ich mein Bestes gebe. <3
Gefällt euch das Kapitel? Und die wichtigste Frage: Schafft es Caytlins Bruder zurück ins Leben?
Ich hab euch lieb. <3
eure Maggie <3
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