Kapitel 4
“Ma‘am, bitte öffnen Sie die Tür!” Eine der Wachen, die vor der Tür standen, schlug kräftig gegen die Tür und versuchte, sie aufzubekommen. Seit meinem Streit mit meiner Mutter waren erst ein paar wenige Stunden vergangen. Ich seufzte. Ich hatte keine Lust mehr auf den Mist. Wieso konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?! “Was ist denn?”, rief ich genervt nach draußen. “Ihre Mutter möchte mit Ihnen zu Abend essen.” “Richten Sie meiner Mutter aus, dass ich keinen Hunger habe!”
Es herrschte Stille. Ein paar Augenblicke später hörte ich Schritte, die sich entfernten. Puh, zum Glück waren sie weg.
Ich sprang von meinem Bett und stellte den Stuhl beiseite, den ich so nah an der Türklinke platziert hatte, damit die Wachen nicht reinkamen. Zusätzlich hatte ich auch noch die Tür mit dem Schlüssel abgesperrt, da ich nicht wusste, ob sie eigene Schlüssel für mein Zimmer hatten. Ich wollte auf Nummer sicher gehen.
Wer wusste schon, was meine Mutter sich alles ausdenken könnte?
Ich schlenderte durch mein Zimmer in Richtung meines Fensters. Die Vorhänge, die ich vor ein paar Stunden zugezogen hatte, öffnete ich wieder und schaute hinaus auf die große Wiese. Ich beobachtete die Engel, die mit weißen gesattelten Pferden auf und ab liefen. Ich fragte mich, was da gerade vor sich ging.
Neugierig öffnete ich das Fenster und setzte mich auf die Fensterbank, meine Beine dabei aus dem Fenster hängend.
“Ey, ihr da unten!” rief ich, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.
Einer der Engel blieb mit seinem Schimmel stehen und schaute zu mir nach oben.
“Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Prinzessin?” fragte er mich, während er langsam näher an mein Fenster kam.
“Was macht ihr mit den Pferden?” Ich schaute zu, wie sich langsam immer mehr Engel unter meinem Fenster versammelten.
Ich fand es lustig, wie klein sie doch von hier oben waren.
“Ihre Mutter hat uns beauftragt, die Pferde fertig zu machen. Aus welchem Grund wissen wir nicht.”
Okay, na dann... was hatte sie denn vor? Wollte sie mit mir nach dem Abendessen ausreiten? Ich konnte doch gar nicht reiten und außerdem hatte ich Hausarrest. Oder es ging gar nicht um mich.
Einer der Wachen kam auf die Wiese und sah zu den Engeln mit Pferden. “Bringt zwei Pferde her, die anderen zurück in die Boxen!”
Zwei der Engel bewegten sich mit den Pferden zu der Wache, und die anderen verabschiedeten sich von mir und gingen in Richtung der Ställe. Diese waren nicht weit entfernt. Von der großen Wiese mit Blumen, auf der sie bis gerade noch standen, ein paar Meter geradeaus und durch einen gemauerten Bogen auf einen Hof. Auf diesem gab es die Ställe der Pferde. Den Hof konnte man von meinem Zimmer aus dennoch nicht erkennen.
Eine Zeit lang saß ich noch am Fenster. Zuerst passierte nichts mehr, danach kam ein edel aussehender Herr mit großen Flügeln auf einem graues Einhorn über die Wiese zu der Wache geritten.
Sie unterhielten sich miteinander. Leider waren sie zu weit weg, um etwas verstehen zu können.
Ein paar Minuten später kam meine Mutter auch auf die Wiese.
Als sie kam, kletterte ich schnell zurück in mein Zimmer und versteckte mich an der Wand neben dem Fenster, so dass sie mich nicht sehen konnte.
Sie standen nah an meinem Fenster und ich konnte ein paar Wörter hören.
Der Mann nannte sie “meine Liebe” und hatte ihr wohl die Hand geküsst.
Was sollte das bedeuten? Betrog meine Mutter gerade etwa meinen Vater? Nein, das würde sie nicht machen, oder etwa doch?
Mein Vater war, wie meine Mutter sehr gerne beschrieb, ein viel beschäftigter Engel, der viel und oft auf Reisen war. Wie gerade auch. Wo er sich herumtrieb, hatte meine Mutter nicht erwähnt.
Lange dauerte es nicht, bis die Stimmen leiser wurden und die Pferde samt des fremden Mannes und meiner Mutter verschwunden waren.
Ich schloss das Fenster und warf mich auf mein Bett.
Was zum Teufel geschah hier?!
Als ich meine Augen wieder öffnete, war es komplett dunkel in meinem Zimmer.
