Kapitel 4
Nachdem ich gegessen habe, mache ich mich auf den Weg zu Sten Jakobsen. Sein Nachname war mir bisher nicht bekannt. Ich bin aus irgendeinem Grund stets davon ausgegangen, dass er den gleichen Nachnamen wie Wilhelm (was Lee wäre) trägt, doch scheinbar hat er den Namen seiner Mutter angenommen. Oder automatisch bei der Geburt bekommen. Ich habe absolut keine Ahnung, wie sowas funktioniert.
Als ich in dem lächerlich riesigen Stahlbau ankomme, in dem sich Wilhelms – und nun hauptsächlich Stens – Firma befindet, bin ich erstmal sehr eingeschüchtert. Das Foyer ist ungefähr fünfmal so groß wie meine ganze Wohnung und ständig gehen sehr schlau und reich aussehende Geschäfts-Menschen ein und aus. Gedankenverloren frage ich mich, warum alle Anzüge dieser Leute entweder in irgendeiner Variation von Grau oder Schwarz gehalten sind. Wäre es nicht cool, mal sowas wie ein kräftiges Orange auszuprobieren? Ich denke, wenn ich Geschäftsfrau wäre, würde ich auf jeden Fall Orange tragen.
»Schönen guten Tag, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Die Stimme der Rezeptionistin reißt mich aus meinen Gedankengängen. Sie klingt, als hätte sie nicht nur einmal versucht, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Schlange vor mir kürzer und kürzer geworden ist. Lächelnd schüttle ich den Kopf.
»Entschuldigung! Ich habe einen Termin bei Sten Jakobsen.«
Wilhelm meinte, ich soll an der Rezeption einfach nach seinem Sohn fragen, er hätte das geregelt. Doch die Frau hinter dem Tresen sieht mich skeptisch an und mustert mich on oben bis unten, als könnte sie es nicht wirklich glauben.
»In Ordnung, ich werde mal eben im System nachsehen«, murmelt sie gedehnt.
»Tun Sie das«, gebe ich etwas bissiger als beabsichtigt zurück, doch sie zuckt mit keiner Wimper. Ich bin nicht unbedingt dafür bekannt, Ruhe zu bewahren, wenn ich respektlos behandelt werde. Meine Zündschnur ist relativ kurz. Ich hoffe, die Frau treibt es nicht zu weit, denn dann würde ich ihr eine Unterhaltung liefern, die sie so schnell nicht wieder vergisst.
Auf einmal erstarrt sie, richtet sich auf und kneift die Augen zusammen. »Wie war Ihr Name gleich?«
»Florentina Martinelli.«
Sie beugt sich näher zum Bildschirm, als müsste sie zu hundert Prozent sicher gehen, dass der Name tatsächlich da steht und ihre Augen ihr keinen Streich spielen. Mein Name steht zu hundert Prozent dort.
»Nun gut«, murmelt sie gedehnt und beäugt mich nochmal von oben bis unten. »Stimmt etwas nicht?«, frage ich sie provokant. Damit hat sie wohl nicht gerechnet, denn ihre Wangen werden prompt rot und sie wendet den Blick ab. Sie stottert etwas, das wie »Nein, keinesfalls« klingt.
»Gut, gibt es dann einen anderen Grund, warum Sie mich so anschauen? Gefällt Ihnen mein Kleid?« Ich zupfe an dem weißen, geblümten Stoff des figurbetonten Baumwollkleids an mir. Ihre Wangen sind mittlerweile so knallrot wie eine überreife Tomate. Sie schaut überall hin, nur nicht zu mir.
Vielleicht wäre es eine gute Idee, es dabei zu belassen. Doch ich denke nicht im Traum daran.
»Es ist kein Problem, ich kann Ihnen gern sagen, wo ich es herhabe. Oder ist es Ihnen zu kurz? Der Ausschnitt zu tief?« Da ich immer noch in einer ruhigen, gedämpften Tonlage spreche, werden wir nicht weiter beachtet.
»Ich rufe gleich den Sicherheitsdienst«, zischt die Frau jetzt, immer noch den Blickkontakt meidend. Zuerst kann ich kaum glauben, was ich da gehört habe. Dann kann ich nicht anders, als laut loszulachen. Leger lege ich einen Ellenbogen auf dem Tresen ab und lache weiter, die Beine überkreuzend. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man von Außen betrachtet fast annehmen, dass wir zwei uns nett unterhalten. Doch spätestes wenn man sich den Gesichtsausdruck der Dame an der Rezeption genauer ansieht, ist klar, dass das kein netter Plausch ist.
