
Kapitel 50
Unwillkürlich erstarre ich.
Ein ganzer Gefühlscocktail kocht mit einem Mal in mir hoch, so intensiv, dass ich unwillkürlich den Atem anhalte.
Sten wendet den Blick nicht ab. Ich auch nicht.
Dass ich jedoch alles stehen und liegen lasse, um entschlossen auf ihn zuzugehen, hat er vermutlich nicht erwartet. Sonderlich freundlich sehe ich aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht aus.
Der leicht grimmige Ausdruck fällt ihm mit einem Mal aus dem Gesicht und seine Augen weiten sich. Ja, renn solange du kannst.
Für einen Moment sieht er tatsächlich so aus, als würde er das in Erwägung ziehen, doch er bleibt, wo er ist.
Ich bin verdammt wütend. Was hat er hier zu suchen?!
Als ich ihn nach einer gefühlten Ewigkeit endlich erreiche, gebe ich ihm durch einen Wink zu verstehen, dass er mir nach draußen folgen soll. Ob er das tatsächlich tut, überprüfe ich nicht – ich spüre ihn allerdings in meinem Rücken, als ich die gewundenen, prachtvoll geschmückten Gänge zielstrebig entlang schreite, auf der Suche nach einem ruhigeren Ort.
Irgendwann lassen die Dekorationen nach und ich merke, dass wir uns bereits von dem für Gäste vorgesehenen Bereich entfernt haben. Eine angelehnte Tür führt zu einer Besenkammer, in die ich kurzerhand trete. Sten folgt mir.
Ich schließe die Tür hinter uns und betätige den Lichtschalter, der eine funzelige Glühbirne zum Leben erweckt. Auch wenn das hier ein Klischee sondergleichen darstellt, besser als nichts ist es allemal.
Ich will mich zu Sten umdrehen, und stolpere dabei über einen Eimer mit Rollen, der einen Mop und diverse Putzutensilien enthält. Entsetzt schreie ich auf, doch Sten packt gerade noch rechtzeitig meine Arme und hindert mich daran, zu stürzen.
Entschlossen mache ich mich von ihm los und auch er bringt einen Schritt Abstand zwischen uns.
Ich massiere mir die Nasenwurzel und kneife die Augen zusammen.
»Dass du heute hier bist, ist schon scheiße genug«, beginne ich gepresst. »Dass du eine Begleitung mitbringst, ist absolut unsensibel.« Ich schüttle bitter den Kopf. »Okay, was soll's. Scheiß drauf, denke ich mal. Aber weißt du, was mich richtig rasend macht?«
Jetzt hebe ich den Kopf und erwidere seinen Blick. Wenn ich Sten nicht besser kennen würde, käme mir sein Gesichtsausdruck absolut ungerührt und fast schon gelangweilt vor. Doch hinter dieser unbewegten Fassade sehe ich Nervosität – und davon viel.
»Dass ich...« Ich schlucke und stelle erschrocken fest, dass ich gegen Tränen ankämpfen muss. Ich werde nicht vor ihm weinen. »... dass ich nicht einmal allein Spaß haben kann, ohne dass du vor meiner verdammten Nase auftauchst!«
Die kalte Maske fällt von Stens Gesicht und macht Überraschung Platz. »Du denkst, ich bin mit Absicht dort aufgetaucht?«
»Willst du mich für dumm verkaufen? Was sollst du sonst auf der Tanzfläche suchen?«, zische ich.
Sten öffnet den Mund, dann schließt er kurz die Augen, als wollte er sich sammeln. Schließlich sagt er leise: »Ich habe Kayla gesucht.«
Oh.
»Ich habe... meine Begleitung gesucht«, wiederholt er betreten.
Wie betäubt nicke ich. Er war nicht wegen mir dort. Diese Erkenntnis sinkt langsam in mein Bewusstsein und verursacht ein leichtes Gefühl der Übelkeit, das sich mit jeder verstreichenden Sekunde verstärkt.
Er schnaubt und lacht anschließend humorlos auf. Seine Mimik wirkt nun fast schon... böse. »Es dreht sich nicht alles nur um dich, Florentina. Wird Zeit, dass das mal in deinen Kopf geht, meinst du nicht? Kann sein, dass mein Vater denkt, du bist ein Geschenk Gottes an diese Welt, aber lass mich da raus!« Schockiert schnappe ich nach Luft.
Er murrt etwas unverständliches und schiebt dann leise hinterher: »Ich bin froh, wenn ich dich nicht mehr sehen muss.«
Ich glaube, mein Herz ist gerade in meiner Brust stehen geblieben und dann wie eine Rose in Zeitraffer verwelkt.
»Darf ich jetzt wieder gehen oder wolltest du noch etwas?«, fragt er gelangweilt.
Bevor ich weiß, was ich tue, saust meine flache Hand auf seine Wange und es klatscht. Sehr laut.
Keiner von uns bewegt sich. Stens erschrockene, scharfkantige Gesichtszüge werden immer weicher und undeutlicher, bis ich ihn gar nicht mehr sehe. Tränen fließen meine Wangen herunter und ich wische sie genervt weg. Irgendein sehr leiser, weit entfernter Teil in mir macht sich Sorgen über mein Make-up, doch nichts könnte mir gerade egaler sein als das.
»Ich habe mich so in dir getäuscht«, schluchze ich, erschrocken über meine eigene Erkenntnis. »Ich wusste, dass du manchmal kühl sein kannst und auch unsensibel, aus Versehen.« Ich schniefe leise und versuche meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen. »Aber ich habe dich nie für grausam gehalten.«
Das Bedürfnis, einfach nur zu gehen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, ist übermächtig.
So schnell es mir in meinen Schuhen möglich ist, renne ich zurück zum Eingang, um genau das zu tun. Ich komme meinem Ziel immer näher, bis mir siedend heiß einfällt, dass all meine Sachen noch bei Wilhelm sind. Verdammt, verdammt, verdammt!
So aufgelöst kann ich ihm auf gar keinen Fall unter die Augen treten. Schnell scanne ich die Umgebung nach einer Toilette ab und werde, dem Himmel sei Dank, relativ zügig fündig. Ich folge den Pfeilen, die mich dorthin bringen sollen und lande glücklicherweise bei einer relativ leeren Toilette.
Eine einzige Kabine ist belegt und den Geräuschen nach zu Urteilen kotzt sich da gerade jemand die Seele aus dem Leib. Diese Person dürfte also genug mit sich selbst beschäftigt sein, um mich nicht weiter zu beachten.
Zaghaft trete ich an die mit goldenen Armaturen versehenen Waschbecken und werfe einen Blick auf mein Spiegelbild. Überrascht stelle ich fest, dass ich nicht so mitgenommen aussehe, wie ich mich fühle. Gina hat wirklich ganze Arbeit geleistet, was mein Make-up betrifft. Es sitzt an Ort und Stelle.
Das einzige, was sich nicht überschminken lässt, ist der Schmerz in meinen Augen.
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