6.
Song: Not Just On Christmas - Ariana Grande
Elliot's P.O.V.
Nach einer schier endlosen Fahrt durch totes Land mit vereinzelten Zeichen von Zivilisation passieren wir das Ortsschild von Cripple Creek.
Bevor ich mit der jungen Frau neben mir durch das halbe Land geflogen bin, habe ich grobe Recherchen angestellt.
Harpers Heimatstadt ist reich an Kultur. Und an Gold.
Im 19. Jahrhundert gab es hier über 500 Minen. Heute findet sich hier eine der größten, noch aktiven Goldminen der Staaten.
Meinen Nachforschungen zufolge ist jeder zweite Bewohner der Stadt Minenarbeiter.
Der Rest ist mehr oder weniger vom Tourismus abhängig, befindet sich im Ruhestand oder in der Ausbildung.
Es ist bereits tiefste Nacht, als wir den Stadtkern von Cripple Creek durchfahren.
Die Bilder von Google und diversen Reiseblogs haben nicht gelogen. Die Straßen erstrahlen dank tausender Lichterketten in jeder nur erdenklichen Farbe. Jede Hausecke, jedes Dach wurde akribisch mit Lichtern umrandet.
Ich wende meinen Kopf zu Harper, die hinter dem Beifahrersitz sitz und sich zum Fenster gedreht hat.
Ich wüsste zu gerne, was gerade in ihrem Kopf vor sich geht. Freut sie sich wenigstens ein bisschen, ihre Heimat wiederzusehen?
Von Izzy weiß ich, dass sie Weihnachten früher geliebt hat. Es war einmal die wichtigste Zeit des Jahres für sie. Aber gerade kann ich an ihrer Körperhaltung keinerlei freudige Aufregung über den Anblick vor unseren Fenstern erkennen.
Nach nur wenigen Häuserblöcken, die nahtlos ineinander übergehen, richtet sie ihren leicht gekrümmten Rücken wieder auf und präsentiert mir ihr Seitenprofil.
Ich bin vorsichtig, nicht allzu offensichtlich in ihre Richtung zu starren. Aus dem Augenwinkel meine ich, ihre Unterlippe zucken zu sehen.
Unser Taxifahrer, Greg, führt ein heiteres Selbstgespräch über die kleine Stadt und ihre Bewohner.
Greg ist die Kurzform für Gregor, aber nur seine Mutter nennt ihn bei vollem Namen, wenn sie sauer auf ihn ist - seine Worte.
Dieser Mann hat keinen Filter, doch ich glaube, es ist von Vorteil, dass er die Stille im Wagen füllt.
Kaum ein Mensch ist auf den erstaunlich lang angelegten Straßen unterwegs.
Erstaunlich aus dem Grund, weil diese Stadt gerade mal etwas mehr als tausend Bewohner beherbergt. Mit ein bisschen Fantasie könnte man sich einbilden, durch eine ausgestorbene Großstadt zu fahren - natürlich nur, was die Länge der Asphaltfläche angeht.
Alles, was sich abseits davon befindet, schreit Kleinstadt.
Die dunklen Fenster, die sauberen Gehwege und das kleine Restaurant, das wie ein leuchtender Fels in der funkelnden Nacht steht.
Ich spüre den magischen Touch, der dieser Stadt nachgesagt wird.
Wäre ich allein unterwegs, würde ich meine Drohne aus dem Koffer ziehen und ein paar Aufnahmen machen.
Es juckt mir in den Fingern, zu versuchen, diese gespenstische und doch so gemütliche Atmosphäre einzufangen.
Aber ich bin nicht für mich hier, sondern weil ich einer jungen Frau gefolgt bin.
Harper presst ihre Lippen zusammen, als wir die erste Kurve in über fünfzehn Minuten fahren. Gleich darauf folgt noch eine.
Mit den Kurven verliert die Umgebung ihr Licht.
Ich realisiere erst, als Greg sich abschnallt, dass wir angekommen sind.
Die Straßen der Wohnsiedlungen sind weniger imposant für die Weihnachtstage geschmückt.
Nichtsdestotrotz verstehe ich, warum diese Provinz als Geheimtipp für einen Urlaub über die Feiertage gilt.
Die Bewohner geben sich größte Mühe, eine heimelige Stimmung zu verbreiten.
Harper scheint dafür aber keine Augen zu haben. Sie will Greg bezahlen, doch dieser winkt ab, will erst beim Koffer reintragen helfen.
"Das waren die längsten fünfundsiebzig Minuten meines Lebens", seufze ich, als ich neben dem dreckigen Auto stehe und mich endlich ausgiebig strecken kann.
Harper wirft mir einen perplexen Blick über das Autodach zu.
"Du hast die Zeit gestoppt?", fragt sie.
Nicht gestoppt, aber ich habe bei Abfahrt und Ankunft auf die Uhr geschaut.
Ich werde aus ihrem Unterton nicht schlau. Mal ist er ironisch, dann wiederum leicht angriffslustig, wobei ich nicht ausschließen kann, ob genau darin ihre Ironie liegt...
