Kapitel 15
"Lovers do not finally meet somewhere.
They are in each other all along."
-Rumi
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Camila
„Was tun wir hier?"
Phoebes Blick hielt mich gefangen und mir war schlagartig klar, dass ich nicht davonkommen würde, ohne ihr die Wahrheit zu sagen. Dieses Mal ohne Umschweife. Trotzdem weigerte ich mich, sofort mit der Sprache herauszurücken.
„Wir sehen Harry Potter", murmelte ich schulterzuckend und nestelte an der Fernbedienung herum.
Phoebe bekam mich an der Schulter zu fassen, ohne, dass ich Schmerzen bekam. Diese tauchten aber spätestens in dem Augenblick auf, in dem mich Phoebes Gesichtsausdruck traf. Süß-sauer. Liebevoll. Diabolisch. Und vor allem wissend.
Sie wusste verflucht nochmal Bescheid.
Obwohl es da eigentlich nichts gab. Sollte es nicht. Rein gar nichts.
„Netter Versuch. HP hat dich nie auch nur die Bohne interessiert. Ich frage dich also noch einmal: Was tun wir hier?"
Ich seufzte. „Shawn und ich haben einen Deal abgeschlossen. Er liest Wie die Stille unter Wasser und ich schaue den ersten Teil von Harry Potter."
Phoebes Unterkiefer raste in Richtung Boden.
„Okay. Time-Out und drei Fragen: Was, warum und vor allem wann?"
„Gestern", ächzte ich."Wir haben uns in der Scheune versteckt, weil ein Gewitter ausgebrochen ist... Und da haben wir eben geredet." Ein Schulterzucken. Es war nichts weiter gewesen. Zumindest mein Kopf war sich dieser Sache zu einhundert Prozent sicher. Auf das andere Organ - das zwischen Hirn und Bauch - wollte ich gar nicht erst versuchen zu hören. Weil es nicht nur mich sondern auch Shawn früher oder später in Gefahr bringen würde.
Meine beste Freundin schien das allerdings nicht zu kümmern. Sie zog die Augenbrauen nach oben, schmunzelte und mein Körper machte sich auf eine regelrechte Stöhnorgie bereit, als sie sagte:
„Ihr wart also in der Scheune und habt geredet."
Phoebe Torres lief die Zweideutigkeit aus allen Poren. Ich allerdings hielt das Versprechen meinem Körper gegenüber - und stöhnte.
„Ja, Phoebe. Wir waren in der Scheune und haben geredet. Nicht mehr und nicht weniger ist passiert."
„Wenn du das sagst..."
Sie glaubte mir kein Wort, doch ließ mich trotzdem in Ruhe.
„Enttäusche mich bloß nicht, Harry", murmelte ich und spürte Shawns Wärme durch den Bildschirm, als ich alles gab, nicht einzunicken.
Erstaunlicherweise konnte ich mich wachhalten und sogar ziemlich gut in die Handlung des Films eintauchen. Das Gefühl, dass ich keine Ahnung hatte, wovon er eigentlich handelte, verflog trotzdem nicht. Als das Vibrieren meines Handys ertönte, spielte das allerdings keine Rolle mehr.
Shawn: 23:16... Wünsch dir was.
Ich: Es ist nicht einmal Mitternacht.
Shawn ignorierte mich taktvoll und als ich seine nächste Nachricht las, begann mein Magen zu kitzeln.
Shawn: 23:19... Du schuldest mir einen Tanz.
Ein verkniffenes Grinsen schlich sich auf meine Lippen, als ich eine Antwort tippte und in derselben Sekunde aus dem Augenwinkel bemerkte, wie der Abspann von Harry Potter den Bildschirm erleuchtete.
Ich: Du hast nicht ernsthaft das Buch gelesen?
Shawn: Brooks soll seinen versoffenen Arsch hochbekommen und mit der anderen Hand Gitarre spielen lernen. Maggie May ist die Größte. Der stärkste Mensch, der mir je begegnet ist. Ist so etwas bei fiktiven Figuren komisch?
Mein Magen machte einen weiteren Salto und ich spürte die angenehmste Hitze aller Zeiten in meinem Gesicht.
Wie zum Teufel machst du das nur, Mendes?
Ich: Das ist das Heißeste, das ein Mann jemals zu mir gesagt hat.
Shawn: Ich wette, das könnte ich toppen.
Ich: Versuche es erst gar nicht.
Shawn: Was auch immer. Wir werden tanzen.
Shawn: 23:30... Camila?
Ich: Ja?
Shawn: Mir wurde in letzter Zeit ziemlich oft etwas gesagt und jedes Mal hat es mich an dich erinnert.
