Kapitel 15: "Du bist ein Monster"
Lexa
„Tiiiigeeer, wo bist du?" Draußen höre ich die schweren, kräftigen Schritte meines Vaters die Treppe hochschwanken. Kein gutes Zeichen.
Ich presse mich tiefer in die Ecke meines Kleiderschranks. Bitte lass ihn heute einen guten Tag haben. Ich atme zitternd aus und stumm fließen mir die Tränen aus dem Augenwinkel runter. Ich höre, wie er versucht leise die Türe aufzumachen, aber dabei scheitert, als er sie mit zu viel Schwung gegen die Wand wirft.
Ich halte meinen Atem an und presse das kleine Kuscheltier enger an mich. Bitte lass ihn mich nicht finden. „Ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Lexa." Seine schweren Schritte hallen durch mein Zimmer und verärgert wirft er eine Lampe um. Meinen Namen spuckt er aus, als wäre er Müll.
„Jetzt komm raus." Seine Stimme wird wütender. Ich kneife die Augenzusammen und versuche nicht nach Luft zu schnappen. Er wird gleich wieder weg sein. „Da bist du ja." Er reißt die Tür meines Schrankes auf und der beißende Geruch von Alkohol dingt noch stärker in meine Nase. „Dad, bitte-", versuche ich zitternd zu sagen, werde aber am Arm gepackt und rausgezerrt. „Ich bin nicht dein Vater", schreit er mich an und wirft mich in die Ecke, in die auch schon die Lampe geflogen ist.
Mein Herz pumpt wild gegen meine Brust und die spitzen Scherben der Lampe bohren sich schmerzhaft in meine Haut. „Hör auf zu flennen", schreit er mich an und augenblicklich wird mein Kopf nach rechts geworfen. Die Stelle fängt an zu brennen und meine Sicht verschwimmt. Kein Wort bringe ich raus. „Du... du bist ein Monster", schreit er weiter. „Wie konnte deine erbärmliche Mutter nur so ein ekelhaftes, unnatürliches Monster in die Welt schaffen?" Er wankt und muss sich an meinem Bett festhalten. „Du bist schuld, dass sie Tod ist. Ganz alleine du." Während diesen Worten kommt er mir immer näher und kniet sich auf die Höhe meines Gesichtes.
Feste umpackt er mit seinen großen und nach Alkohol riechenden Händen mein Gesicht und zwingt mich ihn anzusehen. Seine kalten dunklen Augen starren mich. Ebenso wie das blaue Auge, was ich bis jetzt nicht gemerkt habe. Ich bin schuld. Ich bin an allem schuld. „Sag es", flüstert er gefährlich leise. Ich versuche überall hinzugucken, nur nicht in seine Augen. „Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir Rede." Sofort schellt mein Gesicht wieder nach rechts und bestimmt wird das morgen einen blauen Fleck geben. Ehe ich mich versehe, hängt mein Gesicht wieder in seiner Hand fest und gezwungenermaßen gucke ich in seine Augen, auch wenn ich sie kaum erkenne. Mein Körper steht unter Adrenalin. Ich kann mich nicht wehren. Meine Tränen fließen weiterhin wie ein Wasserfall über meine Wangen. „Sag es!", sein Ton wird lauter und schärfer. „Ich bin schuld", murmle ich gebrochen. „Lauter." Sein Ton verheißt nichts Gutes. „Ich bin schuld", gebe ich diesmal etwas lauter von mir. „Und woran?" „Dass sie Tod ist. Es ist alles meine Schuld", gestehe ich ein und kann ein aufschluchzen nicht verhindern.
„Gut." Fast schon liebevoll streichelt er über meine gerötete Wange. „Und du weiß, dass Menschen, die Schuld am Tod von anderen sind, bestraft werden müssen, oder?" Zitternd nicke ich. „Gut." Er lässt mich los. Ich bemerke kaum, wie sich immer noch Glasscherben in meiner Haut befinden und noch immer bluten. Langsam steht er auf. Ich weiß was jetzt kommt. „Bitte", murmle ich unter Tränen. Nicht schon wieder. Ich kann das nicht mehr. „Tiger. Nicht weinen", er beugt sich zu mir runter und wicht mir eine Träne von der Wange. Kurz bin ich davor zurückzuzucken, aber das verärgert ihn nur noch mehr. „Du weißt, dass das sein muss." Langsam und etwas unsicher auf den Beinen stellt er sich grade hin und fängt an, seinen Gürtel auszuziehen.
