Kapitel 19
»Florentina! Schämst du dich nicht?«
Ich verdrehe die Augen. »Mamma, sei doch nicht so dramatisch! Ich hatte eben nicht viel Zeit und unfassbar viel um die Ohren! Familie schön und gut, aber mein Leben existiert auch noch außerhalb meiner Familie.«
Meine Mutter schnappt schockiert nach Luft. Ich wusste genau, was ich mit dieser Aussage anstellen würde. Es mag zwar ein Klischee sein, aber nichts ist für meine italienische Familie wichtiger als la famiglia.
Es wäre durchaus mal Zeit, dass sie begreifen, dass ich auch andere Sachen im Kopf habe. Aber gut, darauf brauche ich auf jeden Fall nicht hoffen, ich will mir da gar keine Illusionen machen.
Meine Mutter hat sich jedenfalls furchtbar darüber aufgeregt, als meine Nonna ihr erzählt hat, dass ich am Familien-Haus vorbeigelaufen bin, ohne Hallo zu sagen. Ein Sakrileg.
Dass ich einen Arzttermin hatte, zu dem ich fast zu spät gekommen wäre, hätte ich mich nicht ordentlich beeilt, hat dabei keine Rolle für sie gespielt.
»Ich verspreche, euch bald wieder zu besuchen. Okay?«
»Nein, nicht okay! Das klingt ja, als würdest du zu irgendwelchen Bekannten von dir gehen. Wir sind deine Familie, das ist doch kein Besuch, ich bitte dich!«
»Ich bin verwirrt. Wie willst du es denn dann nennen?«
»Du kommst nach Hause, so einfach ist das.«
»Aber...«, setze ich an, ihr zu erklären, dass mein Zuhause mittlerweile woanders ist. Doch irgendwie käme ich mir dabei wie eine Lügnerin vor, denn meine halbleere WG fühlt sich sicher nicht wie ein Zuhause an.
Abgesehen davon hatte es noch nie einen Sinn, mit meiner Mutter eine Diskussion vom Zaun zu brechen. Mein Vater kann davon wahrscheinlich ein Lied singen.
»Auch egal«, beschließt sie jetzt plötzlich, das Thema zu wechseln. Gut, von mir aus. »Wie geht es dir?«, will sie nun wissen. Ich seufze. »Gut, denke ich. Bin bisschen müde von der Arbeit. Aber ansonsten ist alles in Ordnung. Wie geht es dir?«
Sie übergeht meine Gegenfrage und sagt: »Ich wüsste gern, wie es mit diesem... du weißt schon... wie heißt er? Wie läufts mit ihm?«
»Ich weiß nicht wen du meinst«, stelle ich mich dumm.
»Du weißt ganz genau, wen ich meine!«, ruft sie.
»Nein, es tut mir echt leid.«
»Du lügst!«
»Und du bist viel zu dramatisch«, entgegne ich gelangweilt.
»Wenn es um meinen zukünftigen Schwiegersohn geht, bin ich garantiert nicht zu dramatisch! Jede andere Mutter kann das verstehen!«
»Ist dir eigentlich klar, dass du mir wieder gezeigt hast, wie dramatisch du bist? Außerdem kommt Sten nicht einmal in die Nähe davon, dein Schwiegersohn zu werden, mach dir keine Gedanken.«
»Ha! Also wusstest du doch, über wen ich rede!«
»Wow, du bist eine wahre Meisterdetektivin«, antworte ich gelangweilt.
Ich liebe meine Mutter wirklich sehr, aber wenn sie sich derartig in mein Leben einmischt, könnte ich vor Frust einfach nur schreien. Für andere Familien ist es selbstverständlich, dass so ein Verhalten einfach nur übergriffig ist.
Aber o nein, nicht bei den Martinellis. Da existiert sowas wie Privatsphäre teilweise gar nicht. So lieb ich meine Leute habe, ist das ein weiterer Grund, warum ich froh bin, nicht mehr daheim zu leben. Es ist auch irgendwie amüsant zu beobachten, wie meine Schwester eine ähnliche Wandlung durchmacht, was diese Gedanken angehen. Es ist nicht so, dass sie es laut ausspricht, aber ich kann ihr ansehen, dass auch sie langsam genug davon hat, dass jedes zweite Familienmitglied seine Nase in ihre Angelegenheiten steckt.
Ich seufze. »Mom. Bitte glaub mir, zwischen Sten und mir läuft nichts. Wir arbeiten zusammen und verstehen uns gut. Mehr nicht.«
»Ihr nennt euch also beim Vornamen. Das ist für mich nicht ›nichts‹.«
»Nur, weil ich jemanden mit Vornamen anspreche, heißt das nicht gleich, dass ich was mit dieser Person habe.«
Meine Mutter schnaubt laut. »Florentina, verkaufe mich nicht für dumm! Dein Onkel hat...«
»... was anderes erzählt, ich weiß. Aber er redet viel, wenn der Tag lang ist, das weißt du genau so gut wie ich.«
Ein widerwillig zustimmendes Grummeln ist ihre Antwort.
»Mom«, setze ich erneut an. »Ich würde mir wirklich wünschen, dass ihr mir einfach glaubt, wenn ich sage, dass da nichts ist. Seid ihr alle echt so scharf darauf, dass ich jemanden finde? Ich komme sehr gut zurecht als Single, wirklich.«
»Ach, Florentina«, sagt meine Mutter jetzt in einem wesentlich ruhigeren Tonfall. Sie klingt fast ein wenig traurig. »Es ist einfach nur so, dass wir dir das Beste wünschen... vor allem nach dieser blöden Geschichte mit... wie hieß er gleich?«
»Nick. Wir haben einfach nicht zueinander gepasst und ihr nennt es gleich eine ›blöde Geschichte‹.«
Meinen Einwand übergehend, redet meine Mutter weiter: »Wenn eine Aussicht darauf besteht, dass du jemanden finden könntest – auch noch jemand so angesehenen wie ihn – freuen wir uns und bestärken dich darin.«
»Bestärken?! Ihr habt euch förmlich das Maul zerrissen über Sten und mich!«
»So war das nicht! Wir haben untereinander in der Familie darüber spekuliert.«
»Vielleicht ist mir das aber unangenehm? Darüber hat keiner von euch nachgedacht, nicht wahr?«
»Ich bitte dich! Nun stell dich nicht so empfindlich an.«
Es schmerzt einfach nur, wenn meine Mutter meine Grenzen nicht respektieren kann.
Ich atme tief durch und versuche, meinen rasenden Puls zu beruhigen. Ich möchte gefasst bleiben, auch wenn sich das gerade alles andere als einfach darstellt.
»Mom, ich würde mir wirklich wünschen, dass du versuchst, mich zu verstehen. Erstens: Ich bin nicht mit Sten zusammen, oder was auch immer ihr euch da denkt. Zweitens: Das würde auch keinen außer mich und ihn was angehen, wenn es so wäre. Es läge einzig und allein an uns, wann wir wem davon erzählen würden. Es ist einfach kein schönes Gefühl, wenn man mitkriegt, dass sich so exzessiv über mich und mein nicht vorhandenes Liebesleben unterhalten wird. Verstehst du das?«
Meine Mutter schweigt kurz und ich habe bereits die Hoffnung, dass sie mich tatsächlich beginnt zu verstehen.
Doch dann macht sie alles mit einem einzigen Satz zunichte: »Aber so ist das nun mal bei uns.«
Ohne ein weiteres Wort lege ich auf.
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