Mein Puls wurde zu hoch für das, was eigentlich gerade geschah, als ich eine Antwort zu tippen versuchte und mein Bestes tat, Phoebes Blicken von der Seite auszuweichen. Ich war ganz klar in Ungnade gefallen, aber Harry Potter spielte keine Rolle mehr.
23:33. Hier passiert schließlich gar nichts, oder?
Ich: Und das wäre?
Er tippte fünf Sekunden lang. Weiter, bis es zehn waren. Noch weiter, bis es zwanzig waren. Bei fünfzig, hörte er auf.
Shawn: Die Welt dreht sich, weil dein Herz schlägt.
Zum ersten Mal in meinem Leben las ich einen Satz drei Mal, ohne dessen Bedeutung zu verstehen. Meine Finger schwebten verloren über den Tasten und ich hielt den Mund offen, als würde ich etwas sagen können - oder müsste es - aber jeder Teil meines Seins hatte im Sprechen versagt.
„Camila, was ist los?" Phoebe befand sich neben mir, doch konnte nicht weiter weg klingen.
„Ich hab keine Ahnung, Phoebe", gab ich zurück. Ich hoffte jedenfalls, dass ich das tat. Genauso gut konnte es meine Seele schreien, während jedes andere meiner Atome stumm blieb. Für mein Herz spielte all das keine Rolle. Das hatte es vermutlich von Anfang an nicht.
Ich habe keine Ahnung, was los ist, aber ich glaube, dass ich anfange, mich in ihn zu verlieben.
„Ich habe wirklich keinen Schimmer, was hier los ist. Oder... Phoebs? Vielleicht hat mein Herz einen. Einen ganz kleinen."
Bitte fragt mich niemals, was meine beste Freundin in diesem Augenblick von mir gedacht haben könnte.
Juans Grinsen konnte, als ich am nächsten Morgen, den ersten Matcha Latte ausgab, nichts Gutes bedeuten. Er musterte den Grüntee viel länger, als man so etwas normalerweise mit Getränken tat, mit denen man handelte, und sein Ausdruck wurde nur noch schlimmer, als die Glocke an der Tür ertönte und Shawn erschien. Die beiden tauschten einen Blick aus, der viel mehr hielt, als man auf den ersten Blick sah und brachten meinen Magen zum Überkochen. Unwillkürlich fühlte ich mich, als Shawns Mundwinkel gegen meinen zuckte, als wäre ich verraten worden.
Hier passiert gar nichts. Reiß dich zusammen, Cabello.
„Kriege ich den nächsten Matcha?"
So viel mir Shawns Lächeln auch bedeutete... In diesem Augenblick hätte ich ihn am liebsten getreten.
„Klar.", murmelte ich außer Atem - ich hatte mich kaum bewegt - und wich seinen Augen tunlichst aus.
Ich fange an, mich in dich zu verlieben.
„Wollen wir tanzen?"
„Was?"
„Netter Versuch." Shawn zog eine unbeeindruckte Braue nach oben. „Ich habe das Buch gelesen. Wir tanzen jetzt. Also los."
„Aber ich arbeite."
Ganz tolles Argument.
„Tust du nicht." Juans Stimme erklang neben mir und ich wünschte mir eine Erdspalte.
„Geh', chica. Ich komme schon klar."
Ich zwar nicht, aber offensichtlich fragt mich hier niemand.
Ergeben händigte ich meine Arbeitsschürze meinem Chef aus und suchte Shawns Blick. Nicht, dass er gefährlich für mich war. Nicht, dass mir heiß wurde, als sein Zwinkern seine Freude und sein triumphales Gefühl darüber verriet, mich in der Hand zu haben. Hier passierte überhaupt gar nichts dessen, doch wieso war ich trotzdem so nervös? Und noch schlimmer: Wieso freute ich mich darauf, wieder Zeit mit ihm zu verbringen? Auch wenn mein Herz eine Antwort verbarg, die alle Fragen, die es auf Erden gab hätte lösen können, wehrte ich mich dagegen, ihm zuzuhören. Ich räusperte mich, konzentrierte mich auf das, was uns bevorstand und murmelte:
„Na dann wollen wir mal."
Das gesamte Gebäude war mucksmäuschenstill, als ich einen ersten Fuß hineinsetzte. Shawns Blick im Rücken verfehlte ich das Schlüsselloch zu unserem - zu Corazóns - Tanzstudio sagenhafte drei Mal, bevor die schwere Tür endlich nachgab. Als ich den großen Spiegel an der Wand und den Laminatboden in Augenschein nahm, als würde ich den Raum zum ersten Mal betreten, vergaß ich, dass ich mich eigentlich gegen ein Gefühl zu wehren hatte und grinste.