Erschrocken schrecke ich hoch und knipse das Licht an. Ein Albtraum. Schon wieder. Der Sechste in Folge. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und ein Blick auf die Uhr reicht, um zu wissen, dass es grade einmal sechs Uhr in der Früh ist. Vorsichtig setze ich mich hin und betrachte die Lampe auf meinem Nachttisch. Ein Schauer überzieht mich. Ich hasse diese Albträume.
Zitternde stehe ich auf. Mit Schlafen ist es jetzt eh vorbei. Meine nackten Füße tragen mich zum Spiegel. Meine Wangen sind von einer kleinen Tränenschicht bedeckt, die ich vorsichtig wegwische.
Ich starre in die kalten dunklen Augen des Mädchens vor mir und an solchen Tagen wünsche ich mir, ich hätte die Augen meiner Mutter vererbt bekommen. Die vielen kleinen feinen Narben an meinen Armen springen mir entgegen und ich stehe einfach nur da und starre sie an. Ich habe zwar die Salbe, wodurch die Wunden schnell verheilt sind, aber trotzdem werden die Narben mein Leben lang zu sehen sein. Ich weiß, dass es nicht meine Schuld ist, aber an manchen Tagen kommt es mir doch so vor.
Ich nehme mir einen Pullover aus dem obersten Regel heraus und ziehe ihn mir über. Ich bin nur froh, dass die Wunden von den Dingos schon so gut wie verheilt sind. Aber ich brauche trotzdem die Salbe von James. Wer weiß wann das nächste Mal was ist.
So leise wie möglich öffne ich das Fenster und klettere vorsichtig die Dachschräge hinunter zu dem Vordach, auf dem ich kurz stehen bleibe und die kühle morgen Luft inhaliere. Der Geruch des frischen Grases und den Pferden, der alles übertönt. Meine Finger fangen an zu kribbeln und ich merke schon wie mein Blut anfängt schneller durch meine Adern zu fließen. Geschickt klettere ich von dem Vordach runter und kann nun perfekt in das Wohnzimmer der Walkers gucken, welches nur von der Gartenlaterne beleuchtet ist.
Ich gehe ein paar Schritte und merke wie sich das Gras einen Weg durch meine Zehenzwischenräume sucht. Meine Ohren fangen an zu kribbeln. Das habe ich vermisst. Eine Woche ohne verwandeln ist schon fast ein Rekord. Ein Rekord, den ich nicht übertreffen möchte. Zur Sicherheit aller nicht. Ich gehe die paar Schritte zu dem Gartenzaun und springe mit einem Sprung drüber. Abgesehen von den Pferden ist es still, die aber wie immer auf einer der Weiden stehen. Ich will loslaufen. Aber etwas hält mich auf.
Ein Knacken ertönt und erschrocken blicke ich mich um. Aber die Laterne blendet mich, wodurch ich nichts hinter dem Zaun erkennen kann. Mein Blut strömt weiter und meine Gliedmaßen fangen stärker an zu kribbeln. Wieso ausgerechnet jetzt. Durch den Pferdegeruch nehme ich nichts anderes wahr. Scheiße. Panisch blicke ich mich um und bleibe bei dem Stall hängen. Meine einzige Möglichkeit. Wenn ich jetzt loslaufen würde, wusste ich nicht wer mich sieht.
Möglichst schnell versuche ich zu dem großen Pferdestall zu gelangen, in den ich durch eine Hintertür reingelange. Der Bewegungssensor lässt eine Lampe angehen. Schnell verstecke ich mich, wie ein kleines Kind, in einer Ecke. Bitte lass niemanden hier hinkommen. Nacheinander gehen die Licher wieder aus und ich sitze im dunklen. Ich merke, wie sich meine Augen schon verfärben und wie mein Gehör deutlich besser wird. Das darf doch jetzt nicht wahr sein. Panik überkommt mich. Nicht hier und nicht jetzt. „Lexa?", höre ich eine mir bekannte Stimme und mein Atem setzt aus. Nacheinander gehen die Lichter wieder an, wodurch ich genau erkennen kann, wo er grade ist. Schnell versuche ich mich weiter in die Ecke zu quetschen und erblicke ein kleines Fenster. Wenn ich da rausklettere, sieht er mich. Ich kneife die Augen zusammen. Alles meine Schuld. Bitte lass ihn mich nicht finden.
