Kapitel 5: "Bleib stark"
Lexa
„Jetzt erzähl doch mal, wie ist es dort?" „Recht normal würde ich sagen. Bis jetzt ist mir noch nichts aufgefallen, was irgendwie auffällig sein könnte", beantworte ich die Frage und lasse mich samt meinem Laptop auf mein gemachtes, weiches Bett fallen. Die letzten Sonnenstrahlen fallen durch die großen Fenster und lassen das Zimmer in warmen Farben erstrahlen. Der Himmel färbt sich Orange und lässt die Weite mystisch aussehen.
Durch das leicht geöffnete Fenster strömt frische Sommerluft hinein und sofort steigt mir der Geruch von Pferden in die Nase. „Guck nicht so blöd drein, sondern erzähl lieber was. Ich bin schon extra für dich mitten in der Nacht aufgestanden", drängt mich Mason. „Tu doch nicht so. Du warst noch wach und vermutlich willst du morgen blaumachen." „Ey, nicht so laut, nachher hört mein Vater das." Erwartend sieht er mich an.
Ergebend lege ich mich kurz auf den Rücken, falte die Hände über meinem Kopf zusammen, bevor ich mich wieder hinsetze. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Sie sind nett. Aber du weißt ja, wie es letztes Mal ausgegangen ist." „Das heißt ja nicht, dass es immer so ist. Du musst positiv bleiben. Das predige ich dir doch immer. Wir sind das doch schon oft durchgegangen. Und haben sie nicht einen Sohn?", fragt Mason nach.
Er sieht anders aus. Irgendwie älter als sonst. Seine sonst Blonden längeren Haare, die ihm fast bis zur Schulter gingen, wurde abrasiert, sodass nur noch kleine Stummel übrig sind. „Was ist passiert?" Leicht demonstrativ zeige ich auf die Stelle, wo einmal seine Haare gewesen waren. Wie auf Knopfdruck verspüre ich einen Stich in meinem Herzen. Wir wollten das zusammen machen.
„Ich habe eine Wette verloren." Seine Gesichtszüge wirken härter. Ein bisschen emotionslos und wenn er lächelt, kommen deutlich seine Grüppchen zum Vorschein.
Da seine Haare ab sind, kommt nun zum ersten Mal sein Ohrring zum Vorschein, den er sich mit sechs stechen lassen hat. Es kommt mir vor als würde ich vor einem Fremden sitzen. Auch kann man durch das kurzärmlige T-Shirt sein Tattoo auf dem rechten Oberarm erkennen. „Du hast mir gar nicht erzählt, dass du es dir hast stechen lassen hast", sage ich mit einem leichten vorwurfsvollen Ton. „Ja hab ich irgendwie vergessen. Ich hab es mit ein paar Kumpel zusammen machen lassen." Er beugt seinen Arm leicht, sodass deutlich der halbe schwarze Jaguar zusehen ist.
Es ist vielleicht egoistisch, aber wir wollten all diese Dinge zusammen machen. Es war ein Kindheitsversprechen, was wir uns gegeben haben. Nur deswegen habe ich noch keins. Nur deswegen sind meine Haare noch lang.
Es ist still. Wir schweigen uns an und ich sehe dabei zu, wie die Sonne langsam am Horizont verschwindet und das Zimmer in Dunkelheit getaucht wird. Nur das Licht von meinem Laptop stahlt mich an. Ich sitze hier und schweige. Sehe dabei zu, wie Mason sich ins Bett legt und seinen Laptop neben sich stellt. Es ist das gleiche Bett wie schon vor fünf Jahren, als es noch bei mir nebenan stand. Das gleiche Bett, in dem wir stundenlange Filmabende gemacht haben. Ich mich über meine erste große Liebe ausgeweint habe. Indem ich schon so viele Nächte verbracht habe. Indem ich meine Initialen eingeritzt habe. LL. Lexa Lee.
Er starrt mich an und ich merke, wie er sich darum bemühen muss, dass seine Augen nicht zufallen. Ich gucke zu meinem Nachttisch, auf dem ein Bild von uns beiden steht. Wir waren 12, ich kam grade aus meiner ersten Pflegefamilie und wir sind zum Strand gefahren. Es war windig und kalt, aber das war uns egal gewesen. Ich stehe auf irgendeiner Erhöhung, während er mir einen Kuss auf die Wange gibt. Der Tag war traumhaft gewesen. Einer der besten Tage seit langem.
„Was ist los?" „Nichts ist los", gebe ich etwas pampig von mir. „Du kaust auf deiner Zunge rum. Ich sehe das. Mach mir nichts vor. Irgendwas ist doch." Ich schweige und schaue in die Dunkelheit. Es ist anders als sonst. Irgendwie komisch. Ich kann auch nicht sagen, woran es liegt, aber es ist so.