Und ob hier was passiert.
„Hier geschieht es also..." Shawn stand neben mir und sprach leise und bedächtig und doch kostete es mich größte Mühe nicht aufzuschreien, als ich ihn hörte.
„Was geschieht hier?", fragte ich. Aus Gründen, die wir beide niemals kennen würden - es war fraglich, ob wir das überhaupt wollten - stand ich ihm plötzlich direkt gegenüber und mein Hals fühlte sich trockener an als noch einen Wimpernschlag davor. Mein Herz hörte nicht auf zu pumpen, mein Magen flog quer durch meinen Körper und Shawns Augen pinnten mich an Ort und Stelle. Wohin auch immer ich in diesem Augenblick gerne geflüchtet wäre - ich konnte es vergessen.
„Keine Ahnung." Shawn redete so samtig, dass meine Nackenhaare anfingen, so etwas wie ihren eigenen Tanz aufzuführen. Verlor ich tatsächlich gerade den Verstand oder war Shawn, während eines halben Herzschlages noch näher gekommen? Wie viel wog so ein Schlag wohl? Wie schwer war er in einem Raum, in dem es scheinbar ohnehin keinen Sauerstoff mehr gab?
Ich würde dich so gerne berühren.
„Keine Ahnung." Shawn hörte sich nah und ganz weit weg an, während er in meinen Augen nach etwas suchte, das ich selbst noch nie gesehen hatte. „Zeig' es mir."
In einem Augenblick, der kaum eine halbe Sekunde dauerte, sich aber anfühlte, wie ein halbes Jahr, trat ich einen Schritt von Shawn weg und brachte die Anlage zum Laufen, ohne zu wissen, zu welchem Lied ich mich gleich bewegen würden.
Und dann fing ich an zu leben.
Just a small town girl,
Living in a lonely world
She took the midnight train,
Goin' anywhere..."
Es gab nur noch die Musik. Don't stop believin' von Journey und Shawns Augen. Wir, die keine Ahnung hatten, was wir hier taten, aber wir, die auch wussten, wie richtig es war. Gegen den elektrischen Schlag, der meinen Körper lahmlegte, als Shawn übermütig meine Hand nahm und uns wie ein ungeschicktes Pärchen, das gerade tanzen lernte, im Kreis drehte, konnte ich, selbst wenn ich es gewollt hätte, nichts ausrichten.
Ich will es nicht.
Shawns Stimme mischte sich mit denen von Journey und ich fühlte, okay zu sein. Mehr als okay, im schönsten Moment, im leichtesten Herzschlag. Jetzt.
A singer in a smoky room,
The smell of wine and cheap perfume,
For a smile they can share the night,
It goes on, and on, and on, and on..."
Ich lief Shawn voraus und spürte seine starken Hände an meinen Hüften. In einer halben Drehung sah ich ihm wieder in die Augen.
Ich verliebe mich in dich, Shawn Mendes...
Die nächsten Worte sangen wir gemeinsam. Und es spielte keine Rolle, dass ich mir sicher war, zu klingen, wie eine sterbende Katze. Wir waren echt. Wir waren im Jetzt.
Strangers, waiting, up and down the boulevard,
Streetlights, people,
Living just to find emotion,
Hiding somewhere in the night...
Die nächsten Drehungen passierten in Zeitlupe. Es war, als wären alle Stimmen durch ein dumpfes Pochen bedeckt worden. Shawns Lippen lagen nicht mehr locker aufeinander, sein Mund war leicht geöffnet, als würde er all seinen Sinnen verbieten wollen, seine Gedanken real werden zu lassen. Ich fragte mich, ob ich genauso aussah.
Don't stop believing,
Hold on to that feeling...
„Hast du Lust, eine Runde zu fliegen?", flüsterte Shawn vor mir. Es war keine Frage, sondern eine Warnung für das, was gleich passieren würde.
Ja, ich will fliegen. Mit dir.
Als hätte Shawn meine stille Antwort verstanden hob er mich hoch, als wäre ich leicht wie eine Feder und drehte mich wieder im Kreis. Ich schob meinen kurzen Schwindelanfall darauf und nicht auf die Farbe seiner Augen, die mir näher waren, als je zuvor. Nicht auf die Augen, in denen ich am liebsten ertrunken wäre. Das würde auf ewig die schönste Version meines Todes sein.
Es ist falsch.
Fühlt sich aber verdammt richtig an.