„Komm schon Lexa. Ich weiß, dass du hier irgendwo bist", redet er weiter. Was will er hier? Wieso muss er mich immer verfolgen. Seine Schritte finden fast schon lautlos den Weg zu mir und mein Puls wird immer schneller, als ich sehe, dass uns nur noch zwei Lampen trennen. „Ich hab dich hier raus gehen sehen und wollte gucken, ob alles okay ist", erklärt er sich. Bitte hau einfach ab. In solchen Momenten wäre ich gerne unsichtbar. Wenn er mich sieht, dann bin ich so gut wie Tod. Ich würde gejagt werden. Gefangengenommen und je nachdem was entschieden wird, getötet. Und ich will nicht sterben. Noch nicht.
Ich presse meine Augenlider fester zusammen und halte den Atmen an. Was meine Situation nicht besser macht, da so nur meine Gliedmaßen stärker anfangen zu kribbeln. Das Tier in mir will ausbrechen und ich halte es mit allem was ich kann zurück, aber wer weiß wie lange ich das noch kann, und was passiert, wenn es ausbricht.
„Hier bist du", flüstert er und ich kann spüren, wie er sich vor mich hinstellt und zu mir runter guckt. Wie komm ich hier am besten raus? „Geh weg", bitte ich ihn, immer noch mit geschlossenen Augen. Langsam beugt er sich runter und legt eine Hand auf mein Knie, wodurch ich deutlich zusammenzucke und er seine Hand blitzartig wieder wegnimmt. „Hey, was ist los?"
„Noah, bitte verschwinde", bitte ich erneut und kann nicht verhindern, dass meine Stimme panisch wird. Wieso muss ich immer in solche Situationen kommen? Wieso kann nicht einfach mal alles gut laufen? Ich muss erbärmlich aussehen. Zusammenkauert in einer Ecke, mit dem Anschein grundlos, und geschlossenen Augen. Kein Wunder, dass er denkt, dass ich mich verdächtig verhalte. Ich bin schwach und ich bin an allem schuld. Vielleicht habe ich ja auch irgendwie den Tod verdient.
„Lexa, was ist passiert? Ist er wieder da?", fragt mein Gegenüber erneut. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Alles was in meinem Kopf rumschwirrt ist, dass ich hier raus muss. Ich versuche mich an die Atemtechnik von Mason zu erinnern, aber mein Kopf ist leer. Ich presse meine Nägel in meine Haut, in der Hoffnung das es hilf. „Wieso kannst du nicht einfach verschwinden?", bitte ich ihn dieses Mal etwas lauter und merke, dass ich mit jeder Sekunde wütender werde.
„Weil ich nicht verschwinden werde, wenn du offensichtlich in Schwierigkeiten bist", erklärt er ruhig weiter. Ich hasse ihn dafür. Dafür, dass er in allen Menschen das gute sieht. „Du sollst verschwinden", schreie ich ihn nun fast an und bin kurz davor aufzustehen. „Werde ich aber nicht", gibt er wie ein Kleinkind von sich. Wieso muss ich immer in die komplizierten Familien kommen?
„Verschwinde", schreie ich ihn und schupse ihn dabei nach hinten, sodass er auf dem Rücken ladet und ich aufstehe. Blitzschnell steht er wieder auf. „Lexa, was ist mit deinen Augen?" Erschrocken drehe ich mich um und halt mir die Hände vors Gesicht.
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wie hat er sie gesehen. Ich hatte sie nicht offen. Oder doch? Ich merke, wie mein Körper zitterte und ich kurz vorm Explodieren bin. „Lexa. Was ist mit deinen Augen?", fragt er nun mit Nachdruck in seiner Stimme und versucht mich an der Schulter umzudrehen. Aber ich bleibe steif stehen. Weiß nicht was ich tun soll. Versuche mich an irgendwas zu erinnern, was meine Mutter mir gesagt hat. Was Mason mir gesagt hat. Atmen. Aber wie atmet man? Ruhig bleiben. Aber wie bleibt man ruhig?
