Kapitel 13
Als Sten am nächsten Tag plötzlich vor meiner Nase steht, bin ich alles andere als vorbereitet.
In einem Moment putze ich noch das Fenster im Badezimmer – im nächsten drehe ich mich um und laufe fast in seine breite Brust hinein.
»Was um alles-«
»Hallo, Florentina.«
Sobald ich die samtene, tiefe Stimme von Sten höre, möchte ich am liebsten direkt in die Kloschüssel abtauchen. Ich fühle mich jetzt alles andere als in der Lage dazu, mich ihm zu stellen.
»Was willst du?«, frage ich in schneidendem Tonfall.
»Ein Missverständnis aus dem Weg räumen.«
Ich lache trocken auf. »Ach, was du nicht sagst. Ich weiß nichts von einem Missverständnis.«
Sten seufzt. »Florentina, bitte. Ich habe das nicht so gemeint. Glaub mir das.« Ich verdrehe die Augen.
»Was hast du nicht so gemeint? Dass du mich nicht ausstehen kannst? Ich denke nämlich, dass du das sehr wohl so gemeint hast. Und zwar genau so. Weißt du was? Wenn ich so darüber nachdenke, fallen mir sogar unzählige Gelegenheiten ein, bei denen du mehr als nur deutlich betont hast, wie wenig du mich ausstehen kannst. Also spar dir dein blödes Geschwafel.«
»So war das nicht!«, raunt er energisch.
Meine Brauen schießen in die Höhe. »Ach? Meinst du? Ich glaube schon.«
Sten öffnet den Knopf seines dunkelblauen Sakkos und stemmt die Hände in die Seiten. Er lässt den Kopf hängen und er stößt einen tiefen Seufzer aus. Dann sieht er mich wieder an, einen resignierten Ausdruck in den dunkelblauen Augen.
»Wie kann ich dich vom Gegenteil überzeugen?«, fragt er schlicht. Darauf bin ich nicht vorbereitet. Mein Mund öffnet sich, aber es kommt kein Ton raus. Stens runzelt die Stirn. Hilflos hebe ich die Hände.
»Also, keine Ahnung. Vielleicht wäre eine Erklärung ganz nett. Wenn du darauf bestehst, mich von irgendwas zu überzeugen.«
»Ich...« Sten stockt. Dann seufzt er. »Ich will einfach nicht, dass du das falsch verstehst. Manchmal kann ich nicht... ich bin nicht gerade der sensibelste Mensch. Es kommt auch oft vor, dass ich etwas sage, das aber ganz anders meine. Es tut mir leid. Ich bin nicht so gut in... naja. Sowas.«
»Sowas?«, frage ich lächelnd, nun doch ein wenig besänftigt. Er nickt resigniert. »Ja, sowas eben. Zwischenmenschliche Dinge.«
Ich erinnere mich daran, dass Wilhelm etwas ganz ähnliches zu mir gesagt hat. Wer weiß, vielleicht ist ja was dran?
»Schön und gut«, sage ich. »Aber dann wüsste ich trotzdem gern, warum du so oft betont hast, dass du mich nicht leiden kannst.«
»Puh, keine einfache Frage... aber ich habe dir ja versprochen, mich zu erklären. Also versuche ich es einfach.«
Irgendwie verstehe ich nicht ganz, warum Sten so eine komplizierte Sache daraus machen muss.
»Ich komme mit Menschen wie dir einfach nicht gut zurecht.«
»Du machst es nicht gerade besser«, säusele ich. Sten schnaubt belustigt. »Entschuldige. Man könnte meinen, dass meine Ausdrucksweise als CEO einer großen Firma nicht so unbeholfen ist.«
»Könnte man tatsächlich meinen. Aber du beweist mir immer wieder das Gegenteil.«
»Schätze, das habe ich verdient. Ich versuche es nochmal«, sagt er, den Rest eines Lächelns in den Augenwinkeln. »Was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass ich zwar nicht gerade verwöhnt aufgewachsen bin, es aber trotzdem nie so war, dass ich viel Strenge oder gar Widerworte gewohnt war. Meine Interaktionen mit Menschen waren immer relativ reibungslos. Als ich dann angefangen habe, mich in der Firma einzubringen und darauf vorbereitet wurde, meinem Vater als CEO abzulösen, sah das bisweilen schon anders aus.«
»Aha, aus dem verzogenen, reichen Bengel wurde dann jemand, der sich durchsetzen und Verantwortung übernehmen musste.«
Er nickt. »Ja, so ungefähr. Wie hätte ich auch jemals von den Menschen in der Firma respektiert werden sollen, wenn ich mich nicht ins Zeug gelegt und hart gearbeitet hätte? Keiner will einen Chef, dem alles in den Arsch geschoben wird und von Papi erbt, ohne einen Scheißfinger dafür rühren zu müssen.«
Stens ungewohnt ungepflegte Ausdrucksweise bringt mich zum Schmunzeln. Ohne dies zu bemerken, fährt er fort.
»Das Dumme daran ist, dass ich von Natur aus eher ein introvertierter Mensch bin. Wer weiß, vielleicht hätte es jemanden da draußen gegeben, der meinen Job viel besser macht als ich? Wir werden es wohl nie erfahren. Mein Vater hat sich sehnlichst gewünscht, dass ich sein Nachfolger werde. Ich wollte ihm diesen Wunsch nicht verwehren.«
Ich beschließe, nicht weiter auf seine letzte Aussage einzugehen, obwohl ich einiges dazu zu sagen hätte. Stattdessen frage ich: »Und was hat das alles mit mir zu tun?«
Er weicht meinem Blick aus. Schließlich zuckt er die massigen Schultern und sagt leise: »Du schüchterst mich ein.«
Mir bleibt förmlich die Spucke weg.
»Ich mache was?!«
»Es ist so! Du stehst mit beiden Beinen im Leben, weißt genau, was du willst, lässt dir nichts gefallen... ich musste mir mein Selbstbewusstsein hart erarbeiten. Ich bin kein Psychologe, aber ich vermute, dass ich betont habe, dich nicht zu mögen, weil mir das irgendein Gefühl von Selbstsicherheit gegeben hat. Mich von dir zu distanzieren. Ach, ich weiß es auch nicht.« Er fährt sich frustriert durch das kurze blonde Haar, sodass es nicht mehr ganz so ordentlich wie vorher aussieht. Trotzdem schafft er es irgendwie immer noch, professionell auszusehen... auf eine verwegene Art.
»Okay...«, murmle ich gedehnt. Sten nickt mit steinerner Miene. »Ich hoffe, das konnte deine Frage halbwegs beantworten.«
»Absurderweise... ja. Zumindest irgendwie. Halbwegs.«
»Halbwegs«, bestätigt Sten grinsend. Scheiße, dieses Lächeln sollte wirklich verboten werden.
Meine weichen Knie ignorierend streife ich mir die Gummihandschuhe von den Händen und strecke ihm meine Hand hin. »Gut, dann lass uns das mit dem Betonen, einander nicht leiden zu können, doch in Zukunft sein. Deal?«
Er schlägt ein. »Deal.«
...
Als ich später zu Hause in meinem Bett liege, starre ich an die Decke und denke über Stens Worte nach.
Er hält mich scheinbar für einschüchternd. Denkt, dass ich im Leben voll den Dreh raushabe und genau weiß, was ich will.
Wow. Wenn er nur wüsste, wie falsch er damit eigentlich liegt.
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