Engel und Teufel lieferten sich in mir einen harten Kampf. Am liebsten hätte ich über die Ironie, dass letztendlich doch bloß ich als Verliererin hervorgehen würde, gelacht. Doch jedes, auch nur ausgemalte Lachen, blieb mir im nächsten Moment im Hals stecken. Denn Shawn schwebte - er lief nicht, er schwebte - mit mir in seinen Armen zur nächsten Wand und ließ mich mit dem Rücken dagegen stoßen. Ich spürte sie nicht. Ich spürte absolut nichts außer Shawns Griff um meine Taille und das Feuer, das sich langsam aber verflucht sicher in jedem Winkel meines Körpers entzündete. Wie von Zauberhand war ich ein kleines Stück weiter nach unten gerutscht und befand mich mit Shawn in jedem Sinne auf Augenhöhe. Zeitlupe und Zeitraffer versuchten einander einzuholen, während meine Augen darum kämpften jeden Moment einzufangen. Eigentlich war für rationales Denken schon längst kein Platz mehr, aber doch fragte ich mich für eine einzige Sekunde, wie es möglich war, ohne Puls zu leben.
Shawns Adamsapfel hüpfte auf und ab, während er schwer schluckte. Seine Augenlider senkten und hoben sich abwechselnd, wie im Takt. Als wäre seine gesamte Existenz ein Lied. Und noch immer hielt er mich fest.
„Camila?", raunte er.
Seine Augen kamen mir mit einem Mal dunkler und weiter vor. Ganz so, als würde er mich auffordern, mehr darin zu entdecken, als sonst.
„Shawn?" Ich atmete kaum, doch ich schaffte es seinen Namen mit jedem Gefühl auszusprechen, das ich kannte. Ob mir das immer gelingen würde? Würde ich immer alles fühlen können, wenn ich ihm in die Augen sah?
„Ich... Ich würde dich wirklich wahnsinnig gerne küssen."
Etwas in mir erschrak so sehr, dass ich hätte schwören können, den Sprung meines Herzens von Kopf bis Fuß zu fühlen. Allerdings war es nicht der schlimme Schrecken, der Menschen traurig werden ließ und machte, dass sie die letzten niedergeschlagenen Kräfte mobilisieren mussten. Es war die Angst der Erleichterung... Oder doch die Erleichterung der Angst? Wie auch immer. Ich liebte die Empfindung in mir, denn sie öffnete mir mit einem Mal die Augen und rief, dass es manchmal keine richtigere Entscheidung geben konnte, als die falsche.
Das ist es. Genau das ist es, wonach ich mich sehne, seit ich zum ersten Mal deine Seele gesehen habe.
„Was hält dich davon ab?" Wieder flüsterte ich nur, als würde mein Körper sich schonen wollen. Als würde mein Herz vorsichtig handeln, bevor es gleich nichts mehr gab, worauf es achten musste.
Ein Atemzug. Nur einer. Ein Herzschlag. Kaum einer.
„Die Angst, dass es falsch ist?" Der fragende Ton in seiner Stimme offenbarte nur eines: Den Wunsch zu hören, dass es das Richtige war.
„Weißt du, was ich glaube, Shawn Mendes?"
In einem Anflug von verrücktem Selbstvertrauen, paradoxen Okay-Seins und dem Flüstern der Sterne, entfernte ich meine Hände von seinen Schultern. Nein, ich entfernte sie nicht. Ganz langsam strich ich darüber und meinte, selbst durch den Stoff seines schwarzen T-Shirts, Gänsehaut und Elektrizität zu spüren. Die Frage war bloß: War es seine oder meine? Und die Antwort darauf lautete, dass es völlig egal war.
Ich war mit meinen Fingern inzwischen bei Shawns Hals angekommen. Seine Haut traf nicht nur meine Hände, sondern auch mein Herz als ich sie das erste Mal zu spüren bekam. Warm und kalt schmiegte sie sich an meine, als hätten unsere Körper von Anfang an auf Erlösung gewartet. Seine Wangen.
„Was glaubst du, Camila Cabello?" Ein Windstoß, bevor sich unsere Lippen unmittelbar voreinander befanden. Sein heißer Atem benebelte meine Sinne, aber der letzte bewusste Gedanke, den ich verstand bevor ich anfing, zu fühlen, kam mir dennoch über die Lippen:
„Maktub."
Ein halber Herzschlag. Meiner
„Maktub."
Ein halber Herzschlag. Seiner.
Und dann küsste ich ihn. Er küsste mich.
Wir küssten uns.
-
Und da ist es passiert... Was denkt ihr? Freut ihr euch? Wollt ihr wissen, wie es weitergeht? :P
Ich bin sehr gespannt auf eure Meinungen! <3
Alles Liebe und noch mehr,
Maggie :D <3
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