Durch den kleinen Schlitz unter der Tür sehe ich, wie im Flur das Licht angemacht wird. Es fängt an stärker nach Pferd zu riechen. Bestimmt ist Noah wieder von seinem komischen Ausflug wiedergekommen. Durch seine schweren Schritte quietschten die Treppenstufen wieder leise.
„Ich vermisse dich", bringe ich heißer hervor und ich merke wie meine Nase anfängt zu kribbeln. Jetzt bloß nicht anfangen zu weinen. Ich blinzle ein paar Mal, um die Träne aus meinen Augen wegzubekommen. „Ach Lexa", murmelt er mitfühlend. „Es ist jetzt zwei Jahre her, seitdem du nach Finnland gezogen bist." „Ich komm dich bald besuchen, versprochen. Aber ich kann hier nicht einfach so weg und das weißt du auch." „...Ja ich weiß." „Und du weißt auch, dass egal wie weit ich weg bin oder wie lange wir uns nicht sehen, du immer in meinem Herzen bist, Kleines."
Ich nicke. Sehe wie seine Gesichtszüge weicher werden und ich immer mehr den kleinen Jungen von damals in ihm sehe, mit dem nachts stundenlang durch die Gegend gezogen bin. Mit dem ich an meiner ersten Zigarette gezogen habe und mit dem ich das erste Mal Alkohol probiert habe. Mit dem ich stundenlang im Freien lag und die Sterne beobachtet habe. Mit dem ich alles Teilen konnte. Meine Sorgen und Ängste. Er weiß alles von mir und ich wusste auch mal alles von ihm. Wusste von seiner ersten Liebe. Von seiner ersten Freundin. Von Streits mit seinen Eltern, von denen nicht wenige über mich gingen. Und jetzt weiß ich so gut wie nichts mehr was in seinem Leben vorgeht.
„Ich muss jetzt Schluss machen, das Auto meiner Mum kommt. Wir sehen uns, okay?" „Mason? Ich habe dich lieb", bringe ich unter leicht zittriger Stimme hervor. „Ich dich auch, Kleine. Pass auf dich auf, ja? Denk dran, du kannst mich immer anrufen, wenn irgendwas sein sollte."
Ich nicke kurz bevor er den Anruf beendet. Auch ich klappe meinen Laptop zu und somit erlischt auch der letzte Lichtstrahl in dem Zimmer, in dem ich zurzeit wohne. Auch das Licht im Flur wird ausgemacht und ich hoffe, dass Noah nichts von meinem Gespräch mitbekommen hat.
Die Dunkelheit umschließt mich und auch wenn ich noch alles sehen kann, scheint alles Meilen weit weg zu sein. Ich fühle mich betäubt. Ich bleibe sitzen und höre, wie Noah nebenan mit jemanden telefoniert. Vorsichtig stelle ich meinen Laptop auf den Boden. Mein Zeitgefühl vergeht und ich fühle mich wieder, wie das kleine 10-jährige Mädchen in dem großen Kleiderschrank, was sich versteckt hat. Ich merke wie meine Nase anfängt zu kribbeln und sich die erste Träne den Weg aus meinem Auge sucht.
„Du musst stark sein", murmle ich vor mich hin. Du musst stark bleiben egal was passiert. Du darfst niemanden deine Schwächen zeigen, erinnere mich an die Worte meiner Mutter und wie auf Knopfdruck löst sich die nächste Träne aus meinem Auge. Zitternd ziehe ich meine Beine an meine Brust und versuche mich zu beruhigen. Ich merke wie mein Herz anfängt schneller zu schlagen und weitere Tränen aus meinem Auge fließen. Ich versuche an meinen Beinen halt zu finden, weshalb ich sie noch weiter an meinen Körper ziehe und meine Stirn auf ihnen ablege. Ein leises Schluchzen erschüttert meinen Körper.
Mein Atem stockt und ich merke, wie ich immer mehr Schnappatmungen bekomme. Du bist nicht stark. Hör auf dir was vorzumachen. Du bist genauso schwach wie deine erbärmliche Mutter, höre ich seine Stimme in meinem Kopf. Panisch halte ich mir die Ohren zu in der Hoffnung die Stimme meines Vaters so auszublenden.
Aber es klappt nicht. Immer und immer wieder wiederholt sich der Satz in meinem Kopf. Du bist schwach. Schwach. Ich muss erneut aufschluchzen. Vorsichtig stehe ich auf, um die Tür zu dem Zimmer abzuschließen, als ich aus Versehen das Bild von meinem Nachttisch schmeiße und sich die Scherben von dem zerbrochenen Glas auf dem Boden verteilen, aber das ist mir egal. Eilig schließe ich die Türe ab und gleite zitternd an ihr herunter, aus Angst, dass mich meine Beine nicht mehr halten können. Verschwommen sehe ich auf das Bild von mir und Mason, welches nun zwischen den zerbrochenen Glasscherben liegt.