Ich will gerade zu einem Konter ansetzen, da fällt mir ihr leerer Blick auf, der auf einen Punkt hinter meinem Kopf gerichtet ist.
"Was ist?" Ich drehe mich um, kann aber nichts erkennen, außer den beleuchteten Gehweg und eine blinkende Rentierfamilie.
"Onkel Tonys Haus", erklingt eine dünne Stimme, die sich fremd anhört. "Sie haben es immer noch nicht verkauft."
Erneut blicke ich über meine Schulter und registriere das dunkle Grundstück, das eine Lücke in die sonst so schimmernde Umgebung reißt.
Ich weiß, dass Tony der verstorbene Bruder von Harpers Vater ist, aber ich wusste nicht...
"Ihr wart Nachbarn?"
Grau-blaue Augen visieren mich an, als ob sie vergessen hätten, dass ich noch hier stehe.
"Sie waren beste Freunde", sagt sie.
In dieser Aussage steckt alles und nichts.
Mir war nicht klar, dass die beiden Brüder ein so eingeschweißtes Team waren.
Ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll. Vielmehr, ich sehe ein, dass ich darauf nichts erwidern kann, was Harper weiterhelfen würde, also gehe ich um das Taxi herum und gehe Greg mit unseren Koffern zur Hand.
Währenddessen versuche ich, meine Gedanken nicht um die junge Frau auf dem Bürgersteig kreisen zu lassen.
Ich konzentriere mich auf die ebenfalls recht lange Straße, auf der wir parken.
Es hat den Anschein, dass das Straßennetz von Cripple Creek aus parallel zueinander angelegten Routen besteht.
Aber ich mein Kopf bleibt nur kurz bei Perspektiven für mögliche Luftaufnahmen, denn durch Harpers Kommentar ist mir bewusst geworden, welches Haus zu ihrer Familie gehört.
Es ist, wie die meisten Häuser der Nachbarschaft, hell erleuchtet und hat kitschige Weihnachtsdeko im Vorgarten stecken.
Doch mein Blick auf die weiße Fassade mit verspielten Schnitzereien an Dach und Veranda ändert sich, als ich nicht mehr ein Haus, sondern Harpers Zuhause vor mir sehe.
Meine Observation wird von einer trockenen Männerhand unterbrochen.
"War nett, dich kennenzulernen!"
Greg grinst von einem Ohr zum anderen. Sein Akzent, sein gesamtes Auftreten machen ihn zu einem äußerst sympathischen Zeitgenossen.
Ich fange mich, schüttle seine Hand mit festem Druck und klopf ihm auf die Schulter.
"Ich habe das Gefühl, als würde ich Sie nach dieser Fahrt schon ewig kennen."
"So macht man Freunde fürs Leben." Mit diesen Worten wendet er sich ab und verschwindet in die Nacht.
Als er seine Autotür zum Einsteigen öffnet, erklingt noch ein letztes Mal die Weihnachtsmusik, die er in Dauerschleife zu hören scheint.
"Elliot?"
Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, meinen Namen aus ihrem Mund zu hören.
"Ja?"
Ich bin bereit, ihr den Koffer abzunehmen, doch stattdessen überrascht sie mich, indem sie ihre Arme um mich legt.
Wir haben abgesprochen, dass wir im Beisein ihrer Familie auf körperliche Nähe nicht verzichten können und der ein oder andere Kuss nötig sein wird.
Aber das hier gehört noch nicht zu unserem Schauspiel. Ich brauche einige Sekunden, um das zu realisieren.
"Du bist verrückt, dass du das hier mit mir machst", sagt sie mit angespannter Stimme.
"Und ich weiß, wie dankbar du mir dafür bist", scherze ich und schließe ebenfalls meine Arme um sie.
Eigentlich kennen wir uns gar nicht. Für sie bin ich nur der stumme Mitbewohner ihrer besten Freundin, der ihr manchmal mit einem Root Beer in der Hand die Tür aufgemacht hat.
Ich weiß, dass sie gerade einiges durchmacht, aber ich kann es nicht verhindern, das entfernte Aufflattern von Freude in meinem Oberkörper zu spüren.
Im nächsten Moment hören wir das Klicken einer Haustür und spitze Freudenschreie zerreißen die Nacht. Ihre Arme verschwinden.
"Harper!"
Eine junge Frau in Wollpullover und Plüschhausschuhen stürmt auf uns zu.
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Der Nikolaus kam heute spät, aber er hat noch ein kleines Geschenk für euch :)
Freunde, ich arbeite wirklich daran, dass ihr nicht mehr zu so später Stunde von mir hört, ugh.
Das hier ist übrigens Cripple Creek. It's a real thing. Morgen erzähle ich euch mehr dazu :)
Eine gute Nacht an alle, die jetzt noch Lesen. <3
(Während ich diese Zeilen schreibe, stützt leider permanent der schöne Schnee von unserem Dach :/ )
Ich knuddel euch!
All my Love,
Lisa xoxo
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