Kapitel 8: "Du tust mir leid"
Noah
„Jetzt komm schon", rufe ich aus dem runter gelassenen Fenster zu Josh, der mit einem Rucksack auf dem Rücken zu uns gesprintet kommt. „Hey", begrüßt er kurz die Mädchen, die auf der Rückbank Platz genommen haben, während er sich neben mich setzt und die Tür wieder zumacht.
„Hey", antwortet seine Freundin ihm. Lexa sitzt stattdessen nur stumm da, guckt aus dem Fenster und betet vermutlich dafür, dass das Ganze ganz schnell vorbeigeht.
„Das wird Spaß machen. Du wirst schon sehen", muntert Nayla sie auf, die wohl meinem Blick gefolgt ist. „Und glaub mir, durch schlechte Laune wird das nicht besser werden."
Mit dem Wissen, dass das nicht viel bringen wird, fahre ich los. Josh schließt, währenddessen sein Handy an das Radio an und aus den Boxen läuft einer vor Joshs selbst gemixten Songs.
Er macht das leidenschaftlich gerne und in manchen Augenblicken habe ich Angst, dass es das einzige ist, wofür er sich wirklich begeistern kann. Irgendwann will er es auch beruflich machen. Er macht es seit knapp zwei Jahren, aber seine Eltern sehen es nicht so gerne. Laut ihnen ist es kein vernünftiger Beruf.
Ich höre sie gerne und Nayla teils auch. Wir haben halt einen anderen Musik Geschmack. Sie blickt aus dem Fenster, ebenso wie Lexa.
Nur mit dem Unterschied, dass Nayla vermutlich darauf wartet, dass wir an der Stelle vorbeifahren. Sie nickt leicht mit dem Kopf mit. Wir haben Glück, dass heute wenig Verkehr auf den Straßen ist, obwohl gutes Wetter ist.
Abgesehen von dem Radio, welches Joshs Musik spielt, ist es ruhig im Auto. Eine angenehme Ruhe und jeder ist in seine eigene Gedanken versunken. Durch den Rückspiel kann ich erkennen, wie auch Lexa mit einem Sehnsüchtigen blick nach draußen blickt und ich frage mich, woran sie grade denkt
„Da ist es", ruft Nayla begeistert aus und schnappt sich Joshs Handy, welches neben ihm liegt, um es zu entsperren. Wir fahren an einem großen Reklameschild vorbei, bei dem schon seit Jahren Werbung für Bohnen gemacht wird. Und dementsprechend sieht das Schild auch aus.
Mit Graffiti bemalt und teils abgerissene Blätter. Und trotzdem erkennt man ganz genau, für was dort Werbung gemacht wird. Zumindest wenn man das Schild schon seit Jahren kennt. Wahrscheinlich achten die meisten noch nicht einmal darauf. Die meisten fahren einfach nur dran vorbei und blenden es aus.
„I strumble on the road the coldest road", ertönt es aus dem Radio und sofort singt mein bester Freund schief mit.
„When no one has walked before
And my own two feet", steige ich schief mit ein, ebenso wie Nayla. Dabei wippe ich mit dem Kopf rhythmisch mit Takt mit.
„ Has started to bleed
Of the loss that I see
In my eyes", singen wir weiter und durch den Rückspiegel kann ich sehen, wie Lexa die Augen verdreht, jedoch trotzdem ein kleines bisschen mit dem Mundwinkel zuckt. Also doch nicht so eiskalt, wie sie sich immer gibt.
Auch wenn es vielleicht albern klingt, aber ich liebe diese kleinen Augenblicke mit seinen Freunden, in denen man einfach man selbst sein kann. Wenn nichts von einem erwartet wird. Keine guten Noten. Keine Hausarbeit oder freundlich sein. Einfach unbeschwert sein.
Ich schließe die Zelt Tür und Blicke auf die Abendsonne die langsam hinter dem See am Horizont verschwindet. Während Josh grade mit Nayla das Feuer, an der dafür vorgesehenen Stelle, anmacht, sehe ich nur wie sich Lexa etwas weiter weg auf einen Holzstamm, in Nähe des Wassers, setzt. Soll sie nur machen. Solange sie nicht abhaut. Sie ist schon alt genug und ich bin nicht ihr Aufpasser.
