Kapitel 44
Nachdem Angela meine Maße genommen, einige weitere Stoffe an mir probiert und sich noch unzählige Notizen gemacht hat, bin ich endlich entlassen. »Das Kleid ist am Freitag fertig«, lässt sie mich zum Schluss wissen.
»Was machen wir, falls es an einer Stelle nicht passen sollte?«, frage ich zaghaft. Sie sieht mich an. »Es wird passen.« Angela ist sich ihrer Sache offensichtlich sehr sicher.
Ich nicke und verabschiede mich mit einem Händedruck, den sie mit genau der gleichen Energie erwidert wie bei unserer Begrüßung – bedeutet, dass meine Hand wehtut, als ich das Gebäude verlasse.
Etwas nachdenklich lasse ich mich auf einem der Sitze in der U-Bahn nieder.
Ich freue mich auf das Kleid und den Samstag, da er Ablenkung beutetet. Ich wünschte nur, dass Sten nicht da wäre. Aber hey, schließlich kann man nicht alles haben. Außerdem habe ich mir fest vorgenommen, den Abend so zu genießen, als wäre er tatsächlich gar nicht da.
Ich mache mir natürlich nicht die Illusion, dass wir uns vielleicht überhaupt nicht über den Weg laufen könnten – er wird mindestens Hallo zu seinem Vater sagen wollen, der dann mit mir in Begleitung sein wird – doch trotzdem keimt Optimismus in mir auf, wie eine zarte Blüte. Ich werde einen schönen Abend haben. Diese wenigen unangenehmen Augenblicke bringe ich schon irgendwie hinter mich.
Die Station bei welcher ich aussteigen muss wird aufgerufen und ich erhebe mich hastig. Manchmal ist das Gedränge in den New Yorker U-Bahnen so groß, dass man sich bereits zwei Stopps vor der Station, bei der man raus will, an der Tür positionieren muss.
Diesmal war das glücklicherweise nicht nötig und ich schaffe es gerade noch so rauszukommen.
Als ich in Richtung meines Blocks laufe, durchzuckt mich ein Bild, wie Sten vor meiner Tür wartet. Mit pochendem Herzen beiße ich die Zähne aufeinander und schlucke den Schmerz herunter, der wie eine erbarmungslose Welle mein Bewusstsein flutet. Die Wut, die ich daraufhin spüre, ist jedoch mehr als Willkommen.
Wut ist in Ordnung. Mit Wut kann ich umgehen. Auf Sten wütend zu sein, ist viel leichter, als... all die anderen Dinge zu fühlen. Zum Beispiel Resignation oder Melancholie. Ich kann mittlerweile nicht mal mehr zählen, wie oft ich mich selbst dafür fertiggemacht habe, Sten angelogen zu haben. Wenn ich ehrlich gewesen wäre... Es hat keinen Sinn. Es ist immer das gleiche Ergebnis. Ich habe einen Fehler gemacht, dessen Konsequenzen ich nun spüre. Punkt.
Deshalb ist es auch mal eine gute Abwechslung, Wut zu spüren, die nicht gegen mich selbst gerichtet ist.
Ich kneife energisch die Augen zusammen und vertreibe das Trugbild aus meinem Kopf. Mit leicht zitternden Händen schließe ich die Haustür auf und schleppe mich die Treppen hoch zu meiner Wohnung.
Als ich hinter mir abgesperrt habe, lasse ich mich an der Tür nach unten gleiten und komme wie ein Häufchen Elend auf dem Boden auf. Was für ein Klischee ich gerade abgeben muss.
Irgendwann bringe ich es fertig, mich aufzurichten und mir etwas zu essen zuzubereiten. Mein Kopf ist so voll, dass es sich anfühlt, als könnte er jeden Moment bersten und mich unter dutzenden sinnlosen Gedankenfetzen begraben.
...
Die folgenden Tage vergehen, als wären sie ein an mir vorbeiziehender Film. Eine Sequenz unterscheidet sich nicht stark von der anderen, die Momente gehen ineinander über, wiederholen sich...
Ich bin so zerstreut und aus dem Gleichgewicht gebracht in letzter Zeit, dass ich mich kaum wiederkenne. Ich wünschte, ich wüsste, was jetzt das Beste für mich wäre. Ich navigiere meine Tage so, wie ich denke, dass es gut für mich ist. Ob ich das richtig mache... keine Ahnung.
Im Normalfall würde ich mit jemandem darüber sprechen – Mom oder Marina zum Beispiel – doch aus irgendeinem Grund fühlt sich das einfach nur falsch an. Aber gar nicht darüber zu reden scheint auch nicht das Richtige zu sein...
Und so befinde ich mich in diesem eigenartigen Schwebezustand der Unentschlossenheit und Unzufriedenheit.
Während ich mit düsteren Gedanken wie diesen beschäftigt bin, ist es plötzlich Freitag.
Das erste, was mir nach dem Aufwachen durch den Kopf schießt, ist: Mein Kleid ist heute fertig.
Ich spüre, wie mein Herz einen nervösen Galopp anstimmt. Gerade wollte ich noch frühstücken, was ich mir jetzt leider gar nicht mehr vorstellen kann. So befülle ich also resigniert meinen Wasserkocher und schaue dem Wasser dabei zu, wie es zu kochen beginnt.
Als mein Handy plötzlich anfängt zu klingeln, rutscht mein Ellenbogen, auf den ich mich gestützt habe, vor Schreck beinahe von der Anrichte. »Puh«, murmle ich und nehme mein Handy in die Hand. Es ist Wilhelm.
»Guten Morgen«, sage ich und merke, dass meiner Stimme leider sehr gut anzuhören ist, dass ich quasi gerade aus dem Bett gefallen bin.
»Schönen guten Morgen, Florentina«, begrüßt er mich gut gelaunt. »Bitte entschuldige, dass ich dich so früh anrufe. Du hast schließlich frei.« Ich winke ab, obwohl er das gar nicht sehen kann.
»Ach, mach dir nichts draus, ich war eh wach. Was gibt's? Ist es wegen des Kleids?«
»Goldrichtig, dein Kleid ist bereit zur Anprobe. Was hältst du davon, wenn ich dir Martin schicke, der dich zu Angela bringt?« Martin ist einer von Wilhelms Chauffeuren.
»Äh, so viel Aufwand muss jetzt nicht sein, ich kann doch auch einfach mit der U-Bahn hinfahren. Die Verbindung ist ganz gut.«
»Das glaube ich dir, allerdings möchte ich zu bedenken geben, dass du das Kleid danach nach Hause transportieren musst. In den öffentlichen Verkehrsmitteln könnte sich das als etwas umständlich erweisen – was nicht heißt, dass es nicht möglich ist.«
Daran habe ich tatsächlich nicht gedacht.
»Oh. Aber ich möchte keine Umstände machen«, murmle ich schwach, woraufhin Wilhelm lediglich schnaubt. »Florentina, jetzt ist aber mal gut! Wie oft muss ich dir denn noch sagen, dass du mir noch nie Umstände gemacht hast und das aller Wahrscheinlichkeit auch nie tun wirst?«
Ich grinse peinlich berührt.
Gesten dieser Art kenne ich von Wilhelm schon seit ich bei ihm zu arbeiten begonnen habe. Ich würde behaupten, dass es mir schon sehr viel leichter fällt, sie anzunehmen als das früher der Fall war. Dennoch tue ich mich manchmal schwer.
»Okay, dann... schick mir gerne Martin vorbei.«
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