Der Raum um mich herum scheint sich zu verkleinern. Grob nehme ich wahr, wie die Sterne am klaren Nachthimmel leuchten und ein weiteres Schluchzen verlässt meinen Körper. Ich ziehe die Beine wieder an meinen Körper, habe das Bedürfnis, mich an irgendetwas festzuhalten und wünsche mir, dass es wieder so ist, wie damals. Als die Welt noch in Ordnung war. Als meine Mutter noch da war. Als Mason noch dar war. Als mich mein Vater noch liebte. Als ich noch nicht von allen alleine gelassen wurde.
„Lexa? Ist alles okay?", höre ich Noah auf der anderen Seite der Türe fragen und merke, wie er versucht sie aufzudrücken. Hastig wische ich mir die Tränen aus meinem Gesicht, stehe auf und atme einmal tief ein und aus. „Alles okay", lüge ich mit leicht zitternder Stimme und ich habe Angst, dass er gehört haben könnte, dass ich geweint habe. Meine Hände fangen an zu zittern. Du bist schwach.
Ich gehe dabei ein paar Schritte rückwärts, bevor ich gegen den Schreibtisch stoße. Er versucht noch einmal die Tür aufzudrücken. Angst überkommt mich, dass ich vielleicht doch nicht abgeschlossen habe. Angst was er machen wird, wenn er mich so findet. Aber so schnell wie die Angst gekommen ist, verschwindet sie auch wieder, als Noah die Türklinke loslässt, als er bemerkt, dass sie nicht aufgeht. Er bleibt noch stehen, scheint zu überlegen, ob er noch irgendwas sagen soll. Aber er entfernt sich von der Tür und geht in sein eigenes Zimmer zurück.
In meinen Augen sammeln sich wieder Tränen und Wut überkommt mich. Am liebsten würde ich irgendwas kaputtschlagen. Ich werfe einen Blick in den Spiegel, an meinem Schrank. Ein schwaches Mädchen blickt mir entgegen. Die Augen rot schwollen, ebenso wie die Nase und die Wangen. Du musst Stark bleiben.
Erneut fließen Tränen über meine Wange. Ich habe sie enttäuscht. Ich kann nicht stark bleiben. Ich bin schwach. Schwach wie ein verletztes Tier was auf andere angewiesen ist. Vater hatte recht. Ich bin schwach. Er hatte recht.
Tränen verschleiern wieder meine Sicht, bei dem Gedanken an ihn. Ich schlage einmal fest mit der Faust auf den Tisch und sofort fängt sie an zu pochen. Ich starre sie an und würde am liebsten noch einmal zuschlagen. Ich muss stärker sein. Sie fängt an Rot zu werden, aber das ist mir egal.
Meine Nägel fangen an zu kribbeln, aber ich halte es nicht auf. Mit einem schnellen Handgriff öffne ich das Fenster in Richtung Garten. Vorsichtig klettere ich aus dem Fenster und lehne das Fenster wieder an.
Leise klettere ich auf das Vordach des Wintergartens. Drinnen höre ich Olivia und John lachen und höre, wie sie irgendeine Flasche öffnen. Die Kälte der Schieferplatten des Daches dringt durch meine Socken und mit schnellen, leisen Schritten klettere ich dort herunter. Angespannt lehne ich mich gegen die Wand und atme einmal die ein und aus.
Die angenehme Kälte umschließt mich und ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Hier bin ich in meinem Element. Das Licht es Hauses beleuchtet den kleinen Garten, sodass man hinter dem spärlichen Holzzaun nicht mehr sehen kann. Ich schließe meine Augen und konzentriere mich auf meine Sinne.
Ich höre wie die letzten Vögel über mir fliegen. Das leise Rascheln der Bäume. Pferde auf der Weide. Ich öffne meine Augen. Sehe die Weite vor mir. Die kleinen Bäume, die Büsche, die Gräser. Ich sehe eine Maus über die Steppe laufen. Meine Finger fangen wieder an zu kribbeln. Meine Ohren fangen an zu kribbeln. Dann laufe ich. Springe über den kleinen Zaun und laufe schneller.
Meine Füße werden leichter und bald fühlt es sich so an als würde ich schweben. Dann springe ich. Meine Hände werden zu Pfoten, genauso wie meine Beine. Wind sucht sich den Weg durch das weiche Fell. Ich laufe weiter. Merke wie ich den Staub auf dem Boden aufwirble. Werde schneller. Lasse meine Wut durch das Laufen raus. Am Rande bemerke ich, wie kleine Mäuse vor mir wegrennen.
Ich fühl mich frei. Als könnte ich die ganze Nacht noch so weiter rennen. Als könnte ich bis nach Finnland laufen. Bis zu Mason. Als könnte ich von meinen Problemen wegrennen. Hier fühle ich mich so, als wäre ich stark. Als könnte mich keiner aufhalten.
°Feedback? Wir lernen Mason kennen. Was haltet ihr von ihm? Und mit Mason haben wir jetzt die Hälfe der Charaktere kennengelernt c:°
Wörter: 2037
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