"Kommst du Noah?", ruft Josh mich, sodass meine Konzentration wieder auf ihm liegt. Das Feuer lodert in hellen Flammen auf und er zieht grade sein T-Shirt aus, sodass man sein kleines Bäuchlein sehen kann. Er will also schwimmen gehen, trotz dass es kälter als angenommen ist. Na schön. Was er kann, kann ich schon lange.
Ich tue es ihm gleich und sofort umschließt mich die kalte Luft, vor der mich bis jetzt mein Pullover beschützt hat, bevor ich ihm nach, von dem Steg, ins Wasser springe.
Es ist wärmer als angenommen, was vermutlich an den bis vor kurzem noch warmen Temperaturen, liegt.
Das Wasser umschlingt mich und kurz ist alles ruhig. Meine Füße berühren grade noch so den Boden, sodass ich spüren kann, wie sich die Algen einen Weg durch die Zehnzwischenräume suchen, bevor ich wieder auftauche.
"Jetzt komm schon Nayla. Es ist warm", ruft mein bester Freund seiner Freundin zu, die nun langsam aufsteht und zu uns kommt, jedoch am Steg stehen bleibt. "So wir ihr zittert sieht das aber nicht warm aus." Kritisch wandert ihr Blick zwischen uns beiden hin und her, bevor sie sich an den Rand des Steges setzt.
Erst jetzt fällt es mir auch auf. Josh dabei noch mehr als ich. Während ich mich durch Schwimmbewegungen bemühen muss an der Oberfläche zu bleiben, steht Josh ganz entspannt da und das Wasser reicht ihm nur bis zum Kinn. Manchmal ist es schon echt ätzend klein zu sein.
Naja, zumindest kleiner als seine Freunde.
"Dann hilf mir wenigstens raus", schmollt Josh und hält ihr seine Hand hin. Mit einem Seufzer steht sie wieder auf und fragt sich vermutlich, warum sie sich überhaupt hingesetzt hat. Sie ergreift seine Hand und bevor sie überhaupt dazu ansetzen kann, ihn hochzuziehen, zieht er sie ins Wasser.
"Du Arsch", faucht sie und schlägt ihm dabei auf die Schulter. "Wir haben doch gesagt, dass wir zum Schwimmen hier sind und nicht für 'wir vertreiben uns die Zeit in dem wir am Steg sitzen", füge ich belustigt hinzu und schwimme dabei wieder zum Ufer, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen.
"Noah hat recht", zuckt er mit den Schultern. "Das heißt aber noch lange nicht, dass du mich samt Klamotten in den See schmeißen musst. Es wird ewig dauern, bis die wieder trocken sind." Dabei versucht sie kläglich ihren Freund unter Wasser zu tauchen, scheitert aber schon dabei, ihn nur einen Zentimeter zu bewegen.
"Gibt auf, dass wirst du nicht schaffen", gebe ich belustigt meinen Senf dazu und schaue mir das Trauerspiel weiter an, wie Nayla halb auf dem Rücken von Joshua sitzt und dieser nur lacht.
"Komm doch auch mit rein", rufe ich dem Mädchen auf dem umgekippten Baumstamm zu, welches daraufhin von ihrem Handy aufblickt und in meine Richtige guckt.
Kurz meine ich einen sehnsüchtigen Blick in Augen zu erkennen, aber dieser verfliegt so schnell wie er gekommen ist. Stattdessen blicken wieder ihre kalten Augen an. Ich hätte einfach nichts sagen sollen. Wieso will ich meiner Mutter denn auch den Gefallen tun und versuchen mich mit ihr zu verstehen. Vor allem wenn sie offensichtlich doch keine Lust darauf hat.
Grade als ich denke, dass sie mich einfach weiter ignoriert, verlassen doch Worte ihren Mund. "Nenn mir einen guten Grund, weshalb ich mich euch dort rein gehen sollte."