„Lexa, ich will jetzt-" ehe er zu ende sprechen kann, nehme ich seine Hand von meiner Schulter, drehe mich um und schupse ihn leicht nach hinten. „Ich sagte, du sollst mich in Ruhe lassen", schreie ich und starre ihn an. Gehe in paar Schritte auf ihn zu. Er weicht erschrocken zurück, bis er an die Wand des Stalles prallt. Seine Augen sind groß und langsam rutscht er an der Wand runter. Meine Fingernägel schneiden sich weiter hin mein Fleisch und ich kann schon das erste Blut riechen. Zitternd atme ich aus. Kann jede Bewegung, jede Zuckung seiner Muskeln wahrnehmen. „Was...", murmelt er. Erschrocken weiche ich zurück. Was habe ich getan? Meine Sinne spielen verrückt. Das Tier will raus. „Ich... Es tut...", murmle ich noch, ehe es endgültig rauskommt.
Die ersten Sekunden sind vernebelt. Knurrend stehe ich mit Noah auf einer Augenhöre. Ängstlich blinzelt er mich an und eine Träne fließt ihm aus den Augen. „Bitte friss mich nicht", sagt er kleinlaut. Ich realisiere, was hier grade passiert ist. Schaue ihn erschrocken an, schüttle den Kopf und weiche zurück. Was hatte ich vor? Mein Leben ist vorbei. Endgültig. Für immer. Ich bin Tod. Endgültig. Wenn ich nicht nach der Sache mit den Dingos, dann jetzt.
Ich will irgendwas sagen, aber ich kann nicht. Verängstig starrt er mich weiterhin an. Ich muss hier weg. Mein Blick schweift umher. Die Tür bekomme ich nicht auf. Also das Fenster. Ich laufe los und springe durch. Dann laufe ich. Renne so schnell wie der Wind. Nur weg von hier. Aber wohin? Ich kann nirgendwo hin.
Hab niemanden. Ich könnte zu James. Aber dadurch bringe ich ihn und seine Eltern nur in Gefahr und ich will nicht, dass sein Leben auch noch ruiniert ist. Ich laufe immer weiter. Vorbei an dem großen Baum. An kleinen Steinen. Größeren Felsen. Toten Büschen. Vorbei an Spinnen, Schlagen, Mäusen und all dem, was sich sonst noch hier rumtreibt. Ich habe mich immer gefragt, wie es sich anfühlen wird, wenn es eine Außenstehende Person erfährt. Wie meine Mutter es meinem Vater verraten konnte, ohne dass dieser total ausgetickt ist. Hat sie es ihm überhaupt freiwillig erzählt? Oder ist es ein Unfall gewesen? Hat er es seinen Freunden erzählt?
Ruckartig bleibe ich stehen und schlittere noch ein paar Centimeter über den Boden. Falle mit den Vorderpfoten schon über den Rand, bevor ich überfordert zurückweiche. Vor mir erstreckt sich eine circa acht Meter bereite Schlucht, in die ich hinunterblicke. Ist die schon immer hier? Erschöpft atme ich aus. Ich bin nicht für Langstreckenläufe gemacht. Sofort kommt mir Noahs Blick wieder in den Sinn. Was soll ich jetzt nur machen? Ich kann auf keinen Fall wieder zurück. Er sagt es allen.
Ich bin geliefert. Werde als Versuchskaninchen enden. In irgendeinem Labor am Ende der Welt. Und wenn das nicht passiert, dann bin ich sowieso Tod. Erschöpft lege ich mich hin. Ich will einfach nur hier lieben bleiben. Das oder zu Mason. Aber den bringe ich dann auch in Gefahr. Ich habe alles kaputt gemacht. Meinen ganzen Plan. Wieso musste ich auch so doof sein und weiterhin aus dem Fenster klettern. James hatte mich doch gewarnt. Und ich Idiot höre mal wieder auf keinen. Es ist alles meine Schuld.
°Feedback? Sooo das Geheimnis ist raus, was haltet ihr davon und was denkt ihr, wird Noah jetzt machen? Und wie wird Lexas Plan für die Zukunft aussehen?
Was haltet ihr von ihrem Albtraum? Bin ja eigentlich persönlich kein Fan von diesen "Ich wache aus einem Albtraum auf" Szenen, aber manchmal muss es sein c:°
Wörter: 2368
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