»Was genau ist daran so witzig?«, fragt sie jetzt bissig.
Seufzend wische ich mir die Lachtränen aus den Augen. Dann fixiere ich sie ernst. »Wissen Sie was? Ich habe bereits unzählige verschiedene Gelegenheitsjobs gehabt, die mich über Wasser gehalten haben seit ich achtzehn bin. Ich habe mehr Scheiße zu Gesicht bekommen, als Sie sich jemals vorstellen können.«
Suchend gleitet ihr Blick durch das Foyer. Ich bin mir sicher, sie winkt gleich einen der Sicherheitsleute hierher.
»Worauf ich hinaus will, ist, dass Sie nicht die erste Person sind, die mich nach meinem äußeren Erscheinungsbild beurteilt und denkt, sie kann sich jedes Recht herausnehmen, mich zu erniedrigen. Versuchen Sie es ruhig. Holen Sie jemanden hierher, dann werden wir sehen, was Wilhelm Lee davon hält. Deal?«
Ich strecke ihr meine Hand über den Tresen hin. Natürlich überrascht es mich kein bisschen, dass sie nicht einschlägt.
»Sind Sie Ms Martinelli?«
Wir beide wenden uns der Stimme zu. Ein junger Mann im Anzug steht nicht weit von mir, ein freundliches Lächeln im Gesicht. Ich entspanne mich ein wenig und nicke. Könnte das Wilhelms Sohn sein?
»Ja, die bin ich«, entgegne ich. Sein Lächeln wird noch breiter. »Sehr schön, perfekt. Mr Jakobsen erwartet Sie bereits ungeduldig. Er hat schon befürchtet, dass Sie sich verspäten könnten, denn sein Terminplan ist sehr eng getaktet.«Ich werfe der Frau an der Rezeption einen kühlen Blick zu. »Nein, eigentlich war ich pünktlich.« Verächtlich wende ich mich von ihr ab und dem Mann zu.
Er hält mir seine Hand hin, die ich ergreife und schüttle. »Ich bin Tate Farn, freut mich sehr.« Er lächelt abermals, sodass seine dunklen Augen funkeln. »Toller Händedruck übrigens.« Ich lache und bedanke mich.
Wir durchqueren das Meer der hin und her rennenden Menschen im Foyer, von denen einige Tate Farn begrüßen. Er grüßt jedes Mal zurück und spricht die jeweilige Person dabei mit Namen an.
Sobald wir in einen der riesigen Aufzüge gestiegen sind und die Türen sich geschlossen haben, wendet er sich mir zu. »Entschuldigung, falls Sie an der Rezeption aufgehalten worden sind. Da Mr Jakobsens Sicherheit in der Vergangenheit nicht nur einmal gefährdet war, wird hier immer besonders stark geprüft, wer reinkommt.«
Ich spiele schon mit dem Gedanken, ihm zu erzählen, was wirklich passiert ist, verwerfe ihn jedoch wieder. Stattdessen schüttle ich lediglich den Kopf und winke ab. Mein kochendes Blut hat sich mittlerweile wieder etwas abgekühlt und ich will diese Akten-Schlepperei einfach nur hinter mich bringen.
Als die Fahrstuhltüren sich öffnen, tritt Tate Farn zur Seite und lässt mir galant den Vortritt. Ich nicke ihm zu und lasse mir anschließend von ihm den Weg zu dem Büro des Bosses zeigen. Wir passieren lediglich wenige Türen, bis wir eine erreichen, auf der sich ein Goldschildchen mit dem Namen ›Sten Jakobsen‹ befindet. Sie ist leicht angelehnt.
»Sie können einfach reingehen, Mr Jakobsen erwartet Sie bereits.«
Ich bedanke mich und trete ein, bevor ich es mir doch anders überlegen kann. Ich schließe die Tür hinter mir, drehe mich um und... nun ja. Man könnte sagen, dass ich in eine Art Schockstarre verfalle, sobald meine Augen auf dem Mann landen, der hinter dem wuchtigen Schreibtisch vor der Glasfensterfront sitzt.
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