Kurz überlege ich. Ich hab das Gespräch schließlich angefangen. Im Augenwinkel sehe ich, wie Josh seine Freundin mittlerweile Huckepack trägt und unser Gespräch, auch wenn sie verschleiern wollen, indem sie durch die Gegend, verfolgen.
"Es macht Spaß und ist mal was anderes als nur deprimiert in der Gegend rumzusitzen." Etwas unüberlegt verlassen die letzten Worte meinen Mund, aber ich versuche mir nichts anmerken zu lassen.
Sie stopft ihr Handy in den Rucksack, der lieblos im Dreck liegt und kommt dann auf mich zu. Gespannt warte ich darauf, was sie jetzt sagen wird. Wird sie mich anschreien? Vielleicht schlagen? Oder rennt sie weinend weg und ich darf mir dann Zuhause eine Standpauke meiner Eltern anhören?
Samt Klamotten fängt sie an durchs Wasser auf mich zuzugehen, wobei ich dir ein zwei Schritte entgegenkomme, damit sie nachher nicht noch schwimmen muss.
"Du kennst mich nicht", fängt sie an und tippt mir einmal mit ihrem Finger auf die Brust. "Ich kann sehr wohl Spaß haben. Du hast halt einfach nur keine Ahnung von mir. Du weißt nicht was ich durchgemacht habe oder warum ich so bin wie ich bin. Und das wirst du auch nie haben. Also hör auf zu versuchen, dass ich ein Teil deiner 'Clique' werde. Denn das wird auch nie passieren. Hast du das verstanden?"
Danach bohrt sie mir kurz wieder in die Brust, dreht sich um und setzt die ersten Schritte wieder Richtung Ufer.
"Du tust mir leid Lexa. Denn wenn du das zu allen sagst, wirst ein einsames Leben leben und alleine sterben."
Sie stockt in ihrer Bewegung und dreht sich zu mir um. Man kann erahnen, dass sie versucht, wieder ihren kalten Gesichtsausdruck auszusetzen, aber versagt dabei. Stattdessen liegt in ihrem Blick etwas Trauriges. Etwas, dass mich vermuten lässt, dass sie weiß, dass ich recht habe.
"Ich weiß schon was ich tue", murmelt sie und setzt ihren Weg zum Ufer fort. Kurz herrscht Stille und Nayla nutzt den Augenblick von Unachtsamkeit aus und reißt Josh mit ins Wasser.
Dieser taucht mit einem Husten, und Nayla auf dem Rücken, wieder auf und schüttelt sich das Wasser aus den Haaren wie ein nasser Hund. "Ich hab doch gesagt, dass ich es schaffen werde", grinst sie stolz und lächelt mich an.
Belustigt schüttle ich den Kopf und versuche Lexa zu vergessen, die sich mittlerweile wieder auf den Baumstamm gesetzt hat und immer mal wieder leicht zu uns rüber guckt. Ich schwimme wieder zu den beiden rüber um Josh zu helfen Nayla los zu werden, da sie sich wie ein kleines Klammeräffchen an ihm festhält.
"Jungs lasst das. Hilf mir lieber Noah, anstatt gegen mich zu arbeiten", schreit sie hysterisch, bevor auch sie wieder im Wasser versinkt. Grade noch so kann sie sich an meinen Schultern festhalten, sodass auch ich wieder mit dem Kopf unter Wasser lande.
Zitternd umklammere ich die Decke, die über meinen Schultern liegt, fester und verfluche mich dafür, dass ich nicht doch noch eine mitgenommen habe. Oder einen wärmeren Pullover. Das Feuer bietet halt doch nicht so viel Wärme wie gedacht.
Ich sehe zu meinen Freunden rüber, die ebenfalls mit Decke über der Schultern am Feuer sitzen. Nayla an Josh angelehnt. In solchen Momenten vermisse ich sie. Chloe. Normalerweise wäre sie mitkommen. Wie die letzten Jahre auch. Aber sie ist nun mal nicht hier. Und das hat sie sich selber zu zuschreiben.