Vorsichtig stand ich auf und tastete mich an der Wand hinaus nach draußen. Es waren immer noch keine Wachen da. Merkwürdig.
Aus einem der Fackelhalter im Flur schnappte ich mir eine Fackel, die erst kürzlich angezündet worden war und noch lange halten würde. Leise machte ich mich auf den Weg nach unten.
Mein Magen knurrte, und ich wollte unbedingt noch etwas zu Abend essen.
In der Küche angekommen, schnappte ich mir ein Brötchen, aß es aber nur zur Hälfte, da ich ein lautes Geräusch von der Tür hinter mir hörte.
Ich wusste, dass diese Tür in den Kerker führte, aber es war mir immer verboten worden, dort hineinzugehen. Doch gerade war niemand da. Das hieß, ich konnte kurz, wirklich nur ganz kurz, hinuntergehen und nachschauen.
Leise drückte ich den Hebel hinunter und stieg die nassen und kalten Marmortreppen hinunter.
Je weiter ich nach unten ging, desto kälter wurde es.
Unten angekommen, wäre ich beinahe über einen Hund mit Flügeln gestolpert. "Nanu?" Ich steckte die Fackel in eine dafür gemachte Halterung und bückte mich nach unten. Was war das für ein Wesen? So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Aber süß war es!
Vorsichtig streckte ich meine Hand aus. Als das kleine Wesen immer näher kam, schloss ich meine Augen aus Angst, dass es mich beißen würde.
Doch nichts dergleichen geschah. Das kleine Wesen berührte zärtlich mit seiner Zunge meine Hand, und ich konnte nicht anders, als zu kichern.
"Aiko" hörte ich es aus einer der Zellen
Vorsichtig nahm ich es auf den Arm und ging zu einer der Zellen.
In dieser stand eine Frau. Eine wirklich sehr bezaubernde Frau. Sie war sehr dünn und sah sehr hungrig aus. Ihre Kleidung war mit Dreck beschmiert, genauso wie ihr Gesicht. Ich fragte mich, wann sie das letzte Mal Licht gesehen hatte und aus welchem Grund sie hier unten war.
Vorsichtig steckte ich meine Hände mit dem Hund (?) in der Hand durch die Gitterstäbe. "Ich glaube, er gehört dir."
Innerhalb von Sekunden riss sie das Wesen aus meiner Hand und verkroch sich in die hintere Ecke ihrer Zelle.
"Hey, hab keine Angst. Ich tue dir nichts, versprochen. Ich bin Soraya, die Prinzessin von Lumina," stellte ich mich freundlich vor.
Ich strich nervös mit meinen Händen über die Federn meiner großen weißen Flügel, die ich manchmal am liebsten abschneiden würde, so nervig waren sie manchmal.
"Mein Name ist Azara," sagte sie mit leiser und immer noch ängstlicher Stimme.
"Azara..." wiederholte ich leise. "Diesen Namen habe ich noch nie gehört."
"Wahrscheinlich, weil du aus Lumina kommst und ich aus Ambra," sagte sie sehr leise, aber dennoch so, dass ich sie verstand.
Ich riss meine Augen weit auf und kam noch näher an die Zelle heran.
"Du kommst aus Ambra?!" rief ich glücklich. Endlich! Endlich kannte ich jemanden, der aus Ambra kam. Ich hatte endlich die Gelegenheit, mehr darüber zu erfahren.
"Kannst du mir mehr darüber erzählen? Alle schweigen es tot und ich habe keine Ahnung, was dort vor sich geht."
"Pff, warum sollte ich," sagte sie unfreundlich. Daraufhin begann ihr Magen zu knurren, sehr laut.
Ich konnte mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. "Hast du Hunger?" Anstatt mir zu antworten, drehte sie ihren Kopf zur Seite. Ich deutete dies als ein Ja. Ich reichte ihr durch die Gitterstäbe ein halbes Brötchen.
"Tut mir leid, mehr habe ich gerade nicht dabei. Es hilft vielleicht etwas gegen deinen Hunger." Ganz langsam nahm sie das Brötchen entgegen, riss ein Stück davon ab und formte irgendwie daraus einen Regenbogenball.
Ich starrte sie an. "Wow," murmelte ich leise.
Ich sagte ihr, wie wunderschön ich es fand, und sie meinte, dass sie sich bei mir revanchieren müsste, da ich ihr etwas zu essen mitgebracht hatte. Auch wenn ich es ein wenig übertrieben fand, wollte ich die Gelegenheit nutzen, um mehr über Ambra zu erfahren.
"Nun gut. Erzähl mir etwas von der anderen Seite."
1.300 Wörter
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