Kurz wirbelt der Staub auf, als ich mich in den Schneidersitz setze und der Staub fängt an durch das Feuer zu glänzen. Hinter meinen Freunden kann ich Lexa erkennen, die immer noch auf dem Baumstamm sitzt. Ihr Handy liegt leblos in ihrer Hand, als würde sie auf eine wichtige Nachricht warten.
Sie hat immer noch die gleichen Sachen an wie eben, die wahrscheinlich immer noch nass sind.
Sie blickt Gedanken verloren in die Sterne, als würde sie dort irgendwas suchen.
Nayla scheint meinem Blick zu folgen, denn sie blickt mich mit ihren schokoladenbraunen Augen an und nickt in ihre Richtung. Ich seufze.
"Komm doch zu uns rüber. Es ist doch viel zu kalt da." Merklich zuckt sie zusammen und guckt mir in die Augen. Dann zu Nayla und Joshua. Für einen kurzen Augenblick scheint sie zu hadern und ergreift mit einer Hand den Griff von ihrem Rucksack, lässt ihn jedoch kurz darauf wieder los.
"Jetzt stell dich bitte nicht an. Nachher wirst du noch krank und ich darf dann die Verantwortung dafür tragen." Es vergehen mehrere Sekunden, in denen nichts passiert, bevor sie schlussendlich doch ihre Tasche nimmt und zu uns rüber tapst.
Vorsichtig stellt sie den Rucksack ab und setzt sich zu uns ans Feuer. Erst jetzt bemerke ich, wie sehr sie eigentlich zittert. Kein Wunder, wenn ihr Oberteil noch zur Hälfe nass ist. Ergeben nehme ich die Decke von meiner Schulter und reiche sie ihr rüber.
Sie zögert. Wartet wahrscheinlich darauf, dass ich sie mit einem Lachen zurückziehe. Aber ich warte.
Warte darauf, dass sie die Decke annimmt. Immer noch zögernd ergreift sie die Decke und legt sie sich, wie ich noch vor ein paar Sekunden, über die Schulter.
In ihrer Hand liegt immer noch das Handy, aber die scheint es nicht zu beachten. Stattdessen liegt ihr Blick auf dem Feuer, welches sich in ihren Augen widerspiegelt und sie glänzen lässt. Aus ihrem Zopf haben sich mittlerweile einzelne Strähnen gelöst, die jetzt wirr auf ihrem Kopf stehen. Aber es sieht nicht schlimm aus. Es sieht natürlich aus.
"Ist der von deinem Freund", ergreift Nayla das Wort und lächelt sie herzlich an. Dabei deutet sie auf Lexas Oberteil. Der graue Pullover, der ihr drei Nummern zu groß scheint und auch schon das ein oder andere kleinere Loch hat.
Die angesprochene Person blickt auf und überlegt. "Nein. Ähm... der ist von meinem besten Freund. Er hat ihn mir Geschenkt, als er vor zwei Jahren weggezogen ist."
Ihre Augen wirken traurig und auch Nayla merkt, dass sie lieber nicht nachhaken sollte, auch wenn sie es gerne machen möchte, so wie sie es immer tut.
Über uns breitet sich der Sternenhimmel aus und auch die letzte Wolke ist dabei zu verschwinden, sodass man, je länger man hochguckt, mehr und mehr Sterne sehen kann.
Zu viele, um sie zu zählen. Früher kannte ich mal das ein oder andere Sternzeichen. Aber mittlerweile sieht alles gleich für mich aus. Außer den Polarstern. Den kann ich noch erkennen.
Eine Sternschnuppe fliegt über uns und automatisch wünsche ich mir, dass ich dieses Schuljahr bestehe. Mein Blick wandert zu Lexa, die sie wohl auch gesehen haben muss, denn sie guckt auch nach oben in die Sterne.
"Wünsch dir was", flüstere ich und irgendwie hege ich die Hoffnung, dass meine Freunde es nicht gehört haben. Warum auch immer.
°Feedback? Ausflug zum See die erste. Was haltet ihr von Noah?°
Wörter: 2239
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